FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Gewerkschaftspolitische Massenarbeit. Die vom FDGB zu leistende g.M. richtete sich über den Kreis der eigenen Mitglieder hinaus an alle Werktätigen und letztlich die gesamte Bevölkerung der DDR.
Schon nach Vorstellung Wladimir Iljitsch Lenins (*22.4.1870-†21.1.1924) über die Rolle der Gewerkschaften als „Transmissionsriemen“ sollten diese eine Organisation für die bereits fortgeschrittenen Mitglieder der Arbeiterklasse sein, durch deren Vermittlung die kommunist. Partei in Verbindung mit der breiten „Masse“ treten und dauerhaft bleiben könne. Da für die Partei als Avantgarde der Arbeiterklasse die ständige Gefahr der Loslösung von den Massen bestehe, sei es die vornehmste Aufgabe der Gewerkschaften, als ein richtig aufgebautes und voll funktionsfähiges Verbindungsglied - eben als „Transmissionsriemen“ - zwischen der Avantgarde und den Massen zu vermitteln. Dabei müssten sie es verstehen, sich einerseits dem Niveau der Masse anzupassen, um sie zu erreichen, ohne andererseits gegenüber den „Vorurteilen“ und der „Rückständigkeit“ der Massen allzu nachsichtig zu sein, denn ihre Aufgabe bestehe darin, durch die eigene g.M. die Masse unentwegt auf ein „höheres Niveau“ zu heben.
Diese Vorstellung und Aufgabenzuweisung prägte auch das Selbstverständnis des FDGB und der ihm angeschlossenen Einzelgewerkschaften. Der Satzung zufolge waren die Gewerkschaften in der DDR dazu berufen, „als Schulen des Sozialismus […] das sozialist. Arbeiten, Lernen und Leben der Millionen Gewerkschafter so zu entfalten, dass die Ideen von Marx, Engels und Lenin das Leben der DDR immer mehr prägen und ihre Vollendung finden“. Vor allem die Grundorganisationen sollten alle Möglichkeiten nutzen, „die Werktätigen mit der Weltanschauung der Arbeiterklasse, dem Marxismus-Leninismus, vertraut zu machen“. (Vgl. die Satzungen des FDGB von 1977 und 1982). Als Voraussetzung dafür wurde die rege Teilnahme der eigenen haupt- und ehrenamtlichen Funktionäre an den vielfältigen Angeboten des eigenen Schulungswesens betrachtet.
Grundsätzlich ging es bei der massenwirksamen Ideologievermittlung und Erziehung darum, den Einzelnen von der Übereinstimmung seiner persönlichen Bedürfnisse und sozialen Interessen mit den von der herrschenden Partei verbindlich definierten „gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen“ zu überzeugen, d.h. im Klartext: sie diesen unterzuordnen, und ihm ein entsprechendes Bewusstsein und Verhalten anzuerziehen. Eine in diesem Sinne erfolgreiche Ideologievermittlung und Erziehung wurde zugleich als wesentliche Voraussetzung für andere gesellschaftspolit. Aufgabenbereiche angesehen, vor allem die Arbeitsmobilisierung und die aktive gesellschaftliche Mitbestimmung und betriebliche Mitwirkung.
Kernform der vom FDGB geleisteten g.M. waren die regelmäßig durchgeführten „Schulen der sozialist. Arbeit“ mit ihren alljährlich weit über drei Mio. Teilnehmern. In Form von einjährigen Kursen für Gruppen von 15 bis 20 Teilnehmern fanden diese Schulungen für jedermann offen einmal monatlich als Vortrags- oder Seminarveranstaltungen nach Feierabend statt. Die erfolgreiche Teilnahme war zugleich formelle Vorbedingung für die Übernahme einer gewerkschaftlichen Funktion und den späteren Aufstieg innerhalb des Gewerkschaftsapparates oder auch der staatlichen Wirtschaftslenkung. Außerdem betrieb der FDGB eine umfangreiche, breit gefächerte Gewerkschaftspublizistik, gestützt auf ein organisationseigenes Verlags- und Pressewesen, mit dem keinesfalls nur die eigenen Funktionäre und Mitglieder, sondern die Beschäftigten insgesamt erreicht werden sollten. Diesem Ziel diente auch die Einrichtung und großzügige Ausstattung von Gewerkschaftsbibliotheken in den Betrieben. Allein das gewerkschaftliche Zentralorgan, die Tribüne, erschien in den 80er Jahren täglich in einer Auflage von 400 000 Exemplaren.
Die tatsächlichen Erfolge der g.M. lassen sich nur sehr schwer abschätzen; wie in anderen Bereichen auch, kam es beim Versuch der Ideologievermittlung und Erziehung auch hier zu erheblichen Abnutzungs- und Ermüdungserscheinungen. Doch erst im Verlauf der Jahre 1988/89 zeigten sich Gegenreaktionen: Nun wurden zum Beispiel die Schulen der sozialist. Arbeit von den Teilnehmern vermehrt dazu genutzt, die fortgesetzten ideolog. Indoktrinationsversuche zurückzuweisen und offene Kritik an den inzwischen vielfach unhaltbaren Zuständen in den Betrieben zu äußern, gerade mit Blick auf den Umwelt- und Arbeitsschutz.
F.S.