FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Kurzformel zur Umschreibung des auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 vorgestellten Konzepts der künftigen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik, demzufolge zwischen wissenschaftlich-technischem, ökonom. und sozialem Fortschritt ein untrennbarer Zusammenhang bestand.
Das ZK der SED unter Führung seines neuen 1. Sekretärs Erich Honecker (*25.8.1912-†29.5.1994) hatte es im Juni 1971 zur richtungsweisenden Hauptaufgabe erklärt, eine „weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialist. Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität“ zu erreichen (vgl. Protokoll des VIII. Parteitages der SED, Berlin (Ost) 1971, S. 61/62). Mit der erst nach dem Parteitag von Wirtschaftswissenschaftlern geprägten Kurzformel von der E.v.W.u.S. sollte unterstrichen werden, dass die Wirtschaft nicht als Selbstzweck, sondern als ein Mittel zum Erreichen sozialen Fortschritts zu betrachten sei. Um der Bevölkerung in der sog. „entwickelten sozialist. Gesellschaft“ einen steigenden Lebensstandard und eine bessere sozialpolit. Versorgung zu ermöglichen, war jedoch auf der anderen Seite ein stabiles Wirtschaftswachstum erforderlich. Als Schlüssel zu diesem Ziel galt die Wachstumsstrategie der Intensivierung. Sie sollte zu steigenden Löhnen und Prämien führen und damit zu einem kontinuierlich wachsenden Lebensstandard beitragen. Vom steigenden Lebensniveau wiederum erhoffte man sich zusätzliche mobilisierende Effekte für die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten.
Für den FDGB brachte das Konzept der E.v.W.u.S. eine allgemeine Aufwertung als SED-Steuerungsinstrument für gesellschaftliche Prozesse und zugleich eine nominelle Verschiebung seiner Aufgaben von den wirtschafts- zu den sozialpolit. mit sich: Während in seiner Außendarstellung nun die Arbeitsmobilisierung deutlich zurücktrat, obwohl sie auf betrieblicher Ebene weiterhin die wichtigste Rolle spielte, wurde seine Rolle bei der polit.-gesellschaftlichen und betrieblichen Mitwirkung nun wesentlich stärker betont als zur Zeit der Wirtschaftsreformversuche in den 60er Jahren. Die SED sprach dem FDGB einen bedeutenden Anteil an der Gestaltung und Verwirklichung der künftigen Sozialpolitik zu. Neue gesetzliche Regelungen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, etwa in Hinblick auf die Anhebung von Löhnen, Gehältern und Renten sowie weiterer arbeitsrechtlicher Bestimmungen, die Förderung von jungen Familien und berufstätigen Müttern, die Verbraucherpreise für Waren des Grundbedarfs und den Wohnungsbau, wurden künftig stets als „gemeinsame Beschlüsse“ von SED, FDGB und Ministerrat präsentiert. Das Verdienst für zahlreiche die Wirtschaftspolitik flankierende sozialpolit. Maßnahmen schrieb sich der FDGB nun auf die eigenen Fahnen. Doch infolge der wachsenden wirtschaftlichen Probleme verringerte sich der sozialpolit. Handlungsspielraum in den 80er Jahren zusehends, so dass sich der FDGB faktisch doch wieder stärker auf Arbeitsmobilisierung und Planerfüllung konzentrieren musste. Die Beschäftigten waren allerdings immer weniger bereit, ihre Ansprüche zurückzunehmen und diese neuerliche Kehrtwende mitzumachen. In ihren Augen verlor der FDGB seine ohnehin angeschlagene Legitimität nun vollends. Die Gewerkschaft sah sich immer häufiger nicht nur mit Forderungen nach weiteren sozialen Verbesserungen, sondern mit Vorhaltungen über die zahlreichen ungelösten wirtschaftlichen Probleme und ihre katastrophalen Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebensbedingungen konfrontiert. Zumindest unterschwellig ging es immer häufiger auch um die Gewährung der Bürgerrechte, insbesondere der Freizügigkeit.
F.S.