FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Stellung im Wirtschaftssystem.

Inhalt:

I.     Volles Mitbestimmungsrecht in der Leitung der Wirtschaft für den FDGB?

II.    Die ideolog. Grundlagen: Grundpositionen der marxist.-leninist. Gewerkschaftsdiskussion

III.   Der FDGB im Wirtschaftssystem der DDR
       a) Zeitweise und partielle Einbeziehung in die Wirtschaftsleitung
       b) Mitwirkung und formelle Mitbestimmung bei der Wirtschaftsplanung und bei der wirtschafts-, sozial- und arbeitspolit. Gesetzgebung
       c) Heranbildung von Kadern für die sozialist. Wirtschaftsführung und begrenzte Einflussnahme auf die Besetzung entsprechender Positionen

       Literatur


I.   Volles Mitbestimmungsrecht in der Leitung der Wirtschaft für den FDGB?

Der FDGB, der sich schon in seiner ersten Satzung von 1947 zum Aufbau einer „sozialist. Ordnung der Wirtschaft“ bekannte, forderte zugleich für sich selbst ein „volles Mitbestimmungsrecht in der Leitung der Wirtschaft“, war im Gegenzug allerdings auch bereit, auf den Streik als traditionelles gewerkschaftliches Kampfmittel in der verstaatlichten Industrie künftig ganz zu verzichten. Und tatsächlich konnte er seit dem Inkrafttreten des Gesetzes der Arbeit am 1.5.1950 nicht nur ein gesetzlich sanktioniertes Vertretungsmonopol für die Werktätigen für sich reklamieren, sondern er war seither zugleich auch die einzige Massenorganisation in der DDR, mit der eng zusammenzuarbeiten sowohl die Regierung als auch die nachgeordneten staatlichen Verwaltungen einschließlich aller Einrichtungen der bereits in „Volkseigentum“ befindlichen Wirtschaft gesetzlich verpflichtet waren. Die Verfassung der DDR von 1968 und das Gesetz über den Ministerrat der DDR von 1972 bekräftigten diese Verpflichtung ausdrücklich und gaben zugleich eine klare Zweckbestimmung des engen Zusammenwirkens vor: die „Gestaltung der entwickelten sozialist. Gesellschaft und [die] allseitige Stärkung der Staatsmacht“ (vgl. Gesetz über den Ministerrat der DDR, § 1, Artikel 3). Aus diesen normativen Vorgaben des Arbeitsrechts und des Staatsrechts, mit deren Hilfe der FDGB fest in das zentraladministrative Planungs- und Leitungssystem wie das polit. System der DDR eingespannt und nominell sogar - neben der SED und dem Staatsapparat - zur „dritten tragenden Säule“ darin erklärt wurde, auf eine starke, polit. einflussreiche Stellung des FDGB in diesem System zu schließen, wäre jedoch verfehlt.


