FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Konfliktkommission. Zunächst berufenes, später direkt gewähltes betriebliches Gremium zur vorgerichtlichen Schlichtung von individuellen Arbeitsrechtsstreitigkeiten.
Die ersten K. waren auf Betreiben des FDGB bereits im Herbst 1952 ins Leben gerufen worden, erhielten aber erst im April 1953 eine verbindliche rechtliche Grundlage für ihre Tätigkeit: Sie sollten nunmehr in allen Volkseigenen Betrieben (VEB) und Verwaltungseinrichtungen mit mehr als 200 Beschäftigten gebildet werden, um für eine schnelle außergerichtliche Beilegung von Arbeitskonflikten direkt am Ort ihres Entstehens zu sorgen und das Aufkommen neuer Arbeitskonflikte vorbeugend einzudämmen. Grundsätzlich wurden Arbeitskonflikte dabei als nicht-antagonist. Konflikte zwischen den mit einer gemeinsamen, lediglich funktional unterschiedlich ausgeprägten Verantwortung ausgestatteten Miteigentümern am Volkseigentum gedeutet. Die Mitglieder der mindestens vierköpfigen K. sollten parität. je zur Hälfte von den Betriebsleitungen und den BGL benannt und berufen werden. In den meisten Betrieben führten die K. vorerst aber nur ein Schattendasein, denn sie standen in dem Ruf, sich weniger um die unparteiische Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten als vielmehr um die Erziehung der Beschäftigten zur sozialist. Arbeitsmoral zu bemühen und ein Instrument der gegenseitigen sozialen Ideologie- und Verhaltenskontrolle zu sein, was vielfach als unzulässige Einmischung in persönliche und private Angelegenheiten empfunden wurde.
Erst als im April 1960 die Direktwahl der K. und ihre ausschließliche Beschickung mit Kandidaten der BGL eingeführt wurde, gewannen sie im Betriebsalltag an praktischer Bedeutung, zumal nun auch ihre arbeitsrechtlichen Entscheidungskompetenzen beträchtlich erweitert wurden: Sie sollten künftig nicht nur „polit.-moral. Zwang“ anwenden, um den „Prozess der Erziehung und Selbsterziehung der Arbeiterklasse entsprechend den Grundsätzen der sozialist. Moral und Ethik“ zu beschleunigen, wie die entsprechende gesetzliche Richtlinie es formulierte, sondern in erster Instanz verbindlich über Arbeitsstreitigkeiten, darunter sowohl Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin als auch Beschwerden aus der Belegschaft, sowie geringfügige Verletzungen des Strafrechtes, etwa Diebstähle, Betrug und Unterschlagung zum Nachteil des Volkseigentums, entscheiden. Mit dem Gesetzbuch der Arbeit (GBA) von 1961 wurden diese Neuerungen bestätigt. In den Konfliktkommissionsverfahren spielten die ursprünglichen ideologisierten Erziehungsziele zwar nach wie vor eine große Rolle, doch trat daneben nun vermehrt die beiderseitig einzufordernde Ahndung von Rechtsverletzungen. Während die Arbeitsgerichte zusehends an Bedeutung verloren, denn sie durften nun erst angerufen werden, wenn der Streit vor einer K. beraten worden war, bekam die Rechtspflege in der Gewerkschaftsarbeit einen wachsenden Stellenwert. Der FDGB intensivierte die gewerkschaftliche Rechtsberatung in den Betrieben erheblich und konnte auch eine deutlich steigende Nachfrage registrieren. Parallel dazu wurden die ehemals selbständigen Arbeitsgerichte 1963 in die einheitliche Gerichtsbarkeit eingegliedert und damit zu unselbständigen Kammern für Arbeitsrecht bei den Kreisgerichten umgeformt.
