FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Konsumpropagandist (Konsu-Prop). Die K. wurden in der Zeit des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) eingesetzt und erfüllten eine spezifische gewerkschaftliche Aufgabe im Rahmen der dem FDGB seitens der SED zugewiesenen Rolle bei der Ideologievermittlung und Erziehung. Ihre Aufgabe war, in Ergänzung zum bereits seit langem propagierten „sozialist. Bewusstsein“ und analog zur "sozialist. Arbeitsmoral" speziell auch eine „sozialist. Konsummoral“ unter den Werktätigen zu propagieren. Das NÖSPL zielte auf die volkswirtschaftliche Effizienz- und Wachstumssteigerung und enthielt zu diesem Zweck zwei Leitgedanken: einerseits die Dezentralisierung, Flexibilisierung und Ökonomisierung der etablierten zentraladministrativen Planungs- und Lenkungsmechanismen, andererseits die Verstärkung von indirekten monetären betrieblichen und individuellen Leistungsanreizen, die sich die materielle Interessiertheit der Volkseigenen Betriebe insgesamt wie auch des einzelnen Werktätigen an Gewinn- und Einkommenssteigerungen im Interesse der Volkswirtschaft zunutze machen sollte. In der DDR wurde jetzt sogar die bisher nur aus dem Westfernsehen bekannte Fernsehwerbung eingeführt. Diese unter der Rubrik „tausend tele tips“ allabendlich im DDR-Fernsehen laufenden Werbesendungen orientierten sich ganz offenkundig an den Werbesendungen des bundesdeutschen Fernsehens, hatte doch bereits der V. Parteitag der SED im Jahr 1958 sich zur Aufgabe gestellt, innerhalb von 1200 Tagen Westdeutschland im Pro-Kopf-Verbrauch aller wichtigen Konsumgüter einzuholen und zu überholen. „In kürzester Frist“, so hieß es damals in einer Propagandabroschüre, werde „unsere sozialist. Gesellschaftsordnung auch auf diesem Gebiet den sichtbaren Beweis ihrer absoluten Überlegenheit über die kapitalist. Ausbeuterordnung in Westdeutschland antreten.“
Im weiteren Verlauf des Reformprozesses, als die Leistungsanreize zu greifen begannen und sich die Versorgung mit Konsumgütern verbesserte, verstärkten sich allerdings infolge der zugleich zunehmenden Differenzierung der Löhne soziale Spannungen im Betrieb wie in der DDR-Gesellschaft insgesamt. Zum Problem wurde auch, dass zwar in der Werbewelt des DDR-Fernsehens die Ziele des NÖSPL recht bald erreicht waren, trotz aller Fortschritte aber jedoch kaum in der realen Konsumwelt. Kritisiert wurde jetzt einerseits von den Werktätigen diese Diskrepanz, wie auch andererseits von der SED die eindeutige Westorientierung der neuen Werbewelle, vor allem auch, dass kleinbürgerliche Verbrauchergewohnheiten gepriesen wurden, die eher im Konsum als in der Arbeit den „Sinn des Lebens“ suchen ließen. Zugleich wurde in dieser Werbung ein Frauenbild transportiert, das kaum mit dem der propagierten Frauenförderung in Einklang zu bringen war. SED und FDGB sahen sich daher bald genötigt, diesen Auswirkungen der NÖSPL entgegen zu steuern. Mit vielfältigen Mitteln und Methoden wurde jetzt versucht, die DDR-Konsumwelt auch ideolog. von der kapitalist. Konsumwelt, die wegen der andersartigen Produktionsverhältnisse eben Teil einer Ausbeuterwelt sei, abzugrenzen. Diesem Ziel dienten auch die K. des FDGB. Sie sollten helfen, eine sozialist. Konsummoral auch im in der DDR erwarteten Wirtschaftswunder lebendig zu halten bzw. überhaupt erst zu entwickeln. Unter dem Motto „Was wir heute konsumieren, müssen wir morgen erarbeiten“ wurden die Werktätigen zum Konsumverzicht aufgefordert. Ihr Konsumverhalten sollte gemäß den ideolog. Grundlagen ein gelebter Vorgriff auf die kommende kommunist. Gesellschaft sein, in der allen alles gehören, jeder nach seinen Bedürfnissen leben und Geld seine Funktion verloren haben würde. Je mehr Werktätige ihre eigenen Bedürfnisse kritisch hinterfragen und letztlich nur das käuflich erwerben würden, was der kritischen Prüfung standhielt, je früher würde im Warenangebot jenes ausreichende Maß erreicht sein, das kennzeichnend für eine kommunistische Gesellschaft sei („Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“, Karl Marx (*5.5.1818-†14.3.83), „Kritik des Gothaer Programms“). Finanzmittel, die infolge solch einer kritischen Überprüfung individuell nicht für ein Konsumgut ausgegeben wurden, sollten in die bereits seit 1951 bestehenden Kassen der gegenseitigen Hilfe (KdgH) eingezahlt werden und so anderen Werktätigen helfen, ihre nach Prüfung für nötig befundenen Konsumwünsche zu erfüllen. Die Ausbildung der K. fand in drei- bis sechsmonatigen Kursen an den Gewerkschaftsschulen der jeweiligen Ebene statt. Leitk. wurden, wie auch die eher generalisierenden Leitpropagandisten, an der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften „Fritz Heckert“ in Zweijahreslehrgängen ausgebildet.
