SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN News for German Socialists in England | |
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Nr. 108 |
Februar 1948 |
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Rückblick auf die deutsche Innenpolitik
In einem Ueberblick über die wichtigsten Hauptmerkmale in der Entwicklung der innerdeutschen Geschehnisse des vergangenen Jahres gibt das Mitglied des sozialdemokratischen Parteivorstandes Fritz Heine einen Rückblick von Ereignissen, die zugleich für die künftige deutsche Entwicklung von größter Bedeutung sind[1]:
I.
Das Wichtigste ist der Uebergang vom Verwalten im Auftrage der Besatzungsmacht zum Regieren im Auftrag des eigenen Volkes, der begrenzt und zonal unterschiedlich begonnen hat. Die Voraussetzungen dazu wurden deutscherseits mit der Durchführung der letzten noch ausstehenden Gemeinde- und Länderwahlen geschaffen. Sie brachten die SPD mit 7.100.000 Landtagswahlstimmen an die Spitze (die Ostzone ausgenommen, die keine Vergleichsbasis zuläßt), dicht gefolgt von der CDU mit 6.900.000 Stimmen.
Die letzten eingesetzten Vertretungen und Regierungen wurden durch gewählte Organe abgelöst. Es gibt heute keine Gemeinde und kein Land mehr in Deutschland ohne gewählte parlamentarische Körperschaften. Alle Länderregierungen hängen - zumindest dem Buchstaben nach - vom Vertrauen ihrer Landtage ab. Regierungen und Volksvertretungen haben überall ihre Funktionen begonnen. Aufstellung und Beratung der Etats, wachsender Anteil an der Gesetzgebung, Uebertragung der Polizeigewalt und vor allem die Schaffung oder Vorbereitung der Verfassungen kennzeichnen den Weg, der zur vollen Uebernahme der Verantwortung und zum Frieden führen soll.
Keine Illusionen: Wir machen gerade die erste Schritte auf diesem Wege. Noch immer sind Befehle der Besatzungsbehörden oberstes Gesetz. Sie haben sich alle wichtigen Entscheidungen selbst vorbehalten. Sie haben die Macht. Und wir haben kein Rechtsmittel, sie an der Ausübung ihrer Macht zu hindern, wenn wir glauben, daß sie sie zu unserem Schaden ausnutzen oder ihre Differenzen auf unsere Kosten austragen.
Kein Volk kann ertragen, ewig mit kalten Füßen im Büßerhemd zu stehen. Darum haben die Sozialdemokraten in diesem Jahr - als erste - die Schaffung eines Besatzungsstatuts gefordert, das Rechte und Pflichten nicht nur der Deutschen, sondern auch der Besatzungsmächte festlegt. Und sie haben kurz vor Jahresschluß ihrer Forderung die praktischen Vorschläge für ein solches Statut folgen lassen.
II.
Zweites Hauptmerkmal der Innenpolitik 1947 sind die Maßnahmen zur Ueberwindung der Zonengrenzen, die mit dem Zusammenschluß zur Bizone ihren Anfang nahmen. Das Fehlschlagen der Konferenzen von Moskau und London hat die Hoffnungen auf baldige Wiederherstellung der Reichseinheit enttäuscht. Damit gewinnt eine von den Sozialdemokraten auf ihrem Nürnberger Parteitag vorgetragene These aktuellste Bedeutung, die Bizone ökonomisch so lebendig zu machen, "daß von ihr ein unwiderstehlicher Magnetismus auf andere Zonen ausgeht" und diese Anziehungskraft der erste Schritt zur Vereinigung aller Zonen wird.
Im Gegensatz zu den bloßen Deklamationen der Ostzonenpolitik sind in der Bizone praktische Maßnahmen für den Zusammenhalt Deutschlands und zugleich Voraussetzungen für das Wirksamwerden des Marshall-Plans auch bei uns geschaffen. Der
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Wirtschaftsrat wurde gebildet, die Zweizonenverwaltungen auf den wichtigsten Wirtschaftsgebieten eingerichtet und Vollmachten und Verantwortlichkeiten auf die in Bildung begriffenen zentraleren Instanzen verlegt. Zentrale Körperschaften mit ausreichenden Vollmachten zu haben war nie notwendiger als in diesem Jahr 1947, in dem die durch Ablieferungssabotage von Bauern und Behörden verstärkte Lebensmittelkrise Millionen von Deutschen besonders im Ruhrgebiet knapp am Verhungern vorbeiführte.
So richtig der erfolgte Schritt für die Aufhebung der Zonen im Prinzip auch ist - wir haben Grund genug zur Unzufriedenheit. Es ist nicht nur die Gängelei durch die alliierte Zweizonen-Verwaltung, die schnelle Entscheidungen praktisch verhindert. Es ist vor allem die dank der Entscheidung der beiden Besatzungsmächte zustandegekommene reaktionäre Mehrheit aus CDU, FDP usw. im Wirtschaftsrat. Sie hat einen erträglichen Kompromiß abgelehnt, alle Schlüsselpositionen für sich beansprucht und führt einen rücksichtslosen Kampf der Besitzverteidigung, dem dem Sozialdemokraten trotz ihrer Minderheitssituation in einer zähen Kampagne für die Interessen des Volkes zu begegnen suchen.
III.
Das besorgniserregendste Moment in der innerpolitischen Entwicklung sind die Separationsbestrebungen der Ostzonenherrscher und die Förderung des Partikularismus vor allem durch interessierte französische Kreise. Die Gefahr, daß die Russische Zone, das heißt Mitteldeutschland, dem russischen Orbit einverleibt würde, bestand seit der Unterdrückung der Ostzonen-Sozialdemokratie im April/Mai 1946.
Aber erst im Laufe dieses Jahres sind die vielfältigen Maßnahmen in Angriff genommen worden, die schließlich aus der Ostzone ein Gebilde schaffen sollen, das nichts mehr mit dem übrigen Deutschland gemein hat und sich den "Volksdemokratien" des Ostblocks gleichschaltet. Mit der Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Siegermächten hat diese Entwicklung an Tempo gewonnen und alle Gebiete des öffentlichen Lebens ergriffen.
Wirtschaftlich wurden in der Ostzone die größten staatskapitalistischen Monopolkonzerne Europas und ausländische "Konzessionen" wie zur Zeit des chinesischen Boxeraufstandes in Form der Sowjet-AG's geschaffen und die Wirtschaft praktisch auf den russischen Fünfjahresplan abgestellt. Sozialpolitisch wurde mit der Einführung der Zwangsarbeiterlager und der Stachanow-"Helden der Arbeit"[2] der Anschluß an russisch-asiatische Verhältnisse hergestellt und durch die Schaffung neuer parasitärer Klassen unterbaut. Verwaltungsmäßig ist durch die ohne deutsche Kontrolle direkt von der SMA[3] dirigierten 13 Zentralverwaltungen die Separation auf diesem Gebiet bereits vollzogen. Politisch ist die parlamentarische Demokratie und das Mehrheitssystem mittels "Antifa-Block"[4], Volkskongreß und Lahmlegung der gegnerischen Parteien abgeschafft und durch den totalitären Einparteistaatstyp des Ostblocks ersetzt.
Mühsam durch eine unehrliche Einheits-Propaganda getarnt, werden mit jedem Tage mehr neue Separations-Tatsachen im Ostzonen-Mitteldeutschland geschaffen.
Ihr Echo finden diese Zerstückelungsversuche durch die Bemühungen, auch noch eine Teilung Deutschlands in Süd und Nord herbeizuführen, an denen in- und ausländische Kräfte beteiligt sind. Die von der SPD bekämpfte wirtschaftliche Abtrennung des Saargebietes von Deutschland ist unter Druck der französischen Besatzungsbehörden 1947 vollzogen worden, separatistische Aktivitäten werden in vielen Teilen der Französischen Zone, besonders in der Pfalz, gefördert. Das am Heiligen Abend ausgesprochene Verbot der sozialdemokratischen "Freiheit"[5] und die Förderung separatistenfreundlicher CDU-Führer ist nur ein Symptom für die Rollenverteilung in diesem Kampf. Gleichzeitig waren im Laufe des Jahres führende CSU-CDU-Kräfte vor allem in Süddeutschland am Werk, partikularistische Lösungen vorzubereiten, bei denen sie bedenkenlos die Einheit Deutschlands zugunsten eines parteitaktischen Vorteils opfern. Als einzige große politische Kraft für die Reichseinheit erwies sich die SPD, die sich bei allen ihren Schritten davon leiten ließ, "Deutschland als eine ökonomische, nationale und staatsrechtliche Einheit" wieder herzustellen, wie ihr Vorsitzender, Dr. Kurt Schumacher, im Juli 1947 in Nürnberg feststellte.
IV.
Viertes und letztes Hauptmotiv der Innenpolitik dieses Jahres ist der Kampf um das Gesicht der kommenden deutschen Republik. Sie kann nur in der Auseinander-
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setzung zwischen den fortschrittlichen, also vorwiegend den sozialistischen Kräften auf der einen Seite und den rückschrittlichen, vorwiegend bürgerlichen Kräften auf der anderen Seite geschaffen werden. Die entscheidenden Punkte des Kampfes waren und sind die Verfassungen der Länder, die Bodenreform, die Sozialisierung und der Lastenausgleich. Die Verfassungskräfte in den Ländern sind mit Ausnahme der Britischen Zone entschieden, die Verfassungsgrundlagen Deutschlands stehen zur Diskussion, die Sozialdemokraten haben durch ihre 1947 beschlossenen Richtlinien zum Aufbau einer deutschen Republik als erste einen positiven entscheidenden Beitrag dazu geleistet. Um Bodenreform und Sozialisierung geht das Ringen seit Jahresanfang. Schleswig-Holstein mit seiner rein sozialdemokratischen Regierung hat als erstes deutsches Land ein fortschrittliches Bodenreformgesetz geschlossen, im Gegensatz zur Ostzonen-Gesetzgebung, die zu einer Kolchosenwirtschaft nach russischem Vorbild führt.
Von den Länderregierungen unter sozialdemokratischem Einfluß wird die Sozialisierung vorangetrieben. Vorlagen und erste Maßnahmen sind im Laufe des Jahres vor allem in Berlin, Hamburg und Hessen auf Betreiben der SPD erfolgt.
Der Lastenausgleich, der für die Zukunft Deutschlands entscheidendste innerpolitische Faktor, ist noch im Vorstadium des Kampfes. In allen diesen Auseinandersetzungen enthüllt sich das wahre Gesicht der Parteien, und keine christlich-demokratische Tarnung kann verhindern, daß hinter der Union die feste Hand der Reaktion sichtbar wird.
Die fortschrittlichen Kreise in Deutschland sind - unter Führung durch die Sozialdemokraten - während des Jahres 1947 im aufbauenden Angriff gewesen; mit sehr viel weniger Posaunenblasen, als von ihren Gegnern aufgewendet wurde, jedoch mit mehr Erfolg für das deutsche Volk.
Aber man soll sich nicht täuschen, die Hilfstruppen der reaktionären Gewalten sind Legion, und es sind durchaus nicht nur deutsche Kräfte, die ihre Reihen füllen. Ihre deutschen Legionäre stammen aus den altbekannten Lagern: aus Bürokratie und Diplomatie, aus Justiz und Besitz, aus Kreisen derer, die die Kirche für ihre schlechte Politik mißbrauchen - und aus den Kommunisten, die wieder die SPD bekämpfen und zum zweiten Male im Wahn leben, durch Faschismus und Krieg zur Macht zu kommen.
1947 war, stärker als die 20 Monate zuvor, ein Jahr der Enttrümmerung und des beginnenden Wiederaufbaus. Wir wissen heute, so schlimm es uns auch noch geht, daß wir den Mut zur Selbstbehauptung nicht verloren haben.
Innerpolitisch waren die Kräfte 1947 in der Balance. Das Jahr 1948, das zum entscheidenden Wahljahr werden kann, wird zeigen, ob wir Deutschen diesmal den rechten Weg zu finden wissen.
Die Vereinigung Deutscher Sozialdemokratie in Großbritannien
hielt am 30. Januar 1948 ihre Jahreshauptversammlung in London ab. Zunächst ehrte die Versammlung das Hinscheiden des sudetendeutschen Sozialdemokraten Robert Wiener[6], dem der Versammlungsleiter ehrende Worte des Andenkens und des Dankes widmete.
Als Gast sprach die Genossin Ella Kay[7], vor einigen Wochen von den Russen als Bezirksbürgermeister in Berlin Prenzlauer Berg abgesetzt, freundliche Begrüßungsworte und sicherte ein ausführliches Referat im Laufe ihres Englandaufenthaltes zu.
Genosse W. Sander gab in seinem Jahresbericht einen Ueberblick über die auf dem Gebiet der politischen Schulung und Information geleistete Arbeit und unterstrich die Bedeutung der praktischen Arbeit, die für die Arbeiterwohlfahrt, die Kriegsgefangenen und deren Angehörige in Deutschland und die zahlreichen sozialdemokratischen Gäste aus der Heimat geleistet wurde. Wir hatten das Glück, Gäste aus allen Schichten der Heimat persönlich kennen zu lernen, Frauen und Jugendliche, Erzieher, Juristen, Verwaltungsbeamte, Redakteure, Geschäftsführer, Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre. Der Redner unterstrich besonders die politische Bedeutung der im Geschäftsjahr erstandenen "British Aid for German Workers (Arbeiterwohlfahrt)" und richtete an alle Anwesenden einen eindringlichen Appell, im Geiste der Kameradschaft und der Verantwortung auch im neuen Jahre in der Vereinigung und der Arbeiterwohlfahrt mitzuarbeiten.
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P. Heide erstattete den Kassenbericht, dem zu entnehmen war, daß trotz der Verringerung der Mitgliederzahl die Gesamteinnahmen sich in der Höhe des Vorjahres gehalten haben. Einer Gesamteinnahme von £ 289.- stand eine Gesamtausgabe von £ 251.- gegenüber, so daß ein Kassenbestand von £ 38.- vorhanden ist. Die Hauptausgabeposten waren Saalmieten, Porto, Drucksachen und Vervielfältigungen, Aufwendungen für Gäste aus Deutschland und für Kriegsgefangenenfürsorge und Beiträge an den Parteivorstand. Gustav Sprewitz[8] berichtete über die beiden Kassenrevisionen und beantragte die Entlastung des Kassierers, die einstimmig erteilt wurde.
Für die Arbeiterwohlfahrt London erstattete die Vorsitzende Jenny Fließ den Bericht. Um die uns bisher verschlossenen Türen der britischen Arbeiterbewegung zu öffnen, haben wir bereits seit 1946 daran gearbeitet, englische Freunde zu Gründung eines Hilfskomitees für die Arbeiterwohlfahrt zu bewegen. Dies war keine leichte Arbeit, und es könnte viel über den Leidens- und Werdegang dieses nun doch gegründeten Komitee berichtet werden. Eine sehr schwere Arbeit liegt noch vor uns. Selbst der großen Organisation "SAVE EUROPE NOW" gelingt es nur schwer, wirklich in die Labour Party Wards, Trade Union Branches oder die Co-op Circles einzudringen und es bedarf deshalb der fleißigen Arbeit aller unserer Mitglieder, diese Aufgabe zu erreichen.
Gegenwärtig wird ein Appell in 10.000 Exemplaren individuell an die verschiedenen britischen Arbeiterorganisationen versendet. (Wir bringen den Wortlaut in deutscher Uebersetzung als besondere Abhandlung in dieser Nummer der SM und bitten unsere Freunde und Leser in den Ueberseeländern um Beachtung und Unterstützung unserer Arbeiten in Großbritannien.) In verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften werden gegenwärtig Auszüge aus dem Aufruf, eingesendete Briefe unter Hinweis auf das British Aid Committee usw. veröffentlicht, und wir sehen bereits die ersten Erfolge auf unseren Appell. Die Verteilung aller vom Komitee gesammelten Spenden soll ohne Ausnahme durch die Zentrale der Arbeiterwohlfahrt in Hannover erfolgen. Zum Schluß wurde über die Finanzen des AWA berichtet und Paul Heide erstattete den Revisionsbericht. Auch hier wurde dem Antrag des Revisoren auf Entlastung der Kassen- und Geschäftsführung einstimmig entsprochen.
In die Leitung der Vereinigung wurden gewählt: Wilhelm Sander (Vorsitzender), Paul Heide (Kassierer) und als Beisitzer: Heinz Fink, Gerhard Gleissberg, Hans Lewin, Lotte Olbricht[9], Karl Pringsheim, Dora Segall, Fritz Segall und Gustav Sprewitz.
In den Arbeiter-Wohlfahrts-Ausschuß London wurden gewählt: Jenny Fließ[10] (Vorsitzende), ferner Herbert George, Paul Heide, Wilhelm Sander, Berta Fryd, Lotte Olbricht, Dora Segall, Gerhard Gleissberg, Lotte Kohane[11], Wolfgang Nelki, Elke Rosenfeld und Nelly Janovsky.
Dr. Walter Menzel, der Innenminister vom Land Nordrhein-Westfalen, weilte einige Tage während des Monats Januar in London und konnte neben seiner Vortrags- und Besichtigungstätigkeit auch einige Besprechungen mit Funktionären der "London-Vertretung der SPD" durchführen.
Etwa 60 Besucher trafen Mitte Januar 1948 aus Deutschland ein, um bis zum 1. März an den Vortragskursen im Wilton Park Trainings Centre teilzunehmen. Unter ihnen befinden sich 20 deutsche Sozialdemokraten, darunter vier Frauen. Auch diesmal wurde sehr rasch mit einigen dieser Funktionäre der deutschen Arbeiterbewegung persönlicher Kontakt hergestellt, und fast alle waren am 5. Februar Gäste der Vereinigung Deutscher Sozialdemokraten in Großbritannien, um bei Kaffee und Kuchen einen persönlichen Kontakt mit den Londonern herzustellen. Am Abend nahmen sie an einer Versammlung der Vereinigung teil. Dr. Hugo Freund, früher Mitarbeiter des Hygiene Museums in Dresden, Bürgermeister und Ministerialrat, hielt einen Vortrag über "Sozialistische Gesundheitspolitik", den wir seiner aktuellen Bedeutung wegen als besondere Abhandlung in der vorliegenden Nummer der "SM" bringen.
In der Jahreshauptversammlung der Vereinigung am 30. Januar, überbrachte die Genossin Bezirksbürgermeister Ella Kay, Berlin, Prenzlauer Berg, die Grüße unserer
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Freunde aus Berlin. Auch Genosse Dr. Georg Eckert[12], Dozent an der Kant-Hochschule in Braunschweig, konnte als Gast begrüßt werden.
In einer späteren Versammlung werden Ella Kay und die Berliner Teilnehmer am Wilton-Park-Kursus, Gerhard Außner[13], Stadtverordneter und Mitglied des Berliner Parteivorstandes, Anna Kettner[14], Betriebsrätin bei Siemens, Gerhard Nürnberg[15], 2. Vorsitzender des Verbandes der öffentlichen Betriebe, und Genosse Peters[16] vom Wirtschaftsamt in Berlin-Wilmersdorf über die Verhältnisse in Berlin sprechen.
Am 29. Februar werden sich die Gäste aus Deutschland mit den Mitgliedern der Vereinigung Deutscher Sozialdemokraten und den sudetendeutschen Sozialdemokraten und befreundeten Kriegsgefangenen in den Räumen in Broadhurst Gardens gesellschaftlich zusammenfinden. Ein Pfannkuchenessen, Musik und Tanz sollen für gute Stimmung sorgen, und für viele unserer Freunde aus der Heimat werden dies die Abschiedsstunden von London werden. Teilnehmerkarten für 3 shilling sind bei allen Funktionären erhältlich und müssen (um einen Ueberblick wegen der Verpflegung zu erhalten) bis spätestens 26. Februar bezahlt sein.
