FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Einzelleitung. Das Prinzip der E. beruhte auf dem kommunist. Herrschaftsprinzip des demokrat. Zentralismus und besagte im Kern, dass jede Leitungsaufgabe nur einer Person mit voller Entscheidungskompetenz, Weisungsbefugnis und persönlicher Verantwortung übertragen werden sollte, der sich alle anderen an der Durchführung der Aufgabe beteiligten Personen unterzuordnen hatten.
Wie der demokrat. Zentralismus selbst ging auch das Prinzip der E. auf Wladimir Iljitsch Lenin (*22.4.1870-†21.1.1924) zurück und wurde als fester Bestandteil in der Ideologie des Marxismus-Leninismus verankert. Von den allgemeinen Grundsätzen des demokrat. Zentralismus unterschied sich das im engeren Bereich der Staats- und Wirtschaftsverwaltung angewandte Prinzip der E. vor allem dadurch, dass es keinerlei Wahlelemente enthielt: Jeder „Einzelleiter“ sollte von einem übergeordneten Organ eingesetzt und abberufen werden, und das bedurfte auch keiner nachträglichen Bestätigung durch Wahl.
In der DDR übernahm es die SED, das im Kern autoritäre Prinzip der E. in Staat und Wirtschaft durchzusetzen, von den Ministerien über die Wirtschaftsleitungen bis zu den einzelnen Betrieben. Jeder Leiter wurde dabei mit einem umfassenden Weisungsrecht gegenüber den ihm unterstellten Organen ausgestattet. In den nach Kriegsende enteigneten und zunächst meist in Landeseigentum übergebenen größeren Industriebetrieben wurde das Prinzip der E. de jure bereits im Frühjahr 1948 eingeführt, als diese formal in Volkseigentum übergingen und ganz überwiegend in zentrale Verwaltung übernommen wurden; de facto konnte sich jedoch die in den Jahren zuvor vielerorts praktizierte Kooperation zwischen den Betriebsleitungen und Betriebsräten, an der teilweise auch die Betriebsparteileitungen (BPL) sowie - wenn auch viel seltener - die Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) beteiligt waren, noch halten, meist bis zum Anlaufen des ersten Fünfjahrplans 1951-55.
Die Leitungsstruktur eines sozialist. Betriebes sollte dem Prinzip der E. zufolge einer Pyramide gleichen, an deren Spitze der Betriebsleiter, darunter die Abteilungs- und Abschnittsleiter und unter diesen dann die Meister standen, die wiederum die aus den Betriebsplänen resultierenden Aufgaben an die kleinsten Produktionseinheiten, also Meisterbereiche, Arbeitsgruppen oder Brigaden, weiterzuleiten hatten.
Für den FDGB und seine betrieblichen Gliederungen brachte das autoritäre Prinzip der E. und die damit verbundenen hierarch. Weisungsrechte das Problem mit sich, überhaupt glaubhaft für die Einhaltung der formellen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte der Beschäftigten auftreten zu können. Die vom FDGB in erster Linie zum Zwecke der Arbeitsmobilisierung in die Betriebe hineingetragenen Neuerungen, etwa die breit angelegte Plandiskussion, die auf allen Ebenen stattfindenden Produktionsberatungen oder die Ende der 50er Jahre forcierte Brigadebewegung, wurden immer auch als Möglichkeiten der besseren Mitbestimmung und betrieblichen Mitwirkung präsentiert. Nahmen die Beschäftigten sie jedoch tatsächlich als solche ernst, was zum Beispiel bei der Brigadebewegung anfangs durchaus der Fall war, führte das fast zwangsläufig zum Konflikt mit dem Prinzip der E., auf das der FDGB und seine betrieblichen Gliederungen verpflichtet waren. Und da die E. nicht zur Disposition stand, sah sich der FDGB mit schnell wachsenden Glaubwürdigkeitsproblemen konfrontiert. Immer wieder versuchte er sie mit dem ideolog. Postulat grundsätzlich gleichgerichteter Interessen zu überdecken.
Das Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) von 1977 und die Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8.11.1979 betonten vor diesem Hintergrund stärker als frühere Regelungen die Pflicht des staatlichen Leiters, sich vor seinen Entscheidungen kollektiv zu beraten und dabei auch die BGL mit einzubeziehen. Offiz. Ziel war es, die „Wissenschaftlichkeit“ der Leitungstätigkeit zu erhöhen. Während sich bei den betrieblichen Führungskräften faktisch die Neigung verstärkte, diffuse Verantwortlichkeiten zu erzeugen und persönliche Risiken zu mindern, änderte sich an der grundsätzlichen Situation für den FDGB kaum etwas. Abgesehen von den Mitbestimmungsrechten der BGL bei der Verwendung der leistungsstimulierenden betrieblichen Fonds wurde das Prinzip der E. durch die Bestimmungen des AGB nur in einem einzigen zusätzlichen Bereich eingeschränkt, dem Arbeitsschutz: Die Arbeitsschutzinspektoren der FDGB-Bezirksvorstände besaßen nun das Recht, den Betriebsleitern verbindliche Auflagen zur Durchsetzung des Gesundheitsschutzes und Arbeitsschutzes zu erteilen.
F.S.