FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Betriebsleitung. In der DDR übliche Bezeichnung für das an der Spitze eines Volkseigenen Betriebes (VEB) stehende Leitungspersonal. Im Gegensatz zu den zunächst noch verbliebenen privaten Unternehmen wurden die B. der VEB durchgehend mit staatlichen Funktionären besetzt. Dieses Führungspersonal rekrutierte sich allerdings bis in die 60er Jahre hinein zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem Kreis derjenigen Unternehmer und professionellen Manager, die bereits vor der Überführung ihrer eigenen Unternehmungen und Geschäfte in Volkseigentum Leitungsverantwortung getragen hatten, sei es in der Zeit des Nationalsozialismus, sei es in der Zeit der Weimarer Republik. Für die einzelnen Mitglieder von B. setzte sich deshalb im allgemeinen Sprachgebrauch erst in den 70er Jahren die Bezeichnung staatliche Leiter durch.
Für den Führungs- und Arbeitsstil der B. war das Prinzip der Einzelleitung maßgeblich, welches de jure bereits 1948 eingeführt wurde, de facto aber erst mit dem Anlaufen des ersten Fünfjahrplans 1951-55 zu greifen begann. Der an die Spitze eines VEB gestellte Betriebsleiter besaß demnach die volle Entscheidungskompetenz, Weisungsbefugnis und persönliche Verantwortung für die Erfüllung der dem Betrieb im Rahmen der zentralen Wirtschaftsplanung gestellten Aufgaben. Er konnte und sollte sich von seinen leitenden Mitarbeitern und den im Betrieb vertretenen gesellschaftlichen Organisationen beraten lassen, er konnte und sollte Leitungsaufgaben an andere Führungskräfte delegieren und einen Teil seiner Weisungsbefugnisse an Beauftragte übertragen, doch die Verantwortung hatte er letztlich selbst zu tragen.
Die B. erhielten für den Aufbau des betrieblichen Leitungssystems sog. Rahmenstrukturpläne ihrer Branche vorgegeben. Grundsätzlich setzte es sich aus dem an der Spitze stehenden Betriebsdirektor sowie verschiedenen Fachdirektoren zusammen, denen wiederum die einzelnen Abteilungen von Forschung und Entwicklung, über die Produktion und die Verwaltung bis hin zum Absatz unterstanden. Dem Betriebsdirektor direkt zugeordnet wurden einige zentrale Aufgabenbereiche, wie das Justitiariat, die technische Kontrollorganisation, das Organisations- und Rechenzentrum, der sog. Hauptdispatcher, der Energiebeauftragte, der Sicherheitsbeauftragte evtl. auch ein Umweltschutzbeauftragter. Außerdem oblag dem Betriebsleiter die Pflege des Kontakts zu den gesellschaftlichen Organisationen. Zu den Fachdirektoren zählten i.d.R. ein Direktor für Forschung und Entwicklung, ein Ökonom. Direktor, ein Produktionsdirektor, ein Direktor für Beschaffung und Absatz, ein Direktor für Kader und Bildung sowie der Hauptbuchhalter.
Der Betriebsleiter hatte die Arbeit der B. so zu organisieren, dass auf der Grundlage der aus dem aktuellen Volkswirtschaftsplan abgeleiteten staatlichen Planaufgaben für seinen Betrieb ein Betriebsplan erstellt und erfüllt wurde. Zu diesem Zweck war er mit einem umfassenden Weisungsrecht gegenüber den anderen Leitungskräften wie den Angestellten und Arbeitern ausgestattet (das auch an Beauftragte delegiert werden konnte) und durfte im Falle mangelnder Arbeitsdisziplin bestimmte Disziplinarmaßnahmen gegen Werktätige ergreifen. Außerdem hatte er durch die B. sicherzustellen, dass die Beschäftigten entsprechend den gesetzlichen Lohn- und Gehaltsregelungen und auf Grundlage nachprüfbarer Arbeitsnormen nach ihrer Leistung bezahlt wurden. Gleichzeitig sollte er über ein dauerhaft ausgewogenes Verhältnis zwischen den durchschnittlichen Löhnen und der Arbeitsproduktivität wachen, so dass der betriebliche Lohnfonds nicht überschritten wurde. Des Weiteren trug er Mitverantwortung für die polit.-ideolog. Erziehung der Beschäftigten bzw. - wie es im Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) von 1977 hieß - für die Förderung ihrer Entwicklung zu sozialist. Persönlichkeiten.
Bei der Erfüllung dieser Aufgaben war die B. durch das Arbeitsrecht grundsätzlich zu einer engen Zusammenarbeit mit der BGL verpflichtet. Für diese wiederum war die B. ebenfalls ein wichtiges Gegenüber bei der eigenen Aufgabenerfüllung, etwa mit Blick auf die alljährliche Ausarbeitung, Verabschiedung und Umsetzung des Betriebskollektivvertrages (BKV) und den sozialist. Wettbewerb. Aus der starken Position der B., namentlich des Betriebsleiters, ergab sich für die BGL und ihre Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte allerdings ein grundlegendes Problem. Da der FDGB nach Gesetz und eigener Satzung ebenfalls an die Prinzipien des demokrat. Zentralismus und der Einzelleitung gebunden war, stellte sich für die BGL die verlangte Zusammenarbeit mit der B. eher als ein Zwang zur Kooperation dar. Die deshalb immer wieder beteuerte Behauptung, Arbeitsmobilisierung sei zugleich auch betriebliche Mitwirkung, führte in den Augen der Mitglieder jedoch zu einer wachsenden Unglaubwürdigkeit des FDGB.
F.S.