II.   Die ideolog. Grundlagen: Grundpositionen der marxist.-leninist. Gewerkschaftsdiskussion

Karl Marx (*5.5.1818-†14.3.1883) und Friedrich Engels (*28.11.1820-†5.8.1895) betrachteten die Gewerkschaften in erster Linie als Kampforgane der Arbeiterklasse; ob man sie nach dem Sieg der proletar. Revolution und der Aufhebung der kapitalist. Produktionsverhältnisse noch benötigen würde und welche Aufgaben sie dann ggf. zu übernehmen hätten, ließen sie offen. Erst der polit. Praktiker Wladimir Iljitsch Lenin (*22.4.1870-†21.1.1924) setzte sich mit dieser Frage näher auseinander. Anders als Marx und Engels, nach deren Auffassung sich die Arbeiterbewegung gleichermaßen auf die Partei und die Gewerkschaften stützen sollte, trat Lenin angesichts der unverkennbaren organisator. Schwäche der russischen Gewerkschaften seiner Zeit für eine klare Führungsrolle der Partei ein, betrachtete die Gewerkschaften aber auch in der nachrevolutionären Zeit keinesfalls als überflüssig. Die Partei als ideolog. bewusste Vorhut der Arbeiterklasse sollte sich nach seiner Auffassung nicht nur bei ihrer Aufgabe der Gewinnung und Erziehung der breiten Massen der vermittelnden Tätigkeit der Gewerkschaften bedienen, sondern er sah in ihnen nach der Revolution zugleich „Staatsorganisationen […], denen in erster Linie die Verantwortung zufällt für die Reorganisation des gesamten wirtsch. Lebens nach den Grundsätzen des Sozialismus“ (vgl. W. I. Lenin, Ursprünglicher Entwurf des Artikels „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“, in: ders., Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. VI, Berlin (Ost) 1971, S. 319). Um nach der Revolution die zahlreichen organisierenden und mobilisierenden Aufgaben im Bereich der Produktion erfüllen zu können, sollten Staat und Gewerkschaften nun nicht gegeneinander kämpfen, sondern vielmehr unter Führung der Partei auf das Engste zusammenarbeiten. Vor diesem Hintergrund konnten die Gewerkschaften zunächst hoffen, im Wirtschaftssystem eine bedeutende Stellung einnehmen zu können. Lenin, der seine Position laufend entsprechend den polit. Anforderungen korrigierte, sah ihre vordringliche Aufgabe freilich schon bald ausdrücklich nicht darin, wirtschaftsleitende Aufgaben zu übernehmen, sondern vielmehr darin, die bisher erzwungene Arbeitsdisziplin des Kapitalismus durch eine freiwillige und bewusste sozialist. Arbeitsmoral der Werktätigen mit dem Ziel einer ständig ansteigenden Arbeitsproduktivität zu ersetzen, kurz gesagt: Arbeitsmobilisierung zu betreiben. Diese Position blieb innerhalb der Kommunist. Partei Russlands nicht unwidersprochen. Lew Dawidowirtsch Trotzki (*7.11.1879-†21.8.1940) plädierte für eine Militarisierung der Arbeit und der Gewerkschaften und forderte das allmähliche Ineinanderwachsen von Wirtschafts- und Gewerkschaftsorganen, wobei letztere sich ganz entsprechend den Anforderungen der Produktion umzustrukturieren hätten, dann allerdings auch wirtschaftsleitende Aufgaben übernehmen sollten. Die sog. Arbeiteropposition dagegen plädierte für das Gegenteil: Die Leitung der Volkswirtschaft sollte aus dem Staatsapparat herausgelöst und ganz in die Hände der arbeitenden Produzenten selbst gelegt werden, denn eine solche Selbstverwaltung der gewerkschaftlich organisierten Arbeitermassen sei die Garantie dafür, dass sich bei ihnen Begeisterung für die Produktionsarbeit einstelle. Lenin bezog daraufhin eine revidierte Position, die den Gewerkschaften - in eher taktischer Abgrenzung zu Trotzki - lediglich die Aufgabe zuwies, als „Schule der Verwaltung“ und „der sozialist. Wirtschaftsführung“ zu wirken, und die zugleich - in wesentlich schärferer inhaltlicher Abgrenzung zur Arbeiteropposition - die mit der wirtsch. Selbstverwaltung verbundene Gefährdung des Führungsanspruchs der Partei als eine „syndikalist. und anarchist. Abweichung“ geißelte, die unweigerlich zu einem Triumph der bürgerlichen Konterrevolution führen werde. Und mit dieser revidierten Haltung, die den Gewerkschaften eine Stellung zwischen Partei und Staatsmacht zuwies, konnte er sich auch machtpolit. durchsetzen: Den Gewerkschaften kamen demnach die beiden Hauptaufgaben zu, zum einen als „Transmissionsriemen“ zwischen Partei und den Arbeitermassen, zum anderen als „Reservoir“ der Staatsmacht (vgl. Kaderbildung) zu fungieren. Die Leitung der Wirtschaft - soviel stand nunmehr also fest - sollte nicht von den Gewerkschaften geleistet werden, sondern lediglich unter ihrer Zuhilfenahme vonstatten gehen - eine ideolog.-polit. Weichenstellung, die auch für die gewerkschaftspolit. Exilplanungen der KPD und die Gewerkschaftspolitik der KPD/SED in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausschlaggebend war.


