FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Massenorganisation.

Inhalt:

I.     Begriffsbestimmung, ideolog.-polit. Grundlagen und Grundfunktionen der Massenorganisation

II.    Im Überblick: Die wichtigsten Aufgabenfelder des FDGB

III.   Zur histor. Entwicklung des FDGB

        a) 1945-50/52: Gründung und polit. Instrumentalisierung durch die KPD/SED

        b) 1953-62: Wirtschaftspolit. Wechselbäder

        c) 1963-71: Im Zeichen grundlegender Wirtschaftsreformversuche

        d) 1971-89: Im Zeichen der proklamierten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik

IV.   Die gewerkschaftliche Massenorganisation als „Transmissionsriemen“ oder als „Scharnier“ zwischen SED und Gesellschaft?

        Literatur


I.   Begriffsbestimmung, ideolog.-polit. Grundlagen und Grundfunktionen der Massenorganisation

M. und andere gesellschaftliche Organisationen können als Vereinigungen beschrieben werden, mit deren Hilfe kommunist. Parteien versuchten, die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft entsprechend ihren jeweiligen sozialen, kulturellen, sportlichen, beruflichen oder sonstigen Interessen zu erfassen und in das von ihnen beherrschte polit. System einzubinden. Der aus der kommunist. Bewegung der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts stammende Begriff M. blieb dabei den Vereinigungen für die großen sozialen Gruppen, in der DDR etwa dem FDGB für die Gesamtheit der Werktätigen, der Freien Deutschen Jugend (FDJ) für die Jugendlichen oder dem Demokrat. Frauenbund Deutschlands (DFD) für die Frauen, vorbehalten, während der eigentlich umfassendere Begriff gesellschaftliche Organisationen hauptsächlich für die Vereinigungen kleinerer sozialer Gruppen, etwa die einzelnen Berufsverbände, Verwendung fand.
Da die kommunist. Parteien für sich beanspruchten, mit Hilfe des Marxismus-Leninismus die Entwicklungsgesetze der Geschichte erkannt zu haben und deshalb auch die „objektiven“ gesellschaftlichen Interessen oder - anders gesagt - die „gesamtgesellschaftlichen Erfordernisse“ bestimmen zu können, reklamierten sie für sich zugleich ein allgemeines Organisationsmonopol: Sie ließen also grundsätzlich nur solche M. und andere gesellschaftliche Organisationen zu, die sie polit. für erwünscht hielten und unterwarfen sie dem eigenen absoluten Führungsanspruch. Praktisch umgesetzt wurde dieser Anspruch durch die Verankerung der sog. führenden Rolle der Partei in der jeweiligen Satzung, durch die Anwendung des demokrat. Zentralismus im Organisationsaufbau und schließlich nicht zuletzt durch eine gezielte kommunist. Kaderpolitik, die sich auf verbindliche und eng miteinander verflochtene Nomenklaturen für die personelle Besetzung der Apparate stützte und in der alltäglichen Praxis die Einhaltung bestimmter Anleitungs- und Arbeitsstrukturen sicherstellte.
M. und andere gesellschaftliche Organisationen stellten in erster Linie Herrschaftsinstrumente der kommunist. Parteien dar, sollten aber gleichzeitig im marxist.