FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Wissenschaftliche Arbeitsorganisation (WAO). Die WAO sollte der Maßstab für die Gestaltung der Arbeitsprozesse und die Beziehungen der Werktätigen untereinander sein. Ihre Hauptziele bestanden darin, gestützt auf die neuesten Erkenntnisse der Arbeitswissenschaften (darunter vor allem die Arbeitsökonomie, die Arbeitsmedizin, die Arbeitspsychologie und die Arbeitssoziologie) erstens zur Intensivierung der Produktion beizutragen, zweitens die Arbeitsproduktivität anzuheben und drittens die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
In der Zeit vornehmlich extensiven Wirtschaftswachstums in den 40er und 50er Jahren wurde die WAO in der DDR vernachlässigt. Erst im Zuge der Wirtschaftsreformversuche des Neuen Ökonom. Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) und des Ökonom. Systems des Sozialismus (ÖSS) in den 60er Jahren rückte die Förderung intensiven Wachstums und damit zusammenhängend auch die der stärkeren Rationalisierung von Arbeitsprozessen in den Blickpunkt. Angeregt durch die SED-Führung widmete auch der FDGB-BuV dem Thema sozialist. Rationalisierung nun größere Aufmerksamkeit. Im Januar 1971 berief er gemeinsam mit dem beim Staatlichen Amt für Arbeit und Löhne angebundenen Zentralen Forschungsinstitut für Arbeit (ZFA) erstmals eine arbeitswissenschaftliche Konferenz ein, um die praktische Anwendung der WAO in den Betrieben zu beschleunigen. Diesem Zweck diente auch die Anordnung über die Planung von Maßnahmen der WAO in den volkseigenen Betrieben und Kombinaten vom 30.4.1973.
Für die Einführung der WAO in den Betrieben waren die Betriebsleitungen verantwortlich, doch sollten sie dabei mit der Gewerkschaft wie den anderen Massenorganisationen eng zusammenarbeiten und vor allem darauf achten, „dass alle Maßnahmen […] gemeinsam mit den Werktätigen verwirklicht“ wurden. Die Aufgaben der WAO waren als feste Bestandteile in die betrieblichen Pläne aufzunehmen, unterlagen also hinsichtlich der betrieblichen Mitwirkung den allgemeinen Bestimmungen für die Plandiskussion und Planerfüllung ebenso wie denen über die Aufstellung und Rechenschaftslegung zu den Betriebskollektivverträgen (BKV). Die in den Belegschaften weit verbreiteten und aufgrund negativer histor. Erfahrungen tief verwurzelten Vorbehalte gegen vermehrte Arbeitsstudien und intensivere Arbeitsnormungen gedachte man im sozialist. Wettbewerb mit Hilfe von Prämien zu überwinden. Doch das gelang nur sehr bedingt, denn den Beschäftigten war trotz anderslautender Überzeugungsversuche von Betriebs-, Partei- und Gewerkschaftsfunktionären klar, dass die Maßnahmen der WAO in erster Linie auf die Intensivierung und Rationalisierung der Produktions- und Arbeitsabläufe zielten und erst in zweiter Linie auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Mit Hilfe von Arbeitsstudien der WAO wurden die Arbeitsvorgänge in kleinste Teilvorgänge zerlegt, nach spezif. Anforderungen klassifiziert und damit zur Grundlage für die Arbeitsnormung und die Eingruppierungen der Beschäftigten in die Lohn- und Gehaltsgruppen gemacht, hatten also unmittelbare Auswirkungen auf die Frage der Entlohnung. Mit Blick auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zählte es zu den offiziellen Aufgaben der WAO, erstens die Arbeitsplätze nach arbeitswissenschaftlichen Erfordernissen einschließlich der Anforderungen des Arbeitsschutzes, der Kultur und der Ästhetik zu gestalten, zweitens eine optimale Gestaltung der Arbeitsumwelt unter Einbeziehung von sozialen, psycho-physiolog., sanitär-hygien. und ästhet. Gesichtspunkten zu erreichen, drittens manuelle Tätigkeiten stärker zu mechanisieren, physische und psychische Belastungen sowie Monotonie zu beseitigen und den Anteil geistiger Arbeit zu erhöhen und schließlich viertens vermehrt innerbetriebliche Kooperationsformen anzuwenden, um Arbeitsaufgaben inhaltsreicher und interessanter zu machen, etwa durch wechselnde Tätigkeiten oder die Mitarbeit in Komplexbrigaden. Im Vergleich zu den Eingruppierungs- und Entlohnungsfragen bestanden in diesem Bereich weitaus größere Spielräume für die Betriebsleitungen, ob vereinbarte Veränderungen auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt wurden.
Weil es erhebliche Schwierigkeiten gab, die WAO in den Betrieben zur Anwendung zu bringen, ergingen mit der Anordnung zur Richtlinie über die Anwendung der WAO vom 17.4.1975 und dem Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) von 1977 weitere detaillierte Anwendungsbestimmungen. Vor dem Hintergrund der wachsenden wirtsch. Schwierigkeiten der DDR und den immer knapperen Investitionsmitteln wurde die WAO in den späten 70er und 80er Jahren sogar zum wesentlichen Instrument zur Erfüllung der Hauptaufgabe zur Realisierung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik erklärt. Vorrang bei der Aufnahme in die betrieblichen Pläne hatten nun solche Maßnahmen der WAO, die kurzfristig einen hohen wirtsch. Nutzen und außerdem Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen versprachen. Doch die in die WAO gesetzten Erwartungen waren - trotz ihres auch im Westen anerkannten hohen theoret. Niveaus - völlig überzogen, der immer höhere bürokrat. Aufwand für die Betriebe stand in keinem Verhältnis zum wirtsch. Nutzen.
F.S.