FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL). Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben als marxist.-leninist. Gewerkschaft benötigte der FDGB eine Verwurzelung in den Betrieben. Die Absichten der Gesamtorganisation mussten nahtlos von Betriebsorganisationen mitgetragen und umgesetzt werden. Seit 1945 unternommene Versuche, in den Betrieben Gewerkschaftsorganisationen mit einer eigenen BGL zu bilden, waren bis ins Jahr 1948 regelmäßig gescheitert. Die Belegschaften hatten sich gesträubt, neben dem bewährten Vertretungsorgan Betriebsrat eine zweite, gar konkurrierende Einrichtung zu bilden. Ab Mai 1948 begann der FDGB ernsthaft mit dem Aufbau von BGO. Dabei habe - so der damalige FDGB-Vorsitzende Hans Jendretzky - deren „BGL das führende und der Betriebsrat das ausführende Organ“ zu sein, denn ihm war klar, „dass die Betriebsräte nicht in der Lage waren, die notwendige Mobilisierung der Arbeiter und Angestellten für die neuen Aufgaben zu erreichen“. So wurde die kalte Entmachtung und schließliche Auflösung der Betriebsräte auf der Bitterfelder Konferenz vom 25./26.11.1948 zu einer Zwangsläufigkeit. Der FDGB setzte damit die für seine neuen Aufgabenstellungen erforderliche Alleinherrschaft an der betrieblichen Basis durch. Die BGL - anders als ein Betriebsrat - war fortan kein Vertretungsorgan der gesamten Belegschaft, sondern mit ihren Unterorganisationen der unterste Befehlsempfänger im System des demokrat. Zentralismus.
Das Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) von 1977 legte fest, dass einzig „die BGO und ihre Organe [...] die Interessen der Werktätigen im Betrieb [vertreten].“ Ausgestattet mit diesem Vertretungsmonopol saß die BGL aufgrund der weltanschaulichen Behauptung von der Interessenübereinstimmung im Sozialismus stets im selben Boot mit der Betriebsleitung und Betriebsparteileitung. Eine unabhängige Interessenvertretung gab es in DDR-Betrieben nicht.
In diesem Rahmen war die BGL laut AGB mit einigen „Rechten“ ausgestattet: z.B. durfte sie „an der Ausarbeitung anspruchsvoller und realer Pläne mitwirken“, Betriebskollektivverträge und andere Vereinbarungen mit dem Betriebsleiter abschließen sowie „eine kontinuierliche Arbeit zu deren Verwirklichung leisten“, zu Fragen der Leitung und Planung des Betriebes Vorschläge unterbreiten und Stellungnahmen abgeben, „den sozialist. Wettbewerb zur Erfüllung und gezielten Überbietung der Planaufgaben organisieren“, „bei der Intensivierung der Produktion mitwirken“, „die Einhaltung der sozialist. Arbeitsdisziplin fördern“, vom Betriebsleiter Informationen und Rechenschaftsberichte verlangen, an Arbeitsberatungen der Leiter teilnehmen, in betriebliche Unterlagen Einsicht nehmen und in Fällen mangelhafter Erfüllung der Aufgaben wie auch bei Missachtung der Rechte und Vorschläge der Werktätigen und ihrer Gewerkschaften durch den Betriebsleiter oder leitende Mitarbeiter von dem übergeordneten Leiter fordern, dass die Betreffenden zur Verantwortung gezogen werden und „bei der Vorbereitung, beim Abschluss, bei der Änderung sowie bei Auflösung von Arbeitsverträgen, bei Beurteilungen und anderen Personalangelegenheiten mitwirken bzw. mitbestimmen.“ Jede vom Betrieb ausgesprochene fristgemäße Kündigung und fristlose Entlassung bedurfte der vorherigen Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung. Verweigerte diese indes die Zustimmung, so entschied „auf Antrag des Betriebes die übergeordnete Gewerkschaftsleitung bzw. der übergeordnete Vorstand endgültig.“ Den Mitgliedern der BGL selbst durfte „nur mit vorheriger Zustimmung des übergeordneten Gewerkschaftsvorstandes“ gekündigt werden.
Die (formal geheime) Wahl der BGL erfolgte ausdrücklich „unter Führung der Betriebsparteiorganisation“ und gemäß der Satzung des FDGB „in der Regel alle zweieinhalb Jahre“. Wahlgremium war die Mitgliederversammlung der BGO. Es konnten aber „Funktionäre [...] jederzeit von den [...] Leitungen aus ihren Funktionen abberufen werden, wenn sie [...] nicht mehr das Vertrauen besitzen.“ Neben dieser zentralist. Sanktionsmöglichkeit galt in der täglichen Arbeit, dass „die Beschlüsse und Richtlinien der übergeordneten Gewerkschaftsleitungen […] für die nachgeordneten Gewerkschaftsleitungen und alle Mitglieder bindend [sind].“ Die BGL stellte somit nicht nur kein Vertretungsorgan der Belegschaften, sondern nicht einmal die betriebliche Wurzel des FDGB dar. Sie war ganz und gar Instrument des zentralist. FDGB-Apparates und des diesem übergeordneten SED-Apparates.
U.G.