-leninist. Sinne als Interessenvertretungen fungieren. Dabei bestand ihre grundsätzliche Aufgabe darin, an die individuellen sowie gruppen- und schichtspezif. Interessen in der Gesellschaft anzuknüpfen, um sie zu kanalisieren und zu kontrollieren und letztlich in Übereinstimmung mit den von der herrschenden Partei definierten „gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen“ zu bringen. Anders gesagt: Individuelle sowie gruppen- und schichtspezif. Bedürfnisse, Eigeninitiativen und soziale Aktionsbereitschaft sollten genutzt werden, um die gesellschaftliche Integration zu fördern, zugleich aber - und zwar vordringlich - die kommunist. Parteiherrschaft zu stabilisieren und das von ihr angestrebte sozialist. Gesellschaftsmodell zu verwirklichen. Da die Mitgliedschaft in einer der M. für den sozialen und beruflichen Aufstieg unerlässlich war, zudem mit materiellen Vergünstigungen belohnt wurde und außerdem keine organisator. Alternativen für die legale Wahrnehmung autonomer sozialer Interessen bestanden, erfreuten sich die M. insgesamt eines durchaus regen Zulaufs.
Die Grundfunktionen der M. und anderen gesellschaftlichen Organisationen, deren Gesamtzahl in der DDR bis Ende der 80er Jahre auf immerhin rund 80 anstieg, lassen sich trotz ihrer unterschiedlichen Zielgruppen und entsprechend ausdifferenzierten konkreten Aufgaben ganz allgemein mit den fünf Stichworten - erstens Mobilisierung, zweitens Erziehung, drittens Information, Kontrolle und potenzielle Kurskorrektur, viertens Kaderbildung sowie fünftens Partizipation - umschreiben.
1. Mobilisierung: In erster Linie dienten die M. den kommunist. Parteien dazu, die gesellschaftlichen „Massen“ zu organisiertem Handeln in der von ihr vorgegebenen Richtung zu mobilisieren, d.h. „Masseninitiativen“ und „Massenbewegungen“ zu organisieren. Für die Partei sollten sie als „Transmissionsriemen“ wirken und deren polit. Ziele in der allgemeinen Bevölkerung sowie ihren speziellen Zielgruppen propagieren und diese damit für deren Umsetzung mobilisieren.
2. Erziehung: Eine weitere grundsätzliche Aufgabe der M. bestand darin, im Sinne der Ideologie des Marxismus-Leninismus erzieher. auf ihre Mitglieder einzuwirken, um die polit. erwünschten Bewusstseins- und Verhaltensveränderungen zu erreichen und damit auf längere Sicht gefestigte „sozialist. Persönlichkeiten“ heranzubilden.
3. Information, Kontrolle und potenzielle Kurskorrektur: Mit der Erziehungsfunktion eng verbunden war die Aufgabe der M., laufend Informationen über die Stimmungen und Meinungen ihrer Mitglieder zu sammeln, dabei eine umfassende Kontrolle in Hinblick auf möglicherweise „falsches“ Bewusstsein und „abweichendes“ Verhalten sicherzustellen und entsprechend zu sanktionieren; beides wurde im engen Zusammenwirken mit dem Parteiapparat und dem als Geheimpolizei organisierten Staatssicherheitsdienst wahrgenommen und diente zur Festigung der polit.-staatlichen Macht. Eine prinzipiell zumindest denkbare und sinnvolle Rückkopplung autonomer individueller oder gruppen- und schichtspezif. sozialer Interessen durch die M. an die herrschende Partei zu deren polit. Kurskorrektur spielte dabei nach bisher vorliegenden Erkenntnissen eine völlig untergeordnete Rolle.
4. Kaderbildung: Eine vierte Grundfunktion der M. lag in der Heranbildung eines ideolog.-polit. sowie auch fachlich gut geschulten Nachwuchses für leitende Positionen in Partei, Staat und Wirtschaft.
5. Partizipation: Innerhalb des von der Partei vorgegebenen Rahmens sollten die M. ihren Mitgliedern schließlich auch gewisse Partizipationsmöglichkeiten eröffnen, um die gesellschaftliche Integration zu fördern.
Diese fünf Grundfunktionen wurden von den M. und anderen gesellschaftlichen Organisationen in Abhängigkeit von ihrer Mitgliederstärke, ihrem jeweiligen speziellen Organisationszweck und der zeitlichen Entwicklung recht unterschiedlich wahrgenommen und i.d.R. noch durch weitere Aufgaben ergänzt - so auch im Falle der größten und mitgliederstärksten M. in der DDR, des FDGB.