III.   Der FDGB im Wirtschaftssystem der DDR

Ausgehend von den beiden genannten Hauptaufgaben erlangte der FDGB in der SBZ/DDR im Verlauf der histor. Entwicklung vor allem in drei Bereichen Bedeutung für das Wirtschaftssystem der DDR:
a) zumindest zeitweise und partielle Einbeziehung in die Wirtschaftsleitung;
b) Mitwirkung und formelle Mitbestimmung bei der Wirtschaftsplanung und bei wirtschafts-, sozial- und arbeitspolit. Gesetzgebung;
c) Heranbildung von Kadern für die sozialist. Wirtschaftsführung und begrenzte Einflussnahme auf die Besetzung entsprechender Positionen (vgl. Kaderbildung).


a) Zeitweise und partielle Einbeziehung in die Wirtschaftsleitung

Bei der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft zum Zwecke der Etablierung einer zentralen Planwirtschaft spielte der FDGB in den ersten Nachkriegsjahren keine unbedeutende Rolle: So setzte er sich zum Beispiel entschieden für die Entnazifizierung der Leitungspositionen in den Unternehmen ein und unterstützte auch durch seine aktive Mitarbeit in den sog. Sequesterkommissionen, die bei der Beschlagnahme der wichtigsten Industriebetriebe als gemischt polit.-exekutive Hilfsorgane der Verwaltung fungierten, das Vorantreiben des Enteignungsprozesses. Im Vergleich mit den Rechten früherer deutscher Gewerkschaften bekam er deshalb zunächst auch relativ weit reichende überbetriebliche Mitspracherechte in der landes- bzw. volkseigenen Wirtschaft eingeräumt; sie sollten vor allem dem Zweck dienen, die häufig aus dem Kreis der früheren leitenden Angestellten rekrutierten neuen Leitungskräfte der enteigneten Unternehmen besser zu kontrollieren.
So wurden im Zuge der Überführung der beschlagnahmten Industriebetriebe in Landeseigentum im Herbst 1946 auf Veranlassung des Zentralsekr. der SED bei den Direktoren der Landesverwaltungen für die landeseigenen Betriebe sog. Verwaltungsräte als Aufsichtsgremien eingerichtet, in denen auch Betriebsräte und Gewerkschafter verantwortlich mitarbeiten sollten. Die Landesregierung Sachsen erließ bereits am 26.9.1946 ein verbindliches Statut für die Verwaltungsräte; demzufolge sollten die der Industrieverwaltung angeschlossenen Zweigbetriebe je zwei Vertreter in ihren Verwaltungsrat entsenden, um gemeinsam über Berufung und Abberufung des Leitungspersonals, Planungs- und Produktionsaufgaben sowie nicht zuletzt soziale Angelegenheiten zu beraten. Die Mitglieder eines Verwaltungsrates setzten sich in der Praxis etwa zur einen Hälfte aus leitenden Angestellten und zur anderen Hälfte aus Betriebsrats- und Gewerkschaftsvertretern zusammen; gegenüber den Betriebsräten der einzelnen Zweigbetriebe waren sie berichtspflichtig. Bei der Hauptverwaltung der landseigenen Betriebe Sachsens wurde im Januar 1947 ein sog. Hauptverwaltungsrat gebildet; er setzte sich aus je drei Vertretern der Landesregierung und des FDGB sowie drei leitenden Angestellten und zwei Betriebsräten aus den Zweigbetrieben zusammen. Auch in den anderen Ländern und Provinzen wurden ähnliche Modelle entwickelt, die dort jedoch praktisch weniger Bedeutung erlangten. Auch in Sachsen stellte sich in der Praxis bald heraus, dass die Verwaltungsräte nicht den in sie gesetzten Erwartungen entsprachen: Teilweise schossen sie weit über das ihnen gestellte Ziel hinaus, trafen über die Köpfe der Verwaltungsdirektoren und Betriebsleiter hinweg eigenmächtige Entscheidungen und beharrten auch gegenüber den aufsichtführenden Landesbehörden darauf, teilweise entfalteten sie aber auch nur sehr wenig eigenständige Aktivitäten und gerieten deshalb ganz in das Fahrwasser der Verwaltungsdirektoren und Betriebsleiter, was von den Landesbehörden fast ebenso kritisch gesehen wurde.
Nachdem im Frühjahr 1948 die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) als zentrale Wirtschaftsplanungsinstanz für die gesamte SBZ gegründet und die ersten 75 zentralgeleiteten Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) entstanden waren, bekamen ihre Generaldirektoren - trotz der zwiespältigen Erfahrungen auf Landesebene - ebenfalls Verwaltungsräte an die Seite gestellt, in denen nun allerdings die Gewerkschaftsvertreter das klare Übergewicht zugemessen bekamen: Ein zentraler Verwaltungsrat sollte aus bis zu 15 Mitgliedern bestehen, darunter zwei Drittel Gewerkschaftsvertreter und Arbeiter aus den angeschlossenen Betrieben (die allerdings nicht