FDGB-Lexikon, Berlin 2009


SED und der FDGB.

Inhalt:

I.     Von der Einheitsgewerkschaft zur Massenorganisation

II.    Strukturen, Instrumente und Methoden der Sicherung der Anleitungs- und Kontrollgewalt über den FDGB

        a) Anleitungs- und Kontrollstrukturen im Parteiapparat

        b) Kaderpolitik und personelle Verflechtung von SED und FDGB-Apparat

        c) Staatssicherheitsdienst als Instrument der SED

        d) Rechtliche und rechtsähnliche Vorschriften

III.   Wenig effektiver „Transmissionsriemen“

        Literatur


I.   Von der Einheitsgewerkschaft zur Massenorganisation

Schon während der Weimarer Republik gab es - jeweils entsprechend den jeweiligen Beschlüssen der von Moskau gesteuerten Roten Gewerkschaftsinternationale (RGI) - seitens der KPD verschiedene, aber insgesamt weitgehend erfolglose Versuche, den kommunist. Einfluss in den sozialdemokrat. ausgerichteten „freien Gewerkschaften“ zu vergrößern. 1930 wurde die bis dahin im ADGB agierende kommunist. Opposition in einer eigenständigen kommunist. Revolutionären Gewerkschaftsorganisation (RGO) zusammengefasst, deren Mitgliederzahl aber mit ca. 250 000 die der kleinen und weitgehend einflusslosen Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften nur wenig übertraf.
Die Schaffung von Einheitsgewerkschaften, also des Zusammenschlusses der Richtungsgewerkschaften aus der Zeit der Weimarer Republik, war in den Exilplänen der KPD für die Zeit nach Beendigung des 2. Weltkrieges ein wesentliches Element zur Brechung der Hegemonie der Sozialdemokratie in der deutschen Arbeiterklasse, als deren Partei und Avantgarde sich ja gerade die KPD verstand. Die Einbindung der Sozialdemokratie in eine kommunist. dominierte Einheitsgewerkschaft galt als Voraussetzung für die Neutralisierung der Sozialdemokratie als polit. Kraft mittels Fusion in eine einheitliche und kommunist. dominierte Arbeiterpartei. Die Kampagne für eine so verstandene Einheitsgewerkschaft wurde von den aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten Kommunisten 1945 daher zunehmend auch als Kampagne zur Vereinigung von KPD und SPD geführt.
Bereits der am 15.6.1945 veröffentlichte Gründungsaufruf des vorbereitenden Gewerkschaftsausschusses für Groß-Berlin baute auf einem kommunist. Entwurf auf, wie auch der Ausschuss bereits kommunist. dominiert war. Der Aufruf sollte nach dem Willen aller Beteiligten (wie auch der SMAD; vgl. Westarbeit) richtungsweisend für das ganze Reichsgebiet sein und zentralist. gewerkschaftliche Strukturen von der Reichshauptstadt aus präjudizieren, konnte schließlich aber nur die Entwicklung im sowj. Machtbereich prägen.
Für die Machtübernahme in den neuen Einheitsgewerkschaften konnte die KPD als Instrument sowj. Deutschlandpolitik zunächst ihren Informationsvorsprung sowie die polit. und administrative Unterstützung durch die SMAD nutzen. Darüber hinaus wurde der kommunist. Einfluss mittels Organisation (Betrieb als Ort der gewerkschaftlichen Grundorganisation, vgl. a. Organisationsprinzipien und Gliederung) und Kader (vgl. Kaderpolitik) gesichert. Programmat. flexibel, nahmen Kommunisten Führungspositionen im neuen zentralen Gewerkschaftsapparat ein, dessen Mittelbau von oben nach unten entstand. Die Kommunisten bestanden beim Aufbau der gewerkschaftlichen Organisationen von Anfang an auf parität. Besetzung aller Funktionen mit Kommunisten und Sozialdemokraten (vgl. Sozialdemokraten im FDGB) und reklamierten dabei für sich die Vorsitzenden-Positionen. Auch den Posten des Chefredakteurs des neuen gewerkschaftlichen Publikationsorgans Die Freie Gewerkschaft übernahm mit Fritz Apelt ein Kommunist. Die Kampagne für den FDGB-Gründungskongress (9.-11.2.1946) für die SBZ wurde dann bereits massiv als Kampagne für den Zusammenschluss von KPD und SPD genutzt. Der Kongress, dessen Delegierte in einem manipulierten Wahlverfahren bestimmt worden waren, verabschiedete bereits eine Resolution, in der es hieß: „Eine mächtige deutsche sozialist. Einheitspartei wird die selbständige Rolle der Freien deutschen Gewerkschaften fördern und sie unbesiegbar machen.“ Dem Paritätsprinzip, das eigentlich ursprünglich der Sicherung der kommunist. Dominanz im Gewerkschaftsapparat diente, war es paradoxerweise dann zu verdanken, dass sich sozialdemokrat. Kräfte im FDGB noch eine gewisse Zeit Gehör verschaffen konnten. Ab 1947/48 kam das Prinzip nicht mehr zur Anwendung.
