FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Wirtschaftspolitik. Die W. der DDR kann verstanden werden als Gesamtheit aller von der SED-Führung veranlassten und vom Staat umgesetzten Maßnahmen zur Gestaltung wirtsch. Erscheinungen und Entwicklungen in der Gesellschaft. Die gestaltenden Maßnahmen betrafen dabei sowohl die Leistungsziele als auch den Aufbau und die Abläufe des Wirtschaftssystems. Ein solches zentralist. und umfassendes Verständnis von W. fußte auf dem Marxismus-Leninismus und den Lehrsätzen seiner Polit. Ökonomie, diente in erster Linie dem Machterwerb und -erhalt der SED und kannte im Prinzip keine autonomen Entscheidungs- und Organisationsrechte von Produzenten und Konsumenten. Das proklamierte übergeordnete Ziel dieser W. war es, mit Hilfe der zentralen Planwirtschaft auf der Grundlage sozialist. Produktionsverhältnisse für ein stetiges Wirtschaftswachstum und einen steigenden Lebensstandard der Bevölkerung zu sorgen. W. sollte in diesem Sinne zugleich Sozialpolitik sein, die als eigenständiger Politikbereich erst in den 60er Jahren an Gestalt gewann.
Zu den wichtigsten Aufgaben der W. zählte es im Einzelnen, den Aufbau des Planungs- und Lenkungssystems festzulegen, Entscheidungskompetenzen zu verteilen, die Proportionen der volkwirtsch. Entwicklung, die Grundstrukturen der Wirtschaftsbranchen und der Wirtschaftsräume sowie der Produktionssortimente zu bestimmen, konkrete Wachstumsziele- und -strategien vorzugeben, die Schwerpunkte für die Investitionen festzulegen, Forschungs- und Entwicklungsziele zu benennen, die Außenwirtschaft zu regulieren, wirksame Lenkungs- und Anreizmechanismen für die Wirtschaftsleitungsorgane, die Wirtschaftseinheiten und die Beschäftigten zu entwickeln, die rationelle Nutzung der Produktionsfaktoren sicherzustellen, die Verteilung der Erzeugnisse und Leistungen vorzunehmen und - nicht zuletzt - sämtliche wirtsch. Beziehungen auch finanziell, rechner. und statist. zu erfassen.
Histor. betrachtet lassen sich ganz grob skizziert folgende Phasen der W. unterscheiden: 1945-48 erfolgten umfassende Enteignungen in Landwirtschaft und Industrie, um die wirtsch. Grundlagen der polit. Macht für die SED zu legen; 1948-58 wurde auf dieser Grundlage ein straff zentralisiertes Planungs- und Lenkungssystem etabliert, die Kollektivierung der Landwirtschaft eingeleitet und der Enteignungsprozess in der gewerblichen Wirtschaft mit Hilfe indirekter Mittel weiter vorangetrieben und zugleich die Beseitigung der Kriegs- und Demontageschäden mit Hilfe von zwei ersten Fünfjahrplänen weitgehend erfolgreich abgeschlossen; die Jahre 1958-63 können als Phase vorsichtiger Reorganisationen im Planungs- und Lenkungsapparat sowie einer gescheiterten Wachstumsoffensive betrachtet werden; die Jahre 1963-71 standen im Zeichen der grundsätzlichen, auf mehr Effektivität und Flexibilität zielenden Wirtschaftsreformversuche des Neuen Ökonom. Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) und des Ökonom. Systems des Sozialismus (ÖSS), die jedoch ebenfalls scheiterten; 1971 wurde deshalb eine erneute Rezentralisierung des Planungs- und Lenkungsgefüges eingeleitet, verbunden mit einem Wachstumskonzept, das auf Intensivierung und sozialist. Rationalisierung setzte, zugleich aber den Konsum fördern wollte und die Sozialpolitik nun deutlich aufwertete. An dieser als Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik bekannt gewordenen Konzeption hielt die SED-Führung bis zum Herbst 1989 fest, obwohl sich schon in den 70er Jahren die damit einhergehende Überforderung der Leistungsfähigkeit des Wirtschaftssystems abzuzeichnen begann. Für den FDGB als abhängige Massenorganisation der SED waren diese Phasen der wirtschaftspolit. Entwicklung mit einer wechselnden Auf- und Abwertung seiner Stellung im Wirtschaftssystem verbunden.
F.S.