mehr gewählt, sondern nach einer personalpolit. Prüfung durch die Betriebsparteileitung der SED von der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) „delegiert“ wurden) und nur ein Drittel Fachkräfte, die von den jeweiligen Industriegewerkschaften vorgeschlagen und - wie die Gewerkschaftsvertreter und Arbeiter aus den Betrieben - von der DWK in ihre Ämter berufen wurden; den Vorsitz übernahm jeweils der Generaldirektor selbst, ohne jedoch ein Stimmrecht zu besitzen. Die neuen zentralen Verwaltungsräte können durchaus als bedeutende Organe der gewerkschaftlichen überbetrieblichen Mitwirkung in der volkseigenen Industrie betrachtet werden. Sie traten regelmäßig einmal im Monat zusammen, um über die Tätigkeit der jeweiligen VVB zu beraten. Ihre wichtigsten Aufgaben bestanden dabei darin, zu Personal- und Lohnfragen Stellung zu nehmen, an den Planungs- und Produktionsaufgaben mitzuwirken und sich um die Verbesserung der sozialen Einrichtungen für die Beschäftigten zu kümmern. Das oberstes Ziel, auf das die Gewerkschafter in den Verwaltungsräten festgelegt waren, bestand inzwischen allerdings entsprechend der Transformation des FDGB von einer Interessenvertretung seiner Mitglieder zu einer abhängigen Massenorganisation der SED in der Entfaltung der schöpfer. Masseninitiative zur Umsetzung der zentral vorgegebenen Planauflagen, so dass von echter Mitbestimmung also trotzdem kaum noch die Rede sein konnte.
Ein Bereich, in dem der FDGB etwas länger Mitbestimmungsrechte bei der Wirtschaftsleitung für sich beanspruchen konnte, war die verbliebene Privatwirtschaft: In den Vorständen der 1945/46 auf der Landesebene wieder zugelassenen Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern, welche die Einbeziehung der noch verbliebenen privatwirtschaftlichen Unternehmen und Handwerksbetriebe in die zentraladministrative Wirtschaftsplanung gewährleisten sollten, wurde der FDGB neben den Vertretern der Wirtschaftsverwaltung und den Vertretern der Unternehmen drittelparität. mit eigenen Vertretern berücksichtigt. Diese Konstruktion kam der gewerkschaftlichen Forderung aus den 20er Jahren nach parität. „Wirtschaftskammern“ durchaus nahe, war allerdings um die Idee der unmittelbaren Einbeziehung staatlicher Vertreter erweitert worden. Während die meisten Kammerpräsidenten aus dem Kreis der Verwaltung oder der Unternehmer stammten, wurde das Amt ihrer Stellvertreter häufig in Personalunion vom FDGB-Landesvorsitzenden wahrgenommen; außerdem gehörten fast sämtliche Mitarbeiter der Kammern dem FDGB als Mitglieder an. Grundsätzliche Aufgabe der FDGB-Vertreter in den Kammern war es, für eine wirksame Vermittlung zwischen staatlicher Wirtschaftsverwaltung und den eigenen Mitgliedsfirmen zu sorgen, was infolge des staatlichen Lenkungsanspruchs und des dem entgegen stehenden Selbstbehauptungswillens vieler privater Unternehmer bis in die 50er Jahre hinein ein schwieriges Terrain blieb; die Vermittlungsdienste der FDGB-Vertreter in den Kammern waren umso gefragter. Die forcierte Verdrängung der Privatwirtschaft führte jedoch zu einem schleichenden Bedeutungsverlust der Kammern, die im Frühjahr 1953 im Falle der Industrie- und Handelskammern vorübergehend sogar ganz abgeschafft, im Zuge des „Neuen Kurses“ nach dem 17. Juni 1953 dann aber als Zentrale Industrie- und Handelskammer der DDR mit abhängigen Bezirksdirektionen wieder eingerichtet wurden - nun allerdings eher als eine besondere Art von Massenorganisationen speziell für den Mittelstand.
Vorübergehend neu belebt wurde die Diskussion um die stärkere Einbeziehung des FDGB in die Wirtschaftsleitung im Zuge der Wirtschaftsreformversuche der 60er Jahre (vgl. NÖSPL), als bei den Generaldirektoren der VVB sog. Gesellschaftliche Räte eingerichtet wurden. Diese 1966 gebildeten Räte setzten sich - ohne feste Quotierung - aus Vertretern der SED, des FDGB, der staatlichen Verwaltung und der Wissenschaft zusammen und sollten den Generaldirektor in allen Angelegenheiten der Leitungstätigkeit beraten, ohne freilich das Prinzip der Einzelleitung in Frage zu stellen. Da die FDGB-Vertreter unter den Mitgliedern außerdem stets nur eine Minderheitenrolle einnahmen, konnten sie über diese Gremien keinen nennenswerten Einfluss mehr auf die wirtsch. oder auch nur lohn- und arbeitspolit. Entwicklung der entsprechenden Wirtschaftsbranche geltend machen.


