FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Rote Gewerkschaftsinternationale (RGI). Die RGI wurde im Juli 1921 in Moskau gegründet. Die Entstehung der RGI war Teil des Spaltungsprozesses der sozialist. Arbeiterbewegung im und nach dem I. Weltkrieg.
Die europäischen Gewerkschaften hatten sich 1913 zu einem „Internationalen Gewerkschaftsbund“ (IGB) eigenständiger Landesorganisationen zusammengeschlossen. Nach dem I. Weltkrieg wurde der IGB reorganisiert und der Sitz seines Sekr. 1919 von Berlin nach Amsterdam verlegt.
Die innere Struktur der RGI war, analog zur Kommunist. Internationalen (Komintern), die einer zentralisierten Weltorganisation. Ihr gehörten neben den sowj. Gewerkschaften Organisationen verschiedenster Art an: Landesverbände, internationale Berufsvereinigungen, Einzelgewerkschaften und, besonders wichtig in Westeuropa, kommunist. Minderheiten in den bestehenden „reformist. Verbänden“ der „Amsterdamer Internationalen“. Die RGI sollte im Gegensatz zum IBG ein Instrument sein, um die Gewerkschaften in verschiedenen Ländern ideolog. im Geist der kommunist. Politik zu beeinflussen. Der RGI kam es weniger auf Klarheit und Einheitlichkeit des organisator. Aufbaus ihrer Mitgliederverbände an, die sie befähigten kontinuierliche gewerkschaftliche Arbeit in ihrem jeweiligen Land auszuführen, sondern gemäß dem demokrat. Zentralismus auf die Unterordnung der Mitgliedsorganisationen der einzelnen Länder unter die Zentrale.
Geführt wurde die RGI vom Internationalen Sekr. der Komintern. Neben der Kommunist. Jugendinternationalen war die RGI die wichtigste Massenorganisation in der Komintern.
Die Organe der RGI waren der Kongress, von dem sechs stattfanden, die Zentrale und deren Vollzugsbüro mit einem Generalsekretär an der Spitze, der aus den sowj. Gewerkschaften kam. Fritz Heckert (*28.3.1884-†7.4.1936), in der KPD-Zentrale verantwortlich für die Gewerkschaftspolitik, nahm 1921 am Gründungskongress der RGI teil und wurde in ihren Vollzugsrat gewählt. 1935 wurde Heckert Sekretär der RGI und Leiter ihrer mitteleuropäischen Sektion. Der FDGB gab seiner Gewerkschaftshochschule seinen Namen, um den eigenen Traditionsbezug öffentlich zu manifestieren.
Der zentralist. Charakter der RGI und ihre organisator. Schwäche in Westeuropa führten zu einem Kurs der Konfrontation und schärfster ideolog. Abgrenzung gegenüber dem IGB und seinen Mitgliedsverbänden. Um die „reformist. Gewerkschaften“ von innen zu erobern, bediente sich die RGI einer „Zellen-Taktik“. Die Kommunisten organisierten informell agierende Fraktionen in den Gewerkschaften. Wichtiger Erfolg dieser Taktik war noch vor Gründung der RGI die Spaltung der französ. Gewerkschaft CGT 1920. Es gelang der RGI in Westeuropa aber nicht, das Kräfteverhältnis zwischen IGB und RGI grundlegend zu verändern. Um den Kommunisten das Bleiberecht in den „reformist. Verbänden“ zu erhalten, propagierte die RGI die „Einheitsfrontpolitik“ in Arbeitskämpfen und polit. Kampagnen, die sog. „Aktionseinheit“.
Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 änderte die RGI ihren Kurs gegenüber den IGB-Verbänden und nahm bewusst Gewerkschaftsspaltungen in Kauf, ihre Mitglieder in den IGB-Verbänden sollten in diesen kommunist. Parallelleitungen bilden. Dadurch sollten sie sich die organisator. Möglichkeit schaffen, in Wirtschaftskämpfen die „Massen gegen die offiz. Gewerkschaftsinstanzen“ zu Streiks zu führen. Die Aufforderung des IGB an die Kommunisten, die Verbandslegalität zu achten, wurde schroff zurückgewiesen. 1930 beschloss der 5. RGI-Kongress, dass in Ländern wie Deutschland, „wo eine organisator. gefestigte große revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) besteht“, unorganisierte Arbeiter zum Eintritt in die RGO aufgefordert werden. Bezogen auf Deutschland wurde die Parole „hinein in die reformist. Gewerkschaften“ aufgegeben. Im Zusammenhang mit dem offenen Kurs auf den Aufbau von kommunist. geführten Gewerkschaften, wurden eine ganze Reihe von Kommunisten, die dies ablehnten, als „Rechte“ von der KPD ausgeschlossen.
Die „deutsche Sektion“ galt nach den sowj. Gewerkschaften als stärkste der RGI in Europa. Die Zahl der Anhänger der RGI wurde Ende der 20er Jahre weltweit auf knapp 17 Mio. geschätzt, weit über die Hälfte von ihnen waren Mitglieder der sowj. Gewerkschaften, in China waren es 2,8 Mio. Wichtig waren noch Frankreich, die Tschechoslowakei und Chile. In sechsundzwanzig Ländern gab es „revolutionäre Minderheiten“ in den reformist. Gewerkschaften.
1933 wurden in Deutschland die polit. Richtungsgewerkschaften durch die nationalsozialist. Diktatur verboten, ihre Funktionäre und Aktivisten verfolgt. Wie die KPD wurde auch die RGO ohne organisierte Gegenwehr zerschlagen. 1934 kam es in Frankreich zu einer Politik der Volksfront zwischen Kommunisten und Sozialisten gegen die drohende innere und äußere faschist. Bedrohung. 1936 schlossen sich die kommunist. und die sozialist. Richtungsgewerkschaft zusammen. Die CGT blieb Mitglied im IBG. Zuvor hatte 1935 der VII. Weltkongress der Komintern einen Kurswechsel in der Gewerkschaftsfrage vollzogen. Die Losung hieß nun „Gewerkschaftseinheit“ im nationalen und internationalen Rahmen. Den verlorenen Kampf um die Hegemonie der Kommunisten in der sozialist. Arbeiterbewegung Westeuropas erklärte der Generalsekretär der Komintern Georgi Dimitroff (*18.6.1882-†2.7.1949) mit Josef W. Stalins (*21.12.1879-†5.3.1953) Einschätzung über die Stärke der Sozialdemokratie, die auf ihrer Verwurzelung in den Gewerkschaften beruhte. Genau dies zu erreichen sei den Kommunisten nicht gelungen. Die kleinen Verbände der RGI wurden aufgefordert, erneut in die bestehenden „reformist. Gewerkschaften“ einzutreten, um in ihnen um das Recht auf „freie Meinungsäußerung“ für die Kommunisten zu kämpfen.
Die RGI war für die sowj. Politik überflüssig geworden, 1937 wurde sie aufgelöst. Ihr ehemaliger Generalsekretär und wichtigster Theoretiker war A.S. Losowsky, (*16.3.1878-†12.8.1952; eigentlicher Name: Salomon Abramovic Dridzo) wurde 1939 stellv. Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, 1949 verhaftet und 1952 als „jüdischer Nationalist“ und „amerikan. Spion“ zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die FDGB-Vors. Hans Jendretzky und Herbert Warnke waren vor 1933 Mitglieder der RGO und Warnke arbeitete 1933-35 als Sekretär der RGI in Paris.
Nach Auflösung der RGI bemühten sich die sowj. Gewerkschaften vergeblich um die Aufnahme in den IGB. In Moskau wurde ein „Internationales Komitee für die Einheit der Gewerkschaftsbewegung“ gegründet. Der Weltgewerkschaftsbund (WGB) übernahm es nach 1945, die Tradition der RGI wach zuhalten.
M.W.