FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Auszeichnungen.

Inhalt:

I.    Instrument der Arbeitsmobilisierung

II.   Auszeichnungsformen

III.  Auszeichnungen als symbol. Kapital?

       Literatur


I.    Instrument der Arbeitsmobilisierung

Als Massenorganisation der DDR hatte der FDGB das Recht, selbst A. zu stiften und zu verleihen. Darüber hinaus war er an der Vergabe- und Verleihungspraxis staatlicher und betrieblicher A. beteiligt. Generell wurden diese A. für "Verdienste beim Aufbau der entwickelten sozialist. Gesellschaft und bei der Stärkung der Arbeiterklasse" verliehen. Bereits 1952 beschloss der BuV durch A. die „Förderung und Pflege der Arbeitskräfte, die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Verbesserung der materiellen und kulturellen Lage der Arbeiter“ zu unterstützen. Außerdem wurden volkseigene und diesen gleichgestellte Betriebe verpflichtet, ausgezeichnete Werktätige besonders zu fördern und bei Qualifizierungsmaßnahmen und der Besetzung verantwortlicher Positionen zu berücksichtigen. Träger von Ehrentiteln sollten zudem bei der Wohnungszuweisung bevorzugt werden. Ehrungen wurden damit immer auch als Mittel zur Motivation der Werktätigen für die Teilnahme am sozialist. Wettbewerb eingesetzt. Unter Berufung auf das Prinzip der materiellen Interessiertheit sollten besonders die mit den A. verbundenen Prämien Anreize zu höheren Leistungen und damit zur Stärkung der Volkswirtschaft bieten. Im Gesetzbuch der Arbeit von 1961 wurden Organe der Staatsmacht sowie Betriebsleiter verpflichtet, durch A. sozialist. Arbeitsmoral und Arbeitsdisziplin zu fördern. Die Verleihung von A. sollte immer im Einverständnis mit den Gewerkschaftsleitungen sowie in öffentlicher und feierlicher Form durchgeführt werden. In diesem Sinne als Steuerungsinstrument für eine breite Anwendung verstanden, wurden im Verlauf der Geschichte der DDR immer mehr A. gestiftet sowie die Zahl der Verleihungen ständig erhöht. Dieser inflationäre Charakter der A. führte zu einem rapiden Ansehensverlust derselben auf der Seite der Geehrten und spiegelte gleichzeitig den Verlust der Glaubwürdigkeit des Staates sowie dessen gesellschaftlicher Organisationen wider. Dennoch gab es neben den v.a. im wirtschaftlichen Bereich gestifteten A. staatliche A., die aufgrund begrenzter Verleihungen und hoher Prämien auch weiterhin als Mittel der Distinktion, der positiven Abgrenzung dienten. Wie im Auszeichnungswesen der DDR generell üblich, wurden zunächst überwiegend A. der UdSSR übernommen bzw. bei Neustiftungen sich stark an diesen orientiert.


II.   Auszeichnungsformen

Zu den vom FDGB selbst verliehenen A. gehörten einerseits verschiedene Ehrungen für Leistungen in der Gewerkschaftsarbeit und andererseits A. für wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Leistungen. Die höchste Organisationsauszeichnung war die zur ersten Gruppe gehörende, 1955 gestiftete Fritz-Heckert-Medaille. Weitere A. zur Ehrung langer Mitgliedschaften oder besonderer gewerkschaftlicher Leistungen waren die Ehrennadel für langjährige Mitgliedschaft im FDGB, die Ehrennadel für 25-jährige Mitgliedschaft im FDGB und die Medaille für hervorragende Verdienste in der Gewerkschaftsarbeit. Außerdem wurden vom BuV die EhrentitelBeste Gewerkschaftsgruppe“ und „Bester Vertrauensmann“ verliehen. A. für „besonders verdiente FDGB-Mitglieder“ waren auch Ferienschecks, Schiffsreisen, z.B. mit dem UrlausbsschiffArkona“, oder Interhotel-Plätze (s.a. Feriendienst). Die Hermann-Duncker-Medaille wurde vom BuV für „Verdienste bei der klassenmäßigen Erziehung“ Jugendlicher, besonders junger Gewerkschaftsmitglieder und -funktionäre vergeben. Mit seinem Kunstpreis und Journalistenpreis dehnte der FDGB seine materielle und ideolog. Unterstützung auch auf andere gesellschaftliche Bereiche aus. Zu den vom FDGB für den Bereich der Volkswirtschaft vergebenen A. gehörte das 1972-75 im Zusammenhang zum Fünfjahrplan geführte Ehrenbuch des BuV. Andere A. dieses Bereichs wurden im Laufe der Zeit in staatliche A. umgewandelt. Dazu gehörten die Aktivistenauszeichnungen, die bereits seit der Verstaatlichung des EhrentitelsAktivist des Fünfjahrplans“ 1953 zu den rein staatlichen A. zählten.