Appell an die britische Arbeiterschaft
Das neu gegründete "British Aid for German Workers (Arbeiterwohlfahrt)" in London versendet gegenwärtig 10.000 Exemplare eines Aufrufes an die Ortsgruppen der Britischen Arbeiterorganisationen. Die deutsche Uebersetzung des Aufrufes lautet:
"Das englische Volk hat in beträchtlichem Umfang geholfen, die Not in Deutschland zu lindern, aber alles, was bis jetzt geschehen ist, hat kaum den äußeren Umfang des Problems berührt. Vor allem ist viel zu wenig getan worden, um den Kräften in Deutschland zu helfen, die einen echten moralischen Anspruch auf unsere Unterstützung haben, den deutschen Opfern der Nazis, die jetzt mit allen Kräften versuchen, ein friedliches, demokratisches und sozialistisches Deutschland aufzubauen.
In einem Land, in dem außer zerstörten Bauten, zerstörten Seelen und einer zertrümmerten Wirtschaft wenig mehr vorhanden ist, ist das eine unglaublich schwierige Aufgabe. Millionen von Flüchtlingen müssen sich mit der eingesessenen Bevölkerung in die vorhandenen Vorräte an Lebensmitteln und Kleidung teilen, die so unzulänglich sind, daß eine einigermaßen anständige Existenz vollkommen unmöglich ist.
Nach mehr als dreizehnjähriger Unterdrückung ist in Deutschland die Arbeiterwohlfahrt neu gegründet worden. Die Arbeiterwohlfahrt ist eine Wohlfahrtsorganisation zur Behebung von Notständen, besonders unter den Mitgliedern der Arbeiterbewegung. Ihre Hilfe ist nicht auf eine bestimmte politische Partei beschränkt, jedoch besteht zwischen ihrer Leitung und der sozialdemokratischen Bewegung eine enge Verbindung.
Wir in England können diese Organisation unterstützen durch:
1. Sammlung von gebrauchten Kleidungsstücken.
2. Organisation der individuellen Hilfe durch englische Freunde, die bereit sind, ein 8 lbs Paket mit rationierten Nahrungsmitteln nach Deutschland zu schicken. Dieses ist eine der wichtigsten Aufgaben, deren Wirkung weit über die materielle Hilfe hinausgeht. Ein hoher Beamter der Kontrollkommission erklärte: "Ein Lebensmittelpaket aus England erledigt wenigstens zwanzig Gerüchte."
3. Geldsammlungen, aus deren Ertrag Arzneimittel gekauft und versandt werden können und mit denen wir hoffen, auch die Ausgaben bestreiten zu können, um Kinder aus Deutschland nach England zu bringen.
Die Organisation arbeitet ausschließlich auf Basis freiwilliger Hilfsarbeit, so daß alles gesammelte Geld, mit Ausnahme der Druck- und Portokosten ausschließlich der Wohlfahrtsarbeit zugute kommt.
Kleider werden gesammelt, sortiert, instandgesetzt (gereinigt, falls notwendig), dann verpackt und nach Deutschland geschickt, wo die Arbeiterwohlfahrt für Verteilung nach Maßgabe der Bedürftigkeit Sorge trägt. Kleidung, Schuhe und Spielzeug bitten wir an folgende Adresse zu senden: British Aid for German Workers
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(Arbeiterwohlfahrt), c/o Davies, Turner & Co. Ltd., Bourne Street, Pimlico Road, London, S.W.1.
Mit Hilfe der Arbeiterwohlfahrt haben wir eine Liste von Personen zusammengestellt, die unsere Hilfe besonders dringend brauchen. Es handelt sich dabei um Leute, die durch die Nazis besonders gelitten haben und um solche, die jetzt Ihre Zeit voll und ganz dem Aufbau eines friedlichen und demokratischen Deutschland widmen und die deshalb keine Zeit über haben, hinter Tauschgeschäften etc. herzulaufen, um auf diese Weise zusätzliche Lebensmittel zu erwerben. Wir sind gern bereit, die Adressen solcher Personen Leuten in England zur Verfügung zu stellen, die für den Einzelfall oder von Zeit zu Zeit gewillt sind, ein kleines Paket zu schicken. Alle Einzelheiten über die Versandmethode legen wir den Adressen bei.
Geldsendungen erbitten wir an den Hon. Treasurer, Mr. E. Ashley Bramall, M.P., House of Commons, London, S.W.1.
Die Unterzeichner des Aufrufes sind:
Vorsitzender: Mr. Joe Reeves, M.P.; Vize-Vorsitzender: Mrs. Barbara Ayrton-Gould, J.P., M.P.; Kassierer: Mr. E. Ashley Bramall, M.P.; Sekretärin: Mrs. Jenny Fließ.
Mitglieder: Mr. Fenner Brockway, Mrs. Peggy Duff[17], Mrs. C. S. Ganley[18], J.P., M.P., Mr. G. Gleissberg, Mr. Victor Gollancz, Mr. George Hicks[19], C.B.E., M.P., Mr. Harry Hynd, J.P., M.P., Mr. Otto Kahn-Freund, Mrs. Lucy Middleton, M.P., Earl Russel[20], Mr. R. St. John Reade[21], Mrs. Dora Segall, Mr. R. R. Stokes, M.P., Mr. R. Willis[22].
Alle Briefe sollen an die ehrenamtliche Sekretärin gerichtet werden, deren Adresse die folgende ist: Mrs. Jenny Fließ, 33 Green Lane, London, N.W.4 . (England).
Sozialistische Gesundheitspolitik
Vortrag des Genossen Dr. Hugo Freund, gehalten in einer Versammlung der "Vereinigung Deutscher Sozialdemokraten für [!] Großbritannien" in London am 5. Februar 1948.
Es muß unser Bestreben sein, in der Partei zu einer selbständigen und einheitlichen Gesundheitspolitik zu gelangen. Ob sie sozialistisch sein wird und kann, hängt von vielen Faktoren ab; sicher aber auch davon, daß die Genossen sich über das Prinzip einer sozialistischen Gesundheitspolitik klar sind, daß sie seine Verwirklichung in anderen Ländern kennen, daß sie die Organisationsform finden, die die Anwendung des sozialistischen Prinzips auf die in Deutschland heute gegebenen Zustände ermöglicht.
Sozialismus ist Bedarfswirtschaft. Auch die Medizin hat ihren freien Markt, auf dem Heilmittel und Aerzte sich anbieten. Wenn zur Zeit des Erfurter Programms die Sozialisierung des Heilwesens gefordert wurde, so ergab sich das als eine selbstverständliche Folge der Anwendung des sozialistischen Prinzips auf jedes Gebiet. Wenn irgendwo dem Einzelnen nicht überlassen bleiben konnte zu tun, was ihm beliebte, dann sicher nicht im Bereich der Volksgesundheit. Heute erscheint die planmäßige Organisation des Gesundheitswesens nicht mehr allein als grundsätzliche Forderung der Sozialisten, sondern als Ergebnis der technischen Entwicklung.
Was ein Mensch zu seiner Gesundheit und Gesunderhaltung bedarf, wird in der Verfassung der Welt-Gesundheits-Organisation vom Jahre 1946 als fundamentales Menschenrecht proklamiert. Danach ist Gesundheit ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht einfach das Nichtvorhandensein von Krankheit und Schwäche. - Welche Maßnahmen sind nötig, um diese Forderung zu verwirklichen? Wir haben in der Medizin eine neuartige Situation. Die medizinische Technik hat fundamentale Entdeckungen gemacht und ihre Anwendung ist gleichbedeutend geworden mit sozialen Hygiene. Der zweite Fortschritt liegt in der erfolgreichen Einführung der Planungstechnik in der Medizin. Es ist
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gelungen, eine Reihe von Epidemien und Infektionskrankheiten außer Wirkung zu setzen. Die lebensgefährlichen Folgen operativer Eingriffe und Verletzungen sind auf ein Minimum herabgesetzt. Die venerischen Krankheiten können in einer sehr verkürzten Zeit geheilt werden. Die letzte Cholera-Epidemie, die in Aegypten im vergangenen Jahr eine außerordentlich bedrohte Ausbreitung nahm, ist durch schnell ausgeführte Massenimpfungen innerhalb von zwei Monaten zum Erlöschen gebracht worden.
Neben dieser sozialen Medizin, die sich aus dem wissenschaftlichen Fortschritt selbst ergibt, ist die bisherige soziale Hygiene, sowohl in der Form der Versicherung, der Gesundheitsfürsorge wie auch durch die Entwicklung des Anstaltswesens und freiwilliger Bildungen der Gruppen-Medizin, zu einer sozialen Technik weiterentwickelt worden, die dem Gesundheitspolitiker zur Regulierung der medizinischen Bedarfswirtschaft ein recht vollkommenes Instrument in die Hand gibt. Mit den neuen Mitteln der medizinischen Wissenschaft, der sozialen Hygiene und der Planungstechnik ausgerüstet, kann der Gesundheitspolitiker von der bloßen Regulierung der medizinischen Bedarfswirtschaft zur bewußten Steigerung des Bedarfs im Sinne der Charter der Welt-Gesundheits-Organisation übergehen. Es ist keine Utopie mehr, einen Plan zur Beseitigung der Volkskrankheiten zu entwerfen.
Wenn man die Ergebnisse dieser allgemeinen Betrachtung mit der gegenwärtigen Situation in Deutschland in Beziehung setzt, ergeben sich zwei Fragen:
1. Wie kann der deutsche Gesundheitspolitiker zu den Mitteln der medizinischen Planung gelangen und 2. Wie hat planende Gesundheitswirtschaft vorzugehen, wenn sie vor die Tatsachen und Probleme einer zusammengebrochenen Gesundheitsverwaltung und einer zusammenbrechenden Volksgesundheit gestellt wird?
Es muß der Versuch gemacht werden, diese Fragen zu klären und von da aus die Aufgaben des Gesundheitswesens planmäßig in Angriff zu nehmen. Ich sehe dazu folgende Möglichkeiten:
1. Solange keine zentrale Gesundheitsverwaltung in Deutschland existiert, müssen die gesundheitspolitischen Berufe und Fachausschüsse der Partei und Gewerkschaften sich um eine einheitliche Gesundheitspolitik bemühen. Daß dies im sozialistischen Sinne geschieht, ist eine Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei.
2. In irgendeinem Distrikt, einem Lande oder einem möglichst gemischten Siedlungsgebiet kann ein Planungs-Versuch unternommen werden. Ein solches Modell könnte für die medizinische Planung überhaupt vorbildlich werden.
3. Planmäßiges vorgehen kann aber auch auf einem speziellen gesundheitspolitischen Gebiet versucht werden. Es ist denkbar, daß eine besonders bedrohliche Situation, die von einer Volkskrankheit ausgeht, dazu zwingt. Ich glaube, daß die Zunahme der Tuberkulose in Deutschland nicht nur die biologischen Wurzeln der Volksgesundheit bedroht, sondern auch die wirtschaftliche Wiederherstellung so in Frage stellen kann, daß eine rasche soziale Operation zur Rettung der Situation notwendig wird. Das Internationale Rote Kreuz schätzt nach einem Bericht vom August 1947 die Zunahme der Tuberkulose für das gesamtdeutsche Gebiet auf 400 Prozent. Für die Britische Zone wird eine Verzehnfachung angenommen. Auch wenn man nicht über exakte statistische Grundlagen verfügt, weiß man, daß alle Voraussetzungen - Unterernährung, Wohnungsnot, Abnahme der Widerstandskraft - gegeben sind, die wir als Quellen der Tuberkulose kennen. Der Mangel an Isolierungsmöglichkeit der infektiösen Fälle muß in kurzer Zeit zu einer Massenausbreitung führen. Man wird weder die notwendigen diagnostischen Mittel, noch die notwendigen Isolierungs- und Behandlungsmaßnahmen ohne ausländische und internationale Hilfe beschaffen können. Aber die Initiative dafür liegt bei der deutschen Gesundheitspolitik. Man muß den hilfsbereiten ausländischen Organisationen einen wohlbegründeten Aktionsplan vorlegen können. Bringen deutsche Gesundheitspolitiker dies auf dem Gebiete der Tuberkulosebekämpfung zustande, dann wird ihr Planungswille und ihre Planungsfähigkeit auch auf anderen Gebieten sich entfalten.
Die drei Vorschläge, die ich zur Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Gesundheitsverwaltung gemacht habe, können, wenn sie kombiniert werden, die Grundlagen für ein sozialdemokratisches Aktionsprogramm in der Gesundheitspolitik bilden.
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Jahresrückblick auf die Bizone
Am 2. Dezember 1946 unterzeichneten die Außenminister der Vereinigten Staaten und Großbritanniens ein Abkommen über die wirtschaftliche Vereinigung der Amerikanischen und Britischen Besatzungszone Deutschlands. Eine Verlautbarung über dieses Abkommen, das der sowjetischen und französichen Regierung den Beitritt offenläßt, wurde am 3. Dezember 1946 veröffentlicht. Nachstehend wichtige Daten aus der Entwicklung der bizonalen Verwaltung im Jahre 1947:
J a n u a r 1. Das Verwaltungsamt für Wirtschaft in Minden übernimmt die Zweizonen Wirtschaftsverwaltung. 7. General McNarney[23] erklärt, es sei nicht beabsichtigt, eine Zweizonen Hauptstadt zu schaffen. Beide Zonen würden nicht eher zu einer politischen Einheit zusammengefaßt, bis sich erwiesen habe, daß eine Einheit Deutschlands auf Viermächtebasis vollständig unmöglich sei. 13. Es ist bisher kein russischer Vorschlag zur weiteren Zonenvereinigung bekanntgeworden, erklären britische Kreise in Berlin. 15. Zweizonen-Wirtschaftsamt unterzeichnet ersten Exportvertrag über 15.000 Tonnen Bauxit für Norwegen. 17. Der Potsdamer Industrieplan kann weder von britischer noch von amerikanischer Seite als verbindlich angesehen werden, solange die deutsche Wirtschaftseinheit nicht besteht, erklärt ein hoher britischer Offizier in Berlin.
18. Sprecher der amerikanischen, britischen und sowjetischen Militärregierung vertreten zum Abschluß der ersten internationalen Handelstagung in Minden die Ansicht, daß der Begriff Interzonenhandel durch die Bezeichnung "deutscher Binnenhandel" ersetzt werden muß. 21. Erste Interzonenverhandlungen zwischen der wirtschaftlich vereinigten Amerikanisch-Britischen und Französischen Zone über einen Warenaustausch von 66 Millionen Mark im ersten Viertel des Jahres. 25. In der 98. Zuteilungsperiode werden die Lebensmittelsätze in der Amerikanischen und Britischen Zone einander angeglichen. 29. Handelsbesprechungen zwischen Vertretern der wirtschaftlich vereinigten Amerikanisch-Britischen Zone und der tschechoslowakischen Regierung.
4. Ein Abkommen zwischen der amerikanischen und britischen Regierung bringt Erleichterungen für den deutschen Export. 11. Die amerikanische und britische Militärregierung geben durch Clay und Robertson Gesetze zur Entflechtung von Kartellen bekannt. 17. Ministerpräsidenten der Amerikanischen und Britischen Zone beschließen in Wiesbaden ein wirtschaftliches Sofortprogramm. 25. Der Alliierte Kontrollrat erläßt das Gesetz Nr. 46 zur Auflösung Preußens. |
damer Konferenz mißachtet und die wirtschaftliche Gesundung Deutschlands verhindert.
4. Als sechste Zweizonen-Instanz soll ein Zweizonen-Verwaltungsrat gegründet werden. 6. Das Verwaltungsamt für Post- und Fernmeldewesen nimmt seine Arbeit in Frankfurt auf. 10. Die Arbeitsminister der Amerikanischen und Britischen Zone stellen in Bad Orb fest, daß die Arbeitsleistung in den beiden Westzonen infolge der Unterernährung durchschnittlich nur 40 v. H. der Normalleistung beträgt.
17. Oberst Hester[25] von der US-Militärregierung erklärt, daß der tiefste Punkt in der Ernährungslage der Amerikanischen und Britischen Zone überwunden sei. 29. Die Militärregierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens schließen ein Abkommen über die Errichtung eines Wirtschaftsrates für die Amerikanische und Britische Zone.
25. Konstituierende Sitzung des Wirtschaftsrates. Von den 54 Abgeordneten des Rates stellen: Nordrhein-Westfalen 16, Niedersachsen 9, Schleswig-Holstein 4, Hamburg 2, Bayern 12, Württemberg-Baden 5, Hessen 5 und Bremen 1 Abgeordneten. CDU und CSU sind mit 21, die SPD mit 20, FDP, LDP und DVP mit 5, KP mit 3, Zentrum mit 2, NLP mit 2 und WAV mit 1 Mitglied vertreten. Zum Präsidenten des Wirtschaftsrates wird Dr. Erich Köhler[26] ernannt. Der Rat setzt acht Ausschüsse ein (Hauptausschuß, Rechtsausschuß, Ernährungsausschuß, Wirtschaftsausschuß, Finanzausschuß, Postausschuß, Verkehrsausschuß und Arbeitsausschuß).
1. Zwischen dem amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebiet mit Ausnahme des Saargebietes wird der Postsparkassendienst aufgenommen. 4. Amerikanische und britische Stellen lehnen den Antrag ab, eine deutsche Walfangflotte zu genehmigen. 24. Für die Direktorenposten werden fünf der CDU/CSU angehörende oder nahestehende Vertreter gewählt, nachdem sich die SP in die Opposition zurückgezogen hatte, weil ihr die bürgerliche Mehrheit die Weiterführung der Wirtschaftsverwaltung verweigerte. Die Direktoren sind: Dr. Johannes Semler[27] (Wirtschaft), Dr. Schlange-Schöningen[28] (Ernährung), Dr. Otto Schniewind[29] (Finanzen), Dr. Eugen Fischer[30] (Verkehr) und Hans Schubert[31] (Post).
4. Der Finanzberater General Clays, Jack Bennot[32], erklärt, daß eine Währungsreform auf zweizonaler Basis nicht in Frage kommt. 11. Der Alliierte Kontrollrat kann keine Einigung über eine deutsche Währungsreform erzielen. |
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Britische und amerikanische Vertreter erklären vor dem Alliierten Kontrollrat, daß sie keine neuen Reparationslisten aufstellen wollen, bevor die Höhe des Industriepotentials in der Amerikanischen und Britischen Zone feststeht. 14. Robertson erklärt in Berlin, daß eine Finanzreform für die beiden Westzonen unabhängig vom übrigen Deutschland nicht beabsichtigt sei, außer "wenn man uns dazu zwingt".
29. Clay und Sir Sholto Douglas[33] veröffentlichen in Berlin den neuen Industrieplan für das amerikanisch-britische Besatzungsgebiet. Der Plan sieht für die beiden Zonen eine jährliche Rohstahlerzeugung von 10,7 Millionen Tonnen vor. Der Industrieplan vom März 1946 gestattete ganz Deutschland eine Stahlkapazität von 7,5 Millionen Tonnen.
29., 30. Fünfte Vollversammlung des Wirtschaftsrates. Der Rat nimmt Gesetze zur Sicherung der Kartoffel- und Fleischversorgung an. 30. Der Finanzausschuß im Wirtschaftsrat beschließt, daß bei einer kommenden Währungsreform Sachwertbesitz aller Art grundsätzlich in gleicher Weise behandelt werden soll wie der Besitz von Geld und Guthaben.
3. Der Wirtschaftsrat beschließt ein Kraftfahrzeugmißbrauchgesetz. 10. Die auf Veranlassung des Wirtschaftsrates gebildete Sonderstelle Geld und Kredit nimmt ihre Arbeit auf. Sie soll alle Vorarbeiten für die Beseitigung des Geldüberflusses, für die Währungsreform, die Finanzreform und den Besitz- und Lastenausgleich treffen. 11. Sechste Vollversammlung des Wirtschaftsrates. Der Rat gibt sich den Namen "Wirtschaftsrat für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet (amerikanisches und britisches Besatzungsgebiet Deutschlands)".
16. Robertson und Hays[34] geben in Berlin die Demontageliste für die Doppelzone bekannt, sie enthält 681 Werke. |
22. Die Regierungschefs der acht Länder der Doppelzonen nehmen eine Entschließung zur Demontage an. Sie stellen fest, daß die Demontage ein einseitiger Akt der Militärregierung ist, bei dem keine deutschen Stellen mitgewirkt haben.
29. Siebente Vollversammlung des Wirtschaftsrates. Der Rat beschließt gegen drei Stimmen der LDP und KP, die Folgen der Demontage durch eine Reihe von Gesetzen zu mindern. 30. Dr. Semler berichtet dem Wirtschaftsrat über großzügige Kleiderlieferungen aus amerikanischen Heeresbeständen und den USA für die Bevölkerung der Doppelzonen.
