FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Arbeiterkomitee. Gremium der betrieblichen Mitwirkung, das in den Jahren 1956-58 in 20 ausgewählten VEB der DDR erprobt wurde.
Der Entstalinisierungsprozess in der UdSSR und die damit verbundene Streik- und Protestbewegung in Polen 1956 sowie dem Aufstand in Ungarn 1956 bewogen die SED-Führung im Nov. 1956, ein neues Angebot zur betrieblichen Mitwirkung an die Werktätigen der DDR zu machen. Die genauen Aufgaben und Kompetenzen der neuen Gremien, die A. heißen sollten, blieben zunächst offen; fest stand für die SED-Führung lediglich, dass mit ihrer Hilfe ein Übergreifen der Streik- und Protestbewegung auf die DDR verhindert werden sollte und sie unabhängig von den infolge des 17. Juni 1953 schwer belasteten Gewerkschaften auftreten sollten. Gedacht war deshalb an eine demokrat. Urwahl der A., die sich zu etwa zwei Dritteln aus Arbeitern und zu etwa einem Drittel aus Angestellten und Angehörigen der technischen Intelligenz zusammensetzen sollten. Gegenüber den polnischen, ungar. und jugoslaw. „Arbeiterräten“ mit ihren relativ weit gehenden Selbstverwaltungsrechten bestand jedoch von vornherein eine klare Abgrenzung: In der DDR sollten durch die A. weder der demokrat. Zentralismus noch das daraus abgeleitete Prinzip der Einzelleitung in den VEB in Frage gestellt werden.
Der FDGB-BuV, die ZV der Einzelgewerkschaften und auch zahlreiche BGL empfanden die Parteiinitiative für die Bildung von A. als eine Beschneidung ihres eigenen Einflusses in den Betrieben. Doch diese Befürchtungen waren unbegründet. Je mehr sich die Lage in Polen und Ungarn beruhigte, desto deutlicher zeichnete sich ab, dass die A. nicht mit nennenswerten Entscheidungs- und Kontrollkompetenzen ausgestattet werden, sondern lediglich beratende und mobilisierende Aufgaben übernehmen sollten. Das neue Angebot zur Partizipation kam außerdem nie über seine vorläufige Erprobung in 20 ausgewählten VEB hinaus. Schon bei den im März 1957 stattfindenden Wahlen zu den ersten Pionierkomitees stellten BPO und BGL gemeinsam sicher, dass nur solche Kandidaten zum Zuge kamen, welche die führende Rolle der SED anerkannten, dem FDGB selbst als Mitglieder angehörten und zentral ausgearbeitete Arbeitsrichtlinien als Arbeitsgrundlage akzeptierten.
Unter den Beschäftigten in den Betrieben gingen die Meinungen über die konkreten Aufgaben der A. auseinander: Die gewünschten Prioritäten lagen teils beim Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne, teils bei der Beseitigung von Produktionsengpässen, teils aber auch bei der Übernahme grundsätzlicher Mitspracherechte in Bezug auf die Betriebsleitung. Ganz generell überwog allerdings das Desinteresse an den A. In der betrieblichen Praxis erlangten die A. folglich kaum eine Bedeutung; ihre anfänglich regen Aktivitäten mündeten schnell in Stagnation.
Schon im Herbst 1957 deutete die SED-Führung das mögliche Ende der A. an, denn zum einen war der befürchtete Druck der Basis in der DDR ausgeblieben (vgl. Widerstand und Opposition), zum anderen gab es bereits neue Überlegungen zur Reform des Planungs- und Lenkungssystems einschließlich neuer Mitwirkungsformen. Es war der FDGB-Vors. Herbert Warnke, der im Febr. 1958 die Auflösung der A. verkündete. An ihre Stelle traten gewerkschaftlich geleitete Ausschüsse für Produktionsberatungen, aus denen wenig später Ständige Produktionsberatungen hervorgingen.
F.S.