b) Mitwirkung und formelle Mitbestimmung bei der Wirtschaftsplanung und bei der wirtsch.-, sozial- und arbeitspolit. Gesetzgebung

Wichtigste Formen der Mitwirkung und formellen Mitbestimmung im Bereich der Wirtschaftsplanung war die auf allen Ebenen der staatlichen Wirtschaftsverwaltung bis hinunter zu den Betrieben, Abteilungen und einzelnen Arbeitskollektiven stattfindende Plandiskussion und Planverteidigung. Der FDGB-BuV und die ZV der Einzelgewerkschaften zum Beispiel waren um Stellungnahmen zu den von den obersten staatl. Planungsbehörden ausgearbeiteten Planaufgaben gebeten, sollten dabei aber lediglich Vorschläge zur praktischen Umsetzung der polit. anvisierten Ziele unterbreiten, nicht etwa grundsätzliche Alternativen erwägen. Die wichtigste Aufgabe der Gewerkschaft bestand zweifellos darin, auf der betrieblichen Ebene im engen Zusammenwirken von Betriebsleitung, BPL der SED und eigener BGL für eine möglichst breite Plandiskussion in den Belegschaften zu sorgen, um „verdeckte“ Reserven aufzudecken und erste Schritte zur Arbeitsmobilisierung für die spätere Planrealisierung einzuleiten. Den hierarch. abgestuften Runden der Plandiskussion folgten die ebenso hierarch. abgestuften Runden der Planverteidigung bis hinauf zur Staatlichen Plankommission (SPK) beim Ministerrat. Der FDGB, dem mit dem Gesetzbuch der Arbeit (GBA) von 1961 das Recht bestätigt worden war, an der Planung der Volkswirtschaft teilzunehmen und zu diesem Zweck in alle staatlichen Planungsorgane eigene Vertreter zur Mitwirkung zu entsenden, war in der SPK - genau wie in den Wirtschaftsräten und Plankommissionen bei den Räten der Bezirke und in den Plankommissionen bei den Räten der Kreise - mit eigenen Mitgliedern vertreten; angesichts der Vielzahl von Vertretern der verschiedenen Wirtschaftszweigleitungen, Kombinate und Betriebe muss deren konkreter Einfluss auf Entscheidungen allerdings als eher bescheiden eingestuft werden. Der Ministerrat wiederum legte den Planentwurf nach seiner Billigung durch die SED-Führung zur formellen Verabschiedung der Volkskammer vor. Hier nun konnte der FDGB durch die Abgeordneten seiner eigenen Volkskammerfraktion tatsächlich über die Volkswirtschaftspläne mit entscheiden; er nahm diese Option allerdings stets im Sinne einer polit. abhängigen Massenorganisation der SED, also rein akklamator. zu deren Vorgaben, wahr.
Mit Blick auf die arbeits-, wirtschaftspolit. und sozialpolit. Gesetzgebung, die häufig ebenfalls eine deutliche Zweckbindung an die Planerfüllung aufwiesen, ist festzuhalten, dass der FDGB-BuV zwar in zahlreichen Präambeln von Gesetzen und Verordnungen gleich nach dem Ministerrat und dem SED-Politbüro als „Mitinitiator“ genannt wurde, nach dem Erlass des Gesetzes über den Ministerrat der DDR von 1972 noch häufiger als zuvor. Doch nur für einzelne, besonders wichtige sozial- und arbeitsrechtliche Neuerungen, darunter das Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) von 1977, ist bisher genauer belegt, dass er bzw. der gesamte Gewerkschaftsapparat tatsächlich intensiv an den Vorbereitungen beteiligt war - wobei die polit. Inhalte stets von der SED-Führung vorgegeben wurden. Das gilt auch für die sog. Rahmenkollektivverträge (RKV), die ausgehend von den polit. Vorgaben der SED und den gesetzlich verankerten Volkswirtschaftsplänen zwischen den staatlichen Branchenleitungen einerseits und den Einzelgewerkschaften des FDGB andererseits zur Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse in den einzelnen Wirtschaftsbranchen vereinbart wurden.
Inwiefern der FDGB nicht nur formell, sondern auch tatsächlich in die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen auf der zentralen und mittleren polit. Ebene eingebunden war, harrt im Grunde genommen noch immer der quellennahen, histor.-kritischen Aufarbeitung.