19. Mit der Uebernahme der Ruhrkohlenverwaltung in deutsche Hände wird eine deutsche Bergbauleitung unter Heinrich Kost[35] und eine britisch-amerikanische Kontrollgruppe unter der Leitung von Mr. Collins[36] und Mr. Estill[37] gegründet. 21. Achte Vollversammlung des Wirtschaftsrates. 23. Die Verkehrsminister der Doppelzone beschäftigen sich in Stuttgart mit einer einheitlichen Verkehrsverwaltung und dem einheitlichen Aufbau der Straßenverkehrsbehörden in den Ländern der Doppelzone.
2. General Hays stellt fest, daß die Demontageliste endgültig sei. 4. General McReady[38] erklärt, daß keine Konkurrenzgründe beim Aufstellen des Demontageplanes mitgespielt haben.
11. Mr. Newman[39], Direktor der Militärregierung für Hessen, kündigt für die Zeit nach der Londoner Konferenz eine Wirtschaftsbelebung für Deutschland an, "wie sie seit Kriegsende noch nicht anzutreffen war". 18. 9. Sitzung des Wirtschaftsrates beschließt gegen Stimmen der Kommunisten Resolution, welche Ausgang der Londoner Konferenz bedauert und Einheit Deutschlands weiterhin anstrebt. Antrag zur Geldreform angenommen, Bewirtschaftungsnotgesetz und Milcherfassungsgesetz verabschiedet. Der Fall Dr. Semler vorm Wirtschaftsrat.[40] ( "DPD", Hamburg, 17. Dezember 1947.) |
Europäische Verhandlungen zum Marshall-Plan
5.6.1947: Rede des amerikanischen Außenministers Marshall. Er kündigt den europäischen Ländern die Unterstützung der Vereinigten Staaten beim wirtschaftlichen Aufbau an. 12.6.1947: Marshall erklärt, daß er bei seinem Vorschlag Großbritannien und die Sowjetunion einbeziehe. 13.6.1947: Außenminister Bevin bezeichnet die Vorschläge Marshalls als einen der größten Pläne der Weltgeschichte. - Die französische Regierung legt Vorschläge zur Bildung technischer Ausschüsse vor. |
14.6.1947: Das britische Außenamt gibt bekannt, daß Bevin die Initiative ergreifen und zu Besprechungen nach Paris reisen werde. - Die britische und französische Regierung fragen bei der Sowjetunion an, ob sie zu einem Meinungsaustausch bereit sei. 15.6.1947: Der Generalrat der Vereinten Nationen begrüßt den Marshall-Plan. 16.6.1947: Das Organ der Kommunistischen Partei der Sowjetunion bezeichnet die Vorschläge Marshalls als eine Wiederholung des Truman-Plans. |
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17.6.1947: Bevin trifft in Paris ein. Der britische Botschafter in Moskau weist Molotow auf die Dringlichkeit einer europäischen Zusammenarbeit hin. 18.6.1947: Frankreich und Großbritannien laden die sowjetische Regierung zu einer Drei-Mächte-Außenministerkonferenz ein. 19.6.1947: TASS kritisiert die Haltung Bevins und Didaults. - Der amerikanische Unterstaatssekretär Clayton[41] betont, die Vereinigten Staaten würden die Teilnahme der Sowjetunion begrüßen. 20.6.1947: Außenminister Molotow ersucht Großbritannien und Frankreich um nähere Informationen. - Bevin erklärt, daß die Beratungen kein Uebergehen der Vereinten Nationen bedeuten. 22.6.1947: Präsident Truman ernennt drei Ausschüsse zur Prüfung des amerikanischen Ausland-Hilfe-Programms. - Resolution des Komitees für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas in der Schweiz: Der Marshall-Plan soll zum ersten Schritt bei der Errichtung einer sozialistischen Föderation der europäischen Staaten werden. 23.6.1947: Die Sowjetunion nimmt die Einladung zu Dreierbesprechungen an. 24.6.1947: Der polnische Botschafter in Washington informiert die amerikanische Regierung, daß Polen dem Marshall-Plan bejahend gegenüberstehe. 25.6.1947: Der amerikanische Unterstaatssekretär Clayton gibt in London Erläuterungen zum Marshall-Plan. 26.6.1947: Präsident Truman gibt sein Einverständnis mit dem Marshall-Plan bekannt. 27.6.1947: Beginn der Geheimbesprechungen in Paris. Bidault erläutert die französischen Vorschläge. Auf britische Anregung hin nehmen keine amerikanischen Beobachter teil. 28.6.1947: Molotow verlangt genauere Angaben über die zu erwartende amerikanische Hilfe. 29.6.1947: Ein Eingehen auf das Marshall-Angebot bedeute, erklärt TASS, eine Bedrohung der Souveränität der einzelnen europäischen Länder. 30.6.1947: Bevin erklärt, man müsse entscheiden, ob und in in welcher Form man die erforderliche Organisation für die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Programms errichten könne und schlägt vor, Unterausschüsse zu bilden. - Bidault begrüßt die britischen Vorschläge. - Molotow erklärt, die britische und die französische Delegation hätten geäußert, die Vorschläge müßten so angenommen werden, wie sie vorgebracht wurden, andernfalls sei keine Hilfe von den Vereinigten Staaten zu erwarten, und fragt, ob sie noch weitere Informationen über die Absichten der Vereinigten Staaten hätten. Die Vorschläge würden praktisch eine Einmischung der drei Mächte in die Wirtschaftsangelegenheiten anderer Nationen und eine Bevormundung der kleineren Länder bedeuten. - Bevin antwortet, daß ihm über die Absichten der Vereinigten Staaten nicht mehr bekannt sei als Molotow. Er halte es aber für wesentlich, daß ein übergeordneter Ausschuß die Gesamtproduktion Europas und ihre Verteilung festlege. - Molotow schlägt vor, verschiedene europäische Länder aufzufordern, ihren Bedarf bekanntzugeben. Die Idee eines umfassenden europäischen Wirtschaftsplans bezeichnet er als unannehmbar. 1.7.1947: Bidault unterbreitet einen neuen Entwurf der französischen Vorschläge. - Molotow erbittet Bedenkzeit. - Bevin fordert Molotow auf, eine endgültige Antwort zu geben. - Bidault stimmt zu und erklärt, es sei |
unerläßlich, eine europäische Organisation zu gründen. - Molotow unterbreitet Gegenvorschläge. 2.7.1947: Molotow lehnt die britisch-französischen Vorschläge ab. - Bidault versucht, die Verhandlungen wieder in Fluß zu bringen. - Bevin drückt sein Bedauern über Molotows Drohungen aus. - Ende der Dreierbesprechungen. - Molotow verläßt Paris. - Clayton erklärt, man könne, selbst wenn einige Staaten abseits blieben, zu einer Einigung kommen. 3.7.1947: Die britische und französische Regierung laden alle europäischen Länder außer der Sowjetunion, Deutschland und Spanien, zur Teilnahme an einer Konferenz ein. Eine Abschrift der Einladung wird dem sowjetischen Botschafter in Paris übergeben. - Gemeinsame Erklärung Bevins und Bidaults über die Dringlichkeit der Aufstellung eines Programms zur Mobilisierung der europäischen Hilfsquellen und zur Feststellung des Hilfebedarfs der europäischen Länder. 4.7.1947: In der französischen Nationalversammlung erklärt der kommunistische Abgeordnete Duclos[42], Frankreich unterstütze im Marshall-Plan eine Politik, deren Grundbedingung in der Wiedergesundung Deutschlands liege. Bevin warnt die Sowjetunion, in der Provokation nicht zu weit zu gehen. 7.7.1947: Italien, Griechenland, Türkei, Belgien, Island und Eire geben Annahme-Erklärungen ab. - Ein Sprecher des polnischen Außenamtes erklärt, die polnische Regierung studiere die Einladung. - Das offizielle ungarische Telegrafenbüro erklärt, die Regierung habe großes Interesse, für Ungarn werde es aber sehr schwer sein, eine von den anderen ehemaligen Feindstaaten Südosteuropas abweichende Haltung einzunehmen. - Der sowjetische Vertreter gibt vor dem Wirtschaftsausschuß für Europa eine scharfe Erklärung gegen den Marshall-Plan ab. 8.7.1947: Die österreichische Regierung nimmt die Einladung an. - Die tschechoslowakische Regierung kündigt die bevorstehende Annahme der Einladung an. - Zusammenkunft von Vertretern der skandinavischen Länder zur Beratung über die Teilnahme an der Pariser Konferenz. - TASS meldet, daß die polnische, rumänische und jugoslawische Regierung die Einladung nach Paris abgelehnt haben. 9.7.1947: Die bulgarische Regierung lehnt die Einladung ab. 10.7.1947: Die tschechoslowakische Regierung nimmt ihre Zusage während des Besuchs des tschechoslowakischen Ministerpräsidenten in Moskau zurück. Die finnische und ungarische Regierung lehnen die Einladung ab. - Die dänische, norwegische und schwedische Regierung sagen zu. 11.7.1947: Zum erstenmal wird in der Sowjetunion von einem Molotow-Plan berichtet, der durch ein System von gegenseitigen Handelsverträgen ein Gegenstück zum Marshall-Plan bilden soll. - Die rumänische Regierung lehnt die Teilnahme an der Pariser Konferenz ab. Die finnische Regierung erklärt, sie müsse die Einladung ablehnen, da die politische Lage Finnlands noch nicht genügend gefestigt sei. 12.7.1947: Eröffnung der Pariser Konferenz. Die folgenden 16 Nationen nehmen teil: Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Dänemark, Norwegen, Schweden, Eire, Oesterreich, Italien, Griechenland, Portugal, die Schweiz, Island und die Türkei. - Außenminister Bevin wird einstimmig zum Vorsitzenden gewählt. Die Konferenz beschließt, sofort einen aus allen Delegationen zusammengesetzten Arbeitsausschuß zu bilden. |
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13.7.1947: Der Arbeitsausschuß schlägt der Vollversammlung seinen Bericht vor, in dem die Bildung eines Komitees zur Zusammenarbeit (Committee of European Economic Cooperation - CEEC) empfohlen wird, daß die Bestandsaufnahmen der Hilfsquellen und gegenseitigen Unterstützungsmöglichkeiten in den 16 Ländern leiten soll. 15.7.1947: Der Außenminister Spaak[43] erklärt im Namen der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs, die 16 Nationen hätten eine zweifache Aufgabe: einen kurzfristigen Hilfsplan auszuarbeiten und einen langfristigen Plan zu entwickeln, um die Zusammenarbeit untereinander zu fördern. 16.7.1947: Dem CEEC wird vom Arbeitsausschuß der Entwurf für einen Fragebogen vorgelegt, der an alle 16 Länder gesandt werden soll. Es sollen drei Fragen beantwortet werden: 1. Was jedes einzelne Land getan habe oder zu tun beabsichtige, um die durch den Krieg verursachten Schwierigkeiten durch eigene Anstrengungen zu überwinden; 2. welche Hilfe jedes Land anderen Ländern gegeben habe oder geben könne; 3. welches Mindestmaß an Hilfe für den Wiederaufbau von außereuropäischer Seite erforderlich sei. 17.7.1947: Der niederländische Delegierte schlägt vor, bei den Besprechungen über die Produktionssteigerung in Europa Deutschland mit einzuschließen. 19.7.1947: Der Entwurf für den Fragebogen wird durch das CEEC gebilligt. 22.7.1947: Das CEEC beschließt die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und anderen staatlichen Wirtschaftsorganisationen. - Der Wirtschaftsrat in Frankfurt erbietet sich, deutsche Fachleute zu den Besprechungen nach Paris zu entsenden. - Die vier kommunistischen Abgeordneten stimmen gegen diese Erklärung. 24.7.1947: Das CEEC beschließt, die Fragebogen an die Teilnehmerländer zu senden. 26.7.1947: TASS erklärt, daß die Vereinigten Staaten beabsichtigen, die drei skandinavischen Länder unter Führung der Vereinigten Staaten zu einem sowjetfeindlichen politischen und militärischen Block zu formen. 28.7.1947: Der Kongreß der Vereinigten Staaten beendigt seine Sitzungsperiode, ohne die erwartete Sondersitzung anzuberaumen. 29.7.1947: Das CEEC billigt einstimmig den Vorschlag, den vier Oberbefehlshabern der Besatzungszonen in Deutschland denselben Fragebogen zuzuschicken, den die 16 Teilnehmerländer auszufüllen haben. 30.7.1947: Der von Präsident Truman gebildete "beratende Ausschuß" erläutert die einzelnen Stadien der Formulierung des Marshall-Planes. 1.8.1947: Auf Antrag der Benelux wird ein Ausschuß gebildet, der die Frage der Vereinheitlichung des europäischen Währungswesens unter Hinzuziehung der Organisation des Internationalen Währungsfonds studieren soll. - Die Benelux-Staaten treten für eine baldige Wiederbelebung der deutschen Industrie ein. 4.8.1947: Besprechungen zwischen Unterstaatssekretär Clayton, Botschafter Caffery[44], Boschafter Douglas[45] und dem Berater der amerikanischen Militärregierung in Deutschland, Murphy[46], über die Hilfsmaßnahmen, um die Zeit bis zum Inkrafttreten des Marshall-Plans zu überbrücken. 5.8.1947: Die an die 16 Nationen gesandten Fragebogen liegen dem CEEC ausgefüllt vor, |
desgleichen auch der Fragebogen für die Französische Besatzungszone in Deutschland. - Die "Prawda" schreibt, die langfristigen politischen Ziele des Marshall-Plans seien die Bildung eines westlichen Blocks unter amerikanischer Führung. 6.8.1947: Die Fragebogen der Britisch-Amerikanischen Besatzungszone gehen beantwortet bei der Konferenz ein. 7.8.1947: Der sowjetische Botschafter in Paris erklärt, die Sowjetunion lehne die Beantwortung des Fragebogens für die Sowjetische Besatzungszone in Deutschland ab. 13.8.1947: Der Exekutivausschuß befaßt sich mit einem von der französischen Regierung eingebrachten Vorschlag einer Zollunion der 16 Teilnehmerstaaten. 15.8.1947: Der britische Delegierte erklärt, die notwendigen Verhandlungen zur späteren Bildung einer allgemeinen Zollunion würden mehrere Jahre dauern, Die Konferenz könne also den Vereinigten Staaten höchstens mitteilen, daß sich zwei oder mehrere Länder verpflichtet haben, nach einer bestimmten Anzahl von Jahren eine Zollunion zu bilden. Großbritannien habe besondere Schwierigkeiten und könne sich in den nächsten Wochen nicht irgendwelchen bindenden Verpflichtungen unterwerfen. 16.8.1947: Zusammentritt der von der Konferenz gebildeten Arbeitsgruppe für Deutschland. 17.8.1947: Der Präsident des Internationalen Währungsfonds trifft in Paris ein. 18.8.1947: Der italienische Abgeordnete erklärt, die Zollunion müsse auch Länder heranziehen, die auf der jetzigen Konferenz nicht vertreten seien. Der niederländische Delegierte erklärt, die beste Grundlage für eine Zollunion sei wirtschaftliche Verknüpfung. - Ein Arbeitsausschuß mit dem Ziel der Schaffung eines internationalen Hochspannungsnetzes wird gebildet. 27.8.1947: Schweden und Norwegen erklären, daß sie sich zunächst nicht an einer Gruppe zur Erörterung der europäischen Zollunion beteiligen werden. - Eine Konferenz der Außenminister Schwedens, Norwegens, Islands und Dänemarks stellt fest, daß die Frage einer westeuropäischen Zollunion innerhalb der Vereinten Nationen behandelt werden solle. 29.8.1947: Der in Paris weilende Staatssekretär für Wirtschaftsangelegenheiten, Clayton, erhält einen vertraulichen Bericht aus Washington. - Präsident Truman spricht die Hoffnung aus, daß der Marshall-Plan die UNRRA-Hilfe ersetzen werde. 2.9.1947: Die von den amerikanischen Sachverständigen gemachten Vorschläge werden bekanntgegeben. - Der Bericht des Ausschusses für Zahlungsausgleich enthält eine Erklärung über die Absicht aller anwesenden europäischen Länder, den freien Devisenverkehr untereinander einzuführen, wenn gewisse "grundlegende Vorbedingungen" erfüllt sind. - Der Bericht des Sonder-Ausschusses für Freihandel und Zollunion empfiehlt die Bildung regionaler Zollunionen mit allmählicher Ausschaltung der Schranken und lehnt Einfuhrbeschränkungen ab. 3.9.1947: Der Ausschuß für Energiewirtschaft und Brennstoffe sieht in seinem Bericht für die nächsten vier Jahre eine über den Vorkriegsstand hinausgehende Produktionssteigerung für Kohle und Elektrizität vor. Bei der Oelproduktion soll vor allem eine Erweiterung der Raffineriekapazität Europas angestrebt werden. 4.9.1947: Der Bericht des Transport-Ausschusses sieht einen scharfen Rückgang im Bedarf der ausländischen Tonnage vor allem |
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aus den Vereinigten Staaten vor, wenngleich der Bedarf an Tankertonnage steigen werde. 5.9.1947: Der Exekutivausschuß billigt die Summe von 21 Milliarden Dollar als Mindestforderung für die amerikanische Hilfeleistung. - Der Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft schätzt, daß der Nahrungsmittelverbrauch je Person in den Teilnehmerländern und in Westdeutschland im Jahre 1951 immer noch unter dem Stand der Jahre 1934 bis 1938 liegen werde. 9.9.1947: Ein Sprecher des CEEC erklärt, die benötigten Einfuhren würden einen Kredit von 35,2 Milliarden Dollar erfordern, durch Ausfuhren der europäischen Länder auf 21 Milliarden Dollar herabgesetzt. 10.9.1947: Außenminister Marshall erklärt, daß keine Vollmacht für die Durchführung der Hilfeleistungen ohne eine Sondersitzung des amerikanischen Kongresses zu erhalten sei. Er erwarte die Entscheidung Präsident Trumans. - Clayton, Caffery und Douglas erklären, daß die Summe von 21 Milliarden Dollar zu hoch sei und bemängeln, daß im Entwurf des Schlußberichtes ausreichende Beweise und Informationen über die künftige Zusammenarbeit der europäischen Nationen fehlten. 11.9.1947: Der Berichtsentwurf mit dem Datum vom 8. September 1947 wird veröffentlicht. Er schätzt das Defizit in der Bilanz des Zahlungsausgleichs der teilnehmenden Länder mit den Vereinigten Staaten für 1948 auf 8.049 Millionen Dollar, für 1949 auf 6.350 Millionen Dollar, für 1950 auf 4.650 Millionen Dollar und für 1951 auf 3.450 Millionen Dollar. Diese fortschreitende Ermäßigung des Defizits hänge von Faktoren ab, die nicht dem Einfluß der betreffenden Länder unterstehen. Der Bericht betont die Abhängigkeit einer wirtschaftlichen Erholung Westeuropas von den Vereinigten Staaten, Osteuropa und der übrigen Welt. - Der Bericht des Staatsausschusses besagt, die 16 Nationen würden in den vier Jahren, die im Plan vorgesehen sind, im großen und ganzen von der Stahleinfuhr aus den Vereinigten |
Staaten unabhängig sein. - Der Bericht des Ausschusses für Arbeitskräfte zeigt, daß mit Ausnahme Italiens alle Teilnehmerländer einen Mangel an Arbeitskräften aufweisen. 12.9.1947: Präsident Truman erklärt, er sei nicht überzeugt, daß eine Sondersitzung des Kongresses noch im Herbst erforderlich sein werde. - Schweden, Norwegen und die Schweiz lehnen die Teilnahme an der von den übrigen Ländern gebildeten Studiengruppe zur Prüfung der Frage einer Zollunion oder mehrerer regionaler Zollunionen für Europa ab. - Die Fertigstellung des Berichts des CEEC verzögert sich um eine Woche. - Die "Iswestija" warnt die skandinavischen Länder vor der Teilnahme an der europäischen Zollunion. 15.9.1947: Das CEEC protestiert gegen die amerikanische Kritik an den bisher von den 16 Nationen gelieferten Plänen, da ausführlichere Angaben später nachgeliefert werden können. - Die französische Delegation unterbreitet einen Revisionsvorschlag unter Einbeziehung der amerikanischen Ratschläge. 16.9.1947: Auf einer Sitzung des Exekutivausschusses mit den amerikanischen Ratgebern wird beschlossen, den Schlußbericht der Vollversammlung am 22. September zur Unterschrift vorzulegen. Clayton erklärt, daß der nunmehr revidierte Plan den amerikanischen Anforderungen im großen und ganzen entspreche. 17.9.1947: Der französische Vorschlag zur Schaffung einer dauernden Ueberwachungsorganisation für den Marshall-Plan wird im Schlußbericht aufgenommen. Schweden und die Schweiz stimmen nach anfänglichem Bedenken zu. 19.9.1947: Das CEEC gibt bekannt, der endgültige Bestandsaufnahmeplan ergebe, daß von den Vereinigten Staaten eine Hilfe in Form von Krediten in Höhe von 22.440.000.000 Dollar für die Wiederaufbauzeit von 1948 bis 1951 benötigt werde. 22.9.1947: Annahme des Schlußberichts der Pariser Wirtschaftskonferenz. |
Internationale Sozialistenkonferenz
Zum ersten Mal seit dem Kriege wird die deutsche Sozialdemokratie auf einer internationalen sozialistischen Konferenz vertreten sein, wenn am 10. und 11. Januar in London die erste Zusammenkunft des in Antwerpen gegründeten ständigen Ausschusses für internationale sozialistische Konferenzen stattfindet. Deutsche sozialdemokratische Kreise in London bestätigen, daß der Vorsitzende der SPD, Dr. Kurt Schumacher, zu der Konferenz erwartet wird. In deutschen sozialistischen Kreisen in London ist man der Auffassung, daß die deutsche Sozialdemokratie die politische Bedeutung der in Antwerpen beschlossenen Zulassung der deutschen Sozialdemokraten zu internationalen sozialistischen Zusammenkünften schon bei dieser ersten Gelegenheit stark unterstreichen will und nicht zuletzt aus diesem Grunde ihren ersten Vorsitzenden entsenden wird.