II.   Im Überblick: Die wichtigsten Aufgabenfelder des FDGB

Die wichtigsten Aufgabenfelder des FDGB als gewerkschaftlicher M. bestanden - anknüpfend an die o.g. fünf Grundfunktionen - darin:
1. Arbeitsmobilisierung zu betreiben, d.h. im Sinne eines „Transmissionsriemens“ der SED vor allem deren wirtschaftspolit. Ziele in der breiten Bevölkerung zu propagieren und die Beschäftigten in den Betrieben für die praktische Umsetzung der auf Leistungssteigerung und Wachstum gerichteten Fünfjahrespläne sowie der daraus abgeleiteten alljährlichen Volkswirtschaftspläne zu mobilisieren; wichtigstes Hilfsmittel hierbei war der sozialist. Wettbewerb. Als M. für die Gesamtheit der werktätigen Besitzer der volkseigenen Produktionsmittel sollte der FDGB die sozialst. Arbeitsmoral festigen und so den „Kampf um hohe Leistungen“ führen. Arbeitsmobilisierung wurde als eine polit.-erzieher. Aufgabe aufgefasst, in der Praxis allerdings meist als Kern der Interessenvertretung für die Beschäftigten herausgestellt. Für die realen Erfolge bei der Arbeitsmobilisierung wesentlich wichtiger als moral. Appelle und Mitwirkungsversprechen waren allerdings die im sozialist. Wettbewerb eingesetzten materiellen Anreize, also vor allem leistungsfördernde Lohnformen und Prämien sowie zusätzliche soziale Leistungen.
2. Ideologievermittlung und Erziehung zu betreiben, d.h. auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus im Sinne einer „Schule des Sozialismus“ zur Bewusstseins- und Verhaltensveränderung der eigenen Mitglieder beizutragen, um diese schließlich zu „sozialist. Persönlichkeiten“ zu formen. Wichtigstes Ziel der Ideologievermittlung und Erziehung war es, den Einzelnen von der Übereinstimmung seiner persönlichen Interessen mit den von der herrschenden Partei definierten „gesellschaftlichen Erfordernissen“ zu überzeugen und ihm ein entsprechend ideologiekonformes Bewusstsein und Verhalten anzuerziehen. Zu diesem Zweck unterhielt der FDGB ein aufwändiges Schulungswesen, eine weit verzweigte, auf die Interessen der einzelnen Beschäftigten- und Berufsgruppen ausgerichtete Gewerkschaftspublizistik und eine umfassende Kultur- und Bildungsarbeit (s. kulturelle Massenarbeit).
3. Ideologie- und Verhaltenskontrolle zu betreiben, d.h. die Mitglieder in Hinblick auf ihr möglicherweise „falsches“ Bewusstsein und „abweichendes“ Verhalten laufend zu kontrollieren und zu disziplinieren - eine Aufgabe, die im engen Zusammenwirken mit dem SED-Apparat und der Staatssicherheit wahrgenommen wurde; wichtigstes Hilfsmittel hierfür war ein hochformalisiertes und ausdifferenziertes internes Berichtswesen, das sich in zunehmenden Maße auch auf elektron. Datenverarbeitungssysteme stützte. Die prinzipiell zumindest denkbare und auch sehr sinnvolle Rückkopplung autonomer individueller oder kollektiver Interessen über die Ideologie- und Verhaltenskontrolle der M. an die SED zur vorausschauenden polit. Kurskorrektur spielte dabei nach bisher vorliegenden Erkenntnissen auch beim FDGB kaum eine Rolle. Gerade in Krisensituationen, wie etwa dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 oder angesichts des wachsenden außenwirtsch. Anpassungsdrucks in den 80er Jahren, erwies er sich aus strukturellen Gründen, die aus seinem Charakter als abhängige M. selbst resultierten, als völlig unfähig, die SED-Führung zu dringend erforderlichen Kurskorrekturen oder Reformschritten zu bewegen.