Der neben den gewerkschaftlichen weitaus größere Teil der wirtschaftsbezogenen A. wurde vom Staat verliehen. An ihnen war der FDGB über ein in der jeweiligen Auszeichnungsordnung festgelegtes Vorschlagsrecht oder die Möglichkeit der Bestätigung von Auszeichnungsbedingungen oder Titelträgern beteiligt. Den höchsten Rang unter diesen A. hatten der EhrentitelHeld der Arbeit“, der zugleich die höchste A. für Werktätige war, sowie der Orden Banner der Arbeit, welcher neben Einzelpersonen auch an Kollektive verliehen wurde. Beide A. wurden durch den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR verliehen und waren mit hohen Prämien verbunden. Der Nationalpreis der DDR gehörte ebenfalls zu den hohen staatlichen A., für die der FDGB neben der Regierung, anderen gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen sowie anderen wichtigen Persönlichkeiten das Vorschlagsrecht inne hatte. Die übrigen staatlichen A. für den Bereich der Volkswirtschaft waren von niedrigerem Rang und wurden deutlich öfter vergeben. Zu diesen gehörte die große Gruppe der staatlichen EhrentitelVerdienter XY der DDR“ oder „Bester XY“, die jeweils für einzelne Berufsgruppen vergeben wurden. Auch für diese A. besaß u.a. der FDGB das Vorschlagsrecht. Neben den berufsbezogenen gab es Ehrentitel, die der Förderung einzelner Bewegungen galten, wie die Titel „Verdienter Erfinder“ und „Erfinderkollektiv“ dem Rationalisierungs- und Erfindungswesen oder der „Verdiente Aktivist“ der Aktivistenbewegung. Weitere staatliche A. für Aktivisten waren die zeitlich aufeinander folgenden Titel „Aktivist des Fünfjahrplans“, „Aktivist des Siebenjahrplans“ und „Aktivist der sozialist. Arbeit“. Seit Ende der 50er Jahre wurde die Propaganda für kollektive A. verstärkt. Ab 1959 galt diese den „Brigaden der sozialist. Arbeit“, die 1962 durch die „Kollektive der sozialist. Arbeit“ abgelöst wurden. Gemeinsam war beiden Initiativen neben der Fokussierung auf kollektiv erbrachte Leistungen die Einbeziehung fachlicher und polit.-ideolog. Qualifikation sowie kultureller und gesellschaftlicher Aktivitäten in den Wettbewerb, ausgedrückt durch die Losung: „Sozialist. arbeiten, lernen und leben!“ Das Ziel der sozialist. Erziehung der Werktätigen (s.a. Ideologievermittlung und Erziehung) sollte so einerseits durch gezielte Wettbewerbsverpflichtungen und andererseits durch die soziale Kontrolle durch das Kollektiv (s.a. Ideologie- und Verhaltenskontrolle) erreicht werden.
Neben Kollektiven konnten auch Betriebe staatliche A. erhalten. Die Wanderfahnen waren eine solche A. für die drei Ebenen Republik, Industrie- bzw. Wirtschaftszweig und örtlich geleitete Wirtschaft. Die Verantwortung für die staatl. A. lag beim Zentralen Auszeichnungsausschuss des Ministerrates. Dieser setzte sich aus Vertretern der Ministerien der einzelnen Wirtschaftsbereiche, einem Vertreter des FDGB-BuV sowie sechs vom BuV benannten Vertretern der IG/Gew. zusammen. Der Ausschuss überprüfte die eingereichten Vorschläge, entschied über Auszeichnungsvergaben, bzw. reichte die Vorschläge für höhere A. an den Ministerrat weiter und legte die Prämienhöhen fest. Die jährliche Anzahl der Verleihungen wurde vom Ausschuss vorgeschlagen und von der Regierung beschlossen.
Die BGL konnten dem Ausschuss gemeinsam mit den Wirtschaftsleitern Vorschläge für staatl. A. einreichen. In den Gewerkschaftsgruppen sollte über diese beraten werden. Neben Produktionsergebnissen zählten bei der Auswahl auch andere Faktoren, wie die Berücksichtigung von Frauen und Jugendlichen. Generell sollten Gewerkschafts- und Betriebsleitungen die Rolle von Multiplikatoren übernehmen und die Vorbildwirkung von Auszeichnungsträgern, z.B. durch organisierten Erfahrungsaustausch, verstärken.

