FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Gewerkschaftsbibliotheken. G. versorgten die Belegschaften größerer VEB (s.a. Betrieb als Sozialisationsinstanz) mit einem breiten Spektrum an Literatur, von Lehrmitteln für die fachliche Qualifizierung über allgemeinbildende Sachbücher bis zu Lektüre für Unterhaltung und Freizeit.
Die These, dass ohne den „lesenden Arbeiter“ der Kommunismus nicht erreicht werden kann, stammt bereits aus der Frühzeit der sozialist. Bewegung. Ab 1947 entstanden auf dem Gebiet der späteren DDR Bibliotheken für die Belegschaften der volkseigenen Industrien. Sie wurden zunächst als Betriebsbibliotheken bezeichnet. Die „Anweisung zur Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und die Rechte der Gewerkschaften“ vom 24.3.1954 unterstellte diese Institutionen dem FDGB. Fortan wurden sie G. genannt. Verantwortlich für die G. war die jeweilige BGL. Die Kosten für Personal und Ausstattung trugen die Betriebe, die Anschaffung der Medien wurde aus deren Kultur- und Sozialfonds bezahlt.
Neben dem Aufbau und dem Verleih von Beständen gehörte „Literaturpropaganda“ zu den Aufgaben der G. Letztere gewann nach dem 1959 erfolgten Start der Kampagne „Sozialist. arbeiten, lernen, leben“ erheblich an Bedeutung. Die G. organisierten Literaturdiskussionen mit den an dieser Bewegung teilnehmenden Arbeitskollektiven, unterstützten die „Zirkel schreibender Arbeiter“ und vermittelten Kontakte zwischen Schriftstellern und Lesern. Die 1964 initiierte, mit dem Namen der Brigade „Albert Schweitzer“ aus dem VEB Industriewerk Karl-Marx-Stadt verbundene Kampagne „Alle Arbeiter lesen!“ sollte das Interesse an den G. steigern.
Die method. Anleitung der G. übernahm 1972 die „Zentralbibliothek der Gewerkschaften“ in Berlin. Zu diesem Zeitpunkt strebte der FDGB die Einrichtung einer ehrenamtlich geleiteten G. in jedem Betrieb mit mehr als 500 Beschäftigten und einer hauptamtlich geleiteten G. in jedem Betrieb mit mehr als 1 000 Beschäftigten an. Letztere sollten über 3 000 bis 4 000 Bände und 0,6 bis 1,0 Mitarbeiter pro 1 000 Beschäftigte verfügen. Diese Parameter wurden aber nur in wenigen Betrieben erreicht. Die 1 700 ehrenamtlich und 570 hauptberuflich geleiteten G. verzeichneten 1972 mit 6,9 Mio. Bänden 11,4 Mio. Entleihungen. Diese Zahlen waren 1985 auf 9,9 Mio. Bände und 14,2 Mio. Entleihungen gestiegen.
Nach der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 fielen die G. der Auflösung oder Privatisierung der VEB zum Opfer. Ihre Bestände wurden kommunalen Einrichtungen übergeben, an die Beschäftigten verschenkt oder zu Altpapier verarbeitet.
A.S.