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Deutschland, die Nachbarländer und die Vertriebenen:
Geschichte und Geschichtspolitik seit 1949

 

Hans Lemberg
Herder-Institut Marburg

Geschichten und Geschichte.
Das Gedächtnis der Vertriebenen in Deutschland nach 1945

 

Kaum dass die geflohenen und vertriebenen Kosovaren in den Wochen der Bombardierung Serbiens im Frühjahr 1999 die Grenze nach Albanien oder Mazedonien überschritten hatten, wurden sie von Journalisten erwartet und von Fernsehkameras aufgenommen. Die Bilder wurden in die Welt übermittelt; Vertreter internationaler Hilfs-Organisationen und Medien fragten nach den Erlebnissen der Betroffenen. Täglich erfuhr die Welt durch die Berichte von ihren fürchterlichen Erfahrungen[1] wie durch einen Spiegel mit einiger Genauigkeit und in großer Breite die Vorgänge, die im Kosovo zum Massenexodus aus ihrer Heimatprovinz geführt hatten – trotz serbisch-jugoslawischer Informationssperre. Die internationale Staatengemeinschaft begab sich um ihretwillen in einen Krieg, kurzum: Die Flüchtlinge oder Vertriebenen dieser Region standen im Zentrum des Interesses der Welt.

Um so deutlicher wird auf diesem Hintergrund das weit gehende Defizit an Informationen, die 1945/46 an die Weltöffentlichkeit über die Bedingungen des Einströmens der etwa sieben- bis zehnfachen Menschenmenge drangen, die aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches und aus weiteren Teilen Ostmitteleuropas und Südosteuropas in das von vier Besatzungsmächten okkupierte Mittel- und Westdeutschland floh oder dorthin vertrieben wurde. Und noch weniger erfuhren zuvor Zeitgenossen zwischen 1939 und 1945 über Einzelheiten der Vertreibungen und Zwangsmigrationen, ja den von deutscher Seite begangenen Genoziden während des Zweiten Weltkriegs. Vieles davon gelangte erst nach der Befreiung Mitteleuropas an die erschreckte und ungläubige Weltöffentlichkeit.

Im Folgenden sollen einige skizzenhafte Überlegungen darüber angestellt werden, welche Wandlungen mit dem Erzählen der Geschichten, mit der Weitergabe von Erinnerung, aber auch mit der Gesamtgeschichte, der historia von Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute verbunden waren. 1945/46 stand in den Aufnahmegebieten der Flüchtlinge und Vertriebenen in den vier Besatzungszonen keine interessierte Öffentlichkeit bereit – im Gegenteil: Es fehlte an Medien, die Erlebnisberichte von Flüchtlingen und Vertriebenen hätten verbreiten können. Die spärliche Lizenzpresse[2] ebenso wie die ersten Rundfunkanstalten oder Wochenschau-Teams standen zunächst unter alliierter Kontrolle.[3] Und natürlich fehlte es an Interviewern, die für irgendeinen internationalen Gerichtshof hätten Fakten sammeln können und wollen – einen solchen hat es damals nicht gegeben, und der in Nürnberg hatte ganz anderes im Auge.[4]

Auch unter den Siegern, der Anti-Hitler-Koalition, gab es kaum jemanden, der den Vorgang als solchen in Frage gestellt hätte. Seit den zu Ende gehenden Dreißigerjahren waren sich die Führenden einig, dass ethnische Minderheiten in den Nationalstaaten ein unerträglicher Konfliktfaktor waren, etwas, das künftig nicht mehr geduldet werden sollte und beseitigt werden musste, sei es dadurch, dass man die Grenzen anpasste (wie im Münchner Abkommen), oder eben dadurch, dass Bevölkerungsgruppen verschoben wurden. Das Rezept der Assimilation der Minderheiten an die jeweilige Staatsnation/Titularnation, in den Zwanzigerjahren noch erwogen, erschien als zu langsam.[5] Im Gegenteil: "… eine neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse" sollte jetzt hergestellt werden, "das heißt eine Umsiedlung der Nationalitäten so, dass sich im Abschluss der Entwicklung bessere Trennungslinien ergeben." "Es gehört daher zu den Auf­gaben einer weitschauenden Ordnung des europäischen Lebens, hier Umsiedlungen vorzunehmen, um auf diese Weise wenigstens einen Teil der europäischen Konfliktstoffe zu beseitigen …". – Kenner werden gemerkt haben: Das waren Zitate aus der Rede Adolf Hitlers vom 6. Oktober 1939, am Vorabend der Umsiedlungen von "nicht haltbaren Splittern deutschen Volkstums … heim ins Reich". Betroffen waren die so genannten "Auslands-" oder "Volksdeutschen": Deutschbalten, Russlanddeutsche, Deutsche aus Bessarabien, der Dobrudža usw. Die Umsiedlung der Südtiroler war damals schon im Gange.[6]

