FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Streikrecht. Das S. beinhaltet das Recht der Arbeitnehmer, in Arbeitskämpfen ihren Forderungen durch kollektive Niederlegung der Arbeit Nachdruck zu verleihen. Der FDGB hatte bereits im Sept. 1946 die Einführung einer Streik- und Gemaßregeltenunterstützung beschlossen und im Nov. eine Streikordnung angenommen, die allerdings einen Passus enthielt, demzufolge das S. „von der Gewerkschaftsbewegung im Kampf gegen das kapitalist. Unternehmertum und die Begleiterscheinungen der kapitalist. Verhältnisse angewandt“ werde. Da zu diesem Zeitpunkt noch kapitalist. Verhältnisse in ganz Deutschland herrschten, drückte dieser Passus mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit aus. Da aber die Kommunisten bereits eine weitgehende Enteignung der „Trusts, Syndikate, Kartelle und anderer monopolist. Organisationen“ und die „Übergabe dieser Betriebe in die Hände des Volkes“ anstrebten, bedeutete der Passus eine künftig bedeutsam werdende Einschränkung des S. Da der FDGB sich damals noch als gesamtdeutsche Organisation verstand und auch von SED und SMAD als solche gesehen wurde, ist der Beschluss einer Streikordnung auch unter dem Aspekt der Westarbeit des FDGB zu sehen.
Die Streikordnung fand im Jan. 1947 als Anlage Eingang in den Satzungsentwurf des FDGB, und das S. wurde auch in Art. 14 der Verfassung der DDR vom 7.10.1949 aufgenommen. Im am 19.4.1950 von der Provisor. Volkskammer angenommenen Gesetz der Arbeit findet sich in Zusammenhang mit der dort vorgenommenen Aufgabenbestimmung des FDGB keinerlei Hinweis mehr auf ein S. In der Praxis galt von nun an das auf die Ideologie des Marxismus-Leninismus zurückzuführende Dogma von der Übereinstimmung gesellschaftlicher, kollektiver und individueller Interessen, wo das Volk - wie in der DDR - Eigentümer der Produktionsmittel sei. Die auf dem 3. FDGB-Kongress nun auch explizit beschlossene Selbstunterordnung des FDGB unter die führende Rolle der SED war die Konsequenz dieser ideolog. Überzeugung.
Obwohl die Verfassung Streiks als Mittel des Arbeitskampfes durchaus vorsah, wurde dieses Mittel seitens des FDGB nicht mehr angewandt, sieht man einmal von einigen Streiks ab, mit denen eine Enteignung oder die Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung in einem privaten Betrieb durchgesetzt werden sollte. Da der FDGB also seine Zustimmung zu Streiks versagte, waren alle Streiks illegal. Seitens des Staates wurde spätestens seit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 konsequent und hart gegen Streiks vorgegangen, wobei der Art. 6 der Verfassung der DDR mit dem Straftatbestand „Boykotthetze gegen demokrat. Einrichtungen und Organisationen“ harte Strafen bis hin zur Todesstrafe ermöglichte. Wichtige Instrumente der SED zur Verhinderung und Bekämpfung von Streiks waren der Staatssicherheitsdienst und die Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Als der Justizminister der DDR, Max Fechner (*27.7.1892-†13.9.1973), der aus der SPD in die SED gekommen war, nach dem Juniaufstand öffentlich davon sprach, dass das S. in der Verfassung verankert sei, kostete dies ihm nicht nur seinen Posten. Er wurde verhaftet und am 24.5.1955 vom Obersten Gericht der DDR in einem Geheimprozess zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Allerdings gab es auch in den folgenden Jahrzehnten und bis zum Ende der DDR immer wieder Streiks, allerdings meist in sehr kleinem Rahmen. Auch das Gesetzbuch der Arbeit, das 1961 das Gesetz der Arbeit ablöste erwähnte das S., das gemäß der Verfassung immer noch „gewährleistet“ war, nicht. Mit der neuen Verfassung von 1968 verschwand das S. auch aus der Verfassung, ohne dass es seitens des FDGB irgendwelche Einwände gegeben hätte. Im Gegenteil: Als während des Prager Frühlings 1968 in der CSSR die Forderung aufkam, die dortigen Gewerkschaften aus der Umklammerung durch die Partei zu lösen und Streiks zu legalisieren, wurde gerade dies vom FDGB als Angriff auf die führende Rolle der Arbeiterklasse zurückgewiesen.
Erst im Verlauf der friedlichen Revolution erhielt das S. in der DDR mit dem am 6.3.1990 verabschiedeten Gewerkschaftsgesetz und dessen Paragraph 18, Abs. 1, wieder eine gesetzliche Grundlage: „Die Gewerkschaften haben das Recht auf Streik. Ein Streik ist erst zulässig nach erfolglosem Schlichtungsverfahren. Die Regierung kann einen Streik aus Gründen des Gemeinwohls aussetzen.“ Mit der Wiedervereinigung trat nach nur sieben Monaten das westdeutsche S. auch in den östlichen Bundesländern in Kraft.
S.K.