FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Gesellschaftliche Gerichte. G.G. waren Organe der Rechtspflege, die sich aus Laien zusammensetzten. Zwei Arten von g.G. existierten in der DDR: die in den Betrieben tätigen Konfliktkommissionen und die in den Wohngebieten tätigen Schiedskommissionen. Deren Mitglieder wurden von der Betriebsbelegschaft auf Vorschlag des FDGB bzw. von den örtlichen Volksvertretungen auf Vorschlag der Parteien und Massenorganisationen gewählt.
Konfliktkommissionen wurden in Anlehnung an die sowj. „Kameradschaftsgerichte“ zunächst 1952 bei der SAG Wismut und ab 1953 durch eine Verordnung auch in den anderen VEB (s.a Betrieb als Sozialisationsinstanz) eingeführt (GBl. der DDR 1953, S. 695). Ab 1960 waren sie außer für arbeitsrechtliche auch für zivil- und strafrechtliche Konflikte zuständig. Darüber hinaus kam ihnen die präventive Aufgabe zu, Empfehlungen zur Beseitigung der Ursachen von Rechtsstreitigkeiten und Rechtsverletzungen abzugeben; die Betriebsleitung war verpflichtet, innerhalb von zwei Wochen schriftlich dazu Stellung zu nehmen.
Die Schiedskommissionen beriefen sich auf die weit vor 1945 zurückreichende Tradition des Schiedsmannswesens in Deutschland. Ab 1953 bemühten sich Schiedsmänner in der DDR um Aussöhnung bei strafrechtlichen Konflikten wie Beleidigung, leichte Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch (GBl. der DDR 1953, S. 647). Ab 1958 durften sie auch in zivilrechtlichen Angelegenheiten mit einem Streitwert bis 100 Mark aktiv werden. Kam keine Einigung zustande, übernahm ein staatliches Gericht den Fall. Die Bildung und Tätigkeit von Schiedskommissionen in den Städten, Gemeinden und Produktionsgenossenschaften regelte ein 1964 verabschiedeter Erlass (GBl. der DDR 1963, Teil I, S. 21).
Durch ein 1968 verabschiedetes und 1982 neu gefasstes Gesetz wurden die g.G. fest in das Gerichtssystem der DDR integriert (GBl. der DDR 1968,Teil I, S. 229; GBl. der DDR 1982, Teil I, S. 269). Sie zählten demnach zwischen acht und 15 Mitglieder und wurden von den Beschäftigten bzw. Einwohnern gewählt. Die g.G. entschieden über leichtere Verstöße, Vergehen und Straftaten und konnten folgende „Erziehungsmaßnahmen“ verhängen: Verpflichtung zur Entschuldigung beim Geschädigten oder vor dem Kollektiv, Verpflichtung zu Schadensersatz oder Wiedergutmachung, Bestätigung einer Selbstverpflichtung (z.B. zu maximal 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit), Erteilung einer Rüge, Verhängung einer Geldbuße bis 500 Mark. Gegen die Entscheidungen der g.G. konnte beim Kreisgericht Einspruch eingelegt werden. In der DDR existierten 1989 insges. 29 300 Konfliktkommissionen mit 258 000 Mitgliedern und 5 800 Schiedskommissionen mit 57 000 Mitgliedern.
Die g.G. waren als Instrumente der „Erziehung und Selbsterziehung“ gedacht. Im Gegensatz zu den staatlichen Gerichten boten sie die Möglichkeit eines ideellen und materiellen Ausgleichs zwischen Täter und Opfer. Die Besetzung der g.G. mit Laien aus dem engeren Umfeld der Beschuldigten sorgte für Konfliktnähe, barg allerdings die Gefahr mangelnder Neutralität. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen hatte eine Prangerwirkung, die den Konformitätsdruck innerhalb des Betriebs bzw. des Wohngebiets erhöhte. Hilfe und Kontrolle lagen bei der Tätigkeit der g.G. eng beieinander. Schon während der polit. Wende im Herbst 1989 verloren sie einen großen Teil ihrer Autorität. Im Justizsystem der BRD fanden sie keinen Platz.
A.S.