FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Demokratischer Zentralismus. Das kommunist. Herrschaftsprinzip des d.Z. war Grundlage für die zentralist. Leitung und den einheitlichen Aufbau des gesamten Gesellschafts-, Staats-, Wirtschaftssystems der DDR.
Von Wladimir Iljitsch Lenin (*22.4.1870-†21.1.1924) als Instrument zum innerparteilichen Machterwerb entworfen, lag der Akzent zunächst ganz auf dem straffen Zentralismus; später wurde dann - ebenfalls aus machttakt. Gründen - das Moment der Demokratie ergänzt, welches vor allem in der Wählbarkeit der Funktionäre zum Ausdruck kommen sollte. Das von Lenin sehr erfolgreich zur Überwindung einer Minderheitenposition angewandte Organisationsprinzip des d.Z. avancierte schnell zu einem festen Bestandteil seiner Lehre von der sozialist. Gesellschaft und wurde deshalb nach der Oktoberrevolution auf den Staat und die Wirtschaft übertragen. Legitimiert wurde dieses Vorgehen mit dem ideolog. Postulat, die sozialist. Gesellschaft bedürfe der einheitlichen und planmäßigen Führung durch die Partei der Arbeiterklasse und könne Pluralismus nicht dulden.
An der Spitze des nach dem d.Z. aufgebauten Herrschafts- und Machtsystems der DDR stand die SED. Was ihre Führungsspitze unter d.Z. verstand, legte sie im Parteistatut ausführlich dar. In kurzen Stichworten zählte dazu die Führung und Leitung der Partei von der Spitze aus, die Wahl der Parteileitungen von unten nach oben, wobei es sich um Einheitslistenwahlen handeln sollte, bei denen die zu wählenden Mitglieder von den übergeordneten Leitungen vorgeschlagen und damit faktisch eingesetzt wurden, die regelmäßige Rechenschaftspflicht der Leitungen gegenüber den Wahlgremien, die Kollektivität der Leitungsarbeit, die Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit bei striktem Verbot von Fraktionsbildungen, straffe Parteidisziplin und Verbindlichkeit der Beschlüsse übergeordneter Leitungen für untergeordnete Leitungen, Funktionäre und Mitglieder zur Wahrung des einheitlichen Handelns der Partei. Bei diesem Verständnis von d.Z. überwogen ganz eindeutig die zentralist. Elemente, denn das einzige potenzielle Gegengewicht, die Wahl der Leitungen von unten nach oben, wurde nicht nur durch Einheitslisten und Vorschlagsrecht der übergeordneten Leitungen, sondern zusätzlich noch durch die weitverbreitete Praxis der Kooptation von Funktionären ausgehöhlt.
Um ihre Macht auf Dauer abzusichern, übertrug die SED den d.Z. schon in den ersten Nachkriegsjahren auf die anderen polit. Parteien und gesellschaftlichen Organisationen. Der FDGB erkannte den d.Z. bereits auf seinem 3. Kongress im Jahre 1950 als verbindliches Organisationsprinzip an und akzeptierte damit die polit. Führung durch die SED, deren sog. führende Rolle: Wie die auf dem Kongress verabschiedete Satzung dokumentiert, verstand sich der FDGB nun nicht mehr als eine traditionelle gewerkschaftliche Interessenvertretung seiner Mitglieder, sondern als eine abhängige polit. Massenorganisation der SED.
Schrittweise gelang es der SED, den d.Z. auch auf den Staat und die ihm einverleibte Wirtschaft zu übertragen. Im Kern besagte das in diesen Bereich transferierte Prinzip, dass die vom obersten Staatsorgan erlassenen Beschlüsse und Weisungen von allen untergeordneten Ebenen des einheitlich und hierarch. aufgebauten Staats- und Wirtschaftsapparates befolgt werden müssen. Praktisch durchgesetzt wurde der d.Z. in diesem Bereich vor allem mit der verbindlichen Einführung des Prinzips der Einzelleitung in den Ministerien, Wirtschaftsleitungen und VEB. Die Einzelleitung schrieb die alleinige Entscheidungskompetenz und persönliche Verantwortung des mit einer Leitungsaufgabe betrauten Funktionärs fest - und hatte erhebliche Rückwirkungen auf die vom FDGB und seinen betrieblichen Gliederungen wahrzunehmende gesamtgesellschaftliche Mitbestimmung und betriebliche Mitwirkung. Für den Staatsapparat und damit auch die volkseigene Wirtschaft verbindlich verankert wurde der d.Z. erst in der Verfassung der DDR von 1968.
F.S.