c) Heranbildung von Kadern für die sozialist. Wirtschaftsführung und begrenzte Einflussnahme auf die Besetzung entsprechender Positionen

Zu den beiden Hauptaufgaben einer marxist.-leninist. gewerkschaftlichen Massenorganisation gehörte, wie oben angesprochen, die Kaderbildung auch für die sozialist. Wirtschaftsführung. Der FDGB hatte diese auf Lenin zurück zu führende Aufgabenzuweisung früh angenommen und verstand sich selbst als eine Schule des Sozialismus. Mit seinem vielfach gegliederten Schulungswesen, das sowohl ideolog.-polit. als auch fachlich-qualifizierenden Bildungszwecken diente, trug er in diesem Sinne vor allem im Bereich des Arbeitsschutzes, der Sozialversicherung und des Feriendienstes zur Heranbildung von Nachwuchskräften bei. Wo dieser Nachwuchs dann eingesetzt wurde, hing allerdings nicht etwa von einer eigenständigen Personalpolitik des FDGB ab, sondern unterlag der Kaderpolitik und den eng mit einander verflochtenen Nomenklaturen der SED. Ungeachtet der ansonsten recht zahlreichen formellen gewerkschaftlichen Mitwirkungsrechte im Bereich betrieblicher Personalfragen lag die Besetzung der Leitungspositionen in den Kombinaten und Betrieben beispielsweise - gemäß dem Prinzip der Einzelleitung - ausschließlich in der Hand übergeordneter staatlicher und polit. Stellen. Und selbst wenn bei den kaderpolit. Entscheidungen dieser übergeordneten Stellen über den FDGB herangebildete und sozialisierte Funktionäre zum Zuge kamen, so hatte ihre gleichzeitige polit. Bindung an die SED offenkundig stets eine höhere Bedeutung als ihr über den FDGB vollzogener Aufstieg.
Empir. fundierte, systemat. Untersuchungen darüber, wie viele der vom FDGB herangebildeten Nachwuchskräfte nicht nur im Apparat der Gewerkschaften selbst tätig wurden, sondern tatsächlich verantwortliche Positionen in der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialverwaltung übernahmen, liegen bislang nicht vor. Besonders anbieten würde sich für eine solche Untersuchung neben der Staatlichen Plankommission (SPK) und den Industrieministerien selbst vor allem auch das Staatliche Komitee für Arbeit und Löhne, also die beim Ministerrat angesiedelte oberste staatliche Behörde zur Lenkung der Arbeits-, Lohn- und Sozialpolitik, die 1958 gegründet wurde, 1965 in ein Staatliches Amt für Arbeit und Löhne umbenannt und 1972 zum Staatssekretariat für Arbeit und Löhne erhoben wurde.

Friederike Sattler


Lit.: D. Keller, Lebendige Demokratie. Der Übergang von der antifaschistischen zur sozialistischen Demokratie in der volkseigenen Industrie der DDR 1948 bis 1952, 1971. - J. Roesler, Die gewerkschaftliche Mitbestimmung in der volkseigenen Industrie 1948-1950. Zur Tätigkeit des Verwaltungsrates der Vereinigung Elektromaschinenbau (VVB VEM) (ZfG 29. Jg. (1981), Heft 11). - H. Hüning/G. Neugebauer, Der FDGB und die Formel „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“. Die Gewerkschaften der DDR auf dem Weg zu einer neuen Politik? (Die DDR in der Ära Honecker. Politik, Kultur, Gesellschaft, 1988). - U. Gill, Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB). Theorie - Geschichte - Organisation - Funktion - Kritik, 1989. - T. Reichel, Auf dem Weg zur „herrschenden Klasse“? Die Arbeiterschaft in der SBZ zwischen Betriebsräten und FDGB (IWK 36. Jg. (2000), Heft 4). - F. Sattler, Wirtschaftsordnung im Übergang. Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945-1952, 2002. - S. Werum, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) (G.-R. Stephan u.a. (Hg.), Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, 2002).