Die KPD/SED hatte so zwar relativ schnell den Gewerkschaftsapparat erobert. Dieser war aber an der Basis, in den Betrieben sehr schwach. Hier bestimmten immer noch weitgehend vom FDGB unabhängige Betriebsräte und weniger die BGL das Bild. Mit zwei Konferenzen im Jahr 1948 und deren Hettstedter bzw. Bitterfelder Beschlüssen wurden die Grundlagen für die Entmachtung und schließliche Auflösung der Betriebsräte und zur weiteren Zentralisierung des FDGB gelegt. Eine Kampagne zur Bekämpfung von „Opportunismus und Reformismus“ und die „Überwindung“ des „Nurgewerkschaftertums“ leitete die „Säuberung“ des Apparates von allen nicht willfährigen Kräften ein. Der Wechsel von Hans Jendretzky, der SED-Chef in Berlin wurde, zu Herbert Warnke an die Spitze des FDGB erfolgte 1948 bereits auf der Basis eines SED-Beschlusses und ohne gewerkschaftliche Neuwahlen. Die Struktur des Apparates des BuV wurde der des SED-Parteiapparates angepasst und ein Sekr. geschaffen, in dem nur noch SED-Mitglieder vertreten waren. Der FDGB forderte nun sogar eine „noch stärkere führende Anleitung von unserer Partei“.
Während der Gewerkschaftsapparat in der SBZ inzwischen als SED-beherrscht gelten konnte, konnte in den westlichen Zonen ein auch nur annähernd vergleichbarer Einfluss der SED, die in den westlichen Zonen als KPD agierte, in den Gewerkschaften nicht erreicht werden. Sie stieß hier auf den Widerstand der demokrat. Kräfte in der sich für die westlichen Zonen bildenden Einheitsgewerkschaft DGB. Die Interzonenkonferenzen der Gewerkschaften, die einheitliche gewerkschaftliche Strukturen in ganz Deutschland sicherstellen sollten, scheiterten 1948 endgültig. Die Stärkung des kommunist. Einflusses auf die westdeutschen Gewerkschaften war fortan ein wesentliches Ziel der Westarbeit von SED und ausführendem FDGB.
Anlass für das Scheitern der Interzonenkonferenzen war die sowj. Blockade gegenüber den Westsektoren Berlins und die sich dort bildende gewerkschaftliche Opposition. In der Vier-Mächte-Stadt war zwar der FDGB von allen Besatzungsmächten als Einheitsgewerkschaft zugelassen worden. Unter dem Schutz der westlichen Besatzungsmächte konnte sich aber hier der Widerstand der nicht-kommunist., demokrat. Kräfte gegen die Eroberung der Gewerkschaften durch die SED organisieren. Die sich 1948 als Unabhängige Gewerkschaftsopposition im FDGB verstehenden und organisierenden Gewerkschafter bildeten bald eine selbständige Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO), aus der dann der West-Berliner Landesbezirk des DGB wurde. Der FDGB existierte formal weiter, hatte aber bald im Wesentlichen nur noch die wenigen SED-Mitglieder im Westteil der Stadt als Mitglieder sowie die West-Berliner Mitarbeiter der von der SED kontrollierten Deutschen Reichsbahn, da diese nur den FDGB als Verhandlungspartner akzeptierte (vgl. Reichsbahnstreiks 1949 und 1980).
Der FDGB erkannte 1950 schließlich auch in seiner Satzung die Führungsrolle der SED für die Gewerkschaftsarbeit an und bekannte sich eindeutig zum Marxismus-Leninismus. Das gesamte Schulungswesen des FDGB wurde jetzt auf den Marxismus-Leninismus als ideolog. Basis aller gewerkschaftlichen Arbeit ausgerichtet. Der FDGB nahm unter der „Obhut“ der SED zügig, wenn auch nicht konfliktfrei und bruchlos, seine Stellung im polit. und wirtsch. System der DDR ein. Den Phasen der Sicherung kommunist. Dominanz (1945-47), der zunächst programmat. (1948-50) und dann auch praktischen Umwandlung (1951-52) in einen „Transmissionsriemen“ der SED folgten Phasen von Krisen und Konsolidierung (1953-60), der Etablierung als wesentliche Säule der SED-Herrschaft (1961-80) und der Stagnation, verbunden mit einem rapide zunehmenden Legitimationsverlust (1981-89), mündend in den Zusammenbruch, der Trennung von der SED und schließlichen Übernahme durch den DGB.


