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Zwangsmigrationen in Europa 1938-48

Die NS-Bevölkerungs- und
Vernichtungspolitik für Osteuropa: Hitlers Rede im Reichstag (6. Oktober 1939)

 

Anders als in Hitlers geheimer Ansprache vom 23. August 1939 übt er in der hier in Ausschnitten wiedergegebenen Reichstagsrede größte Zurückhaltung bezüglich der wahren Absichten des NS-Eroberungskriegs in Osteuropa. Pläne für weitere Eroberungen werden als "Ausgeburt der erkrankten Marsphantasie" von Journalisten verhöhnt. Nur am Rande wird das Ziel der "Ordnung und Regelung des jüdischen Problems" erwähnt.

Kurz nach dem schnellen Sieg über die polnische Armee besteht ein Gutteil der Rede aus Prahlereien über die dabei vollbrachten Leistungen der deutschen Wehrmacht und Hitlers selbst. Wortreich wird der Friedenswillen Deutschlands beschworen und ein Angebot für eine Verständigung mit Großbritannien gemacht. Sehr wichtig ist zudem der Versuch, das plötzliche Bündnis mit der Sowjetunion, dem vormaligen Hauptfeind des Nationalsozialismus, zu rechtfertigen.

Positiv und als "wichtigste Aufgabe" dargestellt wird dabei ebenfalls die "neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse", die durch Umsiedlung von Minderheiten geschaffen werden und "wenigstens einen Teil der europäischen Konfliktstoffe beseitigen" soll.

Die Rede findet sich in Band 2, S. 1377-1393, von:

Hitler. Reden und Proklamationen 1932 - 1945 : kommentiert von einem Zeitgenossen / Max Domarus. - Neustadt a. d. Aisch : Schmidt
Signatur: AKO 17283

1. Triumph (1932 - 1938) - 1962. - VIII, 987 S.
2. Untergang (1939 - 1945) - 1963. - VIII S., S. 1001-2319

 

… Unter diesen Schlägen ist dieser Staat [Polen] nun in wenigen Wochen zerfallen und hinweggefegt worden. Eine der unsinnigsten Taten von Versailles ist damit beseitigt.

Wenn sich nun in diesem deutschen Vorgehen eine Interessengemeinschaft mit Rußland ergeben hat, so ist diese nicht nur in der Gleichartigkeit der Probleme begründet, die die beiden Staaten berühren, sondern auch in der Gleichartigkeit der Erkenntnisse, die sich in beiden Staaten über die Ausgestaltung der Beziehungen herausgebildet haben.

Ich habe schon in meiner Danziger Rede erklärt, daß Rußland nach Prinzipien organisiert ist, die verschieden sind von unseren deutschen. Allein, seit es sich ergab, daß Herr Stalin in diesen russisch-sowjetischen Prinzipien keinen Hinderungsgrund erblickte, mit Staaten anderer Auffassung freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, kann auch das nationalsozialistische Deutschland keine Veranlassung mehr sehen, etwa seinerseits einen anderen Maßstab anzulegen. Sowjetrußland ist Sowjetrußland, das nationalsozialistische Deutschland ist das nationalsozialistische Deutschland. Eines aber ist sicher: im selben Moment, in dem die beiden Staaten sich gegenseitig ihre verschiedenen Regime und deren Prinzipien respektieren, entfällt jeder Grund für irgendeine gegenseitige feindselige Haltung. …

Man hat seit vielen Jahren der deutschen Außenpolitik Ziele angedichtet, die höchstens der Phantasie eines Gymnasiasten entspringen könnten. In einem Augenblick, da Deutschland um die Konsolidierung eines Lebensraumes ringt, der nur wenige 100 000 qkm umfaßt, erklären unverschämte Zeitungsschreiber in Staaten, die selbst 40 Millionen qkm beherrschen, Deutschland strebe seinerseits in diesem Kampf nach der Weltherrschaft. Die deutsch-russischen Abmachungen müßten gerade für diese besorgten Advokaten der Weltfreiheit eine ungeheure Beruhigung darstellen, denn sie zeigen ihnen doch wohl in authentischer Weise, daß alle diese Behauptungen eines Strebens Deutschlands nach dem Ural, der Ukraine, Rumänien usw. nur eine Ausgeburt ihrer erkrankten Marsphantasie waren.