Ob man es nun so formulierte wie in dieser Rede oder so wie in den zahlreichen Memoranden der alliierten, vor allem der britischen Planungsstäbe für die Nachkriegszeit – es war communis opinio: Nationale und ethnische Minderheiten wurden als Konfliktursache per se angesehen, und es sollte sie in einer neuen Friedensordnung nicht mehr geben.[7] Selbst wenn es also in der alliierten Planung ab 1943 beispielsweise als opportun erschien, die polnische Westgrenze bis an die Oder und an die Görlitzer Neiße zu verschieben, wurde quasi selbstverständlich der exchange, der transfer of populations gleich mitgeplant. Auch in seiner neuen Ausdehnung musste Polen frei von Minderheiten sein.[8] Ähnliches galt für die wiederhergestellte Tschecho­slowakische Republik und andere Staaten. Konsequenterweise wurde in der neuen Organisation der Vereinten Nationen der Minderheitenschutz des Völkerbundes fallen gelassen. Er wurde auch nicht wieder belebt, sondern nach und nach durch individuelle Menschenrechtsregelungen ersetzt, die damals, 1945, noch nicht abzusehen waren.[9] Erst seit den Neunzigerjahren gewinnt der Minderheitenschutz langsam wieder Gestalt in der Staatengemeinschaft, z. B. durch das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995 oder, noch etwas zögerlich, durch die UN-Erklärung über die Rechte von Angehörigen nationaler oder ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten von 1992.

Die Ursache der großen Zwangswanderungen im Sinne der geradezu wie eine fixe Idee angestrebten Homogenisierung von Nationalstaaten ging also weit über das Erklärungsmuster hinaus, das immer wieder erprobt wird, nach dem bestimmte, besonders bösartige Personen dieses Prinzip erfunden hätten: Adolf Hitler, Josef Stalin, Edvard Beneš oder – in eigenartiger Fernwirkung – Slobodan Milošević.[10]

Dennoch haben die spärlichen und oft irreführenden Berichte, die von der Massenflucht und Vertreibung der so genannten German minorities 1945/1946 nach Westen drangen – auch dann, wenn es sich um bisherige majorities handelte – doch gelegentlich Aufregung im Lager der Sieger hervorgerufen. Es gab Anfragen im Parlament in London oder britische Demarchen in Warschau, wenn wieder einmal aus den in der britischen Zone ankommenden Viehwaggons erfrorene Tote heraus fielen.[11] Diese Demarchen hatten humanitäre Gründe. Am Prinzip der Entmischung von Bevölkerungen, homogene Nationalstaaten herzustellen, übten nur wenige unabhängige Intellektuelle Kritik.[12]

Wer also hätte denn in dieser Situation die Geschichten der Flüchtlinge und Vertriebenen anhören sollen? Die Einheimischen in den Aufnahmegebieten fühlten sich von den Neuankömmlingen belästigt, ja sogar in ihrer Lebensführung schwer beeinträchtigt. Sie wollten die Geschichten nicht hören, die die Flüchtlinge zu erzählen hatten. Deren Leiderfahrungen wurden als "Jammern" abgetan und die verklärenden Erzählungen, wie schön die Heimat gewesen sei, als "übertrieben".[13]

