FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Kollektiv. Als K. wurde in der DDR eine relativ stabile Gruppe bezeichnet, die in Betrieb, Schule, Verwaltung usw. einen Arbeitszusammenhang bildete. Zumeist fand der Begriff auf Arbeitsgruppen in der staatlichen Wirtschaft Anwendung. Vielfach war von „sozialist. K.“ die Rede. Darunter wurden „durch die Arbeitsteilung und Kooperation bedingte relativ beständige, komplexe gesellschaftliche Organismen“ verstanden (Kleines polit. Wörterbuch, Berlin 1989, S. 76). Die theoret. Grundlage für die zentrale Funktion des K. in der Gesellschaftspolitik bildete die Annahme, „dass die freie Entfaltung der Menschen sowie die Befriedigung ihrer Interessen und Bedürfnisse nur in der Gemeinschaft und durch sie möglich ist, und die daher die freiwillige, auf der Übereinstimmung der grundlegenden gesellschaftlichen und individuellen Interessen beruhende Einordnung des Individuums in die Gesellschaft anstrebt“ (ebd., S. 491). Damit sah man sich im Gegensatz zum „bürgerlichen Individualismus“.
Dem „sozialist. K.“, das insbesondere zur zielstrebigen Erfüllung gemeinsamer Aufgaben wirken sollte, wurde eine höhere soziale Qualität als anderen sozialen Gruppen zugeschrieben. Die kollektivinternen Beziehungen sah man durch die „sozialist. Produktionsverhältnisse“ bestimmt, auf die sich die Interessenübereinstimmung der Handelnden gründen würde.
Das K. in diesem Sinne bestand aus Personen, die in Bezug auf das „gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln“ gleichgestellt waren, sich aber hinsichtlich Arbeitsaufgaben, Qualifikation und Entscheidungs- bzw. Leitungskompetenzen unterschieden. In jedem K. gab es eine Kerngruppe, die aktivierend und normierend wirkte. Von ihr hing die Qualität des Arbeitsklimas wesentlich ab.
Polit. Bewusstheit, fachliche Qualifikation und Leistungsbereitschaft waren wesentliche Erwartungen, mit denen sich ein K. konfrontiert sah. Die 1959 begonnene Kampagne zum Erwerb des Titels „Brigade der sozialist. Arbeit“ bzw. „Kollektiv der sozialist. Arbeit“ war ein massiver Versuch, die Ziele der sozialist. Erziehungsdiktatur zu erreichen (Motto: „Sozialist. arbeiten, lernen und leben“).
Viele K. zeigten bemerkenswerte Eigeninteressen, die den ursprünglichen Intentionen widersprachen. Seit den 60er Jahren entwickelten sich in den K. vielfach enge persönliche Beziehungen, das Gesamtkonzept versandete jedoch allmählich in formaler Routine.
P.H.