( "DPD", Hamburg, 3. Januar 1948.)
Das Komitee der internationalen Sozialistenkonferenzen wählte am Sonnabend auf der Eröffnungssitzung, an der die Delegierten von 19 sozialistischen Parteien teilnahmen, den Generalsekretär der britischen Labour Party, Morgan Phillips, zum Präsidenten der gegenwärtigen Tagung.
Vor Eintritt in die Tagesordnung protestierten die polnischen, ungarischen und tschechoslowakischen Sozialisten dagegen, daß die griechische Regierung dem Führer der griechischen Sozialisten, Alexander Svolos[47], die Pässe verweigert hat. Demgegenüber seien die deutschen Sozialisten auf dieser Tagung zum erstenmal zugelassen,
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obwohl sie nach Ansicht der sozialistischen Parteien des Ostens erst Beweise dafür hätten erbringen müssen, daß sie eine wirklich sozialistische und revolutionäre Partei seien. Die Sprecher der französischen, belgischen und britischen Sozialisten erklärten dagegen, daß die Antwerpener Sozialistenkonferenz bereits einstimmig gegen die Haltung der griechischen Regierung protestiert habe. Die Zulassung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sei mit starker Mehrheit beschlossen worden. Deshalb habe es keinen Zweck, die Diskussion wieder aufzunehmen.
( "DPD", Hamburg, 10. Januar 1948.)
Auf der Konferenz wurde beschlossen, eine Verwaltungskommission einzusetzen und je einen Vertreter der Länder England, Belgien, Holland, der Tschechoslowakei und Oesterreich zu delegieren. Zur Zeit wird diese Kommission bestehen aus: Morgan Phillips (England), le Roque[48] (Belgien), Bolle[49] (Holland), Berhard[50] (Tschechoslowakei) und Wodack[51] (Oesterreich). Auf der Tagung wurde weiter beschlossen, daß die Kleine Konferenz am 19. März in London zusammentritt und daß eine sozialistische internationale Konferenz vom 4. bis 7. Juni nach Wien einberufen wird. Des weiteren wurde Hynd neu in das sozialistische Informations- und Verbindungsbüro aufgenommen.
( "Telegraf", Berlin, 13. Januar 1948.)
Auch die Sozialisten aus den Ostländern Europas, deren schwierige Situation von den übrigen Tagungsteilnehmern respektiert und auf deren Argumente immer wieder Rücksicht genommen wurde, um sie nicht über[...]stimmen zu müssen, begrüßten Dr. Schumacher. Sofern im Laufe der Diskussion Schwierigkeiten auftraten, waren es insbesondere die Vertreter der sozialistischen Parteien von Dänemark, Frankreich und Belgien, die sich bereitfanden, Vermittlungsvorschläge zu machen. Sie betonten auch immer wieder die Notwendigkeit der internationalen Solidarität gegenüber den Deutschen. Dr. Schumacher sah daher keine Veranlassung, das Wort zu nehmen, wie auch das deutsche Problem auf dieser Tagung nicht berührt wurde.
Es wurde darauf verzichtet, die Sozialistenkonferenz zu einer Stellungnahme zum Marshall-Plan zu benutzen, weil mit Recht Schwierigkeiten für die Vertreter der sozialistischen Parteien aus den Ländern befürchtet werden mußten, die am Marshall-Plan nicht beteiligt sind. Dagegen fand der Vorschlag allgemeine Zustimmung, daß die Labour Party außerhalb des Rahmens dieses sozialistischen Gremiums eine besondere Konferenz in England einberuft. Auf ihr sollen sich Vertreter aller sozialistischen Parteien aus den Ländern treffen, die am Marshall-Plan beteiligt sind. Diese Konferenz wird sich vermutlich auch mit der Frage befassen, zu der Dr. Schumacher später über BBC-London den Standpunkt der Sozialdemokratie bekanntgab, nämlich, daß der Marshall-Plan für die an ihm teilnehmenden Länder keine persönliche Bindung bedeuten dürfe.
( "Telegraf", Berlin, 13. Januar 1948.)
Dr. Kurt Schumacher war nach der kurzen offiziellen Presse-Erklärung, die nach der Sitzung durch den Sekretär der britischen Labour Party, Morgan Phillips, abgegeben wurde, der Mittelpunkt eines Kreises internationaler Journalisten, die buchstäblich Schlange standen. Pressephotographen konnten für geraume Zeit ihre Aufnahmen nicht machen, weil Dr. Schumacher derartig von allen Seiten von wißbegierigen Journalisten umringt war, daß er kaum sichtbar war. Schumacher, der während der Sitzung nicht gesprochen hatte, gab den ausländischen Journalisten, die vor allem seine Einstellung zu der durch die Frankfurter Konferenz geschaffenen Lage wissen wollten, bereitwilligst Auskunft. Dem DPD-Korrespondenten bestätigte Schumacher durch Kopfnicken, daß er von dem Gang der heutigen Besprechungen befriedigt sei. Schumacher mußte fast mit Gewalt von seinen Freunden aus dem Kreis der Journalisten herausgeholt werden, um rechtzeitig im britischen Rundfunk sprechen zu können.
( "DPD", Hamburg, 11. Januar 1948.)
VI. Kurt Schumacher spricht über BBC
In einem kurzen Interview über BBC-London hatte Dr. Schumacher Gelegenheit, präzise Stellung zu nehmen. Er drückte seine Freude darüber aus, daß heute die
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deutsche Sozialdemokratie wieder gleichberechtigtes Mitglied bei der internationalen Zusammenarbeit sei und daß sich diese Gleichberechtigung auf die internationale Politik auswirken müsse. Auf eine Frage erklärte er, daß mit den Demontagen Schluß gemacht werden müsse, wenn man den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft wirklich ernsthaft gestalten wolle. Die Sozialisierung sei eine Forderung, von der die Sozialdemokratie nicht abgehen könne und werde. Die Besatzungsmächte müßten sich darüber klar sein, daß in Deutschland wieder eine Rechtsordnung eingesetzt werden müsse, die auch von den Besatzungsmächten zu respektieren sei.
Auf die Frankfurter Konferenz eingehend, betonte Dr. Schumacher, die deutsche Sozialdemokratie sei gegen jede Westpolitik. Das habe sie am allerdeutlichsten damit bewiesen, daß sie die Einbeziehung Berlins in den Länderrat der Bizone forderte. Berlin habe sein gewähltes Parlament und könne sehr wohl im Länderrat seine Vertretung erblicken. Damit wolle die Sozialdemokratische Partei den Anspruch der Deutschen auf die Ostzone dokumentieren, d. h. sie werde sich nie damit abfinden, den Osten abzuschreiben. Sie werde darum auch keine Maßnahme fördern oder unterstützen, die eine Teilung Deutschlands zur Folge haben könnte.
( "Telegraf", Berlin, 13. Januar 1948.)
Die Befriedigung über den Ausgang der Londoner Tagung ist allgemein und wird auch von Dr. Schumacher geteilt. In einem Gespräch mit dem Londoner Berichterstatter der "Welt" äußerte sich Dr. Schumacher über die gegenwärtige und künftige Entwicklung. Der Vorsitzende der SPD glaubt, daß die sozialdemokratischen Parteien Europas im Rahmen des Marshall-Planes wichtige Arbeit für die Internationalisierung der Wirtschaft vollbringen können.
"Wir müssen immer wieder auf die Zusammengehörigkeit aller Teile der europäischen Wirtschaft hinweisen", erklärte er. "Das europäische Wirtschaftsgebiet kann das System der Nationalwirtschaft nicht mehr vertragen, denn es ist heute zu klein und zu gering dazu."
( "Die Welt", Hamburg, 13. Januar 1948.)
Die Konferenz des Internationalen Sozialistischen Informations- und Verbindungsbüros hat, wie schon berichtet, nur einen Tag gedauert. Das vorgesehene Programm konnte infolge der loyalen Handhabung der Geschäftsführung durch Morgan Phillips infolge einer weitgehenden Uebereinstimmung aller Delegierten in vielen Fragen so schnell erledigt werden.
Die Internationale Sozialistenkonferenz hat, insofern stimmen alle bisherigen Presseberichte überein, nicht nur einen guten Verlauf genommen, sondern die Welt davon überzeugt, daß die Sozialisten ihre internationale Zusammenarbeit ernst und zielbewußt aufnehmen. Das Tempo des Erfolges einer solchen Zusammenarbeit wird natürlich bestimmt von den politischen und ökonomischen Auseinandersetzungen, in denen und vor denen Europa und die Welt stehen.
( "Telegraf", Berlin, 14. Januar 1948.)
Jedem Land seinen Volkskongreß
1. Kongreß genehmigt
Die amerikanische Militärregierung hat den von der Arbeitsgemeinschaft SEP/KP für den 17. und 18. Januar nach Bremen einberufenen Volkskongreß unter der Bedingung genehmigt, daß nur die KP, nicht die SEP als Veranstalterin zeichnet.
Die Bremer politischen Parteien SPD, Bremer Demokratische Volkspartei, die Radikal-Sozialistische Freiheitspartei und die Freie Demokratische Partei haben ihre Teilnahme am Volkskongreß abgelehnt.
( "DPD", Hamburg, 6. Januar 1948.)
2. Aufmarsch der "Prominenz"
Otto Grotewohl (SEP), Otto Nuschke[52] (CDU), der sächsische Justizminister Professor Kastner[53] (LDP) und Annerose Zibolsky[54] (CDU/FDJ) wurden als Delegierte des ständigen Ausschusses des deutschen Volkskongresses zu den Tagungen in Bremen am 17. und 18. Januar gewählt, wie das Sekretariat des Volkskongresses
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mitteilt. - Dr. Wilhelm Külz[55] (LDP), Otto Grotewohl (SEP), der thüringische Verkehrsminister Bachem[56] (CDU) und Annerose Zibolsky (CDU/FDJ) werden ferner nach der gleichen Mitteilung als Vertreter des ständigen Ausschusses des deutschen Volkskongresses an den Volkskongreß-Sitzungen in Solingen am 24. Januar teilnehmen.
( "DPD", Hamburg, 9. Januar 1948.)
3. Schlechter Start
SEP und KP, was ziemlich ein und dasselbe ist, wollen ihre "Volkskongreß"-Aktion, die in London zugleich mit der Konferenz der Großen Vier scheiterte, fortsetzen. Sie wollen ihre Werbung jetzt auf die Westzonen ausdehnen. Zu diesem Zweck tagte die Zonenleitung der KP für die britische Zone unlängst in Bremen. Am 17. und 18. Januar soll nun in Bremen ein "Volkskongreß" zusammentreten. Mit dem Volk der Westzonen hat das zwar wenig zu tun. Immerhin aber halten wir es für das politische Recht der Kommunisten, eine Neuauflage ihres Berliner Unternehmens zu veranstalten. Nur müssen sich die russophile SEP und KP darüber im klaren sein, daß es in der Bizone keine von den Besatzungsmächten abhängigen oder kontrollierten Parteien gibt. Im Gegensatz zur Ostzone hat die sowjetische Militärregierung hier keine Machtmittel, um den Parteien ihren Willen aufzuzwingen. In der Bizone weht der frische Wind einer Kritik ohne Schlagseite nach Osten. Von der hier obwaltenden demokratischen Toleranz profitiert sogar die KP, die ja bekanntlich mit dem "amerikanischen Monopolkapital" arg auf dem Kriegsfuße steht.
Im Mittelpunkt der Bremer Kommunistentagung stand ein Referat von Walter Ulbricht, der in den kommunistischen Zentralinstanzen und im Sekretariat des Berliner "Volkskongresses" eine führende Rolle spielt.
Sind politische Kinnhaken und Tiefschläge wirksame Werbemittel? Oder hält Ulbricht seine Rolle als Einheitsapostel in den Westzonen von vornherein für so aussichtslos, daß er jede Hemmung fallen lassen kann? Jedenfalls behauptete er nach der kommunistischen Quelle in Bremen folgendes: "Die Argumente der Parteiführungen der SPD und der CDU in den Westzonen haben gezeigt, daß beide im Dienste auswärtiger kapitalistischer Kräfte die nationalen Interessen Deutschlands vergessen." Das ist ja nun wirklich eine reizende Einladung für den Bremer "Volkskongreß"! Solch grobes Geschütz hätte man doch besser erst während oder nach der geplanten Tagung abfeuern sollen.
( "Weser-Kurier", Bremen, 23. Dezember 1947.)
4. SPD-Funktionäre lehnen Einheitsrummel ab
Die SPD-Funktionäre des Landes Bremen haben eine Teilnahme an dem von der KP zum 17. und 18. Januar in Bremen einberufenen Volkskongreß abgelehnt. Der Hauptvorstand der Bremer SPD erklärte in einer Entschließung, daß die Teilnahme am Volkskongreß mit der Mitgliedschaft in der SPD unvereinbar sei.
( "DPD", Hamburg, 29. Dezember 1947.)
1. Von Düsseldorf nach Solingen verlegt
Der Volkskongreß für das Land Nordrhein-Westfalen, der für den 24. Januar 1948 in Düsseldorf anberaumt war, soll, wie aus einem Aufruf der Landesleitung Nordrhein-Westfalen der KP hervorgeht, am gleichen Tage in Solingen stattfinden. Als Grund für die Verlegung wird angegeben, daß in Düsseldorf kein Saal vorhanden sei, in dem 2000 Delegierte einen Sitzplatz finden könnten.
( "DPD", Hamburg, 29. Dezember 1947.)
2. DGB sieht keinen Anlaß zur Teilnahme
Der Volkskongreß für Nordrhein-Westfalen ist eine rein parteipolitische Angelegenheit. Für die Gewerkschaften als parteipolitisch neutrale Organisation besteht deshalb kein Anlaß und keine Möglichkeit der Teilnahme an den vorbereitenden Arbeiten, noch am Kongreß selbst, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu der beabsichtigten Durchführung des Volkskongresses in Nordrhein-Westfalen.
( "DPD", Hamburg, 23. Dezember 1947.)
3. Zentrum gegen Kongreß
Gegen den für den 24. und 25. Januar in Solingen angesetzten Volkskongreß wendet sich die deutsche Zentrumspartei. Wie mitgeteilt wird, erklärt die Leitung
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der Zentrumspartei zu diesem Kongreß: "Es liegt auf der Hand, daß die Zentrumspartei mit ihrem Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie in einem politischen Raum steht und wirkt, in dem die Abhaltung von Volkskongressen keinen Sinn haben kann, da die politische Verantwortung hier von denen getragen wird, die dafür vom Volke in einem geordneten Wahlverfahren ausgewählt worden sind.
( "DPD", Hamburg, 5. Januar 1948.)
Zentrales Büro in Kiel gebildet
Nach einem Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Delegierten des deutschen Volkskongresses ist auch für Schleswig-Holstein ein Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden geplant. Es wurde in Kiel ein zentrales Kongreßbüro gebildet mit dem Ziel, in allen Kreisen des Landes vorbereitende Ausschüsse für einen Volkskongreß zu schaffen.
( "DPD", Hamburg, 9. Januar 1948.)
Aufgedeckte Tarnversuche in München
Die Wellen des sogenannten Volkskongresses haben nun auch Bayern erreicht, der Apparat der KP ist angelaufen, und überall im Lande werden Versammlungen abgehalten. Etwa fünfzig "Delegierte", die an dem Berliner Volkskongreß teilgenommen haben, und Freunde der neuen demokratischen Volksbewegung aus Oberbayern hatten sich am 4. Januar in München eingefunden, eingeladen von einem vorläufigen Komitee.
In "großherziger Weise" hatte die KP ihre Parteilizenz zur Verfügung gestellt, um diese Veranstaltung zu ermöglichen, da die anderen Parteien es nicht für notwendig gehalten hatten, ihre Mitarbeit zu erklären, wie die Kommunisten mit Entrüstung feststellen.
Man muß immer wieder feststellen, welch ein Meister der Tarnung doch die KP ist. Einige parteilose Utopisten und Renommiersozialdemokraten werden herausgestellt, um das überparteiliche Komitee zu bilden. Geschickt wird die Stimmung im Volk genutzt, auf der man das Parteischiff unter neutraler Flagge segeln läßt.
Die Kommunisten sind sich im klaren, daß sie keine große Resonanz im Volke finden werden, darum läßt der Kommunist Feuerer[57] beschließen, daß die Lizenz der KP bei der Durchführung der Versammlungen in Anspruch genommen wird, ohne daß die KP als Einberufer erscheine, damit die kommunistische Parteilizenz nicht "abstoßend" auf die breite Masse wirke.
Und noch ein anderes Ereignis hellte die Situation blitzartig auf. In der vorgelegten Resolution wurde unter anderem auch gegen jede Maßnahme, die zur Bildung eines Weststaates führen könnte, protestiert. Aus der Versammlung heraus wurde angeregt, daß man in diesem Zusammenhang auch gegen die etwaige Bildung eines Oststaates protestieren müßte, der noch dazu zum Verlust lebenswichtiger Gebiete im Osten führen müßte. Sofort wurde die Oder-Neiße-Linie in die Debatte geworfen. Geschickt fing der Kommunist Feuerer diese Situation auf und betonte, daß man sich doch nicht in geographische Einzelheiten verlieren sollte.
Am Sonntagnachmittag versammelten sich dann annähernd 30 Personen in einer Privatwohnung, darunter Angehörige der KP, SPD, WAV[58], FDP, der FDJ und der Deutschen Friedensgesellschaft[59], um die Gründung des "Volkskongresses in Bayern" zu besprechen. Es wurde ein "vorbereitender Ausschuß" mit Sitz in München gebildet und ein Aufruf abgefaßt, in dem alle Parteien und Organisationen zur Teilnahme aufgefordert werden. Man will außerdem die Lizenzierung bei der Militärregierung beantragen und Fühlung aufnehmen mit anderen Volkskongressen, die in der Britischen Zone im Entstehen begriffen sind. So will man die Parteien "zu einer klaren Entscheidung zwingen, ob sie für oder gegen die Einheit sind".
