Zwangsmigrationen in Europa 1938-48
"Heim ins Reich"
In ganz Ost- und Südosteuropa gab es deutschsprachige Bevölkerungsgruppen, deren Vorfahren teilweise seit dem Mittelalter dort gesiedelt hatten. Das Ziel der Nationalsozialisten war es, diese sogenannten "Volksdeutschen" in einem ethnisch homogenen Deutschen Reich zusammen zu bringen – ein Schritt zur "Neuordnung Europas", aber auch der rassistischen NS-Eroberungs- und Lebensraumpolitik. Das Fernziel, wie es im "Generalplan Ost" (1941) formuliert wurde, war ein einheitlich deutsches Siedlungsgebiet bis zu einer Linie von der Krim bis Leningrad, wofür die Deportation oder Tötung von vielen Millionen Menschen ins Auge gefasst wurde.
Einerseits wurden deshalb ab 1938 einerseits Territorien annektiert (Österreich, Sudetenland) und später erobert. Andererseits sollten deutsche Minderheiten aus vielen Ländern "heim ins Reich" gebracht werden. Diese "Splitter des deutschen Volkstums" wurden als "nicht haltbar" (Hitler am 6. Oktober 1939) angesehen und sollten in geschlossen deutsch besiedelte Gebiete "zurückgeholt" werden.
Basis der Umsiedlungen waren zunächst Verträge. "Bevölkerungstausch" war bereits im Münchner Abkommen (1938) im Rahmen der Zerteilung der Tschechoslowakei vorgesehen, wobei für den britischen Premierminister Chamberlain der Vertrag von Lausanne über die Umsiedlung von Griechen und Türken ein Vorbild war. Mit vielen ost- und südosteuropäischen Staaten sowie Italien wurden Abkommen über Umsiedlungen abgeschlossen, wobei Deutschland gerade nach dem schnellen militärischen Sieg über Polen häufig die Bedingungen diktieren konnte. Auch im Hitler-Stalin-Pakt waren Bevölkerungsverschiebungen großen Ausmaßes vorgesehen.
Insgesamt waren über 900.000 "Volksdeutsche" von den Umsiedlungen betroffen. Der propagandistische Aufwand war gewaltig, ein spezialisierter bürokratischer Apparat wurde geschaffen, der vom "Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums", Heinrich Himmler, geleitet wurde. Anfangs waren die Betroffenen vor die Alternative gestellt, sich entweder für die deutsche Staatsangehörigkeit und damit für die Umsiedlung ins Deutsche Reich zu entscheiden oder aber in ihrer Heimat zu bleiben und damit ihr "Deutschtum" aufzugeben. Deswegen gab es beispielsweise unter den deutschen Südtirolern scharfe Auseinandersetzungen. Gerade nach Kriegsbeginn nahm der Zwang zur Umsiedlung immer weiter zu. Vor allem in den von Deutschland besetzten Gebieten wurden Umsiedlungsaktionen direkt von der deutschen Verwaltung durchgeführt.
Entgegen den Ankündigungen wurde allerdings nur eine Minderheit im Territorium des deutschen Reichs angesiedelt. Die meisten kamen in die dem Deutschen Reich angegliederten oder die eroberten Gebiete, insbesondere in den vormals polnischen "Warthegau", wo sie die "Eindeutschung" vorantreiben sollten. Häufig erhielten sie dort Häuser, Geschäfte oder Bauernhöfe von zuvor vertriebenen Polen, Tschechen oder deportierten Juden. So waren die "Heim ins Reich"-Umsiedlungen im Kern weniger ein "Rückzug" der deutscher Bevölkerungsgruppen aus Osteuropa, sondern bildeten einen Teil der aggressiven, expansiven Volkstumspolitik der Nationalsozialisten.
Viele der in Osteuropa Angesiedelten waren nach Kriegsende ein weiteres Mal von erzwungener Migration betroffen und wurden zu Flüchtlingen oder Vertriebenen.
Literaturhinweise
Diktierte Option : Die Umsiedlung der Deutsch-Balten aus Estland und Lettland 1939-1941 / Dokumentation zsgest. und eingel. von Dietrich A. Loeber. - 2. Aufl.. - Neumünster : Wachholtz, 1974. - 787 S. Bibliogr. S. 774-783
Signatur(en): A 33388
Umfassende Sammlung von Dokumenten zur Umsiedlung der Deutsch-Balten.
Stuhlpfarrer,
Karl
Umsiedlung Südtirol 1939-1940. - Wien [u. a.] : Löcker, 1985. - 931 S.
Bibliogr. S. 889-931. [in 2 Bdn]
ISBN 3-85409-973-0
Signatur(en): A 86-3300
Ausführliche Fallstudie zu den Umsiedlungen der Südtiroler.
Zu den Quellentexten
Literatur aus der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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