FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Vorkommnisse. In der Berichterstattung von Parteien, Massenorganisationen und Behörden intern übliche Bezeichnung für Ereignisse, die als störend sowie möglicherweise polit. brisant und den Interessen der DDR zuwiderlaufend angesehen wurden.
Im Berichtswesen des FDGB, seiner Einzelgewerkschaften und betrieblichen Gliederungen wurde der Begriff V. oder auch „besondere V.“ benutzt, um auf konkrete Ereignisse in den Kombinaten und Betrieben hinzuweisen, die den regulären Ablauf der Produktions- und Arbeitsprozesse bereits beeinträchtigt hatten oder möglicherweise beeinträchtigen würden. Dabei konnte es sich um technische Störungen, Havarien und Brände genauso handeln wie um Anzeichen für Unzufriedenheit in der Belegschaft, angefangen bei nicht ganz linientreuen Meinungsäußerungen oder heftigeren Streitigkeiten unter Kollegen, über Schwierigkeiten bei der Umsetzung zentraler Vorgaben, etwa zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, das Auffinden von Wandschmierereien und Flugblättern bis hin zur offen angekündigten oder bereits vollzogenen Arbeitsniederlegung. Im Prinzip stand jedes V., und sei es die einfachste technische Störung, unter dem Vorbehalt, möglicherweise ein wichtiges Indiz für eine subversive polit. Aktivität, im Falle der technischen Störung etwa für einen beabsichtigten Sabotageakt gegen das Volkseigentum, zu sein.
Da bei den BGL vielfach die Tendenz bestand, über Störungen und Konflikte nicht sofort an übergeordnete Stellen zu berichten, sondern zunächst nach internen und auch informellen Arrangements zu suchen, erließ das Sekr. des BuV im April 1973 eine detaillierte Ordnung über die Erfassung und Übermittlung von Informationen über besondere V. Der zufolge waren von nun an streng berichtspflichtig: V. in den Gewerkschaften selbst, etwa Einbrüche, Diebstähle und Unterschlagungen sowie die Missachtung von Kaderprinzipien, außerdem Massenerkrankungen, Havarien, Brände und Unfälle mit erheblichen Produktionsbeeinträchtigungen, des Weiteren jegliche Zwischenfälle mit ausländischen Werktätigen (s. Vertragsarbeiter) sowie Arbeitskonflikte und Arbeitsniederlegungen, schließlich - nicht zuletzt - sog. staatsfeindliche Handlungen, wie etwa Wandschmierereien mit tatsächlich oder angeblich „faschist.“ Inhalt und „klassenfeindlichen“, d.h. SED-kritischen Parolen, provokator. Auftreten gegenüber Funktionären von FDGB und SED, anonyme Drohbriefe und sonstige Schreiben, Unterschriftensammlungen aus polit. Anlässen sowie Republikflucht (vgl. Widerstand und Opposition).
Entsprechende Informationen hatten die BGL sofort an die FDGB-Kreisvorstände und diese wiederum über die FDGB-Bezirksvorstände sofort an die Abt. Organisation des BuV weiterzuleiten. Hier wurden systemat. Auswertungen vorgenommen, die nicht nur der SED-Führung, sondern auch der Staatssicherheit zur Verfügung gestellt wurden.
Die intensive und von tiefem Misstrauen gegen die Beschäftigten geprägte Berichterstattung über betriebliche V. (vgl. Betrieb als Sozialisationsinstanz) zeigt deutlich, wie sehr die SED-Führung befürchtete, dass sich ein Aufstand wie der vom 17. Juni 1953 noch einmal wiederholen könnte.
F.S.