Man sieht, daß die KP alle Anstrengungen macht, aus ihrer hoffnungslosen Isolierung herauszukommen. Jetzt benutzt sie die zweifellos im ganzen Volke liegende Forderung, Deutschland nicht in einen Ost- und Weststaat zu spalten, um eine Volksbewegung zu mobilisieren. Doch das Volk will keinen kommunistischen Einheitsstaat, weder im Osten noch im Westen.
( "Telegraf", Berlin, 7. Januar 1948.)
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Die Kommunisten hatten für den 2. November 1947 in Hannover einen sogenannten "Kongreß für Brot und Kohle, Gerechtigkeit und Frieden" einberufen, der nicht stattfinden konnte, weil die Einberufung durch eine in der Zone nicht zugelassene Organisation, die Sozialistische Einheitspartei, erfolgt war.
Im Feldzugsplan der Kommunisten für die Zersetzung der demokratischen Einrichtungen und der Demokratie in Deutschland ist seit vielen Monaten die Abhaltung von Kongressen nach alten kommunistischen Vorbildern vorgesehen gewesen. Der Plan war, unter dem Deckmantel einer "überparteilichen" Konferenz Deklarationen von möglichst vielen nichtkommunistischen Organisationen zusammenzubekommen, die von der im Hintergrund wirkenden KP/SEP nach ihrem Willen dirigiert und für ihre Zwecke ausgenutzt werden. Aus diesen Kongressen sollten ständige Einrichtungen geschaffen werden, die vor allem die folgenden Aufgaben hatten:
a) Die Gleichschaltung des parlamentarischen Systems an das System der "Volksdemokratien" in Osteuropa vorzunehmen und die Zusammenschmelzung Deutschlands oder von Teilen Deutschlands mit dem Osten vorzubereiten.
b) Das Mehrheitssystem der parlamentarischen Demokratien durch ein totalitär dirigiertes System zu ersetzen, wobei der Mehrheitswille der Wähler durch die kommunistisch dirigierte Apparatwahl ersetzt werden sollte.
c) Den Versuch zu machen, durch diese Kongreß- und Delegiertenwahlen die bestehenden Parteien und Organisationen zu zersetzen und Unfrieden in die nichtkommunistischen Vereinigungen jeglicher Art hineinzubringen, um sie so unfähig zu ernsthaftem Widerstand zu machen.
d) Den "Volkskongreß" zu einer ständigen Einrichtung zu machen, die als ein Scheinparlament in Konkurrenz zu den echten Parlamenten auftritt und sie dort ersetzt, wo die Kommunisten die Macht dazu erringen.
e) Durch diesen ständigen Volkskongreß eine Scheinregierung "wählen" zu lassen, die von der KP/SEP dirigiert werden soll.
Der Versuch sollte aus Gründen der Tarnung zunächst in den Westzonen gemacht werden, um nicht durch eine Veranstaltung in der Ostzone den wahren Charakter des Planes und der dahinterstehenden Kräfte vorzeitig zu enthüllen. Danach sollte und konnte eine ähnliche Aktion in der Ostzone erfolgen, wodurch die seit langem erwünschte Gleichschaltung des Parteienwesens an die Ostzonendiktatur um einen wichtigen Schritt vorangetrieben worden wäre. In dieser Beziehung ist der Plan fehlgeschlagen.
Nach dem Scheitern dieses Versuchs mußte man die zweite Phase des Planes in Bewegung setzen und den sogenannten Volkskongreß in Berlin einberufen, da die russische Besatzungsmacht eine derartige Unterstützung ihrer Pläne zum Zeitpunkt der Londoner Konferenz benötigte. Durch das Stattfinden des ersten Volkskongresses auf Veranlassung der SEP und durch die offenen Schiebungen und Terrormaßnahmen für die Delegiertenwahl zu diesem Kongreß ist die Tarnung und damit ein weiterer Teil des Planes mißglückt.
Die nächste Phase soll jetzt mit den sogenannten Volkskongressen in der Britischen Zone eröffnet werden. Dabei stellt sich heraus, daß auch hier wieder ein großangelegter Betrugsversuch im Gange ist. Uns ist ein Rundschreiben vom 5. Dezember 1947 in die Hände gefallen, das an die Delegierten des "Kongresses für Brot und Kohle, Gerechtigkeit und Frieden" gerichtet ist. In diesem Rundschreiben heißt es:
"Wir teilen Euch hierdurch mit, daß der Kongreß für Brot, Kohle, Gerechtigkeit und Frieden am 17. u. 18. Januar in Bremen stattfindet. Hauptreferent Genosse Grotewohl."
Ueber die merkwürdigen Methoden der Delegation und die dahinterstehenden Absichten unterrichtet ein weiterer Abschnitt, in dem es heißt:
"Am Kongreß in Bremen sollen die Delegierten teilnehmen, die für den Kongreß in Hannover gewählt worden sind. Da die Raumverhältnisse in Bremen eine höhere Anzahl von Delegierten gestatten, ist es zweckmäßig, weitere Delegierte hinzuzuwählen. Hierbei ist darauf Gewicht zu legen, daß diese Delegierten nach Möglichkeit aus den Kreisen der SPD und den Parteilosen sich zusammensetzen."
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In dem Rundschreiben wird dann auf die gegenwärtige Ernährungslage Bezug genommen und die Notwendigkeit des Kampfes um Verbesserung der Ernährung unterstrichen. Es heißt in diesem Zusammenhang im Rundschreiben:
"Der Kampf um die Durchsetzung dieser Forderungen muß durch die Delegation des Kongresses sowie die Vertrauensmänner der Sozialistischen Einheitsbewegung begonnen werden. Dies setzt voraus, daß beide, Delegierte und auch die Vertrauensmänner der Sozialistischen Einheitsbewegung, sich zusammenfinden und in Form von Entsendungen von Delegationen zu den Gemeinderäten Protest gegen die verordneten Rationskürzungen erheben. Es muß überall versucht werden, im Zusammenwirken mit der KP zur Bildung von Sozialistischen Arbeitsgemeinschaften zu gelangen."
Während im Rundschreiben vom 5. Dezember der Kongreß noch als eine Fortsetzung der seinerzeit nicht durchgeführten hannoverschen Konferenz erklärt wird, heißt es in einem Rundschreiben des Landesvorstandes Niedersachsen der KP vom 18. Dezember:
"Die Delegierten des Deutschen Volkskongresses für nationale Einheit und gerechten Frieden wandten sich nach diesem Kongreß an uns mit dem Vorschlag, auch in Niedersachsen einem Kongreß für die Einheit Deutschlands und gerechten Frieden durchzuführen."
In dem KP-Rundschreiben wird der Eindruck zu erwecken versucht, als sei die Anregung zu dem neuen Kongreß durch die "Delegierten" des Deutschen Volkskongresses entstanden, der am 6. und 7. Dezember stattgefunden hat. Das vorher zitierte Rundschreiben vom 5. Dezember straft die KP-Einladung Lügen, denn schon vor dem Stattfinden des Berliner Kongresses hatte die KP den neuen Kongreß in Bremen festgelegt, den sie sich nach dem Schreiben des kommunistischen Landesvorstandes von den Delegierten des Volkskongresses nach Stattfinden des Volkskongresses angeblich suggerieren ließen. In dem Einladungsbrief des KP-Landesvorstandes heißt es weiter:
"Von diesem Gesichtspunkt ausgehend schlagen wir allen Parteien vor, sich gemeinsam zu finden zur Willensäußerung für die deutsche Einheit. Wir wenden uns an Sie mit dem Vorschlag, gemeinsam einen Volkskongreß für die Einheit Deutschlands und gerechten Frieden am 17./18. Januar 1948 in Bremen durchzuführen.
Als Tagesordnung ist uns vorläufig folgende vorgeschlagen:
1. Die Einheit Deutschlands und der gerechte Friede.
2. Die Demokratisierung Deutschlands und der gerechte Friede.
3. Die Parteien Deutschlands und der gerechte Friede."
Während die KP in diesem Brief noch so tut, als wenn es sich um die Vorbereitung zu einer Veranstaltung verschiedener Parteien handelt, bei der Leitung, Zusammensetzung, Redner und Tagesordnung noch offen sind, ergibt sich aus einem anderen vertraulichen Brief des kommunistischen Landtagsabgeordneten als dem Hauptorganisator dieses "Volkskongresses", daß:
1. von der KP ein "vorbereitender Ausschuß des Volkskongresses für die Einheit Deutschlands und gerechten Frieden" in Hannover, Klopstockstr. 3, gebildet worden ist, wobei man wieder eine kleine Namensänderung vorgenommen hat und dem Ausschuß durch die Kommunisten dirigieren läßt;
2. die Kommunisten als Redner für das Einheitsreferat Otto Grotewohl, für das Demokratisierungsreferat Dr. Külz und für das Referat über die Parteien Otto Nuschke, alles drei gleichgeschaltete Ueberläufer, bestimmt hat. Selbstverständlich ohne jemanden zu fragen;
3. daß Külz, Pieck und Nuschke zu Ehrenpräsidenten dieses "Volkskongresses" von der KP bestimmt worden ist.
Das ganze Betrugsmanöver wird dadurch offensichtlich. Die Kommunisten bereiten einen Brot- und Kohle-Kongreß in Bremen vor dem Berliner Volkskongreß vor, sie treffen Entscheidungen über die Zusammensetzung der sogenannten Delegierten. Sie benutzen die für den nicht stattgefundenen hannoverschen Kongreß "gewählten" Delegierten für Bremen und sie versuchen dann die Parteien und andere Organisationen zu düpieren, dadurch, daß sie behaupten, sie hätten die Anregung für den Bremer Kongreß, den sie nun in Volkskongreß umtaufen, nach dem Stattfinden der Berliner Veranstaltung erhalten, und dadurch, daß sie alle Vorbereitungen und Entscheidungen von der "Delegiertenwahl" bis zur Festsetzung der Tagesordnung und Entscheidung über das Präsidium allein treffen.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat durch ihren Vorstand beschlossen, sich nicht an dieser kommunistischen Propagandaveranstaltung zu beteiligen und erklärt, daß eine Teilnahme daran unvereinbar ist mit der Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei. Die Bezirksorganisationen der SPD haben entsprechende Schritte bereits unternommen.
(Eigenbericht)
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Am 25. Januar 1948 trat der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und sozialdemokratischen Mitgliedern des Wirtschafts- und Exekutivrats unter der Leitung von E. Ollenhauer zu einer Tagung in Hannover zusammen.
In einem einleitenden Referat stellte der Vorsitzende der SPD, Dr. Kurt Schumacher, fest, daß die rechtliche Lage der Deutschen nach der Frankfurter Konferenz sich nicht vom bisherigen Zustand unterscheidet. Nach wie vor geht alle Macht von den Besatzungsmächten aus. Daran ändert sich auch nichts durch die bereits vorliegende und in den nächsten Tagen zu erlassende Charta der beiden Militärregierungen. Die Heranziehung deutscher Vertreter zu Beratungen bedeutet keinesfalls eine Rückdelegierung von Souveränität an Deutsche, die Okkupationsmächte haben keine Souveränitätsrechte aus der Hand gegeben.
Dr. Schumacher skizzierte die Aufgaben der Sozialdemokraten gegenüber der neuen deutschen Wirtschaftsverwaltung und setzte sich für einheitliches Vorgehen der Sozialdemokraten in Wirtschafts- und Länderrat[60] ein.
Gegen wesentliche Teile der Charta der beiden Generäle meldet die SPD ihre ablehnende Stellungnahme an; insbesondere gegen die Schaffung eines Oberdirektors, der nach sozialdemokratischer Auffassung die Vollmachten eines "Diktators auf Zeit", gestützt auf die Besatzungsmächte, hat.
Nach ausführlicher Diskussion wurden die Ausführungen Dr. Schumachers einhellig akzeptiert. Die nachfolgenden Punkte wurden als Ergebnis der Aussprache und als Richtlinie der sozialdemokratischen Politik im Wirtschafts- und Länderrat vereinbart:
1. Die Sozialdemokratie stellt fest, daß die von den beiden Militärgouverneuren verkündete Charta kein deutsches Recht, sondern Recht für Deutschland schafft, das eine einseitige Entscheidung der Alliierten ohne Verantwortung der Deutschen darstellt.
2. Die Sozialdemokratie lehnt die Wahl eines Oberdirektors ab. Sie verlangt, daß alle Direktoren vom Wirtschaftsrat gewählt und entlassen werden und dem Wirtschaftsrat verantwortlich sind.
3. Die Sozialdemokratie lehnt das Bestätigungsrecht des Länderrats bei der Direktorenwahl ab.
4. Die Sozialdemokratie wünscht, daß die Gesetzesvorlagen der Direktoren gleichzeitig dem Wirtschafts- und Länderrat vorgelegt werden.
5. Die Sozialdemokratie ist der Auffassung, daß die Kompetenzen des Wirtschaftsrates und anderer neuer Institutionen nicht von den Ländern abgeleitet, sondern originär bestehen.
6. Die Sozialdemokratie unterstreicht, daß es Aufgaben gibt, die auf höherer Ebene als der Länderbasis durchgeführt werden müssen, und daß es nicht Aufgabe der SPD ist, föderalistische Tendenzen zu fördern.
Der Vorstand der SPD nahm ferner Stellung zu der Frage, ob Einsprüche des Länderrats mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit durch den Wirtschaftsrat abzuweisen seien. Er entschied sich mit allen gegen drei Stimmen für einfache Mehrheitsbeschlüsse, denen Ausschußberatungen über den Inhalt der Einsprüche vorausgehen sollten.
Der Vorstand der SPD trat nach Abschluß der gemeinsamen Beratung mit Ministerpräsidenten und Mitgliedern des Wirtschafts- und Exekutivrats über die Reorganisation des Wirtschaftsrats am 26. Januar 1948 zu einer Sitzung zusammen, die sich vor allem mit organisatorischen Fragen befaßte.
Als neuer Berliner Vertreter des Vorstandes der SPD wurde Willy Brandt[61] gewählt (s. Personalien).
Dr. Schumacher berichtete eingehend über die Sitzung des Arbeitsausschusses der Internationale, die im Januar in London stattfand. Als beratende Instanzen wählte der Parteivorstand einen Kommunalpolitischen Ausschuß, der 17 Mitglieder umfaßt, und einen 18gliedrigen Sozialpolitischen Ausschuß.
Sozialpolitischer Ausschuß beim Vorstand der SPD:
Dr. Walter Auerbach, Lemgo; Maria Detzel[62], Koblenz; Fritz Geisthardt[63], Berlin; Rudolf Gerstung, Hannover; August Halbfell, Düsseldorf; Albin Karl, Hannover; Dr. Hermann Karl, Flensburg; Fritz Kissel[64], Frankfurt a. M.; Lisa Korspeter[65], Hannover; Anni Kranstöver, Kiel; Lotte Lemke, Hannover; Gerhard Neuenkirch[66], Hamburg; Dr. Paul Nevermann, Hamburg; Prof. Dr. Ludwig Preller, Stuttgart; Albert Roßhaupter, München; Ludwig Selpin[67], Hamburg; Hans Wingerer, Düsseldorf; Dr. Rudolf Wissell, Berlin.
Kommunalpolitischer Ausschuß beim Vorstand der SPD:
Lisa Albrecht, München; Oberbürgermeister Valentin Baur, Ludwigshafen; Oberkreisdirektor i. R. Dr. Chr. Willi Berling, Aachen; Oberbürgermeister Ernst Böhme[68], Braunschweig; Landrat Emil Feldmann[69], Lemgo; Oberbürgermeister Andreas Gayk, Kiel; Bürgermeister Robert Görlinger, Köln; Landeshauptmann Georg Häring[70], Kassel; Oberstadtdirektor Hirn[71], Stuttgart; Regierungspräsident Fritz Hoch, Kassel; Oberbürgermeister Werner Jacobi, Iserlohn; Oberstadtdirektor Gustav Klimpel[72], Duisburg; Gemeindedirektor Rautenberg[73], Westfalen; Stadtrat Ernst Reuter, Berlin; Stadtverordneter Hans Rollwagen[74], Nürnberg; Oberbürgermeister Steinhoff[75], Hagen; Generalsekretär Dr. Gerhard Weißer[76].
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Der Parteivorstand beschloß:
"Die Mitgliedschaft im Deutschen Demokratischen Frauenbund[77] sowie die Anwesenheit auf Kongressen, die vom Deutschen Demokratischen Frauenbund einberufen sind, ist unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands."
Begründung:
1. Der Deutsche Demokratische Frauenbund ist dem Internationalen Demokratischen Frauenbund[78] angeschlossen, der von den folgenden Frauen geleitet wird: Eugenie Cotton[79] (Frankreich), eine bekannte französische Kommunistin, Dolores Ibarruri[80] (Spanien), bekannte Kominternagentin; Popoya[81] (UdSSR) und Gene Weltfisch[82] (USA), bekannt als begeisterte Mitläuferin.
2. Der Deutsche Demokratische Frauenbund wurde von der SEP und den Russen zuerst in der Ostzone und dann in Berlin ins Leben gerufen, nachdem der Berliner Magistrat die Auflösung der kommunistisch inspirierten Frauenausschüsse beschlossen hatte. Dem Vorstand gehören führende SEP-Frauen an, wie z. B. Emmi Damerius[83], Käte Kern, Toni Wohlgemuth[84], Friedel Malter[85], Anna Seghers[86] und Maria Rentmeister[87]. Als Aushängeschilder dienen einige Frauen der alten bürgerlichen Frauenbewegung, wie z. B. Dr. Else Lüders[88] und Frau Durand Wever[89]. Auf der Gründungsversammlung waren leitende Frauen Sowjetrußlands anwesend.
3. Vor dem Berliner Volkskongreß im Dezember 1947 tagte ein Kongreß des Deutschen Demokratischen Frauenbundes, auf dem Frauen gewählt wurden, die mit in der vom Volkskongreß gewählten Delegation für London vertreten sein sollten. Ueber den Kongreß wurde in der SEP-Zeitung "Für Dich"[90] und in allen Berliner und Ostzonen-SEP-Zeitungen groß berichtet.
4. Der Deutsche Demokratische Frauenbund wird in Zukunft auch in den Westzonen aktiv werden. Bereits jetzt sind, trotz unserer ausdrücklichen Warnung, einige SPD-Frauen, die bisher immer in der "überparteilichen" Frauenarbeit gestanden haben, auf die Propaganda des Deutschen Demokratischen Frauenbundes hereingefallen, und es ist unbedingt notwendig, unseren Bezirken ganz klare Richtlinien an die Hand zu geben, sonst besteht die Gefahr, daß über diese Frauenorganisationen SEP-Propaganda in unsere eigenen Gruppen getragen wird.
Nachstehend ein kurzer Lebenslauf des neuen Vertreters des Parteivorstandes in Berlin.
Willy Brandt wurde am 18. Dezember 1913 in Lübeck geboren. Mitarbeiter am sozialdemokratischen "Volksboten"[91] (Lübeck) unter Julius Leber. Leitender Funktionär der sozialistischen Jugendbewegung. Frühjahr 1933 Flucht nach Norwegen.
Reisen nach Holland, Belgien, Frankreich, England, Spanien, Tschechoslowakei und Berichterstattung für skandinavische Presse. Enger Kontakt mit illegalen Gruppen und illegale Arbeit in Deutschland, Kontakt mit der Gruppe Julius Leber u. a.
1940 Pressesekretär der Norwegischen Volkshilfe[92]. Brandt erhielt durch Sonderentscheid[93] der Regierung die norwegische Staatsbürgerschaft. Aktive antinazistische Widerstandsarbeit. Von Wehrmacht gefangengenommen, aber nicht identifiziert. Erneut illegal tätig. Mitarbeit an Herstellung der Verbindung zwischen norwegischer Auslandsregierung und der Widerstandsbewegung.
1942 bis Kriegsende redaktioneller Leiter des Schwedisch-Norwegischen Pressebüros. Verfasser zahlreicher Bücher, u. a. einer zweibändigen norwegischen Kriegsgeschichte. Nach Kriegsende Berichterstatter skandinavischer Zeitungen beim Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozeß.
Zuletzt Presseattaché der Norwegischen Militär-Mission in Berlin.
Seit 1948 Berliner Vertreter des sozialdemokratischen Parteivorstandes[94].