Auch in Betrieben (s.a. Betrieb als Sozialisationsinstanz) und Kombinaten wurden A. als innerbetriebliche Form der Anerkennung gestiftet. Diese wurden an Werktätige etwa für langjährige Betriebszugehörigkeit, Leistungen in betrieblichen Wettbewerben, im betrieblichen Neuererwesen, beim Aufbau der Betriebe oder für beispielhafte Qualitätsarbeit verliehen. Auch die betrieblichen A. nahmen in ihrer Anzahl und der Häufigkeit der Verleihungen im Laufe der Zeit zu. Betriebsleitung und Gewerkschaftsleitung legten die Auszeichnungsordnungen fest und führten die Verleihungen durch. Weitere Aufgaben der BGL im betrieblichen Auszeichnungswesen waren die Verbreitung der Formen und Methoden betrieblicher Anerkennung, Anleitung der AGL und der Vertrauensleute, Organisation von Erfahrungsaustauschen nach dem Motto „Wie machen es unsere Besten?“ sowie die Kontrolle der Einhaltung der Auszeichnungsordnungen. Zu den weit verbreiteten A. gehörten die EhrentitelBestarbeiter“, „Bester Neuerer“, „Bester Meister“ oder „Brigade der ausgezeichneten Qualität“ und monatlich verliehene Wanderfahnen. Die ausgezeichneten Mitarbeiter wurden an Wandzeitungen, der Straße der Besten oder in Betriebszeitungen veröffentlicht und in Ehrenbücher und Ehrentafeln eingetragen. Zu den A. wurden oft auch Prämien gewährt, die aus den Betriebsprämienfonds finanziert wurden.


III.   Auszeichnungen als symbol. Kapital?

Im Rahmen soziolog. Theorien gibt es unterschiedliche Perspektiven zur Einordnung der gesellschaftlichen Bedeutung von A. Georg Simmel, der Ehre als Medium der Gemeinschaftung fasst, betont die Integrationsleistung von A. Für Max Weber ist Ehre dagegen ein „Faktor ständischer Schließungsprozesse“. Beide Motive, sowohl das der positiven als auch das der negativen Abgrenzung, finden sich in dem von Pierre Bourdieu entwickelten Konzept des symbol. Kapitals wieder. Bourdieu erweitert den Begriff des ökonom. Kapitals von Karl Marx um kulturelles, soziales und symbol. Kapital, um nutzengeleitetes Handeln und Statuspositionen von Individuen auch außerhalb des ökonom. Bereichs beschreiben zu können. Die einzelnen Kapitalarten sind dabei jeweils Medien sozialer Machtrelationen, mittels derer Ungleichheiten stabilisiert werden.
Die Differenzierung des Auszeichnungswesens der DDR nach höheren A., für die die Prinzipien des symbol. Kapitals zutreffend waren und niedrigeren, inflationären A., bei denen diese Prinzipien größtenteils außer Kraft gesetzt wurden (vgl. Hornbostel: 2002, 2003) lässt sich auch auf die von Staat, FDGB und Betrieben verliehenen A. im Bereich der Volkswirtschaft übertragen. Hauptmerkmal von symbol. Kapital ist dessen Transformierbarkeit in andere Kapitalarten. Dies funktioniert v.a. in meritokrat. Bereichen, wie dem hauptamtlichen Apparat des FDGB. Der Nutzen der Transformierbarkeit des symbol. Kapitals von A. ist hier immer zweiseitig. Für den Geehrten bedeutet eine A. immer Distinktionsgewinn und Vermehrung von Sozialkapital, z.B. mit positiven Auswirkungen auf die eigene Karriere, bzw. im Fall hoher Prämien auch die Vermehrung von ökonom. Kapital. Der Ehrende wiederum macht sich vor allem die Integrationsfunktion und identitätsstiftende Wirkung von A. zu nutze. Indem die Annahme von A. immer auch die Akzeptanz des Ehrenden voraussetzt, dient sie der Versicherung von Legitimation. Andererseits dienen A. der Propagierung von Werten. Dabei ist wiederum die Auswahl der Geehrten von Bedeutung, da diese eine Vorbildfunktion erfüllen sollen (vgl. Vogt: 1997). Hohe staatliche A., für die diese Prinzipien galten, waren der „Held der Arbeit“ oder der Banner der Arbeit.
Bei den anderen staatlichen, gewerkschaftlichen und betrieblichen A. im Bereich der Volkswirtschaft war dagegen die Konvertibilität des symbol. Kapitals begrenzt. Hier galten A. weniger als Instrument der Distinktion als der Arbeitsmobilisierung. Um möglichst breite Anreize zur Leistungssteigerung, zur Erfüllung von Planvorgaben und Arbeitsnormen zu schaffen, wurden daher einerseits ständig neue A. gestiftet und andererseits die Zahl der Verleihungen kontinuierlich erhöht. Hinzu kam eine zunehmend pauschalisierte Verleihungspraxis. Da die verschiedensten Formen der Ehrung möglichst viele Werktätige erreichen sollten, traten Kriterien der Leistungsbewertung immer mehr in den Hintergrund. Die zunehmende Entwertung wurde auch an qualitativ minderwertigeren Medaillen und Abzeichen deutlich. Massenhaft verliehene A. bedeuteten damit für den Geehrten weder positive Abgrenzung, noch Vermehrung von Sozialkapital. Der Nutzen von A. reduzierte sich oftmals auf materielle Besserstellung etwa durch Prämien, die jedoch eher den Status von z.T. kalkulierbaren Lohnzuschüssen hatten, oder durch eine bevorzugte Behandlung durch Betriebsleitung oder BGL etwa bei der Wohnungs- oder Ferienplatzvergabe oder der Arbeitsplatzausstattung, welche sich durch eine mögliche Leistungssteigerung wieder positiv auf den Lohn auswirken konnte. Die Bedeutung derartiger Zuwendungen darf vor dem Hintergrund einer Mangelwirtschaft sicher nicht unterschätzt werden. Da die inflationäre Entwertung der A. zugleich mit deren Ansehensverlust bei den Geehrten verbunden war, verminderten sich auch deren Integrations- und Legitimationsleistung für den Ehrenden. Auch die Propaganda von wettbewerbsspezif. Werten durch die Praxis der öffentlichen Verleihung und Bekanntgabe und durch organisierten Erfahrungsaustausch verfehlte unter diesen Bedingungen ihre Wirkung. Indem die Vergabe von Prämien oder auch die Förderung von beruflicher Qualifikation oder kulturellen Aktivitäten zumindest teilweise den Interessen der Werktätigen entsprachen, konnten Staat und FDGB durch ihre A. bestenfalls eine gleichgültige Akzeptanz seitens der Werktätigen erreichen. Die breite Anwendung von A. bedeutete immer zugleich die Aufhebung der für die Prinzipien des symbol. Kapitals nötigen Voraussetzungen. Der Versuch, die Mechanismen des symbol. Kapitals auf die Arbeitswelt auszuweiten, um damit eine Leistungssteigerung der Volkswirtschaft zu erreichen, schlug damit fehl.

