FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Funktionär. In modernen Industriegesellschaften übliche Bezeichnung für die Beauftragten von polit., wirtsch. oder sozialen Interessenverbänden.
Übertragen auf die DDR bezeichnet der Begriff F. die haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeiter der SED, der von ihr abhängigen Blockparteien, Massenorganisationen und anderen gesellschaftlichen Organisationen sowie der Staats- und Wirtschaftsverwaltung. Entsprechend dem Prinzip des demokrat. Zentralismus und den Grundsätzen kommunist. Kaderpolitik wurden die F. in der DDR fast durchgehend von der jeweils übergeordneten Leitung in ihre Ämter eingesetzt und nur selten, im ehrenamtlichen Bereich, durch ergebnisoffene Wahlen legitimiert (auf die nach dem Prinzip der Einzelleitung eingesetzten Staats- und Wirtschaftsfunktionäre traf das zum Beispiel ganz generell nicht zu). Als Selbstbezeichnung für die hauptamtlichen Kräfte üblicher als F. war deshalb auch die Bezeichnung „Kader“. Zu den generellen Aufgaben der F. zählte es, die Beschlüsse der Leitungsgremien umzusetzen, die zu diesem Zweck erforderliche Verwaltungs- und Organisationsarbeit zu leisten, zwischen den Leitungsgremien und den einfachen Mitgliedern zu vermitteln sowie die eigene Organisation nach außen zu repräsentieren.
Der FDGB als größte Massenorganisation der DDR verfügte über einen flächendeckenden Apparat, in dem zuletzt rund 16 000 hauptamtliche und mehrere hunderttausend ehrenamtliche F. tätig waren. Die SED-Kaderpolitik hatte innerhalb des FDGB sehr schnell zur Beseitigung früherer parteipolit. Traditionen (vgl. Richtungsgewerkschaft) und einer deutlichen Verjüngung des Funktionärskörpers geführt: Während ältere F., die ihre polit. Sozialisation noch in der Weimarer Republik erfahren und verinnerlicht hatten, schnell an den Rand gedrängt wurden, insbesondere wenn sie sich der Sozialdemokratie (vgl. Sozialdemokraten im FDGB und „Sozialdemokratismus“) verbunden fühlten und die neue marxist.-leninist. Gewerkschaftspolitik nicht mittragen wollten, stellten jüngere F., die ihre polit. Sozialisation erst in der Zeit des Nationalsozialismus erlebt hatten und infolge seines Scheiterns nach Kriegsende neue Orientierung suchten, also wesentlich stärker beeinflussbar waren, schon zu Beginn der 50er Jahre die Mehrheit der F. dar. Allein bei den Gewerkschaftswahlen von 1952/53 wurden 65% der F. zu Gunsten neuer und i.d.R. auch wesentlich jüngerer Kräfte ausgetauscht; in den Gremien unterhalb der Bezirksvorstände erhöhte sich dabei vor allem die Zahl der Parteilosen sowie - graduell - auch die der ehemaligen NSDAP-Mitglieder. Diese kaderpolit. gewollte Enttraditionalisierung und Verjüngung des FDGB-Funktionärskörpers war allerdings von einer anhaltend hohen Fluktuation begleitet, denn viele der neuen, Gewerkschaftsfunktionäre waren völlig unerfahren und konnten die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Erst in den 60er Jahren kam es allmählich zu einer gewissen Konsolidierung.
Neben der frühen Enttraditionalisierung und Verjüngung war die Entwicklung des FDGB-Funktionärskörpers durch eine Ausweitung zunächst der haupt- dann jedoch in noch viel stärkerem Maße der ehrenamtlichen Funktionen am unteren Ende der Hierarchie geprägt. Darin spiegelt sich eine kaderpolit. Strategie, die anfangs auf eine höhere Betreuungsdichte und stärkere Kontrolle (vgl. Ideologie- und Verhaltenskontrolle), in den 70er und 80er Jahren dann vor allem auf zusätzliche Mobilisierungseffekte (vgl. Arbeitsmobilisierung) und eine bessere soziale Integration (vgl. Betrieb als Sozialisationsinstanz) zielte. Mit dem Ansteigen der weiblichen Erwerbstätigkeit stieg zugleich der Anteil der Frauen an den ehrenamtlichen F. des FDGB. In den 60er Jahren, als sie bereits mehr als die Hälfte der Mitglieder des FDGB stellten, bekleideten Frauen nur 34% der Funktionen in den gewerkschaftlichen Grundorganisationen; im Verlauf der 70er Jahre stieg dieser Anteil jedoch auf rund 52% an, um bis zum Ende der DDR auf etwa gleich hohem Niveau zu verbleiben. Vor allem die soziale Zusammensetzung der Vertrauensleute veränderte sich dadurch stark: An die Stelle der „jungen Männer“ aus der Arbeiterschaft mit SED-Mitgliedschaft, die in den 50er Jahren bevorzugt in diese Funktion gewählt worden waren, traten immer häufiger parteilose Frauen mittleren Alters, die im Angestelltenverhältnis standen. Offensichtlich prädestinierte ihre geschlechtsspezif. Sozialisation sie besonders dafür, sich in einer fast einflusslosen Funktion mit geringem sozialen Prestige um den schwierigen sozialen Ausgleich im Alltag zu bemühen.
Auch die SED bemängelte von Zeit zu Zeit, dass sich die haupt- und ehrenamtlichen F. des FDGB immer mehr von der sozialen Basis entfernen würden und die Hinweise, Vorschläge und Kritiken der eigenen Mitglieder nicht ernst genug nähmen. Doch diese latenten Spannungen und Differenzen zwischen F. und einfachen Mitgliedern, die trotz der massiven Ausweitung der ehrenamtlichen Funktionen erkennbar blieb, waren kein Resultat individuellen Fehlverhaltens, wie von der SED suggeriert, sondern sie ergaben sich zwangsläufig aus der Doppelfunktion der polit. abhängigen Massenorganisationen, die einerseits Herrschaftsinstrumente der Parteien waren, gleichzeitig aber auch im marxist.-leninist. Sinne als Interessenvertretungen ihrer Mitglieder fungieren sollten - ein grundsätzliches strukturelles Problem, das auch durch eine noch so einfühlsame Arbeit der Vertrauensleute nicht gelöst werden konnte.
F.S.