II.   Strukturen, Instrumente und Methoden der Sicherung der Anleitungs- und Kontrollgewalt über den FDGB

Die SED sicherte ihre Anleitungs- und Kontrollgewalt über den FDGB im Wesentlichen auf vierfache Weise: Erstens durch spezielle Anleitungs- und Kontrollstrukturen im Parteiapparat auf allen Ebenen, zweitens durch ihre Kaderpolitik und eine enge personelle Verflechtung von SED und FDGB-Apparat, drittens, damit eng verbunden, durch ihr „Schild und Schwert“, den Staatssicherheitsdienst, und viertens durch rechtliche und rechtsähnliche Vorschriften.


a) Anleitungs- und Kontrollstrukturen im Parteiapparat

Die SED hatte einen eigenen Apparat zur direkten Einflussnahme auf den FDGB: Vom ZK abwärts besaßen die SED-Parteileitungen - unter wechselnden Namen und struktureller Zuordnung - eigene Abt. für Gewerkschaften und Sozialpolitik. Auf allen Ebenen oblag die Anleitung und Kontrolle der FDGB-Leitung der jeweiligen Parteileitung mit ihrem Apparat, bis hinunter zur betrieblichen Ebene, wo die BPL die Arbeit der BGL anleitete und kontrollierte. Für die Anleitung und Kontrolle der Parteimitglieder der zentralen Gewerkschaftsorgane bestand in Berlin eine eigene sog. Kreisleitung der SED.
Die gesamte Arbeit und Struktur des FDGB war auf die Anleitung durch die SED ausgerichtet. Dabei gab die SED-Führung nicht nur die polit. Generallinie vor, sondern leitete die Arbeit des FDGB durch spezielle Beschlüsse und Direktiven teilweise bis ins Detail an.
Die Arbeit des BuV und seines Apparates wurde durch die ZK-Abt. Gewerkschaften und Sozialpolitik angeleitet und kontrolliert. Die Leiter dieser SED-Abteilung nahmen regelmäßig an den Beratungen des BuV und des Sekr. teil. Hohe Funktionäre des FDGB wurden zu Sitzungen der SED-Führungsgremien „eingeladen“, um dort Anweisungen entgegenzunehmen. In der Geschäftsordnung für den Apparat des BuV waren die Beschlüsse und Dokumente der SED als vorrangige Grundlage der Arbeit der Abt. des BuV festgeschrieben. Das Sekr. des BuV des FDGB tagte jede Woche einen Tag nach dem SED-Politbüro (also Mittwochs), um dessen Beschlüsse sofort „auswerten“ und umsetzen zu können. Aus gleichen Gründen fanden die FDGB-Kongresse stets unmittelbar nach den SED-Parteitagen statt. Den Sitzungen des BuV gingen stets Beratungen der SED-Parteigruppe dieses Gremiums voraus. Alle wichtigen Beschlüsse, der Rechenschaftsbericht, Kaderentscheidungen und die Wahlvorschläge für die Gremien des BuV waren vorab mit dem SED-Apparat abzustimmen und diesem schließlich zur Bestätigungen vorzulegen. Die Beschlüsse waren aber stets als solche des FDGB