FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Lohnformen. Durch die Wahl einer bestimmten L. wurde festgelegt, in welchem Maße die auf der Grundlage von Arbeitsnormen und anderen Leistungskennziffern gemessene Arbeitsleistung bei der Entlohnung berücksichtigt wurde. In der jeweiligen L. sollte sich eine ökonom. zweckmäßige Entlohnung widerspiegeln, die den gegebenen Produktionsbedingungen ebenso Rechnung trug wie der Art der erbrachten Arbeitsleistung. Die Festlegung der in einem Betrieb anzuwendenden L. blieb deshalb den Betrieben selbst überlassen und unterlag laut Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) von 1977 auch der formellen Mitbestimmung durch die BGL.
Da der Lohn nach den Prämissen des Marxismus-Leninismus grundsätzlich zwei Funktionen zu erfüllen hatte, zum einen die Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft sicherzustellen, zum anderen aber auch als ökonom. Hebel zur Leistungsstimulierung zu wirken, wurde er in zwei Hauptbestandteile aufgegliedert: den Tarif- und den Mehrleistungslohn. Der Tariflohn sollte abhängig von erforderlicher Qualifikation und Verantwortungsübernahme die Qualität, der Mehrleistungslohn die Quantität der Arbeitsleistung sowie zusätzlich die Art ihrer konkreten Ausführung widerspiegeln. Diese bei jeder konkreten L. anzutreffende Kombination aus Tarif- und Mehrleistungslohnbestandteilen versuchte man generell mit dem Begriff Leistungs- oder Produktivlohn zu erfassen. Er setzte sich bei Produktionsarbeitern meist aus ihrem tariflichen Grundlohn und einer leistungsabhängigen Stück- oder Zeitlohnprämie zusammen, bei Angestellten wurde bereits die Zahlung eines leistungsorientierten Gehalts als Produktivlohn angesehen.
Um die bei gleichen Anforderungen erbrachten unterschiedlichen Arbeitsleistungen bewerten zu können, musste das Verhältnis von Tarif- und Mehrleistungslohnanteilen für die individuelle Entlohnung jedoch genauer bestimmt werden. Diesem Zweck dienten die verschiedenen L., die sich grundsätzlich in zwei Gruppen, den Stücklohn und den Zeitlohn, einteilen lassen.
Beim Stücklohn bemaß sich die Lohnhöhe nach dem Stücktarifsatz und dem Arbeitszeitaufwand für die Herstellung eines bestimmten Erzeugnisses. Voraussetzung für seine sinnvolle Anwendung war die exakte Messbarkeit des Arbeitszeitaufwandes pro Erzeugniseinheit. Kam es nicht nur auf den Arbeitszeitaufwand, sondern außerdem auf den spezif. Material- und Energieverbrauch, die Kapazitätsauslastung sowie die Qualität des Erzeugnisses an, dann konnte der Stücklohn mit Hilfe zusätzlicher Qualitätskennziffern zu einem Prämienstücklohn erweitert werden.
Beim Zeitlohn bemaß sich die Lohnhöhe nach dem Zeittarifsatz und der geleisteten Arbeitszeit. Vorausgesetzt wurde hier, dass die vereinbarte Arbeitsleistung sowohl quantitativ als auch qualitativ kontinuierlich erbracht wurde oder zumindest die Absicht bestand, sie zu erbringen. Diese L. bewegte sich dicht am Zeittarif und setzte deshalb nur begrenzte Leistungsanreize; sie wurde vor allem dort eingesetzt, wo zusätzliche Leistungskennziffern sinnvoll nicht gemessen werden konnten - was zum Beispiel unmittelbar nach Kriegsende in den stärker kriegszerstörten Betrieben der Fall war. Dort wo es mit der Rückkehr zu arbeitsteilig organisierten, mechanisierten und automatisierten Fertigungsprozessen stärker auf den Material- und Energieverbrauch, die Kapazitätsauslastung und die Qualität der Arbeitsergebnisse ankam, wurde der Zeittarifsatz immer häufiger mit Leistungsprämien für die Erfüllung weiterer Qualitätskennziffern zum Prämienzeitlohn kombiniert.
Leistungsgerechte Arbeitsnormen festzusetzen, erwies sich sowohl für die Anwendungsbereiche des Stücklohns als auch für die des Zeitlohns als schwierig, zumal es in den Belegschaften starke Vorbehalte dagegen gab. Der FDGB sah es als seine Aufgabe an, mit entsprechenden lohnpolit. Kampagnen im Rahmen der Aktivistenbewegung und des sozialist. Wettbewerbs gegen „Gleichmacherei“ und für „Leistungslöhne“ einzutreten. Doch nur schrittweise konnten die dafür erforderlichen „härteren“ technisch-begründeten Arbeitsnormen (TAN) durchgesetzt werden. Die Folge davon war ein ständiger Rückgang des Anteils der Tariflöhne an den effektiven Löhnen: Lag er Anfang der 50er Jahre noch bei etwa 80%, so sank er bereits bis zum Ende der 50er Jahre auf nur noch 60% ab.
Dem generellen Trend hin zu einer stärker leistungsstimulierenden Lohnstruktur standen zwei wichtige Entwicklungen entgegen: erstens das Dauerproblem der Verzerrung der formell sanktionierten Lohnstruktur durch das Gewähren zusätzlicher Prämien und Zuschläge durch die einzelnen Betriebe, die sich so ausreichend Arbeitskräfte zu verschaffen suchten, und zweitens der allgemeine Hang zur Lohnnivellierung, etwa durch die Anhebung der unteren Lohngruppe aus sozialpolit. Erwägungen. Wirklich konsequente Versuche zur Durchsetzung einer leistungsorientierten Lohnstruktur hat es nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, abgesehen von vorsichtigen Ansätzen zur Zeit der Wirtschaftsreformversuche der 60er Jahre (vgl. NÖSPL, ÖSS, Produktionsaufgebot), nicht mehr gegeben. Folglich stiegen die effektiven Löhne wesentlich schneller als die Arbeitsproduktivität. Um die Beschäftigten sozial zu befrieden und polit. ruhig zu stellen, nahm die SED-Führung in den 70er und 80er Jahren in wachsendem Maße nicht leistungsadäquat steigende Tariflöhne in Kauf. Auch der FDGB feierte auf seinem 11. Kongress im April 1987 neue Höchststände des Bruttoarbeitseinkommens von Beschäftigten in der volkseigenen Wirtschaft, das sich zwischen 1971 und 1986 annähernd verdoppelte, ohne kritische Hinweise auf die fehlgeleitete Lohnpolitik zu dulden.
F.S.