FDGB-Lexikon, Berlin 2009


10 Gebote der sozialistischen Moral. Die 10 G.d.s.M. wurden von Walter Ulbricht auf dem V. SED-Parteitag im Juli 1958 als verbindliche Moralnormen für den Einzelnen proklamiert, um den angestrebten Wandel des gesellschaftlichen Bewusstseins hin zum Sozialismus zu unterstützen. Dieser Wandel hatte sich bis dahin bei weitem nicht in dem Maße vollzogen, wie es nach den Grundannahmen des Marxismus-Leninismus infolge der vorgenommenen Veränderungen in den Produktionsverhältnissen eigentlich zu erwarten gewesen wäre und sich vor allem im Arbeitsprozess hätte zeigen sollen: Die Wirtschaft befand sich bereits überwiegend in Volkseigentum, doch war aus der unter kapitalist. Bedingungen vorherrschenden sog. proletar. Klassenmoral noch immer keine sozialist. Moral mit neuen Wertmaßstäben für das Verhalten des Einzelnen gegenüber Partei, Staat und Gesellschaft hervorgegangen. Dieses Zurückbleiben der Entwicklung versuchte die SED-Führung im Sinne eines von der Partei geleiteten Erziehungsprozesses mit den 10 G.d.s.M. auszugleichen.
Im Einzelnen besagten diese:  „ 1. Du sollst Dich stets für die internationale Solidarität (vgl. Solidaritätskomitee) der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialist. Länder einsetzen. 2. Du sollst Dein Vaterland lieben und stets bereit sein, Deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen. 3. Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen. 4. Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen. 5. Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen. 6. Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren. 7. Du sollst stets nach Verbesserung Deiner Leistung streben, sparsam sein und die sozialist. Arbeitsdisziplin festigen. 8. Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen. 9. Du sollst sauber und anständig leben und Deine Familie achten. 10. Du sollst Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.“

In Abgrenzung zum Christentum, demzufolge moral. Werte von Gott gegeben sind und ewige Geltung beanspruchen können, ging der Marxismus-Leninismus davon aus, dass moral. Werte, Normen, Maximen und Anschauungen der Menschen in den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen wurzeln, sich in ihnen widerspiegeln und sich mit ihnen verändern. Nach marxist.-leninist. Verständnis sollte Moral vor allem eines: helfen, das Verhalten der Menschen in Übereinstimmung mit den von der Partei der Arbeiterklasse erkannten „objektiven gesellschaftlichen Erfordernissen“ zu bringen. Praktisch erreicht werden konnte das nur, wenn moral. Werte, Normen und Maximen Eingang in gesellschaftliche Gruppennormen fanden. Dementsprechend griff der FDGB-BuV die 10. G.d.s.M. in seiner Kampagne zur Bildung von „Brigaden der sozialist. Arbeit“ Anfang 1959 auf, um eine „neue Einstellung zur Arbeit“ zu befördern; er stützte sich dabei insbesondere auf das 5., 6. und 7. Gebot. Auf dem VI. SED-Parteitag im Januar 1963 wurden die 10 G.d.s.M. als „sozialist. Gesetze der Moral und Ethik“ in das Parteistatut der SED aufgenommen, womit alle Mitglieder aufgefordert waren, sie zur Grundlage des Handelns zu machen. Erst das auf dem IX. SED-Parteitag im Mai 1976 verabschiedete Parteistatut ersetzte den sozialist. Dekalog durch die knappe Formel, dass jedes Parteimitglied verpflichtet sei, „die Normen der sozialist. Moral und Ethik einzuhalten und die gesellschaftlichen Interessen über die persönlichen zu stellen“. Inzwischen hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine unmittelbare Moralerziehung wohl wesentlich differenzierter angelegt sein müsste, wenn sie überhaupt Chancen auf Erfolg haben wollte. Im Bereich der sozialist. Arbeitsmoral, die als Kernstück der sozialist. Moral galt, setzten SED und FDGB nun stärker auf eine aktive Sozialpolitik, um Voraussetzungen für den moral. Wertewandel und die Herausbildung einer sozialist. Lebensweise zu schaffen.
F.S.