(Eigenbericht)
Die Reise des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold[95], und des christlichen Gewerkschaftlers, Johannes Albers[96], nach Berlin zu Besprechungen über das Zustandekommen einer deutschen Repräsentation noch vor der Londoner Außenministerkonferenz erfolgt nicht im Auftrag der CDU der Britischen Zone, wie von maßgebender Seite der CDU-Zonenleitung in Köln mitgeteilt wird.
Nach Ansicht unterrichteter Kreise ist für deutsche Politiker im Hinblick auf die Londoner Konferenz Zurückhaltung und eine abwartende Einstellung am Platze. Es wird in diesem Zusammenhang auf die Haltung der SPD verwiesen, für die Dr. Schumacher erklärt habe, das Verhängnis in der heutigen Situation sei, daß es Deutsche gebe, die nicht Deutschland, sondern einer anderen Macht anhingen. Auch Dr. Adenauer habe wiederholt ausgesprochen, daß der Kampf für eine ungehinderte politische Betätigung in der Ostzone nicht nur eine parteipolitische Angelegenheit, sondern eine Frage der Demokratie in Deutschland schlechthin sei.
( "DPD", Hamburg, 8. November 1947)
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Die CDU/CSU-Landtagsfraktionen werden in den kommenden Sitzungen der deutschen Landtage den Antrag auf Bildung einer gesamtdeutschen Vertretung stellen, teilte Dr. Adenauer einem DPD-Vertreter in Köln mit. Die Hauptaufgabe dieser Körperschaft sei die Vorbereitung einer gesamtdeutschen Regierung. Von der CDU-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen wurde bereits ein entsprechender Beschluß auf einer Fraktionssitzung einstimmig gefaßt.
Nach der Erklärung Dr. Adenauers wollen die CDU/CSU-Fraktionen vorschlagen, für je 750.000 Einwohner einen Vertreter in die geplante gesamtdeutsche Vertretung zu entsenden. Wenn dieser Maßstab angelegt wird, dürfte die Abgeordnetenzahl der vorgesehenen Körperschaft zwischen 80 und 90 liegen. Die Wahl der Vertreter soll nach dem CDU-Vorschlag aus den Landtagen erfolgen.
( "DPD", Hamburg, 5. Februar 1948.)
Für das Zentrum schlug der Abgeordnete Brockmann[97] die Bildung eines Ausschusses vor, der eine gesamtdeutsche parlamentarische Vertretung vorbereiten soll. Die Einheit Deutschlands nannte Brockmann einen gesamtdeutschen Wunsch. Die Frankfurter Besprechungen befriedigten nicht. Worauf es in diesem Augenblick ankomme, das sei ein organisches Zusammenwachsen von den Ländern her zur Gemeinschaft der Länder. Es sei die Auffassung der Zentrumsfraktion, daß hier vom Rhein die befreiende Initiative ausgehen müsse und daß der Landtag die große Aufgabe habe, endlich den beispielgebenden Schritt zu tun. Die Zentrumsfraktion bejahe die Eigenständigkeit und die Staatlichkeit der einzelnen deutschen Länder. Die Notwendigkeit, nun endlich zu einer befreienden Tat zu kommen, dürfe nicht davon abhalten, jeden Schritt, der jetzt zu tun sei, sorgfältig zu erwägen, bevor er getan werde. Die Verantwortung läge selbstverständlich nicht bei der vollziehenden, sondern bei der gesetzgebenden Gewalt. Die Tätigkeit des beantragten Ausschusses dürfe sich nicht in theoretischen Erörterungen erschöpfen, eine vordringliche Aufgabe des Ausschusses müßte es sein, die Parlamente aller übrigen Länder zur Bildung ähnlicher Ausschüsse anzuregen und auf eine gemeinsame Beratung all dieser parlamentarischen Länderausschüsse hinzuwirken.
( "Rhein-Ruhr-Zeitung"[98], Essen, 6. Februar 1948.)
Die Landesleitung der CDU ist der Ueberzeugung, daß sich die Landtagsfraktion der CDU dem Kölner Beschluß zur Schaffung einer gesamtdeutschen Vertretung anschließen und einen entsprechenden Antrag im Sinne der Arbeitsgemeinschaft CDU/CSU im Parlament einbringen werde.
( "Hannoversche Neueste Nachrichten", Hannover, 7. Februar 1948.)
Auch der Sprecher der FDP, Dr. Middelhauve[99], bezeichnete den Wirtschaftsrat als einen Notbehelf. Dem Vorschlag Dr. Adenauers stimmte Dr. Middelhauve zu.
( "Rhein-Ruhr-Zeitung", Essen, 6. Februar 1948.)
Die von Dr. Adenauer bekanntgegebene Aktion der CDU für eine Nationalvertretung stimmt mit einem Vorschlag des interimistischen Vorstandes der Ostzonen-CDU, Professor Hickmann[100], überein, der kürzlich veröffentlicht worden ist.
( "Der Kurier"[101], Berlin, 6. Februar 1948.)
Abgeordneter Ledwohn[102] (KP) erklärte hierzu: "Der vorliegende Antrag über die Zusammensetzung einer deutschen Gesamtvertretung wird von der KP-Fraktion sehr ernsthaft beraten werden. Wir denken in diesem Zusammenhang an die Vorschläge, die Herr Kaiser[103] gemacht hat und an seine Versuche, eine gesamtnationale Repräsentation zustande zu bekommen auf der Basis einer Einigung der deutschen demokratischen Parteien."
( "Westdeutsches Volksecho"[104], Dortmund, 6. Februar 1948.)
[Seite im Original:] - 22 -
VIII. Für Einheit - gegen Vasallentum
Der Abgeordnete Henßler (SPD) beschäftigte sich in derselben Sitzung des Landtages Nordrhein-Westfalen, in der Dr. Adenauer seinen Antrag auf "Gesamtvertretung" stellte, mit dem kommunistischen Konsultativrat. Wenn Dr. Adenauer nicht durch parteitaktische Erwägungen abgehalten worden wäre, genau hinzuhören, hätte er nachstehenden Ausführungen all das entnommen, was seinem Vorschlag ebenso gilt wie allen kommunistischen Versuchen.
"Die Frage der Wiederherstellung der deutschen Reichseinheit kann zur Zeit von keiner anderen Stelle beantwortet werden als von den vier Besatzungsmächten. Wenn es um das deutsche Volk ginge, dann brauchten wir nicht erst eine Volksabstimmung, dann hätten wir die Volkseinheit. Deutschland ist aufgespalten, nicht durch deutschen Willen. Deutschland ist aufgespalten durch den Willen der Siegermächte."
"Ich lehne es ab, durch eine besondere Abstimmung zum Ausdruck bringen zu müssen, daß ich für Deutschland bin, weil das für mich so selbstverständlich ist, daß ich es geradezu als beleidigend empfände, wenn ich ausdrücklich gefragt würde: Bist du für Deutschland?" rief der SPD-Sprecher aus. Bezugnehmend auf die großen wirtschaftliche Schwierigkeiten, die auf die Vierzonen-Einteilung zurückzuführen sind, bezeichnete der Redner die bizonale Vereinigung als eine zwangsläufige Folge des Ausbleibens der Vierzonen-Regelung. Henßler erklärte wörtlich: "Ich anerkenne die Zusammenfassung in der größtmöglichen Einheit, ohne dabei das Ziel der völligen Reichseinheit preiszugeben. Ich habe nicht die Furcht, daß Frankfurt irgendwie ein Hindernis sein könnte für eine mögliche Zusammenfassung im gesamten Reich. Die bizonalen Einrichtungen sind an sich etwas so Widernatürliches, daß sie, ich möchte fast behaupten, von selbst verschwinden werden, wenn die größere Einheit möglich ist. Wir wollen diese größere - oder richtiger gesagt - die volle Einheit aus heißem Sehnen nach einer einigen deutschen Nation, in der wir gleichberechtigt würden in demokratischen Rechten und Pflichten mit den anderen Nationen. Aber wir wollen diese Einheit nicht als Anhängsel oder als Vasall irgendeiner Großmacht. Die Kommunisten brauchen also wirklich nicht die Sorge zu haben, daß wir etwa Lust hätten, amerikanisch-kapitalistisch gesotten zu werden. Aber ebensowenig möchten wir russisch-bolschewistisch geschmort werden."
Bezugnehmend auf die kommunistische Forderung, einen gesamtdeutschen Konsultativrat einzurichten, der eine gesamtdeutsche Regierung vorbereiten und verwirklichen soll, wies der Abgeordnete Henßler darauf hin, daß die erste Voraussetzung für eine sozialdemokratische Beteiligung an einem solchen gesamtdeutschen Rat die Sicherung der elementarsten demokratischen Freiheiten in allen Zonen sei. Die Vorgänge in der Ostzone seien aber alles andere als demokratisch. Es handele sich dort um eine Einparteien-"Demokratie", die sich von der Nazi-Diktatur nur durch die Uniform und den Katechismus unterscheide.
Der Redner schloß seine Ausführungen mit den Worten: "Ich zweifle nicht an dem deutschen Willen zur Reichseinheit, wenn die Alliierten uns dazu den Weg freigeben. Dann aber hoffe ich, daß das deutsche Volk die Reichseinheit bestimmt, das deutsche Volk, das gewillt ist, frei und unabhängig zu sein und nicht Höriger irgendeiner ausländischen Macht."
( "Westfälische Rundschau"[105], Dortmund, 7. Februar 1948.)
(Republikanische Union Deutschlands)
Der ehemalige Chefredakteur Wolfgang Breithaupt[106] erhielt nunmehr durch die amerikanische Militärregierung die Lizenz für die von ihm gegründete "Republikanische Union Deutschlands" (RUD). Die Partei, die als siebente Partei vorläufig nur im Stadt- und Landkreis München zugelassen ist, lehnt außenpolitisch jede Mittlerrolle zwischen Ost und West ab und fordert die unbedingte Anlehnung Deutschlands an die Vereinigten Staaten von Amerika. Innenpolitisch erstrebt die Republikanische Union, die sich als Partei der Individualisten bezeichnet, die Errichtung eines Zweiparteiensystems unter Ausschaltung jeder wirtschaftlichen und politischen Diktatur, insbesondere der des Marxismus.
( "Süddeutsche Zeitung", München, 2. September 1947.)
[Seite im Original:] - 23 -
In der Nummer 68 des "Badener Tagblatt"[107] vom 24. August 1946 veröffentlicht dessen neuer Chefredakteur W. E. Breithaupt zwei Aufsätze, die von Bedeutung sind als Charakteristikum des Verfassers.
1. Im Leitartikel "Frühgeburten" wird - wie der Titel sagt - die Wahl als Frühgeburt nicht eben sehr geschmackvoll glossiert. Es wird davon gesprochen, die "mit überstürzter Eile durchgeführten Wahlen" hätten den Fehler der Zulassung von konzessionierten Parteien nicht korrigiert. Die Wähler werden wie folgt charakterisiert: "Die bisherige Gefolgschaft der neuen Demokratie wird empfunden als ein Haufen politischer Deserteure."
Die Parteien selbst werden in jeder Weise verächtlich gemacht. So heißt es: "Trotz der von allen Seiten angebotenen Musterkollektion demokratischer Stoffproben..." "Mit demokratischer Konfektionsware ..." "Die Jugend lehnt konsequent jede politische Hörigkeit ab und sieht in den konzessionierten Parteien nur den Wurmfortsatz der bankrotten Vergangenheit."
2. Aber noch schärfer und demagogischer vertritt W. E. Breithaupt in dem Aufsatz "Die namenlose Partei" in der gleichen Nummer seine Auffassung. Es seien lediglich Stichproben - Zitate - angeführt, ohne Kommentar, der unnötig ist: "Seit der Konzessionierung politischer Parteien in Deutschland gibt es deren mehr als genug ..." "Die billige Münze des Antifaschismus, deren obskurer Wert höchst zweifelhaft erscheint ..." "Man muß die Begabung zur Oberflächlichkeit des Tagespolitikers haben ..." "Zungenschlag demokratischer Dialektik ..." "In keinem einzigen der Parteiprogramme aber findet sich auch nur der Hauch eines Lebensbekenntnisses ..." "Und das alles im Namen der Demokratie, deren realpolitischer Wert bis heute kaum die Anschaffungskosten eines neuen Firmenschildes deckt ..." "Demagogie des materialistischen Sozialismus ..." "Rabulistik der Parteifunktionäre..." "Letzten Endes der Exzeß des Sozialismus Europas ..." "Die inferiore Mentalität des deutschen Berufspolitikers ..." "Darum scheint die Zeit nunmehr gekommen, daß die Millionen der namenlosen Partei sich vor der Welt zu Wort melden ..."
(Eigenbericht.)
Acht Seiten umfaßt das "Manifest" des Herrn W. E. Breithaupt. Es ist kein "Kommunistisches Manifest", o nein. Es ist auch zu bezweifeln, daß es, wie dieses 1947, dereinst ein hundertjähriges Jubiläum im Jahre 2047 feiern wird.
Auf jeden Fall: Manifest klingt gut. Da wird die phantastische Entdeckung gemacht, daß "der Nationalsozialismus die Auswirkung des marxistischen Radikalismus Europas" gewesen ist - oder hat man es schon gewußt, daß Hitler ein radikaler Marxist war? Nun, W.E.B.: "Die Sammlung aller nationalen Kräfte des deutschen Volkes" (was und wer das "Schöpferische" ist, bestimmt vermutlich nur der Verfasser), und "die Schaffung des Zweiparteiensystems", wovon natürlich die RUD die eine sein soll.
Mit dem "kompromißlosen Bekenntnis zu den westlichen Demokratien soll eine weitgehende Interessenkoalition in Wehr- und Wirtschaftsfragen hergestellt werden". Denn: "Vorbehaltlos bekennt sich die RUD zur deutschen Nation" und will ihre "individuelle Nationalität entwickeln". Das Manifest fordert deshalb "volle Lebens- und Gleichberechtigung als Volk unter Völkern". Ja, so heißt es: fordert! Unsere herrschende "Bewegung" hat sich bekanntlich so nett gegen die anderen Völker benommen, daß sie sich direkt "freuen", wenn wir als die Verantwortlichen für die Konkursmasse auch mal wieder etwas fordern ... Ueberhaupt, wer ist nach W. E. Breithaupt der Friedensstörer gewesen? Bitte: "Die RUD lehnt den Klassenkampfsozialismus als Kulturfeind und ewigen Friedensstörer der Menschheit ab."
Auf dem Gebiet der Wirtschaft aber sollen "Ständekammern" die Probleme lösen. Dieser Ladenhüter aus der politischen Romantik wird als große Neuheit verkündet. Im übrigen wird an "das soziale Verantwortungsbewußtsein" appelliert. Da aber sogar Herr W. E. Breithaupt schon gemerkt hat, daß dieser schöne Appell nicht immer befolgt wird, so sollen die "notwendigen Ausgleichsmaßnahmen" interparlamentarischen Ausschüssen, Vertretern der Ständekammern, den politisch
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Verfolgten und Heimatvertriebenen übertragen werden. Ja, es ist kein "Interessenhäufchen" vergessen - denn die Parteien sind "der Wurmfortsatz der bankrotten Vergangenheit" - ausgenommen natürlich die RUD! Im übrigen wird jede Planwirtschaft als "kalte Sozialisierung" abgelehnt!
Sie müssen ein alter Mann sein, denn ich[108] bin es bald auch. Im Jahre sechzehn hörte ich von Ihnen zum ersten Male. Es war Krieg, und Sie wagten, öffentlich dagegen zu sprechen. Sie redeten nicht nur, Sie handelten. Sie, "der entartete Sohn eines gutpatriotischen Vaters", wie damals in den deutschen Lokalzeitungen zu lesen war, desertierten 1917.
Der große, erste Krieg brach aus [wahrscheinlich gemeint: "brach ab"]. Sie avancierten zum Attaché der Deutschen Gesellschaft in Haag. Eines Tages riefen Sie mich nach Berlin und entwickelten den Plan für eine "Pacific World Union". Von Holland aus und mit Mitteln aus dem ersten Propagandafonds der neuen deutschen Republik gaben Sie die dreisprachige Wochenzeitung "The World" - Das Wort im Dienste menschlicher Verständigung - heraus[109]. Wenig später muß ich in meinen Briefen schwere Vorwürfe gegen Sie erhoben haben, denn Sie deckten Ihre Karten auf: "... Heute weiß ich, daß der ganze Pazifismus, der ganze Schwindel der Kulturpolitik, zu einem ewigen Fiasko verurteilt ist." Diese Verankerung im Historischen ist für mich der Inbegriff der Reaktion. Diese Reaktion ist für mich das einzige tragfähige Fundament des Lebens. Dieser Bruch, realpolitisch ausgedrückt, heißt: Bruch mit Demokratie und Republik, Rückkehr zur Aristokratie und Monarchie.
Ich bin zu der unumstößlichen Ueberzeugung gekommen, daß es Deutschlands Berufung ist, dieses aristokratisch-monarchistische Prinzip gegenüber dem nivellierenden Westen zu behaupten.
"... Die Phrase Europa sollte heute wirklich keinen Hund mehr hinterm Ofen vorlocken."
Aus diesem Manuskript Breithaupts, geschrieben 1922, zitiert der Verfasser weiter: "Nichts ist in diesem Augenblick (August 1922) so unbedingt notwendig, als klar und deutlich auszusprechen, daß es zwischen Deutschland und Frankreich keine Verständigung gibt."
"Aus alledem ersieht man, welch ungeheuren Fehler die deutsche Demokratie begann, als sie sich in ihren Manifesten auf England berief."
"Die deutsche Demokratie hat von Anfang an den elementaren Fehler begangen, ihre politische Maxime nicht aus der historischen Entwicklung des Deutschen Reiches, sondern aus der Abstraktion der demokratischen Idee abzuleiten, für die ihr England und Amerika die klassischen Vorbilder waren."
Von allen Ihren Gedankengängen, den guten und den miserablen, ist meines Wissens nur ein einziger in die Form eines Buches gelangt. Ich besitze es nicht mehr, aber man wird es auftreiben können, wenn Ihre Spuren weiterverfolgt werden sollen. Meiner Erinnerung nach ist es im Verlage von Koehler & Volckmar in Leipzig in großer Auflage erschienen. Es hieß: "Der Dolchstoß".
Indem Sie das, was heute als Legende, als vorsätzliche Geschichtsfälschung angesehen wird, zur geschichtlichen Wahrheit zu erheben suchten, wurden Sie ein gefährlicher Wegbereiter der späteren Entwicklung.
Ihre Wandlung vom Revolutionär zum Reaktionär und nun wieder zum Demokraten könnte mit grimmigem Humor registriert werden. Man könnte voraussagen, daß auf den noch nicht abgeklungenen Skandal um Loritz[110] in absehbarer Zeit ein Skandal um Breithaupt folgen wird, - wenn das europäische Gelächter über solche politischen Komödianten und Hasardeure nicht zu Lasten des gesamten Deutschlands gehen würde.