Mit dem Gesetz über die Gesellschaftlichen Gerichte vom Juni 1968 und einem nachfolgenden Erlass des Staatsrats über die Wahl und Tätigkeit der K. vom Oktober 1968 wurden die arbeitsrechtlichen Kompetenzen der betrieblichen K. nochmals ausgeweitet: Sie waren nunmehr für die Rechtsprechung in sämtlichen Arbeitsstreitfällen zwischen Beschäftigten und Betrieben zuständig, wobei zugleich die bisher in Teilbereichen noch gültige Vorbehaltsregelung für staatliche Gerichte vollständig entfiel (das betraf vor allem Streitigkeiten über die Aufstellung von Stellenplänen, über Arbeits- und Materialverbrauchsnormen sowie über Lohn- und Gehaltseingruppierung). K. sollten jetzt in allen Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten gebildet werden, aber nicht mehr als 300 Beschäftigte betreuen, so dass in Großbetrieben also mehrere K. gebildet wurden. Offiz. galten die K. nicht als gewerkschaftliche sondern als gesamtbetriebliche Gremien, doch infolge des Vorschlagsrechts der BGL für die von den Gewerkschaftsgruppen zu wählenden Kandidaten setzten sie sich fast ausschließlich aus FDGB-Mitgliedern bzw. besser aus Funktionären und besonders aktiven und zugleich linientreuen Mitgliedern zusammen. Die Zahl der Konfliktkommissionsberatungen stieg nach der gesetzlichen Neuregelung von 1968 deutlich an und verblieb auch in den 70er und 80er Jahren auf einem sehr hohen Niveau. Die Anträge auf Verhandlung vor einer K. wurden nun ganz überwiegend von Beschäftigten gestellt und zwar am häufigsten wegen Arbeitsrechtsfragen, vor allem zu Lohn- und Gehaltsstreitigkeiten. Mit dem Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte waren die K. in allen arbeitsrechtlichen Fragen sowie einfachen Straf- und Zivilrechtssachen zur ersten Instanz erhoben worden. Ausdrücklich nicht in ihre Zuständigkeit fielen Streitigkeiten über Fragen der Sozialversicherung, die vor den entsprechenden Beschwerdekommissionen der FDGB-Vorstände verhandelt wurden. Die Entscheidungen der K. besaßen Gültigkeit, sofern sie nicht vor den Kammern für Arbeitsrecht der zuständigen Kreisgerichte angefochten wurden, was aber nur in etwa 15% der Fälle geschah und wiederum nur bei der Hälfte zur Revision der zuvor getroffenen Entscheidungen führte.
Das Gesetz über die Gesellschaftlichen Gerichte vom März 1982 sah ihre vornehmste Aufgabe im Schutz der Staats- und Gesellschaftsordnung sowie des sozialist. Eigentums und forderte sie dazu auf, die „Unduldsamkeit“ der Bürger gegenüber abweichenden Meinungen und Verhaltensweisen zu verstärken. Doch in der betrieblichen Praxis vieler K. wichen die offen repressiven Erziehungs- und Disziplinierungsaufgaben in den 80er Jahren immer mehr einem Selbstverständnis, das auf die Entpolitisierung von Konflikten und deren einvernehmliche innerbetriebliche Beilegung gerichtet war. Darin spiegelte sich allerdings weniger eine informelle Liberalisierung, als vielmehr eine verstärkte Internalisierung der gegenseitigen sozialen Ideologie- und Verhaltenskontrolle und des damit einhergehenden Bedürfnisses zur Harmonisierung der Arbeits- und Lebensumstände wider. Vor diesem Hintergrund konnten die von den Belegschaften alle zwei Jahre geheim und direkt gewählten Mitglieder der K. durchaus Anerkennung für ihre oft profunden arbeitsrechtlichen Kenntnisse gewinnen und mit ihrer Tätigkeit dazu beitragen, dass die meisten Arbeitskonflikte tatsächlich nicht als polit. Konflikte formuliert und Kompromissvorschläge akzeptiert wurden, wenn dabei auch nur selten dauerhaft befriedigende Lösungen gefunden werden konnten. Es war vor allem die Betriebsöffentlichkeit der Verhandlungen, die dafür sorgte, die Bereitschaft zur Akzeptanz von Kompromissen zu erhöhen. Um offene Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin ging es vor den rund 25 000 K. mit ihren mehr als 250 000 in den 80er Jahren nur noch in etwa 5% der Fälle, was vor allem daran lag, dass die Betriebsleiter Disziplinarmaßnahmen gegen Werktätige eher ungern vor den K. zur Sprache brachten, weil ihnen der Aufwand für die Antragstellung und Beratung verglichen mit der zu erreichenden Disziplinierungswirkung viel zu hoch erschien. Die stark ausgebaute Präsenz des Staatssicherheitsdienstes in den Betrieben, die zwar nicht zu greifen, aber dennoch zu spüren war, tat das ihre, damit die betriebsübliche Toleranzschwelle für mangelnde Arbeitsdisziplin nicht überschritten wurde.
F.S.