auszugeben, was die ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit bei der Mitgliedschaft immer weiter untergrub. Anfang der 50er Jahre noch vereinzelt vorgebrachte „Bitten“ seitens einiger FDGB-Führungsmitglieder, den FDGB stärker als Interessenvertretung der Werktätigen in Erscheinung treten zu lassen, blieben weitgehend folgenlos. Ernsthafte Kritik an der Bevormundung des FDGB durch die SED gab es auf der Führungsebene aber eigentlich nur im unmittelbaren Umfeld des 17. Juni 1953 und dann infolge der friedlichen Revolution 1989.
Zur Anleitung und Kontrolle stand dem SED-Apparat darüber hinaus auf allen Ebenen ein Netz von Instrukteuren (vgl. dazu die Instrukteure des FDGB) zur Verfügung, die vor Ort anleitend, mobilisierend und kontrollierend im Sinne der SED-Beschlüsse tätig werden konnten. Der Kontrolle diente zudem ein ausgebautes Berichtswesen. Während von oben nach unten Anweisungen übermittelt wurden, kamen von unten die Berichte über deren Umsetzung zurück. Die Berichte aus den Gliederungen des FDGB wurden von der Abt. Organisation des BuV zu einer zentralen Information für den BuV komprimiert, wobei Besonderheiten etc. hervorgehoben wurden. Der BuV bzw. dessen Vors. informierte wiederum die SED-Führung.
Auf der unteren Ebene erfolgten die Anweisungen oft nur mündlich, z.T. verbunden mit dem ausdrücklichen Verbot, sie schriftlich weiterzugeben. Die Art und Weise der Erlangung und Ausübung einer Gewerkschaftsfunktion hat Franz Loeser (*1924), ehemals SED-Parteisekretär und 1983 aus der DDR in die USA geflohen, dargestellt; in seiner Schilderung tagt die Parteileitung (vgl. BPO) einer Sektion der Humboldt-Universität: „Der erste Tagesordnungspunkt: die bevorstehende Gewerkschaftswahl und der sozialist. Wettbewerb. Wohlgemerkt, es handelt sich um eine Sitzung der Partei und nicht der Gewerkschaft […] Als Parteisekretär leite ich die Sitzung. Ich mache einen Vorschlag, wer zum Vorsitzenden und wer in die Leitung der Gewerkschaftsgruppe zu wählen ist. Mein Vorschlag wird einstimmig angenommen. […] Als Parteisekretär habe ich den zu wählenden Gewerkschaftsvorsitzenden zur Parteileitungssitzung eingeladen. Ich erteile ihm die notwendigen Anweisungen für sein Verhalten bei der bevorstehenden Wahl. […] Auf der nächsten Gewerkschaftsversammlung werden er, wie auch die weiteren von der Parteileitung vorgeschlagenen Leitungsmitglieder, einstimmig gewählt. Turnusmäßig lade ich den Gewerkschaftsvorsitzenden zur Teilnahme an Parteileitungssitzungen ein. Dann hat er mir und der Parteileitung Rechenschaft über die Gewerkschaftsarbeit abzulegen.“


