FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Volkseigentum. In der DDR galt das V. als höchste Form des sozialist. Eigentums an den Produktionsmitteln. Im Gegensatz zur bürgerlichen Rechtsordnung mit ihrem einheitlichen Eigentumsbegriff kannte die Rechtsordnung der DDR je nach sozialer und wirtsch. Zweckbindung unterschiedlich bewertete Eigentumsformen, neben dem sozialist. Eigentum noch das private und das persönliche Eigentum. Für den FDGB als gesetzlichem Vertreter der Beschäftigten ergaben sich daraus je nach Eigentumsform unterschiedliche Aufgaben, Rechte und Pflichten.
Zum sozialist. Eigentum, das als wichtigste Grundlage der polit., wirtsch. und gesellschaftlichen Ordnung angesehen wurde, zählten neben dem als am höchsten entwickelt geltenden gesamtgesellschaftlichen V. noch die beiden als niedriger entwickelt angesehenen Formen des Gruppeneigentums: zum einen das genossenschaftliche Gemeineigentum werktätiger Kollektive, zum anderen das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger. In Betrieben und Einrichtungen dieser sozialist. Eigentumsformen trat der FDGB grundsätzlich als Interessenvertretung der werktätigen Miteigentümer an den Produktionsmitteln auf und legte den Hauptakzent auf die dem gesamtgesellschaftlichen Interesse dienende Arbeitsmobilisierung.
Davon deutlich abgesetzt wurden das private Eigentum an Produktionsmitteln, das seit einer Verfassungsänderung von 1974 nur noch für die auf überwiegend persönlicher Arbeit beruhenden Handwerks- und Gewerbebetriebe zulässig war, und das persönliche Eigentum an Konsumgütern, das der Befriedigung individueller Bedürfnisse diente. In Betrieben und Einrichtungen der verbliebenen Privatwirtschaft trat der FDGB stärker im traditionellen Verständnis als Interessenvertretung seiner Mitglieder auf, achtete also besonders auf die Wahrung ihrer Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte sowie die Befriedigung ihrer sozialen und kulturellen Ansprüche.
Das V. als wichtigste Form des sozialist. Eigentums ging im Wesentlichen hervor aus den umfangreichen direkten Enteignungen im Bereich der Großindustrie und der Banken gleich nach Ende des II. WK und aus dem anschließend vor allem mit Mitteln der Abgaben- und Steuerpolitik sowie des Wirtschaftsstrafrechts indirekt weiter vorangetriebenen Enteignungsprozess in der gewerblichen Wirtschaft, im Handel und in der Landwirtschaft. Schon 1950 betrug der Anteil der volkseigenen und genossenschaftlichen Betriebe am Nettoprodukt der DDR zusammen 56,8%, bis 1970 wurde dieser Anteil auf 85,6% ausgebaut und nahm ab Mitte der 70er Jahre mit Werten über 95% eine völlig dominierende Stellung ein.
Die Eigentümerfunktion für das V. übernahm stellvertretend für das Volk der von der SED-Führung gelenkte Staat. Die aus dem jurist. Eigentum abgeleiteten Besitz-, Nutzungs- und Verfügungsrechte übertrug er entsprechend den polit. Vorgaben der SED auf verschiedene so genannte „Fondsinhaber“ oder „Rechtsträger“ des V., darunter vor allem die staatlichen Wirtschaftsleitungen und die Volkseigenen Betriebe (VEB). Für das sich daraus ergebende Geflecht planender, regelnder, verwaltender und wirtschaftender Organisationen eine effiziente und stabile Form der Institutionalisierung zu finden, erwies sich als schlicht unmöglich. Der Staat als Ganzes blieb dafür verantwortlich, die polit. gewollte Einheitlichkeit des V. und damit auch die des Wirtschaftsprozesses zu gewährleisten.
Die VEB selbst galten ab Anfang 1952 formell als jurist. und wirtsch. selbständige Einheiten, waren jedoch in die staatliche Planungs- und Lenkungshierarchie eingebunden und grundsätzlich dazu verpflichtet, das V. zu schützen und zu mehren. Über das eigene Anlagevermögen durften sie nicht frei verfügen, weder durch Belastung, Verpfändung oder Verkauf, und nur das eigene Umlaufvermögen in andere Eigentumsformen überführen, etwa durch den Verkauf von Produkten. Auch der FDGB und seine betrieblichen Gliederungen waren dazu verpflichtet, das V. zu schützen und zu mehren.
F.S.