FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Vertrauensleute. Auch als Vertrauensmänner oder -frauen Bezeichnung für FDGB-Funktionäre, die in einer Betriebsgewerkschaftsorganisation (BGO) die kleinsten organisator. Einheiten, die Gewerkschaftsgruppen mit etwa 10 bis 30 Mitgliedern, leiteten. Zu Beginn der 50er Jahre wurden die V. nach sowj. Vorbild (vgl. sowj. Referenzmodell) vorübergehend auch als Gewerkschaftsgruppenorganisatoren bezeichnet.
V. waren ehrenamtlich tätig und wurden von den Mitgliedern der jeweiligen Gewerkschaftsgruppe in offener Abstimmung gewählt. Vielerorts genossen sie tatsächlich das Vertrauen ihrer Wähler und Kollegen und verstanden sich selbst als deren Interessenvertreter gegenüber Meistern und anderen betrieblichen Leitern. Teilweise wurden sie allerdings auch als „ideolog. Kontrolleure“ betrachtet, nicht zuletzt von den Brigadieren und Meistern.
Ihre wichtigsten offiz. Aufgaben bestanden darin, monatlich eine Mitgliederversammlung abzuhalten, um die Beschlüsse von SED, Staat und FDGB bekannt zu machen und zu erläutern, aber auch Vorschläge und Beschwerden entgegen zu nehmen und den Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedern zu fördern. Außerdem kassierten sie die Mitgliedsbeiträge und verkauften die Solidaritätsmarken für den gewerkschaftlichen Solidaritätsfonds.
Von den Gewerkschaftsleitungen wurden die V. zumindest theoret. als wichtige Vermittler zwischen dem hauptamtlichen Apparat und den Mitgliedern gesehen; gerade durch das direkte persönliche Gespräch sollten sie zur Ideologievermittlung und Erziehung und zur Arbeitsmobilisierung ebenso beitragen wie zur Ideologie- und Verhaltenskontrolle. Ähnlich wie die BGL- und AGL-Vorsitzenden zählten die V. deshalb auch zu wichtigen Adressaten des gewerkschaftlichen Schulungswesens, wobei zeitweise stärker polit.-ideolog. Aspekte, zeitweise stärker die fachliche Qualifizierung im Mittelpunkt stand. In den Betrieben wurden die V. seit 1957 regelmäßig zu sog. Vertrauensleutevollversammlungen einberufen, um stellvertretend für die Gesamtbelegschaft über die Betriebspläne und die Betriebskollektivverträge (BKV) zu beraten. Diese offiz. Rollenzuschreibung der V. und ihre tatsächliche Stellung in der Gewerkschaftsorganisation klaffte allerdings weit auseinander: Überwiegend waren sie passive „Weiterleiter“ der von oben kommenden Direktiven.
Um die trotzdem erhoffte betriebliche Integrationswirkung der V. zu erhöhen, wurde ihre Zahl in den 80er Jahren durch eine systemat. Verkleinerung der Gewerkschaftsgruppen deutlich angehoben: Gab es 1977 bereits rund 278 000 V., so waren es 1982 bereits rund 316 000. Doch die tatsächlich erzielte Integrationswirkung beschränkte sich auf den Bereich der einzelnen Gewerkschaftsgruppen. Auch die von den V. geleistete Interessenvertretung blieb unter den gegebenen gesellschaftspolit. Rahmenbedingungen auf den eng begrenzten Raum des eigenen Kollektivs beschränkt - prägte sich im Bewusstsein der Beteiligten aber vielleicht gerade deshalb als eine wichtige Erfahrung ein.
F.S.