FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Vorbereitender Gewerkschaftsausschuss für Groß-Berlin (1945-46). Unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen formierten sich in vielen Orten Deutschlands Gründungsgremien zum Wiederaufbau freier Gewerkschaften. Entspr. der Herkunft der Initiatoren aus den verschiedenen Richtungsgewerkschaften vor 1933 gab es inhaltlich abweichende Vorstellungen. Einmütigkeit bestand, dass die neuen Gewerkschaften starke Einheitsgewerkschaften werden sollten, die alle bisherigen Gewerkschaftsrichtungen umfassten. Dies waren als mit Abstand stärkste die sozialdemokrat. orientierten freien Gewerkschaften (ADGB, AfA-Bund, ADB) sowie die christlichen und Hirsch-Dunckerschen Verbände und die kommunist. RGO.
Bereits Anfang Mai 1945 verständigten sich ehem. führende sozialdemokrat. und christliche Gewerkschafter über den Aufbau von Einheitsgewerkschaften in ganz Deutschland, die die früheren Richtungsgewerkschaften (ohne Einbeziehung der kommunist. RGO) ersetzen sollten. Ein Antrag auf Zulassung wurde jedoch von der sowj. Besatzungsmacht nicht beantwortet.
Ende April, die Rote Armee stand kurz vor der Einnahme Berlins, wurden drei Einsatzgruppen deutscher Kommunisten aus der UdSSR nach Deutschland geschickt und den Polit. Hauptverwaltungen der einzelnen Fronten der Roten Armee zugeteilt. Die Gruppe um Walter Ulbricht kam nach Berlin. Anknüpfend an entspr. Exilplanungen der KPD beauftragte Ulbricht Roman Chwalek, sich in die Vorbereitungen für die Neugründung der Gewerkschaften einzuschalten. An den weiteren Gesprächen beteiligten sich Otto Brass, Bernhard Göring, Hermann Schlimme und Paul Ufermann für die freien Gewerkschaften, Jakob Kaiser für die christlichen und Ernst Lemmer für die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften sowie nun auch Chwalek, Hans Jendretzky, Ulbricht und Paul Walter für die RGO. Nach der Kontaktaufnahme zog Ulbricht, der mit Rückendeckung der sowj. Besatzungsmacht agieren konnte, die Verhandlungen an sich. Er legte den Versammelten einen Entwurf für einen Gründungsaufruf vor und setzte diesen in heftigen und kontrovers geführten Diskussionen durch.
Am 10.6.1945 lag mit dem Befehl Nr. 2 der SMAD, der die Gründung „antifaschist. Parteien“ und „freier Gewerkschaften“ unter Kontrolle der SMAD in der SBZ erlaubte, die rechtliche Voraussetzung für die Gründung einer Gewerkschaft vor. Der o.g. Kreis (ohne Ulbricht und Ufermann) konstituierte sich am 13.6.1945 als V.G.f.G.-B, am Abend lag der endgültige Text des Gründungsaufrufs vor. Am 14.6.1945 führte er seine erste offiz. Sitzung durch, am nächsten Tag wurde der Gründungsaufruf veröffentlicht, und am 17.6.1945 stellte ihn der Ausschuss auf einer Konferenz mit über 500 Gewerkschaftern vor.
In diesem offiz. Gründerkreis aus acht Personen standen vier Kommunisten (Brass wurde zwar als Sozialdemokrat geführt, hatte sich aber schon während der NS-Zeit den Kommunisten zugewandt) vier Vertretern der übrigen Gewerkschaften gegenüber. Durch den Widerstand gegen den NS hatten die Kommunisten Ansehen und Einfluss unter den Arbeitern zwar stärken können. Die Kräfteverteilung im Gründungsausschuss stellte das Kräfteverhältnis von vor 1933 allerdings geradezu auf den Kopf. Damals standen die Mitgliederzahlen von kommunist. RGO und nicht-kommunist. Gewerkschaften in einem Verhältnis von 1:20.
Die zum Teil rigide Durchsetzung ihres Führungsanspruchs stieß immer wieder auf heftigen Widerspruch der sozialdemokrat. Verbandsfunktionäre. Vom V.G.f.G.-B wurde sofort ein Organisationsplan für den Aufbau der Industrieverbände beschlossen und festgelegt, dass Chwalek die Sitzungen leiten und Brass als Alterspräsident den Vorsitz im Ausschuss führen sollte. Die personelle Hegemonie der Kommunisten im Ausschuss war so von Anfang an gesichert, während programmat. vieles im Ungewissen und weiteren Absprachen vorbehalten blieb. Ohne dem eigentlichen Ausschuss anzugehören, spielte Ulbricht weiter eine maßgebliche Rolle. Über den als Ausschuss für Arbeit und Sozialfürsorge getarnten gewerkschaftspolit. Anleitungsapparat im zentralen Parteiapparat der KPD nahm er immer wieder Einfluss auf die im Aufbau begriffenen Gewerkschaften. Er veranlasste Chwalek, ihm ohne Abstimmung mit dem Ausschuss auf einer Konferenz am 29.8.1945 in Halle und mit der anschließend als Druckschrift verbreiteten Rede die Möglichkeit zu geben, die über die vereinbarte Linie des Ausschusses hinausgehende kommunist. Gewerkschaftskonzeption zu propagieren. Dieser von Schlimme verurteilte Vertrauensbruch führte zu einer ernsthaften Krise im Ausschuss.