Also erzählte man sich diese Geschichten selbst, in der eigenen Familie. Dort wollten nach einiger Zeit die Kinder, die sich an ihre neue Umgebung anzupassen trachteten[14], nichts mehr davon hören. Man erzählte diese Geschichten auch in den bald entstehenden Heimatblättern, die noch weit gehend unter besatzungsrechtlichen Einschränkungen standen und die sich insbesondere vor der Flut von eingesandten Gedichten und Erzählungen kaum retten konnten.[15] Volkskundlich und soziologisch versierte Zeitgenossen und wissenschaftliche Beobachter haben diese frühen Erzählstoffe analysiert und darin zum Teil archaische Formen und Motive entdeckt, die sich mit Motiven des biblischen Exodus, der Odyssee, mit Märchen- und Dämonen-Mythen vergleichen ließen.[16] Schon hier kann man nebenbei beobachten, auf welch erbitterten Widerstand ein solcher Vergleich in der betroffenen Gruppe stieß und noch stößt. Als vor einiger Zeit in Triest eine amerikanische Literaturwissenschaftlerin diesen anthropologisch-kulturgeschichtlichen Interpretationsansatz an istrisch-dalmatinischen Flüchtlingsgeschichten exemplifizierte, musste sie sich wütende Kommentare von anwesenden italienischen Vertriebenen anhören.[17]

Stofflich konzentrierten sich diese Geschichten, wie Louis Ferdinand Helbig analysiert hat, auf die Darstellung der Heimat, auf Kampf und Leiden in der späten Kriegszeit und danach sowie auf Vertreibung oder Flucht selbst. Zu einigen dieser Standard-Motivgruppen kamen in der späteren belletristischen Literatur, die ja bis heute weiter wirkt, noch hinzu: die Eingliederung in der "neuen Heimat", dann die Wiederbegegnung mit der alten Heimat und so genannte Versöhnungsgeschichten.[18] Obwohl diese Geschichten niemand außerhalb des Kreises der Betroffenen so recht hören wollte, hatten sie eine wichtige Funktion. Sie bildeten u. a. das "unsichtbare Fluchtgepäck"[19], denn das, was man physisch an Habseligkeiten mitbrachte, war ja weniger geeignet, Achtung zu erregen. Nur mit ihren Geschichten konnten die offensichtlich Besitzlosen bei den Einheimischen den Eindruck eines in Wirklichkeit höheren sozialen Status hervorrufen. Das erschien um so nötiger, als die Neuankömmlinge aus dem in Mittel- und Westdeutschland traditionell gering geachteten Osten kamen, wo ja, wie man zu wissen glaubte, die so genannten Polacken und Zigeuner wohnten. Dieses Erzählen spielte also eine eminent soziale Rolle, und zum anderen diente es zur seelischen Abarbeitung der fürchterlichen Erlebnisse.[20] Viele Geschichten blieben freilich unerzählt.

Dort, wo diese frühen Geschichten publiziert wurden (und damals war die mündliche oder handschriftliche Überlieferung wahrscheinlich viel größer als die veröffentlichte), lohnt es, sie nach langem Abstand wieder zu lesen. Die nur mündlich tradierten Geschichten pflegen in unserer Zeit meist in der nächsten Generation schon weit gehend verloren zu gehen.[21] Weit über die veröffentlichte Literatur hinaus haben mündliche Traditionen, Lieder, Gedichte und Sagen in der dramatisch verdichteten Epoche der ersten Monate und Jahre nach Flucht und Vertreibung Zeugnis abgelegt von dem großen Wandel, der sich damals im Bewusstsein der vielen Einzelnen vollzog. Manches davon hat sich in damals rasch angefertigten Aufzeichnungen und Sammlungen der Zeit erhalten.[22] Erinnerung und Umformung des in der Heimat Zurückgelassenen verschmolz mit der Bewältigung der erschütternden Erlebnisse[23] und der der neuen Situation, in die man jetzt hineinwuchs.

