FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Institut Sozialpolitik der Gewerkschaften. An der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften „Fritz Heckert“ wurde auf Beschluss des Präs. des BuV vom 15. Januar 1965 sowie auf Empfehlung des BuV vom 4./5. Februar 1965 ein neues I. S. d. G. ins Leben gerufen. Seine wichtigste Aufgabe bestand darin, sich mit den Grundfragen einer im Zuge der Umsetzung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) immer notwendiger erscheinenden eigenständigen sozialist. Sozialpolitik des FGDB zu befassen. Die Initiative zur Gründung des I. S. d. G. war von Gerhard Tietze, dem Leiter des Instituts Gesundheits- und Arbeitsschutz/Sozialversicherung der Gewerkschaftshochschule, ausgegangen. Im August 1964 hatte er ein Thesenpapier über „Gedanken zum Inhalt und zur Struktur des Aufgabengebietes ›Sozialpolitik‹“ vorgelegt und damit heftige Diskussionen unter leitenden FDGB-Funktionären, aber auch unter Arbeitswissenschaftlern, Medizinern und Ökonomen ausgelöst. Denn obwohl das NÖSPL eine Forcierung des Leistungsgedankens mit sich brachte und damit zum Anwachsen des Konfliktpotenzials in den Betrieben beitrug, hatten zu Beginn der Reformen zusätzliche sozialpolit. Erwägungen weder für den FDGB noch für die ihm angeschlossenen Einzelgew. eine nennenswerte Rolle gespielt. Der FDGB-BuV und die ZV der IG/Gew. stellten sich anfangs vielmehr nahezu vorbehaltlos hinter das Reformprogramm. Als im Zuge seiner Umsetzung dann die sozialen Spannungen anstiegen, versuchten der FDGB und die IG/Gew. sich stärker als Interessenvertretungen der Beschäftigten zu profilieren, u.a. indem sie sich vermehrt für sozialpolit. Belange engagierten.
Im Februar 1965 konnte die Direktion der Gewerkschaftshochschule eine von Gerhard Tietze erarbeitete „Konzeption für den Gegenstand, den Inhalt und die Arbeitsweise des I. S. d. G.“ verabschieden. Seine Haupttätigkeit sollte sich demnach auf die Erörterung von Grundsatzfragen für die vom FDGB künftig zu verfolgende Sozialpolitik einschließlich des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, der Arbeiterversorgung und der Sozialversicherung beziehen. Tietze bzw. das I. S. d. G. brachten noch 1965 ein spezielles Schulungsmaterial heraus, in dem sich auch eine umfassende Definition von sozialist. Sozialpolitik findet: „Die Sozialpolitik des Arbeiter- und Bauern-Staates ist Politik der Sorge um den Menschen. Sie ist im Zusammenhang mit der Durchsetzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus und im Sinne des Programms der Partei der Arbeiterklasse auf folgende Faktoren gerichtet: auf die Erhaltung und Festigung der Gesundheit und Schaffenskraft der Werktätigen, insbesondere durch vorbildliche Arbeitskultur, auf die vorbildliche Versorgung mit Waren und Dienstleistungen sowie auf eine hohe Wohnkultur, auf die sinnvolle Nutzung der wachsenden Freizeit und Erholung, auf die Verwirklichung der sozialen Grundrechte und die volle soziale Sicherheit aller Bürger sowie auf die ständige Hebung der sozialen Lage aller Bevölkerungsgruppen.“ (Zit. nach Peter Hübner, Reformen in der DDR der sechziger Jahre: Konsum- und Sozialpolitik, in: Sozialistische Wirtschaftsreformen. Tschechoslowakei und DDR im Vergleich, hrsg. von Christoph Boyer, Frankfurt am Main 2006, S. 501-539, hier S. 516). Doch weder das I. S. d. G. noch dieses umfassende Verständnis von sozialist. Sozialpolitik erlangten in der politischen Praxis große Bedeutung. Die Wirkung des I. S. d. G. blieb im Grunde genommen auf die Forschung und Lehre beschränkt.
F.S.