4. Kaderbildung mit Ausrichtung auf wirtsch.- und sozialpolit. Qualifikationen zu betreiben, d.h. nicht nur polit.-ideolog. sondern auch fachlich gut geschulten Nachwuchs für entsprechende leitende Positionen in Partei, Staat und Wirtschaft heranzubilden; zu diesem Zweck unterhielt der FDGB eigens eine Reihe von Spezialschulen, darunter die für Produktionsarbeit, für Arbeitsschutz, für Sozialversicherung und für kulturelle Massenarbeit. An der Spitze des gewerkschaftlichen Schulungswesens stand die Hochschule der Deutschen Gewerkschaften „Fritz Heckert“, an der u.a. ein dreijähriges Direkt- bzw. ein fünfjähriges Fernstudium zum Diplom-Gesellschaftswissenschaftler angeboten wurde. Die Kaderbildung des FDGB diente in erster Linie der Erneuerung der eigenen Organisation und der Bereitstellung von geeigneten Kräften für staatliche Wirtschaftleitungsfunktionen; nur selten rückten Gewerkschafter dagegen in wirtsch.- und sozialpolit. bedeutende Positionen im SED-Apparat auf.
5. Gesellschaftliche Mitbestimmung und betriebliche Mitwirkung für die eigenen Mitglieder zu gewährleisten, d.h. im Sinne einer marxist.-leninist. Interessenvertretung in der Volkskammer und den regionalen sowie örtlichen Volksvertretungen als verlängerter Arm der SED loyal und unselbständig mitzuarbeiten, die staatliche Verwaltung bei der Umsetzung der polit. Vorgaben zu unterstützen und vor allem darauf hinzuwirken, dass die eigenen Mitglieder rege am sozialist. Wettbewerb zur Erfüllung der Wirtschaftspläne teilnahmen und dies als praktizierte „sozialist. Demokratie“ verstanden. Tatsächlich war das allgemeine Konsultativrecht des FDGB in Fragen der Planung und Leitung der Betriebe nicht mit echten Entscheidungsbefugnissen in Hinblick auf Produktionsfragen verbunden; lediglich im Bereich der Personal- und Arbeitsfragen konnten die Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) bestimmte konkrete Mitspracherechte geltend machen.
Zu diesen fünf Grundfunktionen kamen für den FDGB als M. der SED drei weitere Aufgaben hinzu, die sich aus seinem Organisationszweck und seiner dementsprechenden Mitgliederstruktur ergaben:
6. Soziale Dienste bereitzustellen, d.h. im staatlichen Auftrag umfassende sozialpolit. Transfer- und Dienstleistungen zu verwalten und zu verteilen, etwa im Bereich der Sozialversicherung, der über- und innerbetrieblichen Sozialpolitik sowie des organisationseigenen Feriendienstes. Nur zu einem geringen Anteil wurden diese Leistungen aus dem Beitragsaufkommen des FDGB selbst gedeckt. Hinzu kam die Aufgabe, betriebliche Kultur- und Bildungsarbeit zu leisten, d.h. Kulturhäuser und Gewerkschaftsbibliotheken zu unterhalten, haupt- und ehrenamtliche Kulturfunktionäre heranzubilden und zu qualifizieren, die Zusammenarbeit mit Schriftstellern, Komponisten und bildenden Künstlern zu pflegen, Betriebsfestspiele zu organisieren, Volks- bzw. Laienkunstgruppen ins Leben zu rufen und nicht zuletzt, z.B. über den Sportorganisator und die Betriebssportgemeinschaften, die Sport- und Freizeitaktivitäten der Beschäftigten zu unterstützen.
7. Westarbeit speziell im gewerkschaftlichen Bereich zu leisten, d.h. im Auftrag der SED eine gezielte polit. Beeinflussung der im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammengeschlossenen westdeutschen Gewerkschaften zu versuchen - ein Aufgabenfeld, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Zusammenhang mit den gewerkschaftlichen Interzonenkonferenzen einen hohen Stellenwert besessen hatte und 1956, nach dem Verbot der westdeutschen KPD durch das Bundesverfassungsgericht, erneut an Bedeutung gewann. Da der DGB bis zur Verabschiedung des Grundlagenvertrages zwischen den beiden deutschen Regierungen im Jahr 1972 offizielle Kontakte ablehnte, war dies ein besonders schwieriges Aufgabenfeld.
8. Internationale Arbeit im Sinne der SED-Außenpolitik auf gewerkschaftlichem Gebiet bzw. mittels gewerkschaftlicher Kontakte zu leisten. Grundsätzlich ging es darum, internationales Ansehen als gesellschaftliche Alternative zum anderen deutschen Teilstaat zu gewinnen. Bis Anfang der 70er Jahre stand dabei die „vordiplomat.“ Arbeit im Kampf der DDR um völkerrechtliche Anerkennung im Vordergrund. In den 80er Jahren erlangte die internationale Arbeit des FDGB im Zusammenhang mit den östlichen Kampagnen in der Sicherheits- und Rüstungsdiskussion wieder Bedeutung.

