FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Gewerkschaftsgesetz. Erste Überlegungen zu einem eigenständigen G. für die DDR wurden Anfang November 1989 in einem Diskussionspapier der Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ entwickelt. Aufgegriffen und als Forderung vorgetragen wurden diese von der IG Metall (Arbeitsprogramm des ZV der IG Metall vom 27.11.1989). Kurz darauf, auf der 11. Tagung des BuV am 29.11.1989, wurde die Forderung auch von der Interimsvorsitzenden Annelies Kimmel erhoben. Hintergrund waren u.a. Befürchtungen, dass der FDGB bzw. die Gewerkschaften in dem sich abzeichnenden gesellschaftlichen Umwälzungsprozess an Einfluss verlieren könnten. Anzeichen hierfür sah man in den zunehmend restriktiven Verhaltensweisen der „staatlichen Leiter“ (in den Kombinaten bzw. Betrieben) gegenüber den Gewerkschaften, die man als Vorboten einer Entwicklung zurück in den Kapitalismus deutete.
Die Forderung nach einem G. wurde auch von dem Komitee zur Vorbereitung des außerordentlichen FDGB-Kongresses übernommen. Ein im Vorfeld des Kongresses veröffentlichter „Entwurf für ein Gesetz über die Rechte der Gewerkschaften in der DDR“ verdeutlichte klar die mit dem G. verfolgte Intention, den Alleinvertretungsanspruch der Gewerkschaften hinsichtlich der Interessen der Werktätigen festzuschreiben. So war eine Mitsprache in allen Fragen der „Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen, wie Entlohnung, Sozial- und Rentenrecht, Preise, Besteuerung, Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz, Umweltschutz“ vorgesehen, bis hin zu dem Recht, eigene Gesetzesinitiativen einzubringen. Innerhalb der Betriebe sollten die gewerkschaftlichen Vertretungsorgane (BGL) eine Interventionskompetenz bei „Leiterentscheidungen“, die die Interessen und Rechte der Werktätigen berührten, erhalten. Indes war das Streikrecht erheblich eingeschränkt. So sollte ein Streik erst nach einer erfolglosen Schlichtung möglich sein (bei Bedarf sollten rechtsverbindliche Musterschlichtungsordnungen erlassen werden können) und die Regierung sollte aus Gründen des Gemeinwohls Streiks aussetzen können.
Als während des Kongresses bekannt wurde, dass Ministerpräsident Hans Modrow (*27.1.1928) im Zusammenhang mit einer Annäherung der beiden deutschen Staaten (spätere Vereinigung eingeschlossen) eine vorab durchzuführende Rechtsangleichung vorgeschlagen hatte, drohte eine Inkraftsetzung des G. noch vor den anstehenden Volkskammerwahlen zu scheitern. Um dies zu verhindern, beschlossen die Delegierten für den Fall, dass das Parlament das G. nicht mehr beraten sollte, zum Generalstreik aufzurufen. Im Übrigen sah man sich in puncto G. durch die Basis bestätigt, von der in den folgenden Wochen eine Flut von Briefen den Geschäftsführenden Vorstand erreichte.
In der Bundesrepublik stieß das G. auf teilweise heftige Kritik; man wähnte die DDR auf dem Weg von der SED-Diktatur in einen Gewerkschaftsstaat. Auch der DGB lehnte das G. kategor. ab, da es die Handlungsfreiheit der Gewerkschaften einschränke und die Tarifautonomie gefährde. Im Übrigen hatte sich der DGB schon im Februar 1990 im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion für die Übernahme der Arbeits- und Sozialordnung der BRD durch die DDR ausgesprochen und diese Haltung auch gegenüber der neuen FDGB-Vorsitzenden Helga Mausch bei einem Treffen am 1.3.1990 bekräftigt. Das bei dieser Gelegenheit von Mausch unterbreitete Angebot einer Überarbeitung des G. lehnte man ab.
Am 6.3.1990, knapp zwei Wochen vor der ersten freien Parlamentswahl in der DDR, wurde das G. von der Volkskammer verabschiedet. Allerdings entfaltete es, bedingt durch die Entwicklung in den folgenden Monaten, abgesehen von einigen Irritationen auf betrieblicher Ebene, etwa bei der Ad-hoc-Bildung von Betriebsräten, keine nennenswerte Wirkung mehr. In Anbetracht des Wahlergebnisses vom 18.3.1990 und im Zusammenhang mit den kurz darauf beginnenden Verhandlungen zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, die im FDGB zunächst heftig umstritten waren und mehrheitlich bekämpft wurden, wurde das G. Ende März zunächst zu einer „Übergangslösung“ herabgestuft. Am 23.4.1990 sprach sich der GV schließlich für eine Abschaffung des G. aus. Am 10.5.1990, einen Tag nachdem sich der Sprecherrat als neues Führungsgremium des FDGB gebildet hatte, verständigten sich dessen 1. Sprecher Peter Rothe und der DGB-Vorsitzende Ernst Breit (*20.8.1924) bei einem Treffen in Düsseldorf darauf, dass das G. baldmöglichst wieder abgeschafft werden solle. Mit der Übernahme des bundesdeutschen Betriebsverfassungsgesetzes durch die DDR war das G. schließlich auch formal obsolet geworden.
F.-O.G.