In einem allerdings ist der Entschluß Deutschlands ein unabänderlicher, nämlich: auch im Osten unseres Reiches friedliche stabile und damit tragbare Verhältnisse herbeizuführen. Und gerade hier decken sich die deutschen Interessen und Wünsche restlos mit denen Sowjetrußlands.

Die beiden Staaten sind entschlossen, es nicht zuzulassen, daß zwischen ihnen problematische Zustände entstehen, die den Keim von inneren Unruhen und damit auch äußeren Störungen in sich bergen und vielleicht das Verhältnis der beiden Großmächte zueinander irgendwie ungünstig tangieren könnten. Deutschland und Sowjetrußland haben daher eine klare Grenze der beiderseitigen Interessengebiete gezogen mit dem Entschluß, jeder auf seinem Teil für die Ruhe und Ordnung zu sorgen und alles zu verhindern, was dem anderen Partner einen Schaden zufügen könnte.

Die Ziele und Aufgaben, die sich aus dem Zerfall des polnischen Staates ergeben, sind dabei, soweit es sich um die deutsche Interessensphäre handelt, etwa folgende:

  1. Die Herstellung einer Reichsgrenze, die den historischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht wird.
  2. Die Befriedung des gesamten Gebietes im Sinne der Herstellung einer tragbaren Ruhe und Ordnung.
  3. Die absolute Gewährleistung der Sicherheit nicht nur des Reichsgebietes, sondern der gesamten Interessenzone.
  4. Die Neuordnung, der Neuaufbau des wirtschaftlichen Lebens, des Verkehrs und damit aber auch der kulturellen und zivilisatorischen Entwicklung.
  5. Als wichtigste Aufgabe aber: eine neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse, das heißt, eine Umsiedlung der Nationalitäten, so, daß sich am Abschluß der Entwicklung bessere Trennungslinien ergeben, als es heute der Fall ist.

In diesem Sinne aber handelt es sich nicht um ein Problem, das auf diesen Raum beschränkt ist, sondern um eine Aufgabe, die viel weiter hinausgreift. Denn der ganze Osten und Südosten Europas ist zum Teil mit nicht haltbaren Splittern des deutschen Volkstums gefüllt. Gerade in ihnen liegt ein Grund und eine Ursache fortgesetzter zwischenstaatlicher Störungen. Im Zeitalter des Nationalitätenprinzips und des Rassegedankens ist es utopisch, zu glauben, daß man diese Angehörigen eines hochwertigen Volkes ohne weiteres assimilieren könne.

Es gehört daher zu den Aufgaben einer weitschauenden Ordnung des europäischen Lebens, hier Umsiedlungen vorzunehmen, um auf diese Weise wenigstens einen Teil der europäischen Konfliktstoffe zu beseitigen. Deutschland und die Union der Sowjetrepubliken sind übereingekommen, sich hierbei gegenseitig zu unterstützen. Die deutsche Reichsregierung wird es dabei niemals zugeben, daß der entstehende polnische Reststaat irgendein störendes Element für das Reich selbst oder gar eine Quelle von Störungen zwischen dem Deutschen Reich und Sowjetrußland werden könnte. …

Welches sind nun die Ziele der Reichsregierung in bezug auf die Ordnung der Verhältnisse in dem Raum, der westlich der deutsch-sowjetrussischen Demarkationslinie als deutsche Einflußsphäre anerkannt ist?

  1. Die Schaffung einer Reichsgrenze, die – wie schon betont – den historischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Bedingungen entspricht.
  2. Die Ordnung des gesamten Lebensraumes nach Nationalitäten, d. h.: eine Lösung jener Minoritätenfragen, die nicht nur diesen Raum berühren, sondern die darüber hinaus fast alle süd- und südosteuropäischen Staaten betreffen.
  3. In diesem Zusammenhang: Der Versuch einer Ordnung und Regelung des jüdischen Problems.
  4. Der Neuaufbau des Verkehrs- und Wirtschaftslebens zum Nutzen aller in diesem Raum lebenden Menschen.
  5. Die Garantierung der Sicherheit dieses ganzen Gebietes und
  6. die Herstellung eines polnischen Staates, der in seinem Aufbau und in seiner Führung die Garantie bietet, daß weder ein neuer Brandherd gegen das Deutsche Reich entsteht, noch eine Intrigenzentrale gegen Deutschland und Rußland gebildet wird. …

 

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