Es lohnt aber auch, die ersten Sinndeutungen des Geschehens aus wissenschaftlicher Perspektive zu beachten, die schon vor einer gewissen Normalisierung des Alltagslebens nach der Währungsreform entstanden sind; hier sei nur exemplarisch an Elisabeth Pfeils "Der Flüchtling" und an "Die Ausweisung als Schicksal und Aufgabe" von Eugen Lemberg erinnert, beide erschienen 1948/49.[24] In diesen und anderen Versuchen ging es zum einen (E. Pfeil) darum, zu erfassen und zu analysieren, wie die Millionen entwurzelter Menschen in Notunterkünften und Lagern in Dörfern, weniger zunächst in Städten, lebten, welche sozialen Beziehungen sich unter ihnen, zwischen den Generationen wie zwischen Flüchtlingen und Einheimischen ergaben, welche Reaktionen und welche Überlebensstrategien entwickelt wurden.[25]

Es ging dabei aber auch zunehmend um die Frage: Wie weiter? Bloß warten auf die Heimkehr, die von Monat zu Monat unwahrscheinlicher wurde? Oder sich einrichten im Hier und Heute, im Provisorium, und das hieß, wie die Besatzungsmächte es forderten, sich als Umsiedler oder Neubürger in der neuen Umgebung eingliedern? Und wenn ja – sollte man nicht eine neue Rolle, einen neuen Lebenssinn, ja eine besondere Aufgabe gerade als "Ostvertriebene" finden? Dafür plädierte Eugen Lemberg. Eine solche Sinndeutung ging über das Erzählen von Leidensgeschichten weit hinaus. Einer der Unterschiede zwischen der späteren DDR und der Bundesrepublik Deutschland war, dass in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR die Hoffnung auf die Rückkehr schneller beendet wurde als in den Westzonen bzw. der Bundesrepublik. Nach dem zunächst auch von der SED praktizierten Offenhalten der Frage der Rückgabe der Ostgebiete hat die 1949 entstehende Pax Sovietica alle Rückkehrforderungen oder revisionistische Äußerungen unter Verbot gestellt.[26]

In der Bundesrepublik Deutschland hingegen gab es seit den Fünfzigerjahren eine zunehmend große Masse von 'Total-Integrierten', die ihre ostdeutsche Herkunft als bloße Privatsache, als Detail der persönlichen Biografie ansahen, daneben aber eine kleiner werdende Gruppe derjenigen, die zwei Eisen im Feuer hatten: im Alltagsleben voll eingegliederte Bürgerinnen und Bürger mit zum Teil beachtlichen Erfolgsgeschichten in der neuen Heimat, aber mit der – sozusagen am Feiertag – gepflegten Aufrechterhaltung des Heimkehrwunsches mit immer stärkerer Tendenz zur bloßen Rechtswahrung, d. h. zur Einforderung ihres "Rechts auf Heimat".[27]

Die zunehmende Polarisierung der Welt im beginnenden Kalten Krieg und die politische Großwetterlage (z. B. die Erwartung einer friedensvertraglichen Regelung) legten schon früh die Wurzel zu einem der wichtigsten Quellenwerke mit Vertreibungsgeschichten, der "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa".[28] Zunächst war noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland daran gedacht, ein Weißbuch über "Ausschreitungen gegen die Deutschen im Osten" zusammenzustellen. Matthias Beer hat die dramatische Entstehungsgeschichte jenes vielbändigen Großprojekts nachgezeichnet, das im Laufe der Fünfzigerjahre von einer Historikergruppe unter Leitung Theodor Schieders erarbeitet wurde und das den Titel "Dokumentation der Vertreibung" erhielt.[29] Dabei musste das schon im Vorfeld unter tendenziösen Gesichtspunkten gesammelte Material (möglichst qualvolle Erlebnisberichte über Vertreibungsverbrechen) durch wissenschaftlich haltbare Verfahren verifiziert, aussortiert und mit einer großen Menge zusätzlich erhobener Berichte und Befragungen unter Berücksichtigung sozialhistorisch relevanter Umstände ergänzt werden. Diese Auswahl wurde mit einer ausführlichen Darstellung der Ereignisse und Strukturen in den Vertreibungsgebieten sowie mit der Publikation damals schwierig zu ermittelnder normativer Quellen untermauert – und damit zu einem auch 40 Jahre später noch wissenschaftlichen Ansprüchen genügendem Werk.

