FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Sozialversicherung (SV). Die SV war eine in der SBZ und DDR von 1947-90 bestehende einheitliche Pflichtversicherung, die der Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Versicherten dienen sollte und bei Krankheit, Mutterschaft, Alter, Invalidität, Todesfall von Angehörigen und einer Reihe weiterer Fälle Unterstützung gewährte. Mitglieder wurden alle abhängig, freiberuflich und selbständig Erwerbstätigen. Die SV anderer Personen oblag der Staatlichen Versicherung der DDR.
Der SMAD-Befehl Nr. 2 vom 10.6.1945 gestattete nicht nur den gewerkschaftlichen Neuaufbau, sondern ermächtigte die Gewerkschaften auch zur Bildung von SV-Kassen. Der am 9.-11.2.1946 in Berlin tagende 1. FDGB-Kongress befürwortete eine Einheitsversicherung. Die Grundlage hierfür schuf der SMAD-Befehl Nr. 28 vom 28.1.1947 über die Einführung eines einheitlichen Systems der Sozialversicherung und die Verbesserung ihrer Leistungen in der SBZ. Dem Befehl waren die Verordnungen der Dt.ZVerw. für Arbeit und Sozialfürsorge a) über die SV, b) über die freiwillige und zusätzliche Versicherung, c) über die SV bei Arbeitslosigkeit beigefügt. Die Aufsicht über die SV wurde der Dt.ZVerw. für Arbeit und Sozialfürsorge übertragen. Die in den Ländern und Provinzen der SBZ inzwischen gebildeten fünf SV-Anstalten hatten zwar schon mit Rentenauszahlungen begonnen, mussten dies aber infolge fehlender Mittel von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig machen und auf höchstens 90 Mark begrenzen. Der Befehl Nr. 28 legte die Mindestrente auf 30 Mark fest. Im September 1947 entfiel die Höchstbegrenzung.
Nach dem Befehl Nr. 234 der SMAD vom 9.1.1947 führten die Betriebe das Amt eines Bevollmächtigten der SV ein. Durch eine strengere Kontrolle sollte der Krankenstand gesenkt werden. Die Einheits-SV fand im Artikel 16 Eingang in die Verfassung der DDR von 1949. Eine Verordnung des DDR-Ministerrates vom 26.4.1951 übertrug dem FDGB die Leitung und Kontrolle der SV für die Arbeiter und Angestellten. Die fünf Länderanstalten wurden zu einer von einem Zentralrat geleiteten SV-Anstalt öffentlichen Rechts zusammengefasst. Ihr Haushalt war Teil des Staatshaushalts. Die Anstalt unterhielt Landes- und Kreisgeschäftsstellen.
Der Dualismus von SV-Verwaltungen und FDGB erwies sich in der Praxis als problemat. Nachdem der FDGB auf seinem 4. Kongress im Juni 1955 und mit einem Präsidiumsbeschluss vom 15./16.2.1956 Vorstöße zur Neuordnung der SV unternommen hatte, übertrug der Ministerrat der DDR mit einer Verordnung vom 23.8.1956 die polit., organisator. und finanzielle Leitung der SV der Arbeiter und Angestellten ausschließlich auf den FDGB. Personen, die nicht dem FDGB angehörten (z.B. Mitglieder von Produktionsgenossenschaften und von Kollegien der Rechtsanwälte, Selbständige und Freiberufler sowie ständig mitarbeitende Familienangehörige) waren bei der Deutschen Versicherungs-Anstalt (DVA) zu versichern.
Die SV betreute ca. 90% der DDR-Bevölkerung. Beim BuV des FDGB, dessen BV und KV und bei den BGL entstanden Räte für SV, die eine konsultative und unterstützende Funktion ausübten. Diese Räte waren durch die jeweilige FDGB-Leitung zu berufen und konnten bei Bedarf durch die Bildung weiterer Arbeitsgruppen ergänzt werden. Zur Lösung von Streitfällen auf dem Gebiet der SV sah das Arbeitsrecht der DDR die Wahl von Beschwerdekommissionen auf Kreis-, Bezirks- und zentraler Ebene vor.
Das Leistungsspektrum der SV umfasste ambulante sowie stationäre ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Arzneien, Heil- und Hilfsmittel, Zahnersatz, Kuren zu prophylakt. sowie zu Heil- und Genesungszwecken einschließlich Rehabilitationsmaßnahmen, Kranken- und Ausfallgelder, die bei Krankheit, unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit, beruflich bedingter Gesundheitsschädigung oder Quarantäne gezahlt wurden. Müttern stand Schwangerschafts- und Wochengeld zu. Unterstützungszahlungen erfolgten für die Pflege erkrankter Kinder oder nicht berufstätiger Ehegatten. Bei vorzeitiger Arbeitsunfähigkeit oder mit Erreichen der Altersgrenze wurden Unfall-, Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenrenten gezahlt. Es gab Blindengeld, Alterspflegegeld und Bestattungsbeihilfen.
Seit 1971 konnten Beschäftigte mit einem Monatseinkommen über 600 Mark der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beitreten, die neben der Zusatzrente auch ein höheres Krankengeld garantierte. In begrenztem Umfang stand für Personen mit Hochschulqualifikation eine „Intelligenzrente“ zur Verfügung. Die Finanzierung der SV erfolgte zum überwiegenden Teil aus Beiträgen der Betriebe und aus dem Staatshaushalt. An der Spitze der SV standen Alfred Nave (1957-63), Otto Lehmann (1963-67) und Günter Thude (1967-89). Nach dem Einigungsvertrag zwischen der DDR und der BRD wurde der Träger der SV zwischenzeitlich (1.1.-31.12.1991) in eine „Überleitungsanstalt SV“ umgewandelt. Den Versicherungsschutz übernahmen seither die verschiedenen gesetzlichen Kranken- und Rentenkassen.
P.H.