Von Berlin als Reichshauptstadt sollten nach den Vorstellungen führender Politiker und auch Gewerkschafter der Weimarer Republik die Impulse für den polit. Neuaufbau Deutschlands ausgehen. Eine Gründung in Berlin war daher auch von Beginn an als Ausgangspunkt für eine einheitliche deutsche Gewerkschaftsbewegung gedacht. In dieser Hinsicht deckten sich die Interessen mit denen der sowj. Besatzungsmacht, die sich dadurch Einflussmöglichkeiten auf die anderen Besatzungszonen erhoffte (vgl. Westarbeit). Wegen des Vetos der französ. Besatzungsmacht konnte die SMAD die Tätigkeit des Ausschusses aber nur für das Stadtgebiet von Berlin genehmigen. Daher bezeichnete sich der Ausschuss ab Juli 1945 als vorläufiger Ortsausschuss des FDGB Groß-Berlin, verstand sich aber weiter als provisor. Führungsorgan mit reichsweitem Anspruch. Der V.G.f.G.-B versuchte Verbindungen zu gewerkschaftlichen Gründungsausschüssen nicht nur in der SBZ, sondern auch in den westlichen Besatzungszonen zu knüpfen. Während er dabei mit den abweichenden (dezentralen) Auffassungen vom Gewerkschaftsaufbau bei den westlichen Besatzungsbehörden kollidierte und auf die Entwicklung dort kaum Einfluss erlangte, setzte er sich mit dem Berliner Gründungsaufruf und den damit verbundenen Berliner Organisationsrichtlinien in der SBZ - gefördert durch die SMAD - zunehmend gegen autonome und traditionsbedingt v.a. rein sozialdemokrat. Gründungen durch.
In Berlin konzentrierte sich der Organisationsaufbau auf die Bildung von Bezirksausschüssen des FDGB in den Verwaltungsbezirken und den Aufbau der 18 Verbände, für die in vielen Fällen in Berlin lebende Spitzenfunktionäre der ehem. freien Gewerkschaften gewonnen wurden. De facto entstand so ein zentraler Gewerkschaftsapparat, dessen Wirkung freilich auf die SBZ beschränkt blieb. Auch spätere Versuche, den Einfluss des FDGB auf die westlichen Besatzungszonen auszudehnen und dessen gewerkschaftspolit. Vorstellungen in den vom WGB geforderten gesamtdeutschen Gewerkschaftsbund einzubringen, führten zu keinem Erfolg. Die Interzonenkonferenzen der Gewerkschaften scheiterten 1948, weil der FDGB eine gemeinsame Resolution gegen die Blockade Berlins durch die sowj. Besatzungsmacht verhinderte.
Im Sept. 1945 sollte auf einer Stadtdelegiertenkonferenz der Berliner Ortsvorstand bestätigt werden. Die inzwischen eingerichtete Alliierte Kommandantur lehnte den Termin unter Hinweis auf Mängel in der Wahlvorbereitung ab. Daher kam es erst am 2./3.2.1946, unmittelbar vor dem Gründungskongress des FDGB für die SBZ, zur 1. Berliner Stadtkonferenz des FDGB Groß-Berlin.
Für das Gebiet der SBZ trieb der Berliner Ausschuss nach den Konstituierungen der Landesorganisationen des FDGB die Vorbereitungen für die Vereinigung zum FDGB für die SBZ voran. Auf einer Tagung mit Vertretern der Landesausschüsse am 21.11.1945 in Potsdam wurde eine zentrale Delegiertenkonferenz einberufen. Ein Organisationsausschuss sollte den Entwurf einer Plattform über Grundsätze und Aufgaben des FDGB sowie für eine vorläufige Satzung und Richtlinien für die Wahl der Delegierten ausarbeiten.
Der V.G.f.G.-B. war immer von einer Einbeziehung der Berliner Gewerkschaftsorganisation in den FDGB der SBZ ausgegangen. So wurden auch in Berlin Delegierte für den Gründungskongress gewählt. Die Alliierte Kommandantur für Groß-Berlin sprach sich jedoch angesichts des Viermächtestatus der Stadt, nach dem Berlin nicht Teil der SBZ war, gegen diese Einbeziehung aus. So erhielten die Berliner Delegierten auf dem I. FDGB-Kongress nur den Status von Gastdelegierten zugebilligt. Der FDGB Groß-Berlin blieb zunächst eine eigenständige Organisation.
K.K.