West- und v.a. die internationale Arbeit des FDGB gehören zu den am schlechtesten erforschten Tätigkeitsfeldern des FDGB.


III.   Zur histor. Entwicklung des FDGB

a) 1945-50/52: Gründung und polit. Instrumentalisierung durch die KPD/SED

In der Sowj. Besatzungszone Deutschlands (SBZ) wurde die Gründung von polit. Parteien, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Organisationen bereits einen Monat nach Kriegsende mit Befehl Nr. 2 der Sowj. Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 10.6.1945 ermöglicht. Angesichts des Versagens der parteipolit. zersplitterten Gewerkschaftsbewegung der Weimarer Republik vor dem Nationalsozialismus befürworteten Vertreter aller früheren Richtungsgewerkschaften eine einheitliche und überparteiliche neue Gewerkschaftsorganisation. Unter den verschiedenen Gründungsinitiativen setzte sich allerdings schnell der von der sowj. Besatzungsmacht unterstützte Vorbereitende Gewerkschaftsausschuss für Groß-Berlin durch, in dem Mitglieder der KPD früh dominierenden Einfluss gewannen; bereits am 15.6.1945 trat er mit einem auch überregional bedeutsamen Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit und gab damit die Richtung für Betriebs-, Kreis- und Landesdelegiertenwahlen vor, die in Vorbereitung auf eine erste „Zonenkonferenz“ im Februar 1946 stattfanden. Der KPD gelang es dabei mit zahlreichen Wahlmanipulationen, ihre traditionelle Minderheitenrolle in der deutschen Gewerkschaftsbewegung zu überwinden und auf der 1. Allgemeinen Delegiertenkonferenz vom 9.-11.2.1946 in Berlin ihren Kandidaten Hans Jendretzky als 1. Vors. des FDGB durchzusetzen. Die Aufgaben des FDGB bestanden nach den Beschlüssen des Gründungskongresses vor allem darin, die Betriebe von früheren NSDAP-Mitgliedern in Leitungsfunktionen zu säubern, den wirtsch. Wiederaufbau und die weitere polit.-ökonom. Umgestaltung zu unterstützen, die Mitbestimmung der Arbeiter und Angestellten zu gewährleisten und außerdem auf die gesamtdeutsche Gewerkschaftseinheit hinzuarbeiten. Die ganz im Zeichen der vor allem von kommunist. Seite propagierten „Aktionseinheit“ von KPD und SPD stehende Gründung der Einheitsgewerkschaft setzte zugleich ein Signal für die wenig später erfolgende Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED im April 1946. Bei den ersten allgemeinen Wahlen in der SBZ, den Kommunalwahlen im September 1946 sowie den Kreis- und Landtagswahlen im Oktober 1946, gelang es der SED dann bereits, den FDGB und die anderen M. zur Mehrheitsbeschaffung in den Volksvertretungen zu instrumentalisieren. Um den Einfluss der beiden „bürgerlichen“ Parteien CDU und LDP weiter zurückzudrängen, wurden der FDGB und andere große M. bald darauf auch in die „Volkskongressbewegung“ und den „Block der Parteien und M.“ mit einbezogen.