Es ist für die Objektivität der "Dokumentation" bezeichnend, dass zum einen gegen die veröffentlichten Bände erbitterte Kritik von Vertriebenenseite kam: Hier würde den tschechischen Kommunisten zugearbeitet, oder gar: Die Herausgeber hätten ungarische Mitarbeiter gehabt usw.[30] Zudem sahen sich Schieder und seine Mitherausgeber erheblichen Bedenken seitens des Auftraggebers, des Bundes-Vertriebenen­ministeriums, ausgesetzt, als sie an die Erarbeitung eines Ergebnisbands gingen, in dem das Geschehen der Deutschenvertreibung in die breiteren Zusammenhänge der voran gegangenen nationalsozialistischen Vernichtungs- und Volkstumspolitik und der Ermordung der Juden eingeordnet werden sollte. Das Ministerium befürchtete sofort, ein solcher Zusammenhang würde als "Entschuldigungszettel" für die Vertreibung empfunden; es glaubte, hierfür keine Verantwortung übernehmen zu können. Dieser Abschlussband ist also nie erschienen.[31]

Wie ein angehängtes Satyrspiel zur "Dokumentation der Vertreibung" mutet es an, dass dieses Großprojekt bei Wissenschaftlern vertraut und viel benutzt, in breiten Vertriebenenkreisen aber kaum bekannt war. Daher wurde in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren die Kritik von Vertriebenen-Funktionären an der SPD-Bundesregierung immer lauter, sie verhindere die Herausgabe einer Dokumentation über die Vertreibungsverbrechen. Diese Kampagne, die allerdings auch mit der Verjährungs-Problematik zusammenhing, wurde erst dann beruhigt, als die Kulturstiftung der Vertriebenen 1989 einen tatsächlich seit 1974 vorliegenden Bericht des Bundesarchivs unter dem Titel "Vertreibung und Vertreibungs-Verbrechen 1945-1948" veröffentlichte, der sich vor allem als eine für Historiker aufschlussreiche und wichtige, die Sensationslust der Beschwerdeführer aber eher enttäuschende Übersicht über einschlägige Bestände des Bundesarchivs mit einigen Probe-Quellen erwies.[32]

Parallel zur Dokumentation der Vertreibung entstand in den Fünfzigerjahren ein Werk, das die nächste Etappe der Vertreibungs-Geschichte behandelte, nämlich die Eingliederung, diesmal nicht als kommentierte Dokumentation von Erzählungen, sondern als dreibändige interdisziplinäre Sammlung wissenschaftlicher Darstellungen. Auch diesmal war das Team von Bundes-Vertriebenenministerium finanziert, und auch diesmal gab es Bedenken, obwohl ja das dreibändige Opus mit dem Titel "Die Vertriebenen in Westdeutschland"[33] eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder war. Aber: das Wort "Eingliederung" durfte möglichst nicht herausgestellt werden, denn das Ministerium fürchtete, dadurch in der Weltöffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, die Vertriebenenfrage sei zufriedenstellend gelöst und brauche nun nicht mehr offen gehalten zu werden.[34]

An dieser Stelle sei ein Exkurs über die Terminologie gestattet. Auch die deutschen Medien haben darüber berichtet, welche Schwierigkeiten es in jüngster Zeit im deutsch-tschechischen, aber selbst auch im deutsch-polnischen einschlägigen Diskurs bereitet, das Wort "Vertreibung" zu verwenden, also vyhnání oder wypędzenie. Beide Begriffe sind zwar zeitgenössisch in den Vierzigerjahren gebraucht, beide sogar auch in zwischenstaatlichen Dokumenten nach 1990 verwendet worden[35], beide werden aber seither immer noch von bestimmten Kreisen gefürchtet und vermieden wie das Weihwasser vom Teufel. Man solle doch weiterhin das eingebürgerte tschechische Wort odsun verwenden (also Abschub) oder allenfalls das wenig gebräuchliche vyhánění [36] – aber bloß nicht vyhnání.[37] Und polnisch solle man doch lieber sagen wysiedlenie przymusowe (Zwangsaussiedlung).

