FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Sozialistische Rationalisierung. Da „Rationalisierung“ histor. betrachtet ein negativ besetzter, gegen die kapitalist. Ausbeutung gerichteter Kampfbegriff der Arbeiterbewegung war, wurde er in der DDR zunächst weitgehend vermieden. Erst im Rahmen der auf mehr Effektivität und Flexibilität zielenden Wirtschaftsreformversuche der NÖSPL und des ÖSS in den 60er Jahren erfuhr er eine Aufwertung, wurde nun aber meist mit dem Zusatz „sozialist.“ Versehen, um den behaupteten Unterschied zur Rationalisierung unter kapitalist. Bedingungen zu unterstreichen.
Mit dem Schlagwort s.R. wurden in der DDR ganz allgemein die in Wirtschafts- und Verwaltungseinrichtungen ergriffenen Maßnahmen zur Erzielung eines höheren Nutzeffektes zusammengefasst. In einem engeren Sinne verstand man darunter sämtliche Maßnahmen zur praktischen Umsetzung des auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 proklamierten wirtschaftspolit. Wachstumskonzepts der Intensivierung, also vor allem die technisch-organisator. Modernisierung und Verbesserung von Produktionsanlagen und Arbeitsabläufen. Intensivierung und s.R. tauchten von nun an häufig auch als Wortpaar oder als Synonyme auf.
Die Hauptmethoden der s.R. unterschieden sich nur wenig von klassischen privatwirtsch. Rationalisierungsmethoden: 1.) Konzentration, Spezialisierung und Standardisierung, 2.) Einführung neuer Fertigungsarten und -prinzipien, 3.) Mechanisierung und Automatisierung und 4.) Schichtarbeit. Grundsätzlich zu unterscheiden waren dabei jeweils kapitalintensive, vornehmlich auf Forschung und Entwicklung sowie Investitionen gestützte Rationalisierungsmaßnahmen einerseits, arbeitsintensive, vor allem durch Technisch-Organisator. Maßnahmen (TOM) zu erzielende Rationalisierungseffekte andererseits. Angesichts wachsender wirtsch. Schwierigkeiten, zu denen die chronische Innovationsschwäche der zentralen Planwirtschaft ebenso zählte wie vor allem außenwirtsch. bedingte Knappheit der Investitionsmittel, verschob sich das Gewicht in den 80er Jahren immer stärker zu den mit geringen finanziellen Mitteln umzusetzenden arbeitsintensiven Rationalisierungsmaßnahmen, zum Beispiel die Weiterentwicklung bereits vorhandener Technologien, Verfahren und Erzeugnisse, Materialeinsparungen oder die Umstrukturierung von Planungs-, Leitungs- und Arbeitsabläufen mit Hilfe der Wissenschaftlichen Arbeitsorganisation (WAO). Der FDGB, der sich im Auftrag der SED-Führung zum eifrigen Propagandisten für Intensivierung und s.R. gemacht hatte und sie ins Zentrum seiner Kampagnen für den sozialist. Wettbewerb und die Neuererbewegung stellte, stieß bei den Beschäftigten infolge dieser Entwicklung auf immer weniger Verständnis: Die von ihm verlangte laufend höhere individuelle Arbeits- und Leistungsbereitschaft war unter den gegebenen wirtsch. Rahmenbedingungen gar nicht umzusetzen, während gleichzeitig das Wachstum des Lebensstandards hinter den geweckten Erwartungen deutlich zurückblieb.
F.S.