FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Ökonomischer Wettbewerb der Systeme. Wladimir Iljitsch Lenin (*22.4.1870-†21.1.1924) hatte 1920 erklärt, es würde „unsere Haupteinwirkung auf die internationale Revolution […] jetzt durch unsere Wirtschaftspolitik“ ausgeübt: „Der Kampf ist im Weltmaßstab auf dieses Gebiet übertragen. Lösen wir diese Aufgabe, dann haben wir im internationalen Maßstab bestimmt und endgültig gewonnen.“ Der Marxismus-Leninismus definiert die Wirtschaft grundsätzlich als entscheidenden Bereich der menschlichen Tätigkeit, weil davon letztlich das materielle und geistige Niveau der Gesellschaft abhänge. So war es nur folgerichtig, dass nach der Entstehung eines Blocks marxist.-leninist. beherrschter Länder und dem Beginn des Kalten Krieges der ö.W.d.S. in den Staaten des Ostblocks zum Hauptkonfliktfeld des bipolaren Weltsystems ausgerufen wurde. Dies sei - so das DDR-Standardwerk Politische Ökonomie des Sozialismus 1973 - „eine objektive Gesetzmäßigkeit der gegenwärtigen Epoche der Menschheit“, und man zeigte sich davon überzeugt, dass „der Sozialismus den Kapitalismus vor allem an der wirtschaftlichen Front besiegen kann und muss.“ Die Auseinandersetzung zwischen den Wirtschaftssystemen umfasse alle Bereiche: Produktion, Verteilung, Austausch und Konsumtion. Es gehe um die Überlegenheit im Ausmaß, technischen Niveau (wissenschaftlich-technische Revolution) und in der Effektivität der Produktivkräfte, in den Wachstumsraten und im Niveau der Arbeitsproduktivität, im Produktionsvolumen und im Pro-Kopf-Nationaleinkommen und um die entscheidenden Positionen in der Weltproduktion. Die Überlegenheit der sozialist. Wirtschaftsweise beruhe vor allem darauf, dass sie mittels des gesellschaftlichen Eigentums eine höhere Arbeitsmotivation hervorbringe und sie sich planmäßig entwickele. So war man sich gewiss, dass diese „Ordnung ihre unbestreitbaren Vorzüge in den Möglichkeiten zur Entwicklung der Produktivkräfte [offenbart], und auf dieser Grundlage […] im Prozess des kommunist. Aufbaus der Wohlstand des Volkes zur vollen Blüte kommen, ein Überfluss an materiellen und geistigen Gütern für alle Mitglieder der Gesellschaft und ihre allseitige harmon. Entwicklung erreicht [wird].“ Gewerkschaften war die Mitwirkung an der Erreichung dieser hellen Zukunft aufgetragen, d.h. Steigerung der Arbeitsproduktivität mittels der Mobilisierung (s.a Arbeitsmobilisierung) ihrer Mitglieder und deren Integration in dieses harmon. Gesellschaftsmodell. Der FDGB hielt sich über 40 Jahre lang daran und nahm so am ö.W.d.S. teil.
Der Sieg blieb gleichwohl aus. Die Arbeitsmotivation der FDGB-Mitglieder war in Wirklichkeit keineswegs höher als diejenige jenseits des Eisernen Vorhangs. Das gesellschaftliche oder Volkseigentum blieb ein abstrakter Terminus, denn gerade der FDGB, dem als Gewerkschaft eigentlich Mitbestimmung und betriebliche Mitwirkung aufgetragen war, setzte es nicht in konkretes Eigentümerbewusstsein um. Der vermeintliche Vorteil der Planbarkeit führte zum Wegfall des produktivitätssteigernden Wettbewerbs und der Entstehung unproduktiver Planungsapparate. So hat der Ostblock gerade im ö.W.d.S. den Kalten Krieg verloren.
U.G.