FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Intelligenz. Neben der herkömmlichen Definition der I. als Erkenntnisvermögen bzw. Denkfähigkeit verwendet der Marxismus-Leninismus I. in erster Linie als soziolog. Terminus. Die I. ist demnach in Abgrenzung etwa von der Arbeiterklasse die Gesamtheit aller geistig schaffenden Werktätigen. Sie bildet keine eigene Klasse, sondern gilt lediglich als „soziale Schicht“, da sie über keine einheitliche Stellung zu den Produktionsmitteln verfügt und sich aus allen Klassen und Schichten rekrutiert. Die I. entstehe im Prozess der gesellschaftlichen Arbeitsteilungen durch die Trennung zwischen vorwiegend körperlicher und vorwiegend geistiger Arbeit - ein Vorgang, der nach der Theorie des hist. Materialismus erst in der Gesellschaftsformation des Kapitalismus gesellschaftliche Relevanz gewinnt, weil sich dort die Schicht der I. in nennenswerter Zahl herausbilde. Sie diene üblicherweise der herrschenden Klasse, d.h. im Kapitalismus der Bourgeoisie und im Sozialismus der Arbeiterklasse, der per Qualifikation in zunehmenden Maße Angehörige der I. entstammen sollen („sozialist. I.“). Im Allgemeinen sei den Angehörigen der I. vor allem eine höhere Schulbildung bzw. akadem. Ausbildung und die berufliche Ausübung vorwiegend geistiger Arbeit eigen. Personen mit Universitäts- und Hochschulabschluss zählten in der DDR automat. zur I.: Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer, Künstler, Ingenieure, Techniker etc.; gemäß den Berufsfeldern fand eine Untergliederung in „wissenschaftliche I.“, „medizin. I.“, „pädagog. I.“, „künstler. I.“ und „techn. I.“ statt.
Die DDR hatte nach ihrem Selbstverständnis aus der Zeit vor ihrer Gründung eine „bürgerliche I.“ übernommen, die objektiv prinzipiell einen der Arbeiterklasse entgegengesetzten Klassenstandpunkt einnehmen musste. So weit diese „alte I.“ sich jedoch den neuen Herrschaftsbedingungen unterwarf, erfuhr sie durch die SED sogar eine partielle Privilegierung, um sie zum Verbleib in der DDR zu motivieren. Gleichwohl war der Anteil der I. unter den Flüchtlingen bis zum Mauerbau 1961 weitaus überproportional, da gerade hoch qualifizierten Menschen die Bundesrepublik Deutschland materiell und ideell erheblich größere Chancen bot als die DDR. Schon daher hatte die DDR fortwährend enormen Rekrutierungsbedarf für eine eigene, „sozialist. I.“ Die Anzahl der zu ihr gehörenden Personen lässt sich freilich auch für die späte DDR nur vage benennen. Unklar war z.B. stets, ob höhere SED-Funktionäre der I. oder der Arbeiterklasse zuzurechnen sind („Parteiarbeiter“). Die Statist. Jahrbücher der DDR wiesen eine Schicht der I. nicht gesondert aus. Nimmt man die aufgeführten Kriterien als Richtschnur, so müssen ca. 1 Mio. DDR-Bürger der I. angehört haben. Zieht man jedoch die I.-spezif. Massenorganisationen (Kulturbund der DDR und Kammer der Technik) heran, ergibt sich nur die Hälfte davon. Da gerade Angehörige der „sozialist. I.“ in der DDR Führungsfunktionen einnahmen, für die eine FDGB-Mitgliedschaft unabdingbare Voraussetzung war, muss von einem noch über dem ohnehin hohen Durchschnittsorganisationsgrad liegenden gewerkschaftlichen Organisationsgrad der I. ausgegangen werden. Dasselbe gilt für die Mitgliedschaft in der SED oder den Blockparteien (s.a. Blockpolitik).
U.G.