b) Kaderpolitik und personelle Verflechtung von SED und FDGB-Apparat

Bereits auf der 1. Parteikonferenz der SED Anfang 1949 wurde seitens der SED das Verhältnis zum FDGB klar geregelt: „Die Führung und Förderung der Gewerkschaften durch die Partei muss durch polit. und operative Anleitung der in den Gewerkschaften tätigen Genossen und in engstem Kontakt mit ihnen geschehen“ (Die nächsten Aufgaben der SED, 1949).
SED-Mitglieder waren nach dem SED-Statut einer „straffen Parteidisziplin“ unterworfen und ihre Loyalität galt zuerst der SED und erst nachrangig der Einrichtung bzw. Organisation, in der sie beruflich tätig waren. Jedes Parteimitglied war zu Ausführungen von Parteiaufträgen verpflichtet. Weiter bestimmte das SED-Statut, „auf allen Kongressen, Beratungen und in den wählbaren Organen […] der Massenorganisationen [also auch des FDGB; M.K.] mit mindestens drei Parteimitgliedern Parteigruppen“ zu bilden, um eine effektive Umsetzung der Parteibeschlüsse und die Durchsetzung der jeweiligen polit. Linie zu sichern. Diese Parteigruppen unterstanden den Parteileitungen der jeweiligen Ebene bzw. des Zuständigkeitsbereichs. Offiziell wurde diese enge Koppelung von SED und FDGB als beiderseitiger und schöpfer. Austauschprozess beschrieben und damit begründet, dass so „die wertvollen Erfahrungen der Werktätigen“ in die Entscheidungen, Maßnahmen und Beschlüsse der Partei einflössen. In der Tat gab es hier theoret. eine Möglichkeit für den FDGB, einen Einfluss auf die SED gelten zu machen bzw. als „Interessenvertretung“ der Mitglieder zu wirken. In der Praxis wurde sie kaum genutzt. Zudem waren die Instruktionen der SED stets verbindlich, evtl. Rückkopplungen seitens des FDGB dagegen stets nur unverbindliche Anregungen.
Die Kaderpolitik der SED war Mittel zum Ausbau und zur Sicherung ihrer Dominanz im gewerkschaftlichen Apparat auf personeller Ebene und ermöglichte neben der apparativen Außenlenkung auch eine Innenlenkung des FDGB. Die SED war im hauptamtlichen und ehrenamtlichen Apparat weit über den Anteil der SED-Mitglieder im FDGB hinaus vertreten.
Wichtigstes Instrument der Kaderpolitik der SED war das Nomenklatursystem, mit dem die SED die Besetzung aller Leitungspositionen kontrollierte, auch der im FDGB. Die formell vom FDGB-Kongress zu wählenden Mitglieder des Sekr. wie auch aller Leiter der Abteilungen des BuV gehörten zur Nomenklatur des ZK der SED, d.h. allein sie entschied, wer hier welche Funktion übernahm. Die ZV der Einzelgewerkschaften und die BV des FDGB gehörten zwar zur Nomenklatur des FDGB-BuV, waren aber darüber hinaus Teil der Nomenklatur des ZK der SED. Ein solche Parallelerfassung in den Nomenklaturen von SED und FDGB erfolgte auch auf den darunter liegenden Hierarchieebenen.
Von den Funktionären in den gewerkschaftlichen GO waren zuletzt fast 20% zugleich SED-Mitglieder, unter den Mitgliedern des BGL waren es bereits fast 40%. In den Kombinaten hatten ca. 98% der BGL-Vorsitzenden das SED-Parteibuch, unter den BGL-Vorsitzenden der anderen Betriebe immer noch ca. 47%, bei den AGL-Vorsitzenden ca. 56%. Die FDGB-Vorsitzenden aller Ebenen waren, sofern sie SED-Mitglieder waren, qua Amt kooptierte Mitglieder der SED-Leitung der gleichen Ebene. Sie gehörten damit sowohl zur Nomenklatur der SED als auch zu der des FDGB. Oberhalb der Betriebsebene waren alle Vorsitzenden der FDGB-Vorstände zugleich Mitglieder der SED-Sekr. der gleichen Ebene bzw. des betreffenden Zuständigkeitsbereichs.
Die Spitzengremien des FDGB waren zu fast 100% mit SED-Mitgliedern besetzt. So waren alle Vorsitzenden der 15 BV des FDGB zugleich SED-Mitglieder und Sekretariatsmitglieder der SED-Bezirksleitungen, ähnlich war es bei den Vorsitzenden der Kreisvorstände. Auch im relativ machtlosen BuV waren zuletzt von den Kandidaten und Mitgliedern 79,6% SED-Mitglieder, 20% parteilos und lediglich einer Mitglied der CDU (= 0,4%). Walter Ulbricht war von 1946 bis 1962 als faktisch erster Mann der SED Mitglied des FDGB-BuV. Die beiden langjährigen FDGB-Vorsitzenden waren zugleich Mitglieder des SED-Politbüros - Herbert Warnke von 1958 bis 1975 (seit 1953 Kand.) und Harry Tisch mit Übernahme des Vorsitzes bis 1989. Während Herbert Warnke neben seiner Partei- noch auf eine Gewerkschaftskarriere verweisen konnte, hatte Harry Tisch bis dahin keinerlei Funktion in der FDGB-Führung innegehabt, weder im Präs. noch im Sekr., nicht einmal im 200 Personen umfassenden BuV war er bis dahin vertreten gewesen. Als 1. Sekretär der SED-BL Rostock war er jedoch zugleich Mitglied es Rostocker BV des FDGB gewesen.
Aber auch die Nichtmitgliedschaft in der SED von FDGB-Funktionären ist kein Indiz für eine wie auch immer geartete Opposition oder auch nur Distanz desjenigen zur Politik der SED. Jedes Abweichen von der Parteilinie war mit Ausschluss bedroht. Seit den 40er Jahren wurde dies mit Begriffen wie „Sozialdemokratismus“, „Trotzkismus“, „Titoismus“, „Reformismus“, „Opportunismus“ oder „Nurgewerkschaftertum“ verdammt, wobei Deutungshoheit und Definitionsmacht allein bei der SED-Führung lagen.