Diesen terminologischen Klimmzügen sollte man emotionslos zusehen. Jeder soll sich der Sprache bedienen können, die er gern gebrauchen möchte. Einer möglichen Begriffsvielfalt steht auf deutscher Seite die geradezu dogmatische Forderung gegenüber, diesen Vorgang als "Vertreibung" zu bezeichnen.[38] Als in den Siebzigerjahren die deutsch-polnische Schulbuchkonferenz wegen des polnischen Widerstandes in einer entsprechenden Schulbuchempfehlung nicht das Wort "Vertreibung" durchsetzen konnte und statt dessen den deskriptiven Begriff "Zwangswanderung" verwendete, führte der dadurch ausgelöste Sturm der Entrüstung seitens der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland mit dazu, dass die unionsregierten Länder die Übernahme der Schulbuchempfehlungen rundweg ablehnten.[39]

Es mag auf diesem Hintergrund ironisch erscheinen, wenn man in der Vertriebenenliteratur vor 1953 in schönster Beliebigkeit als Synonyme verwendete Selbstbezeichnungen die Wörter "Aussiedlung" und "Vertreibung", "Flüchtlinge", "Ostvertriebene", "Heimatvertriebene", "Ausgewiesene", ja "Heimatverwiesene"[40] und was auch immer findet. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde schon 1945 die Bezeichnung "Umsiedler" (pereselency) verfügt, bei den westlichen Besatzungsmächten war der Sammelbegriff "Flüchtlinge" (refugees) üblich. Der Begriff "Vertriebene" soll erst 1947 in Gebrauch gekommen[41], nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland dann aber aus semantischen Gründen den "Flüchtlingen" vorgezogen worden sein. Das eine impliziert Aktivität, das andere Passivität, was den Status des Opfers unterstreicht.[42] Erst die Kodifizierung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) von 1953 ließ die Terminologie erstarren und einfrieren. Dort ist das Wort "Flüchtling" für die "Sowjetzonenflüchtlinge" reserviert. Die Verwendung der Vokabeln "Vertreibung" und "Vertriebene" erscheint seither vielen Betroffenen als obligatorisch, obwohl sie im Sinne dieses Gesetzes nicht immer korrekt ist: Wer nämlich bereits Ende 1937 oder früher in einem "Vertreibungsland" oder in den ehemaligen deutschen Ostgebieten gewohnt hat und "Vertriebener" ist, wird im BVFG in die Kategorie "Heimatvertriebene" eingeordnet.[43] Da das die Mehrheit der Betroffenen ist, müssten sie eigentlich Wert auf die letztgenannte Bezeichnung legen. Das ist aber seltsamerweise nicht der Fall.

Ja, man muss unter Betroffenen das richtige Wort gebrauchen, und man muss auch die richtigen Geschichten erzählen. Wer z. B. vor einem sudetendeutschen Publikum das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit zu deuten unternimmt, und sei es auch noch so verallgemeinernd, und erwähnt dabei nicht expressis verbis das Datum des 4. März 1919 (also jene verhängnisvollen Schießereien mit mehr als 50 Todesopfern), dem wird recht verlässlich aus dem Publikum die Frage gestellt, warum man dieses Datum nicht erwähnt bzw. es "verschwiegen" habe.[44] Das sind die Geschichten, die man kennt, und die will man immer wieder hören, und zwar ausdrücklich. Möglicherweise steckt aber darin auch ein tieferer Beweggrund im Sinne von "Erinnern, um dazuzugehören".[45]

