Sozialdemokraten im FDGB. S. waren bis 1933 das tragende Funktionärselement im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), der seinerseits wiederum maßgeblich die Entwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung prägte. Nur eine Minderheit der Gewerkschaftsfunktionäre war damals parteipolit. nicht organisiert oder Mitglied der KPD bzw. anderer Splittergruppen. Die Zahl der ADGB-Mitgl. übertraf die der anderen Richtungsgew. um ein Vielfaches und auch die kommunist. Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition (RGO) vertrat nur einen Bruchteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer. Auch nach dem II. Weltkrieg stellten S. die Masse der hauptamtlichen Funktionäre
in den neuen Gew. In den drei westlichen Besatzungszonen und dann in der Bundesrepublik Deutschland blieb dies so, in der sowj. Besatzungszone (SBZ) sahen sich S. dagegen von Anfang an mit einem kommunist. Führungsanspruch konfrontiert. Über Parteigrenzen hinweg war man sich nach dem Krieg jedoch weitgehend einig, dass die neuen Gew. die alte Spaltung in Richtungsgew. überwinden und starke Einheitsgew. werden sollten. Im Detail gab es allerdings erhebliche Differenzen, auch zwischen S. und Christdemokraten. Diese traten jedoch angesichts der immer unverhohlener erhobenen Vormachtansprüche der Kommunisten
bald in den Hintergrund. Der von der sowj. Besatzungsmacht in Gestalt der SMAD
massiv unterstützte Führungsanspruch der Kommunisten auch in den Gew. war angesichts eines Mitgliederverhältnisses von kommunist. Revolutionärer Gewerkschafts-Opposition (RGO) und nicht-kommunist. Gew. bis 1933 von etwa 1:20 im Grunde inakzeptabel. Zumindest eine personelle Dominanz in den entstehenden Gründungs- bzw. dann Leitungsgremien musste wegen der Besatzungsverhältnisse in Berlin und Mitteldeutschland jedoch hingenommen werden. Differenzen traten bereits bei der Erarbeitung des Gründungsaufrufs
und im Vorbereitenden Gewerkschaftsausschuss für Groß-Berlin (1945-46)
zu Tage, der sich ungeachtet seiner formalen Zuständigkeitsbeschränkung auf die Viermächte-Stadt Berlin als Ausgangspunkt für einen Gewerkschaftsbund für das Reich verstand (vgl. Westarbeit). In diesem Gründerkreis aus acht Personen standen vier Kommunisten vier Vertretern der übrigen Gew. gegenüber. Für den ADGB bzw. die S. gehörten nach offizieller Arithmetik zwar mit Bernhard Göring, Hermann Schlimme und Otto Brass drei S. dem Ausschuss an, letzterer war aber bereits vor 1945 geheim zu den Kommunisten übergetreten.
Grundsätzlich waren S. 1945 zu Kompromissen bereit, um eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung zu ermöglichen und die Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden. Als jedoch seit dem Herbst des Jahres 1945 die Kommunisten mit Unterstützung der SMAD unter dem Motto der Aktionseinheit
immer mehr Druck auf die S. ausübten, sich mit ihnen zur SED
zusammenzuschließen und die Gew. zum Hauptschauplatz dieser Kampagne machten, wuchsen unter den S. die Bedenken. Viele einheitsskept S. wurden jetzt kurzerhand von der SMAD zum Rücktritt gezwungen, etwa Erich Schilling in Leipzig, Johann Pollok in Mecklenburg-Vorpommern oder sogar inhaftiert, wie Julius Scherff in Berlin. Solche Verfahrensweisen seitens der SMAD wirkten natürlich disziplinierend auf andere Gewerkschaftsfunktionäre. Gleichzeitig wurden die Gewerkschaftswahlen
von den Kommunisten und der SMAD massiv gefälscht. Zwar gelang es den S., insbesondere in Berlin, das unter Viermächteverwaltung stand, teilweise sich dagegen zu wehren. Insgesamt war deren Handlungsspielraum aber bereits jetzt sehr eingeschränkt. Mit der Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur SED im April 1946 wurden die S. in der SBZ „automatisch“ SED-Mitgl., wenngleich viele in ihrem Selbstverständnis S. blieben. In Berlin konnten S. sich zwischen der Mitgliedschaft
in der SED und der bis 1961 in der ganzen Stadt weiter bestehenden SPD entscheiden. Tatsächlich gingen hier auch einige beim Wiederaufbau der Gew. führend beteiligte S. in die SED, etwa Hermann Schlimme, Walter Maschke und Bernhard Göring, andere, wie Nikolaus Bernhard, Otto Suhr, Erich Bührig oder Carl Vollmerhaus blieben in der SPD. Zunächst konnten sie auch ihre Positionen im FDGB behaupten. Und nicht jeder, der zur SED gegangen war, gab damit zwangsläufig auch seine sozialdemokrat. und freigew. Identität auf, wie etwa die Fälle Otto Krautz und Ludwig Küchel in der Folgezeit bewiesen. Viele S., die im FDGB mitarbeiteten, ob als SED-Mitgl. oder in Berlin auch als Mitgl. der SPD, wollten das Feld nicht kampflos den Kommunisten überlassen, war doch noch weitgehend offen, wie sich Deutschland entwickeln würde und ob der FDGB sich als gesamtdeutsche Organisation würde etablieren können. Allerdings ließ der Verlauf der gew. Interzonenkonferenzen
bereits erkennen, dass die Gewerkschafter im Westen gew. Autonomie über die Frage einer einheitlichen Gewerkschaftsorganisation stellten. Bei den S., die in den kommenden Jahren in der SED blieben und sich soweit anpassten, dass sie auch in ihren Funktionen verbleiben konnten, dürfte ein breites Motivspektrum vorgelegen haben: Vom Wunsch nach Einheit der Arbeiterbewegung und Illusionen über die eigenen Wirkungsmöglichkeiten, über Gewöhnung an Privilegien bis hin zu Resignation und Angst.