c) Staatssicherheitsdienst als Instrument der SED

Die Kaderfrage galt als „Klassenfrage“ und die Einsetzung in leitende Funktionen des FDGB setze daher nicht nur eine Überprüfung durch die SED, sondern auch durch den Staatssicherheitsdienst voraus. Nach der zuletzt gültigen Richtlinie Nr. 1/82 zur Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen war es dem MfS vorbehalten, „im engen polit.-operativen Zusammenwirken“ mit der betroffenen Organisation zu prüfen, „ob die sozialist. Gesellschaft der betreffenden Person das für den vorgesehenen Einsatz bzw. für die zu erteilende Erlaubnis oder Genehmigung erforderliche Vertrauen entgegenbringen kann oder ob aus anderen sicherheitspolit. Gründen zum Schutz der Person und zur Verhinderung anderer Gefahren eine ablehnende Entscheidung erforderlich ist.“ Auf das sicherheitspolit. Denken und Handeln der jeweils zuständigen staatlichen Leiter bzw. Funktionäre gesellschaftlicher Organisationen, also auch des FDGB, sei in der Weise Einfluss zu nehmen, „dass sie die durch das MfS getroffenen Entscheidungen akzeptieren, sich mit diesen gegenüber den überprüften Personen identifizieren und sie als ihre eigenen Entscheidungen ausgeben.“ Im BuV war es Aufgabe der Kaderkommission, die so entstandenen kaderpolit. Entscheidungen als solche des FDGB auszugeben.
Darüber hinaus waren alle staatlichen Leiter und Funktionäre gesellschaftlicher Organisationen, also auch des FDGB, grundsätzlich zum „polit.-operativen Zusammenwirken mit dem MfS verpflichtet, was der SED eine weitere Möglichkeit zur Intervention in den FDGB und dessen Instrumentalisierung bot.


d) Rechtliche und rechtsähnliche Vorschriften

Die Arbeit des FDGB war aber nicht nur durch die Anleitungs- und Kontrollstrukturen im Parteiapparat der SED, deren Kaderpolitik und die personelle Verflechtung von FDGB und SED auf die Umsetzung der SED-Politik bzw. der entsprechenden Vorgaben festgelegt, sondern auch durch rechtliche und rechtsähnliche Vorschriften an die SED gebunden.
Zwar verlieh die Verfassung der DDR von 1968 dem FDGB Verfassungsrang indem sie ihm in Artikel 44 als einziger Massenorganisation eine umfassende Mitbestimmung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zuerkannte und für die Interessenvertretung aller Werktätigen das Monopol sicherte. Diese formale Aufwertung des FDGB sollte jedoch schon damals - es war die Zeit des Prager Frühlings bzw. von dessen Niederschlagung - nicht zu falschen Vorstellungen führen. Die 2. Theoret. Konferenz des FDGB-BuV stellte daher 1969 klar: „Es wäre jedoch falsch, die in der Verfassung fixierten Rechte der Gewerkschaften einseitig hervorzuheben, ohne die Grundsätze unserer Gesellschafts- und Staatsordnung in ihrer Gesamtheit zum Ausgangspunkt zu nehmen. Dadurch würden die Gewerkschaften aus dem gesellschaftlichen System des Sozialismus (vgl. Stellung im polit. System) herausgelöst, der imperialist. Ideologie vom >Pluralismus< Vorschub geleistet und die führende Rolle der SED in unserer Gesellschaft negiert.“ (Sozialist. Gesellschaftssystem, sozialist. Demokratie und Gewerkschaften, 1970)
Nach Artikel 1 der Verfassung der DDR von 1974 stand die DDR „unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxist. Partei“. Die Arbeiterklasse war zwar vor allem im FDGB organisiert, die SED betrachtete sich allerdings als „die höchste Form der gesellschaftlich-polit. Organisation der Arbeiterklasse“ und zugleich als die „führende Kraft der sozialist. Gesellschaft, aller Organisationen“, also auch des FDGB (Statut der SED, 1976). Das Programm der SED bildete daher auch den Rahmen für die Tätigkeit des FDGB: „Die Gewerkschaften sind die umfassendste Klassenorganisation der Arbeiterklasse. Sie sind Schulen des Sozialismus und der sozialist. Wirtschaftsführung. Sie tragen als Interessenvertretung der Werktätigen eine große Verantwortung für die allseitige Stärkung der sozialist. Gesellschaftsordnung und die stabile Entwicklung der sozialist. Wirtschaft.
Die sozialist. Demokratie in der Sphäre der materiellen Produktion gewinnt immer größeres Gewicht. Im Zusammenhang mit der Rolle der Arbeitskollektive in den sozialist. Betrieben (vgl. Betrieb als Sozialisationsinstanz) wächst die Verantwortung der Gewerkschaften. Im sozialist. Wettbewerb organisieren die Gewerkschaften die Mitglieder der Arbeitskollektive zum Kampf um hohe Leistungen bei der Erfüllung der volkswirtsch. Aufgaben. Durch ihre gesamte Tätigkeit festigen sie die sozialist. Einstellung zur Arbeit (vgl. sozialist. Bewusstsein). Einen hervorragenden Platz in der gewerkschaftlichen Interessenvertretung nimmt das Wirken für die ständige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen ein. Die Gewerkschaften haben einen bedeutenden Anteil an der Gestaltung und Verwirklichung der Sozialpolitik unserer Partei.“ (Programm der SED, 1976). Die führende Rolle der SED auch für die Gewerkschaften hatte der FDGB bereits in seiner Satzung von 1950 anerkannt. In der von 1982 bekräftigte er dieses Unterordnungsverhältnis unter die SED nochmals. Er stehe fest „zu ihrem Zentralkomitee und schließt die Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz eng um die Partei zusammen.“ (Satzung des FDGB, 1982)