Doch zurück zum eigentlichen Thema: Ende der Fünfzigerjahre lag sozusagen ein Literaturcorpus zur Vertriebenenfrage vor, der sich, von den wissenschaftlichen Grundpfeilern "Dokumentation" und "Eingliederungswerk" bis zur Belletristik im beschriebenen Ausmaß, sehen lassen konnte, einschließlich einer großen Menge von Heimatbüchern und Ortsmonografien.[46] Ergänzend wäre eine Kategorie mit großer Breitenwirkung hinzuzufügen, die von Helbig als Dokumentarliteratur oder "dokumentarisch angereicherte Literatur" bezeichnet wurde; darunter waren Jürgen Thorwalds "Es begann an der Weichsel" und "Das Ende an der Elbe" recht früh besonders populär.[47] Eine gewisse Popularität erzielte auch der Band "Dokumente der Menschlichkeit", der zwar vor reproduzierten Negativstereotypen nur so strotzt, dennoch als Sammlung positiver menschlicher Taten von Polen, Tschechen, Sowjetsoldaten usf. in all dem Vertreibungselend als tröstlicher Anhalt diente.[48]

In den Sechzigerjahren drehte sich dann der Wind: Der Kalte Krieg flaute ab, die Ära der Entspannung, die sich anbahnende Neue Ostpolitik, die Linkswende der jungen Intellektuellen um 1968 führten dazu, dass das Zugehen auf die östlichen Nachbarn als hoher Wert empfunden wurde. Das mündete vielfach in 'politische Korrektheit' (lange vor Erfindung dieses Begriffs) bis hin zu allen möglichen Verkrampfungen im Ortsnamensgebrauch, die trotz eindeutiger Festlegungen im deutsch-polnischen Vertrag bis heute anhalten.[49]

Das Vertriebenenthema verschwand in den Sechzigerjahren aus dem Diskurs ebenso, wie die Erinnerung an Ostdeutschland überhaupt verdrängt wurde[50]; es galt als friedensfördernd, auf die nationalkommunistisch überdrehte offizielle Selbstdarstellung der ostmittel- und osteuropäischen Staaten einzuschwenken und ihre Tabus zu übernehmen, einschließlich des Schweigens darüber, dass hier einmal Deutsche gewohnt haben. Fortan galten also Vertriebene und ihre Verbände weithin pauschal nur noch als "Revanchisten", "Nazis" usw. Die Reaktion aus den Kreisen der Betroffenen war nicht minder verheerend: Die Vertriebenen-Verbände[51] zogen sich – unter dem Schutz des krisensicher mittelspendenden Paragraphen 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG)[52] und gewichtiger Wahlstrategen, die ihnen nach dem Munde redeten – aus dem öffentlichen Diskurs auf eine nahezu hermetische Subkultur zurück. Sie machten es sich bequem in der Perpetuierung des Ost-West-Antagonismus, der ihnen – auf westlicher Seite – den Rückkehranspruch zu sichern schien. Deshalb auch war ihnen die neue Ostpolitik der Siebzigerjahre zutiefst zuwider. Das Verhältnis der Vertriebenenverbände zur Entspannungspolitik ist allerdings erst noch schreiben. Nicht wenige Vertriebene entwickelten sich (teils im Einklang, teils aber auch im offenen Gegensatz zu ihren Verbänden) zu ausgesprochenen 'Mittlern' der West-Ost-Verständigung.

Wer damals freilich in diesem Sinne fragte, ob Vertriebene nicht eher die Möglichkeiten hatten, statt eines "Stören­friedes" eher ein "Ferment der Verständigung" zu bilden, fand auf beiden Seiten insgesamt nicht viel Verständnis.[53] Gerade der Versuch mancher Kreise und Institutionen, durch Verwissenschaftlichung, durch Schritthalten mit dem allgemeinen Diskurs die Ghettomauern zu durchbrechen, führte zu Schelte hier wie dort.[54]