Der FDGB wandelte sich in den kommenden Jahren programmat. sehr schnell von einer ursprünglich zumindest formal überparteilich auftretenden Gewerkschaft im traditionellen Verständnis zu einer abhängigen M. der SED. Zwei wichtige Stationen auf dem Weg dort hin waren der 2. FDGB-Kongress im April 1947, der sich zum Aufbau einer sozialist. Ordnung der Wirtschaft bekannte und den Streik künftig nur noch im Kampf gegen das verbliebene private Unternehmertum als legitim ansehen wollte, und die Bitterfelder Beschlüsse vom November 1948, mit denen die Arbeitsmobilisierung zu einem Schwerpunkt der Gewerkschaftsarbeit erklärt und das Ende der unabhängigen Betriebsräte eingeläutet wurde. Auf dem 3. FDGB-Kongress im Aug./Sept. 1950 wurde dieser Wandel auch in der Satzung verankert. Der FDGB, der mit dem Gesetz der Arbeit vom 1.5.1950 das alleinige Recht zugesprochen bekommen hatte, die Interessen der Beschäftigten in Staat und Wirtschaft zu vertreten, verpflichtete sich nun ganz offiziell, die führende Rolle der SED und den demokrat. Zentralismus als eigenes Organisationsprinzip anzuerkennen. Er erklärte, auf dem „Boden des Klassenkampfes“ zu stehen, sog. opportunist., bürokrat. und sektierer. Tendenzen sowie das nun verpönte traditionelle „Nurgewerkschaftertum“ entschieden zu bekämpfen und sich für das Ziel einer sozialist. Gesellschaft einzusetzen. Ausdrücklich bekannte er sich zur zentralen Planwirtschaft und versprach, die Beschäftigten für den sozialist. Wettbewerb zu mobilisieren, sie polit. zu schulen und fachlich zu qualifizieren. Als weitere wesentliche Aufgabe, aber bezeichnenderweise erst an zweiter Stelle genannt, wollte er sich für die stete Verbesserung der Arbeits-, Lohn- und Lebensbedingungen einsetzen.
An dieser im Grunde genommen dualist. Grundausrichtung, die für die M. der SED charakterist. war, änderte sich auch in den späteren Satzungen des FDGB bis zum Ende der DDR nichts Wesentliches. In der Praxis schwankte der Stellenwert der beiden Hauptaufgabenbereiche des FDGB im Laufe der Entwicklung allerdings erheblich, entsprechend den jeweils aktuellen wirtsch.- und sozialpolit. Schwerpunktsetzungen der SED; mal wurde der Aspekt der Planerfüllung und Arbeitsmobilisierung, mal der Aspekt der Interessenvertretung für die Mitglieder stärker betont. Ideolog. betrachtet war das nicht weiter erklärungsbedürftig, denn es bestand ja angeblich kein grundsätzlicher Konflikt zwischen den „gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen“ und den individuellen sowie gruppen- und schichtspezif. Bedürfnissen und Interessen, in der praktischen polit. Arbeit brachte es den FDGB aber in erhebliche Schwierigkeiten, weil er gegenüber seinen Mitgliedern immer neue Wendungen in der Gewichtung der beiden Aufgabenfelder begründen musste.
Nach dem 3. FDGB-Kongress stand zunächst weiterhin die praktische Durchsetzung des programmat. Wandels in den Einzelgewerkschaften und vor allem im betrieblichen Alltag (vgl. Betrieb als Sozialisationsinstanz) im Mittelpunkt. Die FDGB-Führung legte den Schwerpunkt ganz eindeutig auf die Arbeitsmobilisierung und propagierte zu diesem Zweck vor allem sowj. Methoden (vgl. sowj. Referenzmodell) zur Steigerung von Arbeitsproduktivität und Produktionsausstoß. Verstärkt durch organisator. Ineffizienzen und eigenes unsicheres polit. Auftreten sank das Ansehen der neuen Einheitsgewerkschaft in den Betrieben immer stärker ab - eine Entwicklung, die maßgeblich zum Volksaufstand des 17. Juni 1953 beitrug.