( "Die Weltbühne", Berlin, Oktober 1947, Nr. 20)
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Editorische Anmerkungen 1 - Vgl. Christoph Stamm : Die SPD-Fraktion im Frankfurter Wirtschaftsrat 1947-1949: Protokolle, Aufzeichnungen, Rundschreiben, Bonn 1993. 2 - Die Stachanow-Bewegung ist nach dem sowjetischen Bergarbeiter A. G. Stachanow (1906 - 1977) benannt, der 1935 sein Leistungssoll innerhalb einer 6-Stunden-Schicht der Kohlenförderung um das 14,5-fache übertroffen hatte. Die Stachanow-Bewegung war der von der SU-Regierung propagierte Arbeitswettbewerb um Akkordleistungen im Wirtschaftsleben. In anderen kommunistischen Ländern wurde später diese Bewegung nachgeahmt - mit eigenen "Helden der Arbeit". 3 - Oder auch SMAD, die andere gebräuchliche Abkürzung für: "Sowjetische Militäradministration in Deutschland", die oberste sowjetische Besatzungsbehörde in der Ostzone bzw. Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). 4 - Im sog. Antifaschistischen Block waren alle in der SBZ zugelassenen Parteien unter der Führung der SED zusammengefasst ( Blockparteien). 5 - "Die Freiheit" (Mainz) erschien als sozialdemokratische Zeitung von 1947-1966. Das o. e. Verbot wurde bald durch die französische Besatzungsmacht aufgehoben. 6 - Robert Wiener (1895 - 1948), Jurist und Rechtsanwalt, 1923-1938 Sekretär der DSAP-Fraktion in der Nationalversammlung der CSR, bekannter Versammlungsredner der sudetendeutschen Sozialdemokraten, ab 1938 Exil in GB, einige Zeit Befürworter einer engen Zusammenarbeit mit dem CSR-Exil, dann wegen der Haltung von u. a. E. Benes, der in den sudetendeutschen Sozialdemokraten keine politischen Partner sah, Einschwenken auf die Linie von Wenzel Jaksch; führende Mitarbeit in der GB-Landesgruppe der Treuegemeinschaft Sudetendeutscher Sozialdemokraten. - Aus einer Denkschrift der Treuegemeinschaft von 1939, von W. Jaksch (London) inspiriert: "Unsere Partei [die DSAP] hat als einzige unter ehemaligen sudetendeutschen Parteien zu einer demokratischen Lösung des Zusammenlebens von Tschechen und Deutschen in einem gemeinsamen Staate gestanden und damit auch das Recht erworben, an der Neugestaltung der Ordnung im böhmisch-mährischen Raum hervorragend Anteil zu nehmen [...]." 7 - Ella Kay (1895 - 1988), kaufmännische Angestellte, Mitglied einer Gewerkschaft seit 1917, der SPD und der AWO seit 1919, 1923-1927 hauptamtlich bei der AWO, 1927-1933 Fürsorgerin im Jugendamt (1929 Staatsexamen als Sozialarbeiterin), 1929-1933 SPD-Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, nach der NS-Machtübernahme kaufmännische Tätigkeit. 1946-1950 Berliner SPD-Stadtverordnete, 1947 Bürgermeisterin des Bezirks Prenzlauer Berg, 1955-1962 Senatorin für Jugend und Sport, 1962-1971 Mitglied des Abgeordnetenhauses. 8 - "Sprewitz": Gustav Spreewitz (siehe SM 82, Jan. 1946, Anm. 6). 9 - "Olbricht": Lotte Olbrisch (siehe SM 96/97, Febr./März_1947, Anm._20). 10 - "Fließ": Jenny Fliess (siehe SM_92, Nov._1946, Anm._77 ). 11 - Lotte Kohane, geb. Schwalb (geb. 1912), Sekretärin, 1929-1931 SPD-, 1931-1946 SAP-Mitglied, 1935-1937 Zuchthaus wegen illegaler Tätigkeit für die SAP, danach als polnische Staatsangehörige aus Deutschland ausgewiesen, 1937 über die Schweiz nach GB, Mitglied der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in GB und einer englischen Gewerkschaft (Clerical and Administrative Workers). Ab 1946 wieder SPD-Mitglied. 12 - Georg Eckert (1912 - 1974), Historiker, Ethnologe und Lehrer, seit 1931 Mitglied der SPD, bis Kriegsausbruch Lehrer an einer Höheren Schule in Berlin, während des II. Weltkrieges Wehrmachtsoffizier, bei seiner Stationierung in Griechenland Kontakte zu griechischen Antifaschisten. 1945 wieder Anschluss an die neugegründete SPD, dort Kulturpolitik als besonderes Arbeitsgebiet, ab 1946 zuerst Dozent, dann Prof. für Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Braunschweig, 1950/1951 wesentlich an der Gründung des Internationalen Schulbuchinstituts in Braunschweig beteiligt, als dessen Leiter er sich bis zu seinem Tod für Schulbuchrevisionen und Reformen des Geschichtsunterrichts einsetzte. 13 - Gerhard Außner (1909-1974), Buchbinder, in der Weimarer Republik Mitglied der SAJ, SPD und des Reichsbanners. Nach 1945 Dienststellenleiter bei der BEWAG, Funktionen im DGB, 1946 ff. SPD-Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, 1950 ff. Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. 14 - Anna Kettner, geb. Kulemann, in zweiter Ehe A. Brock (1901 - 1993), 1961 bei Siemens ausgeschieden (pensioniert). 15 - Gerhard Nürnberg (1913 - 1975), Angestellter, ab 1931 Mitglied der SPD und des Zentralverbandes der Angestellten (ZdA), 1933 aus seinem Beschäftigungsverhältnis bei der AOK in Rathenow (Havel) entlassen, inhaftiert und einige Monate im KZ Oranienburg. Nach 1945 führend am Aufbau der Gewerkschaften im Raum Großberlin beteiligt, 1948 Sekretär des in den Westsektoren Berlins gegründeten Gesamtverbandes der öffentlichen Betriebe und Verwaltungen, aus dem der Bezirk Berlin der ÖTV hervorging, 1950-1972 im Geschäftsführenden Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV. 16 - Karl-Heinz Peters (geb. 1912), Jurist, 1945 als Justitiar in der Deutschen Zentralverwaltung der Brennstoffindustrie, 1949 ff. Rechtsanwalt, 1951 ff. im Vorstand der Berliner Gemeinnützigen Heimstätten-Aktiengesellschaft (GEHAG). 17 - Zu Peggy Duff konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden. 18 - Caroline Selina Ganley (geb. 1879), u. a. führende Funktionen in der Genossenschaftsbewegung, Labour-MP 1945-1951. 19 - George Hicks (1879 - 1954), brit. Gewerkschafter und Politiker, 1921-1940 Generalsekretär der Amalgamated Union of Building Trade Workers of Great Britain and Ireland, Labour-MP 1931-1950, zahlreiche weitere Funktionen in Partei und Gewerkschaftsbewegung. 20 - "Earl Russel": Bertrand Earl Russell (siehe SM 83/84, Febr./März_1946, Anm._19 ). 21 - Zu R. St. John Reade konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden. 22 - Robert Willis (geb. 1904), britischer Gewerkschafter, 1938-1945 Sekretär des London Trades Council, Mitglied des TUC General Council, 1958-1959 dessen Präsident. 23 - Joseph T. McNarney (1892 - 1972), amerikanischer Berufsmilitär, im II. Weltkrieg Generalstäbler, als Nachfolger Eisenhowers 1945-1947 Oberbefehlshaber der US-Besatzungsarmee in Deutschland und der amerikanischen Streitkräfte in Europa, gleichzeitig Militärgouverneur der deutschen US-Zone und amerikanisches Mitglied des Kontrollrats in Berlin. 24 - Wassili Danilowitsch Sokolowski (1897 - 1968), sowjetischer Marschall seit 1946 (1943/1944 Kommandeur der Westfront), 1946-1949 Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland und Militärgouverneur der SBZ. 25 - Hugh B. Hester, amerikanischer Berufsmilitär, im I. Weltkrieg aktiv als US-Offizier in Frankreich, im II. Weltkrieg an der japanischen Front, Mitglied der Republikanischen Partei, 1945-1947 Leiter der Abteilung Ernährung und Landwirtschaft der amerikanischen Militärregierung in Deutschland (OMGUS). 26 - Erich Köhler (1892 - 1958), Volkswirt, vor 1933 Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP), 1945 Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Wiesbaden, 1946/1947 CDU-Mitglied der Verfassunggebenden Hessischen Landesversammlung bzw. des Landtags, Juni 1947 - August 1949 Präsident des Wirtschaftsrats der Vereinigten Wirtschaftsgebiete, 1949-1957 CDU-MdB, 1949/1950 Bundestagspräsident. 27 - Johannes Semler (1898 - 1973), Jurist, ab 1924 Rechtsanwalt in Hamburg, 1932 öffentlich bestellter Wirtschaftsprüfer, ständiger Berater von Industrieunternehmen, Mitglied in versch. Aufsichtsräten. 1945 Mitbegründer der CSU, Juli 1947 Direktor der Verwaltung für Wirtschaft der Vereinigten Wirtschaftsgebiete, wegen seiner Angriffe auf die Ernährungspolitik der USA im Januar 1948 seines Amtes enthoben, später Spezialist für die Sanierung kranker Firmen und weiterhin Wirtschaftsberater. 28 - Hans Schlange-Schöningen (1886 - 1960), nach Studium der Agrarwissenschaften und Frontzeit im I. Weltkrieg Gutsbesitzer in Pommern, Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), 1921-1928 MdL Preußen, 1924-1930 MdR, 1930 Austritt aus der DNVP, 1930-1932 MdR (für die Christlichnationale Bauern- und Landvolkpartei), 1931-1932 Reichsernährungsminister, 1933-1945 Arbeit als Gutsbesitzer (Kontakte zu Widerstandskreisen). Nach 1945 Mitgründer der CDU in Westdeutschland, 1947-1949 Direktor der Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, 1949-1950 CDU-MdB, 1950-1955 Generalkonsul, dann Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Großbritannien. 29 - Otto Schniewind (1887 - 1970), Jurist und Finanzfachmann, 1925-1938 Tätigkeiten preußischen Handelsministerium, als Finanzberater der persischen Regierung, im Reichswirtschaftsministerium und in der Reichsbank (Rücktritt wegen der Rüstungsfinanzierung), dann Privatbankier, 1944/45 KZ Ravensbrück. 1947 Ablehnung des Direktorenpostens, im April 1948 nach einem Beschluss der Direktoren des Wirtschaftsrates mit der Leitung eines Büros für die Koordinierung der versch. Verwaltungen in Sachen Marshall-Plan betraut, maßgeblicher Anteil an der Gründung der Kreditanstalt für Wiederaufbau, später in versch. Aufsichtsräten von Unternehmen. 30 - Eugen Fischer (1880 - 1950), Jurist, ab 1907 höhere Funktionen bei der Reichseisenbahn, als Nicht-NSDAP-Mitglied 1944 beurlaubt. 1946 Generaldirektor des Verkehrswesens der US-Zone, 1947 Leitung der Reichsbahn-Generalbetriebsleitung Süd in Stuttgart; zwar vom Wirtschaftsrat im Juli 1947 zum Direktor (s. o.) gewählt, dennoch Verbleib im Stuttgarter Amt. 31 - "Schubert": Hans Schuberth (1897 - 1976), Maschinenbauer und Elektrotechniker (Dipl. Ing.), ab 1926 bei der Reichspost beschäftigt (1934 Postrat). Nach 1945 hohe Funktionen bei den Oberpostdirektionen München und Regensburg, Staatssekretär für Post- und Fernmeldewesen in der bayerischen Regierung, 1947-1949 Direktor der Verwaltung für Post- und Fernmeldewesen im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, CSU-Mitglied, 1949-1953 Bundespostminister, 1953-1957 CSU-MdB. 32 - "Bennot", "Benett": Jack Bennett, ab 1946 Leiter der Finance Division der amerikanischen Militärregierung (OMGUS). Weitere biographische Angaben konnten nicht ermittelt werden. Anfang 1949 wird in der deutschen Presse gemeldet, daß J. B. seinen Rücktritt als Finanzberater von Clay eingereicht habe - wegen seiner Differenzen mit diesem über die Währungspolitik in Westdeutschland und Berlin. 33 - William Sholto Douglas (geb. 1893), britischer Berufsmilitär (Luftwaffe), 1946 - 1947 Oberkommandierender und Militärgouverneur der Britischen Besatzungszone, 1948 ff. leitende Funktionen bei brit. Fluggesellschaften. 34 - George Price Hays (geb.1892), amerikanischer General, 1947 - 1949 Tätigkeit bei der US-Militärregierung in Deutschland, 1949 beim amerikanischen Hohen Kommissar (Deputy High Commissioner for Germany). 35 - Heinrich Kost (1890 - 1978), Bergassessor, ab 1925 leitende Funktionen im Ruhrbergbau. Obwohl "Wehrwirtschaftsführer", wurde er nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und 1945 zum Tode verurteilt, danach befreit. Ende 1947 Generaldirektor der Kohlenbergbau-Leitung, 1953 ff. Präsident der Wirtschaftsvereinigung Bergbau, Mitglied von Aufsichtsräten einer Reihe von Unternehmen im Ruhrgebiet, zahlreiche Ehrenämter (auch in der Wissenschaft). 36 - Henry Edward Collins (geb. 1902), Bergbauingenieur, langjährige Erfahrungen im britischen Kohlenbergbau, 1945-1950 Leiter der Norddeutschen Kohlenkontrolle (North German Coal Control), ab 1947 auch der britische Vorsitzende der o. e. Kontrollgruppe. 37 - "Estill": Bei Christoph Weisz (Hrsg.): OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland, München 1994, wird auf S. 71 ein Robert R. Estill als US-Chairman der US-UK Coal Control Group (Essen) aufgeführt. - Eine deutsche Zeitungsmeldung vom November 1947 besagt, daß "Mr. R. E. Estille" (wahrscheinlich falsche Namensschreibung) nach einer Bekanntgabe der amerikanischen Militärregierung "als amerikanischer Direktor des neugeschaffenen Ruhrkohlen-Kontrollamtes" ernannt worden sei. Weitere biographische Angaben konnten nicht ermittelt werden. 38 - "McReady": Gordon Macready (geb. 1891), britischer Berufsmilitär, 1947-1949 der brit. Vorsitzende des Economic Control Office for British and American Zones of Germany, 1949-1951 Wirtschaftsberater des brit. Hohen Kommissars in Deutschland. 39 - James R. Newman (geb. 1903), US-Colonel, im Zivilberuf Erziehungswissenschaftler, dann Berufsmilitär, 1945-1949 Direktor des Office of Military Government, Land Greater Hesse (OMGHE), dann Land Commissioner for Hesse. 40 - Fall Dr. Semler: In der (u. a. sozialdemokratischen) Presse war J. Semler wegen seines "übertriebenen Repräsentationsbedürfnisses auf Kosten der Verwaltung für Wirtschaft" und einer Verquickung von (Eigen-)Geschäft und Politik angegriffen worden. Unterschwellig spielte außerdem Semlers Tätigkeit während des Krieges für die NS-Treuhandstelle Ost eine Rolle. In einer Vollversammlung des Wirtschaftsrats (18.12.1947) wurde - auch mit Stimmen der SPD - ein Antrag angenommen, der die Presseangriffe gegen Semler missbilligte. 41 - William Clayton (1880 - 1966), amerikanischer Industrieller und Politiker, 1946-1947 Staatssekretär für wirtschaftliche Angelegenheiten im US-Außenministerium. 42 - Jacques Duclos (1896 - 1975), seit 1921 Mitglied der französischen Kommunistischen Partei, 1926-1932, 1936-1940 und 1944-1958 komm. Abgeordneter der Nationalversammlung, 1931-1964 Sekretär des KP-Politbüros, während des Krieges an führender Stelle in der Résistance tätig gewesen. 43 - Paul Henri Spaak (1899 - 1972), belgischer sozialistischer Politiker, 1932-1956 und 1961-1966 Abgeordneter (während des Krieges im Exil), ab 1936 wiederholt belgischer Außenminister (auch der belg. Exilregierung 1940-1944 in London), Ministerpräsident 1938-1939, 1946, 1947-1949 (zugleich Außenminister), stellvertr. Ministerpräsident 1961-1965. 44 - Jefferson Caffery (1886 - 1974), amerikanischer Jurist und Berufsdiplomat, 1934-1937 US-Botschafter in Kuba, 1937-1944 Botschafter in Brasilien, 1944-1949 Botschafter in Frankreich. 45 - Lewis Williams Douglas (1894 - 1974), amerikanischer Geschäftsmann, Unternehmer und Politiker, 1927-1933 Abg. im Repräsentantenhaus, 1947-1950 US-Botschafter in GB, in den 20er Jahren Republikaner, später Mitglied der Demokratischen Partei. 46 - Robert Daniel Murphy (1894 - 1978), amerikanischer Berufsdiplomat, 1945-1949 Political Adviser (im Range eines Botschafters ) bei OMGUS, 1949-1952 US-Botschafter in Belgien, 1952-1953 in Japan, später Unterstaatsekretär im US-Außenministerium. 47 - Alexander Svolos (1892 - 1956), Professor, 1944 Minister ohne Geschäftsbereich, dann vorübergehend zum griechischen Finanzminister ernannt, 1946 Mitgründer der Sozialistischen Partei "Union der Volksdemokratie" (griech. Abkürzung: SKELD ) als Sammelpartei der nichtkommunistischen Linken, deren Vorsitz er übernahm. 48 - "le Roque": Victor Larock (1904 - 1977), Lehrer, Soziologe und Journalist, während des II. Weltkriegs Widerstandstätigkeit, Mitglied des Büros der im Untergrund arbeitenden Sozialistischen Partei. 1944-1954 politischer Leiter des belgischen sozialistischen Parteiorgans "Le Peuple", 1949-1977 soz. Parlamentsabgeordneter, 1954-1957 Außenhandelsminister, 1957-1958 belgischer Außenminister, 1961-1963 Erziehungsminister. 49 - Maarten C. Bolle (1903/1904 ? - 1986), niederländischer Gewerkschafter und Sozialist (PvdA), 1945 ff. Generalsekretär der International Federation of Unions of Employees of the Public and Civil Services in London (trägt seit 1958 auch die deutschsprachige Bezeichnung: Internationale des Öffentlichen Dienstes, IÖD), in London internationale Aktivitäten für die PvdA, ab den 50er Jahren in den USA Korrespondententätigkeit für "Het Vrije Volk", eine sozialdemokratische Tageszeitung (Amsterdam, Rotterdam). 50 - "Berhard": Vilém Bernard (1912 - 1992), Jurist, 1939 Flucht in die Sowjetunion, 1943-1945 Attaché an der Botschaft der Londoner CSR-Exilregierung in Moskau. 1945-1948 im Vorstand der tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Partei (Leiter der Internationalen Abteilung), nach der kommunistischen Machtergreifung 1948 Flucht über Österreich nach GB, 1972-1989 Vorsitzender der tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Partei im Exil. 51 - "Wodack": Walter Wodak (1908 - 1974), Jurist und Versicherungsangestellter, als österreichischer Sozialist 1938 über Jugoslawien nach GB emigriert, 1940 Kriegsfreiwilliger in der britischen Armee (Army Education Corps in Oxford). Ab 1946 Attaché an der neuen österreichischen Vertretung in London, 1951-1953 Geschäftsträger bei der österreichischen Botschaft in Paris, 1953-1959 österr. Gesandter / Botschafter in Belgrad, später u. a. im Außenministerium und 1964-1970 Botschafter in Moskau. 52 - Otto Nuschke (1883 - 1957), Buchdrucker und Journalist, 1919-1920 Mitglied der Nationalversammlung, 1921-1933 MdL Preußen (für die DDP bzw. Deutsche Staatspartei), in der NS-Zeit Verbindungen zu Widerstandskreisen. 1945 Mitgründer der CDU in der SBZ und zeitweise Chefredakteur des CDU-Parteiorgans "Neue Zeit", trat für eine enge Zusammenarbeit mit der SED ein, 1948-1957 Vorsitzender der CDU (-Ost), 1949 ff. stellvertr. DDR-Ministerpräsident. 53 - Hermann Kastner (1886 - 1957), Jurist (Prof. und Anwalt), in der Weimarer Republik Mitglied der DDP bzw. der Deutschen Staatspartei, MdL Sachsen bis 1933. 1945 Mitgründer der Liberal-Demokratischen Partei in der SBZ, 1946-1948 sächsischer Justizminister, Wortführer einer engen deutsch-russischen Zusammenarbeit, 1949 stellvertr. DDR-Ministerpräsident, 1951-1955 Leiter des "Förderungsausschusses für die Intelligenz" in der DDR, 1956 Übertritt von der DDR in die Bundesrepublik. Jahre nach seinem Tod wurde bekannt, daß Kastner aus gesamtdeutschen Überlegungen heraus für die "Organisation Gehlen" bzw. den Bundesnachrichtendienst gearbeitet hatte. 54 - Annerose Zibolsky (geb. 1921), während des Krieges Tätigkeit als Werkschwester, ab 1946 Referentin im Landesvorstand Brandenburg der FDJ und MdL Brandenburg, ab 1950 CDU-Mitglied der Volkskammer. 55 - Wilhelm Külz (1875 - 1948), Jurist und Kommunalbeamter, 1920-1932 MdR für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) bzw. für die Deutsche Staatspartei (DStp), 1926-1927 Reichsinnenminister, 1930-1933 Oberbürgermeister von Dresden. 1945 Mitgründer der Liberal-Demokratischen Partei in der SBZ, ab 1946 der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD), 1945-1948 ihr Vorsitzender. 56 - Wilhelm Bachem (geb. 1903), Drogist, vor 1933 Mitglied der DDP und der DStp. Nach 1945 zunächst als Fuhrunternehmer tätig, Mitglied der CDU (Ost), 1947-1949 thüringischer Minister für Verkehr, 1949 Staatssekretär in der DDR-Regierung, 1950 Flucht in die Bundesrepublik. 57 - Josef Feuerer, als KPD-Mitglied 1937 wegen Widerstand gegen das NS-Regime zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. 58 - WAV = Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung; eine Gruppierung, die 1945 in München entstanden war und Anfang 1946 von der amerikanischen Besatzungsmacht die Lizenz als Partei bekommen hatte. Trotz ihrer widersprüchlichen und unklaren Politik, die vor allem den Mittelstand ansprechen und den Antiparteien-Affekt betonen sollte, und trotz ihrer heterogen Zusammensetzung gelang es der WAV, Mandate im bayerischen Landtag und später sogar im ersten Deutschen Bundestag zu erringen. 59 - Die Deutsche Friedensgesellschaft, eine pazifistische Organisation, die 1892 unter dem Einfluss Bertha von Suttners in Berlin entstanden und 1933 vom NS-Regime verboten worden war; 1945 in Westdeutschland wiedergegründet. 60 - Die Funktionen dieses Länderrats, in dem die Länder der Bizone vertreten waren, wurden s. Zt., besonders gegenüber dem Wirtschaftsrat, und zwar auch bei den Sozialdemokraten, durchaus unterschiedlich interpretiert, wie aus dem Protokoll der o. e. Sitzung vom 25.1.1948 hervorgeht. 61 - Es fällt auf, daß beispielsweise in der SPD-Presse der frühen Nachkriegszeit der Vorname Willy Brandts (1913 - 1992) oft als Willi geschrieben wird; was ein Indiz dafür ist, daß er in Parteikreisen relativ unbekannt war. 62 - Maria Detzel (1892 - 1965), in den 20er Jahren SPD-Mitglied der Koblenzer Stadtverordnetenversammlung und vor 1933 im Vorstand des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen. Nach 1945 Oberregierungsrätin im rheinland-pfälzischen Sozialministerium und später Behördenchefin des Landesversorgungsamtes, 1946-1962 SPD-Stadträtin in Koblenz. 63 - Fritz Geisthardt (geb. 1905), Bankkaufmann, 1927-1930 Studium an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin, dort Staatsexamen als Sozialarbeiter, 1931-1933 Sozialarbeiter in Magdeburg. Nach Kriegsende im Hauptjugendamt der Stadt Berlin, 1946-1951 Leitender Magistratsdirektor der Abteilung Sozialwesen von Groß-Berlin, danach Senatsdirektor beim Senator für Sozialwesen von Berlin, SPD-Mitglied. 64 - Fritz Kissel (1888 - 1951), seit seinem 14. Lebensjahr bei der Sozialversicherung tätig, SPD-Mitglied, in der frühen Nachkriegszeit Präsident der Landesversicherungsanstalt Hessen. 65 - Lisa Korspeter, geb. Zwanzig (1900 - 1992), Kindergärtnerin und Jugendwohlfahrtspflegerin, ab 1927 Mitglied im Deutschen Textilarbeiterverband, ab 1929 Mitglied der SPD, während der NS-Zeit Tätigkeit in einem Ladengeschäft. 1945 Mitwiederbegründerin der SPD und ihrer Frauenorganisation in Magdeburg, 1946 aus der SBZ nach Hannover, 1947-1948 SPD-Mitglied des Zonenbeirats der Britischen Zone, 1948-1949 Mitglied des Wirtschaftsrates für Niedersachsen, 1949-1969 SPD-MdB.