III.   Wenig effektiver „Transmissionsriemen

Der FDGB war also auf vielfältige Weise eng an die SED gebunden und dieser unterworfen. Er wurde von der SED direkt und indirekt angeleitet und kontrolliert. Der FDGB seinerseits erkannte die „führende Rolle“ der SED vorbehaltlos in Theorie und Praxis an. Er war entsprechend marxist.-leninist. Ideologie bzw. sowj. Referenzmodell und organisiert nach dem Prinzip des sog. „demokrat. Zentralismusdie Massenorganisation für alle Werktätigen und funktional als solche „Transmissionsriemen“ der SED in die Gesellschaft, insbesondere in Wirtschaft und Arbeitswelt.
Er war im polit. System der DDR neben Parteiapparat und Staatsapparat ein wichtiges Instrument der SED-Herrschaft. Die Mandate des FDGB in den örtlichen und regionalen (Pseudo-)Parlamenten sowie dessen Volkskammerfraktion dienten nicht der Einbringung der Interessen der FDGB-Mitgliedschaft in die Legislative, sondern der zusätzlichen Sicherung der SED-Vormacht. Die gewerkschaftlichen Organisationen in den Betrieben (Grundorganisation, AGL und BGL) dienten weniger der betrieblichen Mitwirkung im Sinne von Belegschaft bzw. FDGB-Mitgliedern und deren Interessenvertretung, als der Umsetzung von SED-Beschlüssen in die betriebliche Praxis, d.h. v.a. der Ideologievermittlung und Erziehung, der Ideologie- und Verhaltenskontrolle, der Arbeitsmobilisierung sowie der Kaderbildung. Der FDGB betrieb keine eigenständige innerdeutsche (sog. Westarbeit) und internationale Arbeit, sondern war mit seinen Aktivitäten auch auf diesen Gebieten fest in die entsprechende Politik der SED eingebunden.
Das Ausmaß an apparativer Kontrolle und personeller Dominanz hatte jedoch nicht unbedingt und stets ein vergleichbares Ausmaß an Effektivität zum Ergebnis und konnte fehlende polit. Überzeugungskraft und Legitimation auf Dauer nicht ersetzen, führte vielmehr mangels offener Diskussion zu einem zunehmenden Realitätsverlust. Der SED-Apparat reagierte auf die immer wieder auftretenden Schwierigkeiten bei der Umsetzung der jeweils propagierten polit. Linie in die gewerkschaftliche und betriebliche Praxis mit verstärkten Propagandakampagnen, Schulungen der Mitglieder und Funktionäre (vgl. Schulungswesen), Versuchen der Optimierung der Organisation etc.
Während der gesamten Geschichte der SBZ/DDR, namentlich in den schweren Krisen der SED-Herrschaft um den Volksaufstand am 17. Juni 1953 und den Mauerbau am 13. August 1961, wie auch in den Systemkrisen im übrigen sowj. Machtbereich zeigte sich der FDGB stets als williges, wenn auch oft wenig effektives Werkzeug der SED. Durchaus vorhandene Ansätze zu Widerstand und Opposition gegen die völlige Unterwerfung des FDGB unter die SED waren, abgesehen von den ersten Nachkriegsjahren, qualitativ wie quantitativ stets nur von marginaler Bedeutung und wurden mittels Staatssicherheitsdienst und Säuberungen seitens der SED konsequent und zumeist unter den Slogans von „Nurgewerkschaftertum“, „Sozialdemokratismus“, Opportunismus oder „Revisionismus“ bekämpft. Auch im Prozess der friedlichen Revolution und Wiedervereinigung 1989/90 unternahm der FDGB zaghafte Schritte in Richtung mehr Eigenständigkeit gegenüber der SED erst, als deren Macht bereits offenkundig zur Ohnmacht wurde und der SED-Apparat als Anleitungs- und Kontrollinstanz ausfiel.