b) 1953-62: Wirtschaftspolit. Wechselbäder

In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Aufstand und dem „Neuen Kurs“ wurde der Stellenwert der Interessenvertretung in der Gewerkschaftsarbeit vorübergehend deutlich aufgewertet. Doch die Anforderungen an die wirtsch. Leistungskraft der DDR blieben hoch und stiegen mit der Verhärtung der Fronten im Kalten Krieg sogar noch weiter an, so dass für den FDGB schon Mitte der 50er Jahre erneut Planerfüllung und Leistungssteigerung in den Vordergrund der eigenen Aktivitäten rückten. Einige arbeitsrechtliche Neuerungen sollten den wirtsch. Leistungsdruck etwas mildern und die Mitwirkungsaspekte stärker betonen, darunter zum Beispiel die Einrichtung der betrieblichen Konfliktkommissionen und das Experimentieren mit den Arbeiterkomitees und den Produktionsberatungen. Doch diese formellen Partizipationsangebote stießen auf wenig Resonanz bei den Mitgliedern. Eine geringe Beitragszahlungsmoral und hohe Fluktuation weisen darauf hin, dass die Bindekraft des FDGB nur schwach war, er also wenig zur Integration und Stabilisierung beitragen konnte. Der Mauerbau von 1961 und das anschließend propagierte Produktionsaufgebot zur Konsolidierung der innenpolit und wirtsch. Lage der DDR setzten den Akzent in der Gewerkschaftsarbeit dann wieder sehr viel stärker auf Arbeitsmobilisierung und Leistungssteigerung, was das Ansehen des FDGB nur weiter schmälern konnte.


c) 1963-71: Im Zeichen grundlegender Wirtschaftsreformversuche

Auch die Wirtschaftsreformversuche des Neuen Ökonom. Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) 1963-67 und des Ökonom. Systems des Sozialismus (ÖSS) 1968-70 zwangen den FDGB zur immer neuen Gewichtung seiner beiden Hauptaufgabenfelder. Die FDGB-Führungsspitze stellte sich anfangs vorbehaltlos hinter das Reformkonzept, sah sich allerdings bald einer recht ambivalenten Situation gegenüber. Einerseits diskutierten die Reformer nun sogar Möglichkeiten der direkten Partizipation der Werktätigen, durch die das offizielle Interessenvertretungsmonopol der gewerkschaftlichen M. in Frage gestellt schien, wie zum Beispiel die Produktionskomitees, andererseits betonten sie die Notwendigkeit, das Gewicht der Gewerkschaften gegenüber den ganz im Sinne der Reformideen mit mehr Handlungsspielräumen ausgestatteten Betriebsleitungen zu stärken, etwa durch größere Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse für die Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL). Der FDGB seinerseits, seit 1968 sogar mit Verfassungsrang ausgestattet, versuchte die Chance zu nutzen und sich wieder stärker als eine Interessenvertretung der Beschäftigten zu profilieren, etwa durch die innerbetrieblich nun mit neuer Vehemenz vorgebrachte Forderung nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen für die Beschäftigten. Auch dabei handelte es sich letztlich aber nur um einen Beitrag zur Optimierung des von der SED-Führung abgesegneten und jederzeit zu revidierenden Reformkonzeptes. Als sich in der Phase des ÖSS die materiellen Spielräume der Betriebe infolge der zentralen Strukturplanung immer mehr verengten, scheiterten auch die Ambitionen des FDGB, sich gegenüber den Betriebsleitungen stärker als je zuvor als Interessenvertretung für die eigenen Mitglieder zu profilieren.


d) 1971-89: Im Zeichen der proklamierten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik

