FDGB-Lexikon, Berlin 2009


13. August 1961. Am 13. August 1961 begann in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin die als Mauerbau bezeichnete Abriegelung Ost-Berlins vom Westteil der Stadt. Der ZK-Sekretär für Sicherheit, Erich Honecker (*25.8.1912-†29.5.1994), leitete diese Operation. Die „Staatsgrenze West“ zur Bundesrepublik war seitens der DDR bereits 1952 befestigt worden. Die Berliner Sektorengrenze war der letzte offene Fluchtweg gen Westen.

Die Abriegelung der Sektorengrenze gegenüber West-Berlin seitens der DDR beendete die zweite Berlin-Krise, die 1958 von dem sowj. Partei- und Staatschef Nikita S. Chruschtschow (*17.4.1994-†11.9.1971) ausgelöst wurde. Die Sowjetunion forderte die „Umwandlung Westberlins in eine selbständige polit. Einheit - eine Freie Stadt“. Für die Klärung der mit diesem Vorschlag verbundenen Fragen setze die sowj. Regierung eine Frist von sechs Monaten. Sie drohte mit einem Abkommen mit der DDR, das deren Souveränität „zu Lande, zu Wasser, und in der Luft“ auf ihrem Territorium sicherstellt. Dies hätte die Aufhebung der gesicherten Verkehrsverbindungen der westlichen Alliierten zu ihren Sektoren von Berlin bedeutet. Das Ultimatum wurde von den Westmächten und der Bundesrepublik zurückgewiesen, ebnete aber gleichwohl den Weg zur Außenministerkonferenz der vier Mächte in Genf 1959, an der Beobachterdelegationen beider deutscher Staaten teilnahmen. Auf weltpolit. Ebene ging es nun nicht mehr um einen Weg zur deutschen Wiedervereinigung, sondern um die Regelung des Status quo im geteilten Deutschland.

1960 wurde die Landwirtschaft in der DDR kollektiviert und die Umwandlung privater Handwerksbetriebe zu Genossenschaften forciert. Die Flüchtlingszahlen stiegen und im Oktober 1960 drängte die SED-Führung in Moskau darauf, „das Tor zum Westen“ in Berlin zu schließen. Mit Rücksicht auf die Präsidentschaftswahlen in den USA, wies Chruschtschow den Vorstoß Walter Ulbrichts noch zurück.

Der Mauerbau berührte die seit Kriegsende bestehenden alliierten Rechte in Groß-Berlin, die auch Hintergrund für einige Besonderheiten in der Geschichte der FDGB Groß-Berlin waren. Seit 1958 schwelte die Berlin-Krise und die USA und ihre Verbündeten waren gewillt, ihre Rechte in der Stadt zu verteidigen. Der amerikan. Präsident John F. Kennedy formulierte am 25.7.1961 „three essentials“ seiner Politik:
1. Recht auf Präsenz der Westmächte,
2. Recht auf Zugang,
3. Freiheit der West-Berliner.
Damit eröffnete er seinem weltpolit. Gegenspieler in Moskau die Möglichkeit, die durch die Fluchtbewegung ausgelöste Staatskrise der DDR auf Basis des Status quo zu lösen. Die Entscheidung, in Berlin eine Mauer zu bauen, fiel Ende Juli in Moskau im Gespräch zwischen Chruschtschow und Ulbricht. Sie wurde gebilligt von der Konferenz des Warschauer Paktes, die vom 6.-8. August in Moskau tagte. Die Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten forderten Volkskammer und Regierung der DDR auf, die Grenzen zu West-Berlin verlässlich zu bewachen und den Personenverkehr einer wirksamen Kontrolle zu unterziehen. Alle Fraktionen, also auch die FDGB-Volkskammerfraktion, begrüßten diese Erklärung und beauftragten formal den Ministerrat, die geforderten Maßnahmen durchzuführen.

Zuvor hatte das SED-Politbüro den Entwurf dieses Beschlusses des Ministerrates gebilligt, mit dem an den Grenzen zu den Westsektoren von Groß-Berlin „eine verlässliche Bewachung und wirksame Kontrolle“ der Einreise nach Ost-Berlin eingeführt werden sollte. Propagandist. hieß es, es müsse die „Wühltätigkeit“ aus Westdeutschland und West-Berlin durch diese Grenzschließung zum Schutze der DDR beendet werden. Bürger der DDR durften nun die Grenze „nur noch mit besonderer Genehmigung“ passieren. Diese wurde i.d.R. nicht erteilt.

Der FDGB selbst war in den Bezirken Berlin, Frankfurt (Oder) und Potsdam aktiv daran beteiligt, die über 100 000 „Grenzgänger“, die in Ost-Berlin oder der DDR wohnten und in West-Berlin arbeiteten, in den Produktionsprozess der DDR einzugliedern. Am 16. August unterstütze der FDGB den Aufruf der FDJ an junge Männer, sich freiwillig zum Dienst in der NVA oder den Grenztruppen zu melden. Die vormilitär. Ausbildung vor allem der Arbeiterjugend wurde 1961 seitens des FDGB in enger Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) aktiv gefördert. Der FDGB unterstützte propagandist. und durch seine Volkskammerfraktion im September 1961 das Verteidigungsgesetz und im Januar 1962 das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht in der DDR.
Die beim BuV des FDGB gesammelten Stimmungsberichte (vgl. Berichtswesen; Staatssicherheit) aus den Betrieben (vgl. Betrieb als Sozialisationsinstanz) enthielten neben positiven Stellungnahmen, die Besorgnis über eine mögliche militär. Eskalation des Konfliktes mit den Westmächten, vor allem aber solche, die die Sorge zum Ausdruck brachten, man dürfe nun nicht mehr nach West-Berlin fahren, um Familienangehörige zu besuchen und dort einzukaufen. Die Argumente von SED und FDGB, dass mit dem Mauerbau der Sozialismus gestärkt, die Republik gesichert und der Weltfrieden gerettet wurde, stießen in den Betrieben auf Skepsis und Ablehnung. Im Vordergrund stand in den Belegschaften der Verzicht auf Freizügigkeit und das Gefühl der Eingrenzung, das alltäglich als individuelle und kollektive Beeinträchtigung durch die eigene Staatsmacht erlebt wurde.
M.W.