Michael Kubina

Vgl. das Verzeichnis der Anleitungseinrichtungen im ZK der SED


Lit.: G. Haas, Der FDGB 1954, 1954. - Ders., Der Gewerkschaftsapparat der SED. Organisation, Hauptaufgaben und politische Entwicklung der kommunistischen Pseudo-Gewerkschaft in der Sowjetzone, 1963. - Der FDGB. Erfüllungsgehilfe der SED, hg. vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 1964. -Sozialistisches Gesellschaftssystem, sozialistische Demokratie und Gewerkschaften. Materialien der 2. Theoretischen Konferenz des Bundesvorstandes des FDGB und der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften „Fritz Heckert“ vom 17. bis 19. Sept. 1969 in Bernau, 1970. - Berliner Gewerkschaftsgeschichte von 1945 bis 1950. FDGB, UGO, DGB, hg. vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Landesbezirk Berlin,1972. - Programm und Statut der SED vom 22. Mai 1976. Mit einem einleitenden Kommentar von K. W. Frick, 1976. - Zur Gewerkschaftspolitik der SED. Dokumente, hg. von der Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ beim Bundesvorstand des FDGB in Zusammenarbeit mit dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, 1986. - Geschichte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, hg. vom Bundesvorstand des FDGB, 1983. - F. Loeser, Die unglaubwürdige Gesellschaft. Quo vadis, DDR?, 1984. - Geschichte des FDGB. Chronik 1945-86, 1987. - U. Gill, Der FDGB. Theorie - Geschichte - Organisation - Funktionen - Kritik, 1989. - W. Eckelmann u.a. (Hg.), FDGB Intern. Innenansichten einer Massenorganisation der SED, 1990. H. Laude/M. Wilke, Die Pläne der Moskauer KPD-Führung für den Wiederaufbau der Gewerkschaften (K. Schroeder (Hg.), Geschichte und Transformation des SED-Staates. Beiträge und Analysen. Berlin, 1994). - P. Erler u.a. (Hg.), „Nach Hitler kommen wir“,1994. - H.-H. Hertle, Funktion und Bedeutung der Massenorganisationen in der DDR am Beispiel des FDGB (Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Bd. II/1, 1995). - D. Brunner, Der Wandel des FDGB zur kommunistischen Massenorganisation, 1996. - M. Kubina, Der Aufbau des zentralen Parteiapparates der KPD 1945-1946 (M. Wilke (Hg.), Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, 1998). - D. Brunner, Sozialdemokraten im FDGB. Von der Gewerkschaft zur Massenorganisation 1945 bis in die frühen 1950er Jahre, 2000. - S. Simsch, Blinde Ohnmacht. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund zwischen Diktatur und Gesellschaft in der DDR 1945 bis 1963, 2002. - H. Stadtland, Herrschaft nach Plan und Macht der Gewohnheit. Sozialgeschichte der Gewerkschaften in der SBZ/DDR 1945-1953, 2001. - H. Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949-1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster u.a. 2002. - H. Stadtland, „Avantgarde“, „Exekutive“, „Arbeitervertreter“? Gewerkschaftsfunktionäre im „Kaderstaat“ der DDR (T. Kössler/H. Stadtland (Hg.), Vom Funktionieren der Funktionäre. Politische Interessenvertretung und gesellschaftliche Integration in Deutschland nach 1933, 2004). - C. Vietzke, Konfrontation und Kooperation. Funktionäre und Arbeiter in Großbetrieben der DDR vor und nach dem Mauerbau, 2008.