Die nach dem Scheitern der Wirtschaftsreformversuche zu Beginn der 70er Jahre von der neuen SED-Führung unter Erich Honecker (*25.8.1912-†29.5.1994) proklamierte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik sollte unterstreichen, dass die Wirtschaft kein Selbstzweck, sondern als ein Mittel zum Erreichen sozialen Fortschritts zu betrachten sei. Für den FDGB brachte dieses neue Konzept eine allgemeine Aufwertung als Steuerungsinstrument der führenden Partei für gesellschaftliche Prozesse und zugleich eine zumindest nominell sehr deutliche Aufgabenverschiebung mit sich: In der Außendarstellung traten Planerfüllung und Arbeitsmobilisierung nun klar zurück, obwohl sie auf betrieblicher Ebene - unter dem Signum der Intensivierung - weiterhin eine wichtige Rolle spielten, während Mitwirkungs- und Kontrollrechte sowie sozialpolit. Aufgaben darin einen ganz neuen Stellenwert eingeräumt bekamen. Besonders deutlich schlug sich das in der Beteiligung des FDGB an der Ausarbeitung des neuen Arbeitsgesetzbuches der DDR (AGB) von 1977 und dessen umfassenden Regelungsanspruch im Bereich der betrieblichen Mitwirkung nieder. Doch infolge des wachsenden außenwirtsch. Drucks und der daraus resultierenden Anpassungsprobleme verringerten sich die sozialpolit. Handlungsspielräume in den 80er Jahren zusehends, so dass sich der FDGB faktisch doch wieder stärker auf die Produktionspropaganda und den sozialist. Wettbewerb konzentrieren musste. In den Augen der Beschäftigten schwand seine Legitimität als Interessenvertretung dahin.


IV.   Die gewerkschaftliche M. als „Transmissionsriemen“ oder als „Scharnier“ zwischen SED und Gesellschaft?

Vor allem in den Systemkrisen der sozialist. Staaten, also während des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR, während der Unruhen in Polen 1956 und der Revolution in Ungarn 1956, beim Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961, bei der militär. Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 und schließlich bei der Gründung der unabhängigen polnischen Gewerkschaft „Solidarnosc“ im Sommer 1980 zeigte sich wiederholt in aller Deutlichkeit, wie wenig die gewerkschaftliche M. in der DDR dazu in der Lage war, zwischen SED und Gesellschaft wirksam zu vermitteln, Konflikte zwischen Regime und Bevölkerung zu lösen und die eingetretenen Krisensituationen tatsächlich dauerhaft zu bewältigen. Drohten die Interessen der herrschenden Partei und die der eigenen Mitgliedschaft in einen offenen Konflikt zu geraten, dann trug der FDGB mit seinen Heerscharen von haupt- und ehrenamtlichen Funktionären kaum dazu bei, bei der SED polit. Kurskorrekturen zu erwirken, sondern er fungierte in erster Linie als ein Disziplinierungs- und Beschwichtigungsorgan für die eigenen Mitglieder. Und nach einer überstandenen Krise wurde stets aufs Neue - ebenso regelmäßig wie mit immer schwächerer Wirkung - die weitere Intensivierung der polit.-ideolog. Gewerkschaftsarbeit beschlossen - ein Mechanismus, der vor dem Hintergrund der wirtsch. Dauerkrise in den späten 80er Jahren in die völlige Stagnation führte. Im Sommer 1989 hatte die polit. und ideolog. ausgezehrte FDGB-Spitze den überall aufkeimenden demokrat. Forderungen der eigenen Mitglieder schließlich nichts mehr entgegenzusetzen. Als infolge der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 das SED-Führungsmonopol gefallen war, verschwand binnen kurzer Frist auch die gewerkschaftliche M. sang- und klanglos von der histor. Bühne und ihre früheren Mitglieder traten den westdeutschen Gewerkschaften bei. Offen geblieben ist bisher allerdings die Frage, auf welche Weise der FDGB zur relativ langen Stabilisierung der SED-Herrschaft beitrug: Gelang ihm das, gerade weil er eine nahezu vollständig instrumentalisierte M. war und als „Transmissionsriemen“ zuverlässig funktionierte? Oder vielleicht doch eher, weil er an seiner breiten Basis genügend Raum für informelle Arrangements zwischen den Loyalitäts- und Anpassungserwartungen des Regimes und den sozialen Interessen der Mitglieder schuf?

Friederike Sattler


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