66 - Gerhard Neuenkirch (geb. 1906), Bankkaufmann, nach der sog. Machtergreifung 1933 zweimal vorübergehend in politischer Haft, nach 1945 Mitwiederbegründer der SPD in Hamburg und Schleswig-Holstein, 1946-1954 SPD-Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, 1950-1954 Senator der Freien Hansestadt Hamburg, später im Vorstand der Bank für Gemeinwirtschaft (Frankfurt a. M.). 67 - "Selpin": Ludwig Selpien (1882 - 1951), Zigarrensortierer, seit 1901 Mitglied in der Gewerkschaft, seit 1903 in der SPD, 1932-1933 Ausschussvorsitzender des Deutschen Tabakarbeiterverbandes, 1933-1945 Betreiber eines Tabakwarengeschäfts mit Zeitschriften. Nach 1945 Abteilungsleiter im Bezirk Nordmark des DGB, Experte für Sozialversicherung, 1946-1949 SPD-Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. 68 - Ernst Böhme (1892 - 1968), Jurist und Volkswirtschaftler, SPD-Mitglied seit 1912, 1926-1929 Stadtrat in Magdeburg, 1929 - 1933 Oberbürgermeister von Braunschweig, 1930-1933 SPD-MdL Braunschweig, 1933 zweimal zeitweilig inhaftiert, aus Braunschweig ausgewiesen, 1935 erneut vorübergehend in Schutzhaft. 1945-1948 Oberbürgermeister von Braunschweig, 1946-1955 SPD-MdL Niedersachsen. 69 - Emil Feldmann (1895 - 1968), Arbeiter (später Kaufmann), 1924-1929 Angestellter beim sozialdemokratischen "Volksblatt" in Detmold, 1929-1933 Parteisekretär im SPD-Unterbezirk Lippe (Detmold), SPD-MdL Lippe bis 1933, 1933 mehrmals verhaftet, ab 1934 als Lebensmitteleinzelhändler tätig, 1945 in französischer Kriegsgefangenschaft. 1946 Landrat im Kreis Lemgo, 1947-1966 SPD-MdL NRW. 70 - Georg Häring : Siehe SM 81, Dez. 1945, Anm. 91. 71 - Josef Hirn (1898 - 1971), 1920 - 1944 Reichsfinanzbeamter in Stuttgart, im Ruhrgebiet und im Saarland, 1925-1933 SPD-Mitglied des Stuttgarter Gemeindeparlaments, 1944 eingezogen und 1945 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Stuttgart zurückgekehrt. 1945 ff. Finanzreferent (Stadtkämmerer) und 1946-1964 stellvertr. Oberbürgermeister von Stuttgart (mit der Amtsbezeichnung Bürgermeister). 72 - Gustav Klimpel (1891 - 1956), Verwaltungsfachmann, SPD-Mitglied, 1927-1933 Oberbürgermeister von Freital (Sachsen), in der NS-Zeit Tätigkeit als Vertreter, ab 1938 Verbindung zu Widerstandskreisen, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. 1945-1946 Leiter des Haupternährungsamtes der Stadt Berlin, 1946 bis zu seinem Tod Oberstadtdirektor von Duisburg. 73 - August Rautenberg (1886 - 1957), sozialdemokratischer Kommunalpolitiker, nach 1945 Amtsdirektor im Amt Blankenstein (bei Bochum). 74 - Hans Rollwagen (1892 - 1992), Rechtsanwalt, 1919 SPD-Mitglied des Augsburger Stadtrats, 1923-1929 1. Bürgermeister der Stadt Neustadt bei Coburg, 1929-1933 besoldeter Stadtrat (zuständig für Verwaltungs- und Baupolizei, Wohnungs- und Siedlungstätigkeit) in Nürnberg. Nach Kriegsende wieder in der Nürnberger Kommunalpolitik aktiv, 1948-1958 sozialdemokratischer Oberbürgermeister von Bayreuth, 1954-1962 Präsident des Bezirkstages Oberfranken. 75 - Fritz Steinhoff (1897 - 1969), Bergmann, 1928-1933 SPD-Parteisekretär in Hagen, nach 1933 zeitweise inhaftiert, 1938 verhaftet und wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 3 Jahren Schutzhaft verurteilt, 1944/45 im KZ Sachsenhausen. 1946-1957 SPD-Oberbürgermeister von Hagen, 1946-1961 SPD-MdL, 1950 NRW-Minister für Wiederaufbau, 1956-1958 NRW-Ministerpräsident, 1961-1969 SPD-MdB. 76 - "Weißer": Gerhard Weisser. (Siehe SM_83/84, Febr./März 1946, Anm._13). 77 - Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD), verstand sich selbst als Suborganisation der KPD. 78 - Internationale Demokratische Frauen-Föderation (IDFF), 1945 gegründet. 79 - Eugénie Cotton, geb. Feitys (1881 - 1967), Physikerin, während des II. Weltkrieges zusammen mit ihrem Mann, dem Physiker Prof. Aimé-Auguste Cotton, in der französischen Widerstandsbewegung gegen die deutschen Besatzer, 1945 Präsidentin der IDFF, 1951 Stalin-Preis. 80 - "Ibarruri": Dolores Ibárruri (1895 - 1989), Tochter eines Bergmanns und verheiratet mit einem Bergmann, ab 1917 Mitglied der Spanischen Sozialistischen Arbeiter-Partei (PSOE), 1920 Mitbegründerin der KP in Asturien, wegen ihrer politischen Tätigkeit mehrfach inhaftiert, 1936 Generalsekretärin der spanischen KP und komm. Mitglied des Parlaments, während der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs radikale Volksrednerin gegen den Faschismus ("La Pasionaria"), nach dem Sturz der Volksfront-Regierung (1939) Exil in der SU, 1945 Teilnehmerin am Pariser Gründungskongress der IDFF, stellvertr. IDFF-Vorsitzende, 1960-1967 Vorsitzende der spanischen Exil-KP in der SU, 1977 Rückkehr nach Spanien. 81 - "Popoya":Gemeint ist möglicherweise Nina Popowa. 82 - Gene Weltfish (1902 - 1980), Prof. für Anthropologie an der Columbia - Universität in New York, Teilnehmerin am IDFF-Gründungskongress in Paris 1945, stellvertr. IDFF-Vorsitzende, später vor dem Kongress-Ausschuss für unamerikanische Umtriebe des Landesverrats bezichtigt. 83 - Emmy Damerius-Koenen (geb. 1903), Angestellte, Mitglied der KPD seit 1924, Parteifunktionärin, 1934 in die SU emigriert, 1936 nach Frankreich (KPD-Auslandsleitung), später in die CSR, 1939-1945 Exil in GB. Rückkehr nach Deutschland (SBZ), als Journalistin tätig und Mitgründerin des DFD. In 1. Ehe verheiratet mit dem Theaterregisseur Helmut Damerius (KPD-Mitglied), in 2. Ehe mit dem späteren SED-Funktionär Wilhelm Koenen (siehe SM_57, Ende Dez._1943, Anm._12). 84 - Toni Wohlgemuth (1892 - 1984), Facharbeiterin, Gewerkschafterin, 1912 Beitritt zur SPD, 1919-1933 SPD-Mitglied der Preußischen Verfassunggebenden Landesversammlung bzw. des Landtags. 1945 wieder SPD-Mitglied, ab 1946 in der SED, stellvertr. Vorsitzende des DFD, Reichsbahn-Vizepräsidentin. 85 - Friedel Malter, geb. Franz (geb. 1902), Weberin, seit 1926 Mitglied der KPD und gewerkschaftlich organisiert, 1930-1933 KPD-MdL Preußen, in der NS-Zeit 6 Jahre Zuchthaus und KZ. Nach Kriegsende SED-Mitglied, im Bundesvorstand des FDGB (zuständig für die gewerkschaftliche Frauenarbeit), in den 50er Jahren Staatssekretärin im DDR-Ministerium für Arbeit. 86 - Anna Seghers, geb. Reiling (1900 - 1983), Kunst- und Kulturhistorikerin, Schriftstellerin, seit 1928 Mitglied der KPD, 1933 Flucht vor dem NS-Regime ins Ausland, Exil u. a. in Frankreich und Mexiko. 1947 Rückkehr nach Deutschland (SBZ), 1950-1978 Präsidentin des Deutschen Schriftstellerbandes (DDR). 87 - Maria Rentmeister (1905 - 1996), in der Weimarer Republik KPD-Stadtverordnete in Oberhausen und kommunistische Abgeordnete im Provinziallandtag für das Rheinland, während der NS-Zeit 5 Jahre inhaftiert. Nach 1945 SED-Stadtverordnete in Berlin und Generalsekretärin des Deutschen Frauenbundes (DFB). 88 - Marie-Elisabeth Lüders (1878 - 1966), als Dr. rer. pol. 1912-1915 Wohnungspflegerin der Stadt Charlottenburg, in der Weimarer Republik Tätigkeit im Reichsarbeitsministerium, Mitglied der DDP bzw. der DStp, 1919-1930 Mitglied der Nationalversammlung und des Reichstags, 1933 Rede- und Schreibverbot, 1937 mehrmonatige Haft, nach internationalen Protesten entlassen. 1948-1950 Stadtverordnete in Berlin, 1949-1951 Leiterin der Abteilung Sozialwesen des Berliner Magistrats, 1953-1961 FDP-MdB, Ehrenpräsidentin der FDP. 89 - Anne-Marie Durand-Wever (1889 - 1970), Gynäkologin, trat vor 1933 u. a. für eine Reform der Sexual-Gesetzgebung und für eine Familienplanung (Arbeitskreis für bewusste Elternschaft) ein, in der NS-Zeit in ihrer Praxis bespitzelt. 1946 erste Vorsitzende des DFD, setzte sich in einer juristischen Kommission für eine Änderung des § 218 in der SBZ ein. 90 - "Für Dich" war eine Frauenzeitschrift mit SED-Tendenz, die in Berlin (Ost) erschien. 91 - Richtig: "Lübecker Volksbote", der als "Tageszeitung für das arbeitende Volk" (Untertitel) von 1894-1933 erschien. Brandts Mitarbeit endete, als er sich 1931 der SAP anschloss. 92 - Das war bereits 1939. Willy Brandt (Erinnerungen, Berlin 1992) bezeichnete die Norwegische Volkshilfe als "eine gelungene Mischung aus Arbeiterwohlfahrt und humanitärer Auslandshilfe". 93 - Eine Entscheidung der norwegischen Exil-Regierung in London (nachdem er 1938 von der NS-Regierung ausgebürgert worden war), die ihm in Schweden, seinem zweiten Exilland, mitgeteilt wurde. Brandts deutsche Wiedereinbürgerung erfolgte 1948. 94 - Er war damit der Nachfolger von Erich Brost (s. d.). 95 - Karl Arnold (1901 - 1958), Lederarbeiter, ab 1924 Sekretär der Christlichen Gewerkschaften in Düsseldorf, Mitglied des Zentrums, im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 verhaftet. 1945 Mitbegründer der CDU in Düsseldorf und im Rheinland, Vertreter des Arbeitnehmerflügels der CDU, 1946 Oberbürgermeister von Düsseldorf, 1947-1956 NRW-Ministerpräsident. 96 - Johannes Albers (1890 - 1963), Buchdrucker und Maschinensetzer, 1919-1933 Sekretär der Christlichen Gewerkschaften in Köln, Mitglied der Zentrumspartei, 1944 wegen Hochverrats zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Nach Kriegsende Mitbegründer der CDU und der Einheitsgewerkschaft DGB, 1946-1950 CDU-MdL NRW, 1949-1957 MdB, führende Rolle bei den Sozialausschüssen der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, die er 1945 mitgegründet hatte. 97 - Johannes Brockmann (1888 - 1975), Lehrer, Mitglied des Zentrums, 1925-1933 MdL Preußen, 1933 aus dem Schuldienst entlassen, 1944 von der Gestapo verhaftet. Nach Kriegsende Mitwiederbegründer des Zentrums, 1946-1948 und 1952-1969 Geschäftsführender bzw. 1. Vorsitzender der Deutschen Zentrums-Partei, 1947-1958 MdL NRW (Fraktionsvorsitzender), 1948/1949 im Parlamentarischen Rat, 1953-1957 MdB. 98 - Die "Rhein-Ruhr-Zeitung" war eine Tageszeitung des Zentrums, die in Essen seit Mai 1946 erschien. 99 - Friedrich Middelhauve (1896 - 1966), Buchhändler, Verleger und Politiker, vor 1933 Mitglied der Deutschen Staatspartei (DStp). Nach Kriegsende Mitgründer der FDP in NRW, 1946-1956 NRW-Landesvorsitzender der FDP, 1947-1958 MdL NRW, 1949/1950 und 1953/1954 MdB, 1954-1956 Wirtschafts- und Verkehrsminister von NRW. 100 - Hugo Hickmann (1877 - 1955),evangelisch-luth. Relegionslehrer und Publizist, vor 1933 Mitglied der Deutschen Volkspartei und DVP-MdL Sachsen. 1945 Mitbegründer der CDU in Sachsen, 1946 ff. MdL Sachsen, 1947 Wahl in den Zonenvorstand der CDU (-Ost), 1949 Mitglied der DDR-Volkskammer, 1950 - nach SED-Vorwürfen hinsichtlich mangelnder Zusammenarbeit - Rücktritt von allen Partei- und Parlamentsämtern. 101 - "Der Kurier" erschien seit November 1945 im französischen Sektor von Berlin als überparteiliche Tageszeitung. 102 - Josef Ledwohn (geb. 1907), Elektromonteur, von der SAJ kommend 1927 Beitritt zum Kommunistischen Jugendverband, 1929 zur KPD, 1933-1936 in Haft bzw. im Zuchthaus, nach seiner Entlassung Arbeit bei einer Schachtbaufirma und weiterhin im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv. Nach Kriegsende Mitwiederbegründer der KPD in Westdeutschland, Vorsitzender des KPD-Bezirks Ruhrgebiet, später KPD-Landesvorsitzender NRW und Mitglied des Gesamtparteivorstandes, 1946-1954 MdL NRW, in den 50er Jahren vom Bundesgerichtshof zu 3 1/2 Gefängnis wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilt, 1957 entlassen. 103 - "Herr Kaiser": Jakob Kaiser (siehe SM 77/78, Aug./Sept. 1945, Anm._14). 104 - Das "Westdeutsche Volksecho", ein zentrales KPD-Organ, erschien ab Mai 1946 in Dortmund. 105 - Die "Westfälische Rundschau" erschien als SPD-nahe Zeitung seit 1946 in Dortmund. 106 - Zu Wolfgang Breithaupt konnten weitere biographische Angaben nicht ermittelt werden. 107 - Zu der Zeitung "Badener Tagblatt" konnten Erscheinungsort etc. nicht ermittelt werden. 108 - Als Autor des zitierten Artikels (aus: "Die Weltbühne", Nr. 20 von 1947, S. 874-877) ist ebd. Friedrich Partmuss angegeben. Der (hier in den SM stark gekürzte) Beitrag trägt den Titel: "In Sachen 'RUD'. Brief an Breithaupt." 109 - "The World", dreisprachige Wochenzeitung. Weitere Angaben (Ort, Erscheinungszeit etc.) konnten nicht ermittelt werden. 110 - Alfred Loritz (1902 - 1979), Rechtsanwalt, 1928-1932 Mitglied der Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei), nach 1933 Kontakte zu Widerstandsgruppen, 1939 Ausschluss aus der Rechtsanwaltskammer, 1939-1945 Exil in der Schweiz. 1945 Rückkehr nach Deutschland (München), 1945/1946 Gründer und Vorsitzender der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (s. d.), 1946-1950 MdL Bayern, Dezember 1946 - Juni 1947 bayerischer Staatsminister für Sonderaufgaben (Entnazifizierung), Juli 1947 Verhaftung wegen Verleitung zum Meineid und Schwarzmarktgeschäften, September 1947 Flucht aus der Untersuchungshaft und bis 1948 im "Untergrund", 1948 teilweise Freispruch bzw. Amnestie, 1949-1953 MdB, 1951 Ausschluss aus der WAV-Bundestagsfraktion wegen eigenmächtiger Verhandlungen mit der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei (SRP), 1959 wegen Meineidsanstiftung und Falschbeurkundung zu einer Zuchthausstrafe und zu 5 Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, 1959 Flucht nach Österreich, dort 1962 politisches Asyl erhalten. |