Anke Wonneberger


Lit.: Handbuch des Gewerkschaftsfunktionärs, hg. vom BuV des FDGB, 1952. - Handbuch für den Gewerkschaftsfunktionär im Betrieb, hg. vom BuV des FDGB, 1955. - Handbuch für den Gewerkschaftsfunktionär, hg. vom BuV des FDGB, 1965. Handbuch für den Gewerkschaftsfunktionär, hg. vom BuV des FDGB, 1975. - F. Bartel, Auszeichnungen der Deutschen Demokratischen Republik von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1979. - G. Tautz, Orden, Preise und Medaillen. Staatliche Auszeichnungen der Deutschen Demokratischen Republik, 1980. - P. Bourdieu, Sozialer Sinn, 1987. - U. Gill, Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB): Theorie - Geschichte - Organisation - Funktionen - Kritik, 1989. - R. Henkel, Im Dienste der Staatspartei. Über Parteien und Organisationen der DDR, 1994. - K.-P. Merta, Bedeutung und Stellenwert des Auszeichnungswesens in der Gesellschaft der DDR, (D. Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag: Ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR, 1997). - L. Vogt, Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft, 1997. - T. Reichel, "Jugoslawische Verhältnisse"? Die "Brigaden der sozialistischen Arbeit" und die "Syndikalismus"-Affäre (1959-1962), (T. Lindenberger (Hg.), Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur, 1999). - R. Hürtgen, Die "vergessene" Demokratisierung, (Deutschland Archiv 1/2000). - B. Wolf, Sprache in der DDR. Ein Wörterbuch, 2000. - S. Hornbostel, Ehre oder Blechsegen? Das Auszeichnungswesen der DDR, (H. Best/R. Gebauer (Hg.), (Dys)funktionale Differenzierung? Rekrutierungsmuster und Karriereverläufe von DDR-Funktionseliten, 2002). - S. Hornbostel, Der Gütestempel - Auszeichnungen in der DDR, (H. Best/H. Mestrup (Hg.), Die Ersten und Zweiten Sekretäre der SED. Machtstrukturen und Herrschaftspraxis in den thüringischen Bezirken der DDR, 2003).