FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Marxismus-Leninismus. Der M.-L. erhebt den Anspruch, das einheitliche geschlossene Gesamtsystem der Theorien von Karl Marx (*5.5.1818-†14.3.83), Friedrich Engels (*18.11.1820-†5.8.95) und Wladimir I. Lenin (*22.4.1870-†21.1.1924) zu sein. Er reklamiert für sich die alleinige, wissenschaftlich bewiesene Wahrheit und versteht sich als Weltanschauung der Arbeiterklasse. Diese Klasse, vertreten durch ihre Partei, sei die hist. letzte und fortschrittlichste Klasse, versehen mit der Mission, die Klassengesellschaft insgesamt zu überwinden.
Bestandteile des M.-L. sind seine Philosophie (dialekt. und hist. Materialismus), die polit. Ökonomie und der wissenschaftliche Sozialismus und Kommunismus.
Der dialekt. Materialismus ist die allgemeine philosoph. Grundlage des M.-L. Er verwirft die idealist. Sichtweise und nimmt den materialist. Standpunkt ein: Ursprünglich sei die Materie und alles andere nur von ihr abgeleitet; es gilt das Prinzip der Erkennbarkeit der objektiven Realität und deren Widerspiegelung im Bewusstsein. Die Kernaussage lautet: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Die Entwicklung des Materiellen vollziehe sich nach den Gesetzen der Dialektik: 1. Die allen Dingen innewohnenden Widersprüche, die im Kampf miteinander stehen, geben der Entwicklung der Dinge Impuls und führen zum Vergehen des Alten und Entstehen des Neuen; 2. Quantitative Veränderungen innerhalb einer bestimmten Qualität führen beim Überschreiten ihres Maßes zum sprunghaften Übergang dieser Qualität in eine andere (aus Widersprüchen wird Bewegung, „dialekt. Sprung“); 3. Der Kampf der Gegensätze findet seinen Abschluss in der Verneinung des einen durch das andere („Negation der Negation“, wobei das Alte nicht völlig beseitigt wird, sondern darin enthaltene Elemente im Neuen auch wieder auftreten können; aus These und Antithese wird die Synthese, welche als neue These wieder Widersprüche enthält und abermals negiert wird; so entsteht ein Prozess der Höherentwicklung).
Der hist. Materialismus ist die Anwendung dieser allgemeinen Seinsgesetze auf die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Ihr wohnen die Widersprüche zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen inne. Übersteigen diese ihr Maß, kommt es zu einer sozialen Revolution; aus einer überkommenen Gesellschaftsformation entstehe eine neue, höher entwickelte. Geschichte sei die Geschichte von Klassenkämpfen, denn stets trügen „Klassen“ (große Menschengruppen, die sich vor allem nach der ihnen gegebenen oder eben nicht gegebenen Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel definieren) Konflikte aus, die den Impuls für gesellschaftliche Entwicklungen geben. Nach den aufeinander folgenden, klassenmäßigen Gesellschaftsformationen der Sklavenhaltergesellschaft, des Feudalismus und des Kapitalismus sei es die hist. Aufgabe der Arbeiterklasse, die Menschheit nach der unter Führung ihrer Partei erfolgten Revolution in den Sozialismus als Übergangsgesellschaft zum Kommunismus, der klassenlosen Gesellschaft, zu führen.
Die polit. Ökonomie des M.-L. befasst sich mit den in einer bestimmten Produktionsweise wirkenden ökonom. Gesetzen. Untergliedert wird sie üblicherweise in die polit. Ökonomie des Kapitalismus und die polit. Ökonomie des Sozialismus.
Der wissenschaftliche Sozialismus und Kommunismus - ganz wesentlich von Lenin geprägt - handelt davon, wie die Arbeiterklasse die proletar. Revolution durchzuführen und den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus zu gestalten hat. Die zentrale und folgenreichste Aussage Lenins war, dass er der Arbeiterschaft die Fähigkeit absprach, das revolutionäre Bewusstsein selbst zu entwickeln; es müsse ihr „von außen gebracht werden“, und zwar durch eine Avantgarde aus Berufsrevolutionären: die marxist.-leninist. Partei. Diese habe nicht nur vor und während der Revolution, sondern auch danach eine uneingeschränkte Führungsrolle zu besetzen. Der M.-L. war auch die ideolog. Grundlage der Tätigkeit des FDGB in der DDR. Als Massenorganisationen der Arbeiterklasse und somit zugleich größter Massenorganisation wird der Gewerkschaft in dieser Ideologie jedoch lediglich eine nachrangige Position eingeräumt; allenfalls eine Anspornungs- und Indikatorfunktion wird ihr zugestanden.
U.G.