Der Kampf um eine „sozialist. Konsummoral“ war Teil des „sozialist. Wettbewerbs“. Die Bilanz jedes Werktätigen fand Eingang in sein „persönliches Konto“, das in diesem Zusammenhang zum „Haushaltsbuch“ erweitert wurde. Werktätige bzw. Kollektive, die mit einer besonders ausgeprägten „sozialist. Konsummoral“ in Erscheinung traten, erhielten Prämien und Auszeichnungen. Neben die Propagierung eines durch individuellen Verzicht sich grundsätzlich vom Konsumverhalten im Kapitalismus unterscheidenden Konsumverhaltens durch die K. trat bald auch die Propagierung eines ganzen Bündels konkreter Empfehlungen, mit welchen Maßnahmen der Werktätige seine „sozialist. Konsummoral“ auch gegenüber Kollegen, Freunden und nicht zuletzt auch der Partei demonstrieren könne. Über die Erfolge der K. liegen fast keine Erkenntnisse vor; für die Forschung eröffnet sich hier noch ein weites Feld. Denn kaum, dass hinreichend K. ausgebildet waren und zum Einsatz kommen konnten, musste das NÖSPL bzw. dessen Modifikation in Form des Ökonom. System des Sozialismus (ÖSS) auch schon als gescheitert abgebrochen werden. Die Kurzformel „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ umschrieb von nun an das auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 vorgestellte Konzept der künftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik, das mehr und mehr Abschied von der sozialist. Utopie nahm und angesichts wachsender Unzufriedenheit (vgl. Widerstand und Opposition) auf eine sozialpolit. Pazifierung der Werktätigen orientierte. Die K. wurden jetzt zwar nicht formell abgeschafft; sie traten aber kaum noch in Erscheinung oder übernahmen sukzessive andere Aufgaben im Rahmen der Ideologievermittlung und Erziehung, zunehmend auch der Ideologie- und Verhaltenskontrolle. Allerdings hielten sich bis zur friedlichen Revolution und Wiedervereinigung und teilweise sogar noch lange darüber hinaus einige DDR-typische Phänomene, die auf die Arbeit der K. zurückgingen. So wurde von den K. beispielsweise massiv dafür geworben, sich kostengünstig und zugleich praktisch und adrett zu kleiden. Anders als bei vielen anderen Propagandaaktionen des FDGB erzielte er mit seiner Propagierung der farbenfrohen „Kittelschürze“ aus „modernen synthetischen Fasern“ (gegen den dekadenten und die Frau zum Sexualobjekt degradierenden „Minirock“ des Westens) als alltagstaugliches, oft das Tageskleid einfach ersetzendes Kleidungsstück der „modernen sozialist. Frau“ für Haus, Garten und Einkauf bleibenden Erfolg. Kaum weniger erfolgreich war die Propagierung des meist braunen oder blauen „Trainingsanzugs“ als schnörkelloses, aber in Verbindung mit Sandaletten, Pantoletten oder einem klassischen Herrenschuh hochmodisches Alltagskleidungsstück für den „modernen sozialist. Herren“ (gegen die dekadente und ungesunde enge Jeans, in der DDR offiziell nur despektierlich „Niethose“ genannt). Auch der geradezu sprichwörtlich gewordenen „Einkaufsbeutel“ als ständiger Begleiter des „sozialist. Konsumenten“ (gegen die unpraktische, lediglich der Anfachung neuer unsinniger Konsumwünsche dienenden Plastiktüte) hat seine Wurzeln in den Kampagnen der K. für ein „sozialist. Konsumverhalten“. Die meisten, im Rahmen der Neuererbewegung und hier v.a. der Messe der Meister von Morgen(MMM) entstandenen Markenzeichen „sozialist. Konsumverhaltens“ verschwanden aber bald wieder aus dem öffentlichen Leben der DDR.
B.v.M.