Eine Wegscheide bildete für viele S. der SMAD-Befehl Nr. 234 vom 9.10.1947, mit dem der FDGB seinen Arbeitsschwerpunkt weg von der traditionellen Interessenvertretung
der Arbeitnehmer hin auf die Arbeitsmobilisierung
zum Zwecke der Planerfüllung
zu verlagern hatte. Nicht zuletzt aus Kreisen der S. gab es in erheblichem Umfang Unmutsäußerungen gegen diese Politik, insbesondere auch gegen die nun propagierte Aktivistenbewegung
und den sog. sozialist. Wettbewerb. Die Bitterfelder Beschlüsse
und die nachfolgende Auflösung der Betriebsräte
boten erneut Konfliktpotential. Das Festhalten vieler S. am traditionellen Gewerkschaftsverständnis bereitete SED und SMAD zwar gewisse Probleme, war aber angesichts der Entschlossenheit beider, jede Form von Widerstand und Opposition
auszuschalten, aussichtslos. Unter dem Slogan des Kampfes gegen das „Nurgewerkschaftertum“, den „Opportunismus“
und den „Sozialdemokratismus“
wurden SED- und FDGB-Apparat
jetzt einer Säuberung
unterzogen und sozialdemokrat. Positionen kompromisslos unterdrückt sowie renitente Funktionäre aus ihren Funktionen entfernt. Die anderen wurden mittels des jetzt massiv ausgebauten Schulungswesens
auf den Marxismus-Leninismus
als verbindliche Ideologie
eingeschworen. Die Entwicklung des FDGB wurde konsequent am sowj. Referenzmodell
ausgerichtet; er wurde zu einer Massenorganisation
der SED. S. im FDGB hatten bald nur noch die Wahl zwischen totaler Anpassung an die SED-Linie, Rückzug aus der gew. und polit. Arbeit oder Flucht in den Westen. Von allen Alternativen wurde Gebrauch gemacht. Widerstand war polit. aussichtslos und hatte harte strafrechtliche Maßnahmen zur Folge. Einige S. arbeiteten trotzdem konspirativ mit den von der SED als „Agentenzentralen“ bezeichneten Ostbüros
von DGB und SPD zusammen. Nicht wenige von ihnen wurden Opfer des Staatssicherheitsdienstes. Seit Anfang der 50er Jahre gab es niemand mehr, der offen sozialdemokrat. Positionen im FDGB vertrat. Lediglich in Berlin bot sich mit Unterstützung der westlichen Besatzungsmächte S. die Chance, freigewerkschaftliche Positionen zu behaupten und dem kommunist. Führungsanspruch offenen Widerstand entgegenzusetzen. Aus einer zunächst mehr oder weniger informell agierenden und sozialdemokrat. dominierten Oppositon im FDGB entwickelte sich hier 1948 mit der Unabhängigen Gewerkschafts Organisation (UGO)
die Keimzelle des Landesverbandes Berlin des DGB.
Als mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953
das kommunist. Dogma der „führenden Rolle“
der SED nicht zuletzt von Arbeitern massiv in Frage gestellt wurde, waren unter den Demonstranten und Streikenden viele ehemalige S. Was während des Aufstandes aus den Reihen des FDGB-Apparates selbst an vorsichtiger Kritik an der bisherigen Linie kam, blieb aber stets systemimmanent und hatte seine Wurzeln kaum noch in sozialdemokrat. oder freigewerkschaftlichen Überzeugungen. Zwar sah sich die SED auch in den folgenden Jahren genötigt, unter dem Motto des Kampfes gegen das „Nurgewerkschaftertum“ gegen FDGB-Funktionäre vorzugehen. Zielgruppe der Säuberungen waren aber kaum noch ehemalige S. und deren Überzeugungen, als vielmehr „revisionistische“
Tendenzen unter den Kommunisten selbst. Auch als sich während der friedlichen Revolution
1989/90 unabhängige Belegschaftsinitiativen
in den Betrieben und aus Kreisen der neuen Opposition eine Initiative für unabhängige Gewerkschaften (IfUG) bildeten, spielten lebendige sozialdemokrat. Traditionen dabei kaum eine Rolle. Erst mit der faktischen Übernahme der ehemaligen FDGB-Gew. bzw. ihrer Mitgl. durch ihre westdeutschen Pendants erhielten - jetzt allerdings westdeutsche - S. wieder Einfluss auf die Gew. der neuen Bundesländer. Dessen ungeachtet blieb aber auch der Einfluss ehemaliger SED-Mitgl. stark.
S.K.