Freilich, in einigen dieser Institute, zum Beispiel dem Collegium Carolinum in München oder dem Marburger Herder-Institut wurden damals seltener oder kaum mehr die Geschichten der Vertriebenen 'erzählt', sondern – im Sinne der 'Verwissenschaftlichung' vor allem die Geschichte der Länder Ostmitteleuropas (sozusagen um ihrer selbst willen) untersucht, bei der die Deutschen nur ein Element unter anderen in der Gesamtbevölkerung bildeten. Sicher ist dabei auch manches Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden, bzw. es waren eher die Eltern (der Erlebnisgeneration), die 'ausgeschüttet' wurden, d. h., die man nicht mehr mit ihren Geschichten hören wollte. Dies fand in der Wissenschaft seinen Niederschlag insbesondere in der zeitweiligen Vernachlässigung der Landesgeschichte der ehemals preußisch-deutschen Ostprovinzen, aber auch des spezifisch deutschen Anteils an der Geschichte der deutschen Siedlungsgebiete außerhalb des Deutschen Reiches.[55] Doch der Geist weht, wo er will: Zuerst war ein neues Interesse in einem erneuten Aufgreifen des Vertreibungsthemas oder allgemeiner, der ostdeutschen, ostmitteleuropäischen Thematik in der Literatur spürbar (Günther Grass, Christa Wolff, Ursula Höntsch, Ilse Tielsch, aber auch Karl Schlögel wären hier exemplarisch zu nennen).[56] Dann aber klinkte sich – unerwartet – auch die Wissenschaft nach einer Pause von fast zwei Jahrzehnten wieder ein. Das Startsignal war eine von Helga Grebing Mitte der Achtzigerjahre in Göttingen abgehaltene Tagung zur Frage von Vertreibung und Eingliederung.[57] Damals aber war ein neues Interesse schon allgemein erwacht.[58]

Wer Ende der Siebzigerjahre an einer westdeutschen Universität ein Seminar anbot, in dem Flucht und Vertreibung – vorsichtig eingepackt in Migrationsgeschichte – das Thema sein sollte, und den studentischen Vorwurf erwartete, dies sei aber ein reaktionäres Thema, konnte verblüfft von mehreren Studierenden ein 'na endlich' hören – endlich erführen sie jetzt, wie das mit ihren Großeltern war. Es war aber nicht nur die neue Generation der Enkel, die sich jetzt anschickte, ihre roots zu suchen, und die keine Reserven mehr wie ihre Eltern gegen die alten Geschichten hatten. Es waren auch die neu geöffneten Archive der Flüchtlingsverwaltungen der Nachkriegszeit, die das Eingliederungsthema wieder aktuell erscheinen ließen und Gelegenheit zu Forschungsarbeiten gaben.[59] Es war ferner die Perestroika-Ära, die es möglich machte, auch in kommunistischen Ländern vorsichtig nach 'weißen Flecken' Ausschau zu halten und die Scheu vor Tabus schließlich nach 1989 ganz fallen zu lassen. Und last not least hatten auch Geisteswissenschaftler sich generell auf den Weg von den sozialwissenschaftlichen Strukturen zu den neuen Ufern der Alltags- und Kulturgeschichte – also zu eher anthropologischen Ansätzen – begeben.

Seit 1990 konnte man darüber hinaus auch zwischen Polen, Tschechen und Deutschen offen über Vertreibung reden, und das beispielsweise in einem geradezu ergreifenden Symposion des Prager Goethe-Instituts im Polnischen Kulturzentrum mitten am Wenzelsplatz in Prag.[60] Jetzt also konnte auch der "Komplex der Vertreibung" wissenschaftlich neu bearbeitet werden.[61] Tschechen und Polen gehörten dabei durchaus zu den Vorreitern, auch wenn es nur einzelne waren wie Tomáš Staněk mit seinem schon vor der Wende geschriebenen Standardwerk über den "Odsun" und anderen, die rasch folgten.[62] Die Deutsch-Tschechische und Deutsch-Slowakische Historikerkommission beschäftigte sich intensiv mit dem Thema.[63] In Polen befasste sich eine Arbeitsgruppe mit dem "Kompleks wypẹdzenia "[64], und es entstanden Forschungsarbeiten zum Problem.[65] Schließlich erschien eine große deutsch-polnische Dokumentation polnischer Akten der Jahre 1945-50 zum Schicksal der Deutschen im heute polnischen Staatsgebiet nach 1945 bis 1950.[66] Theodor Schieder hatte seinerzeit bei der Arbeit an seiner Dokumentation die Unmöglichkeit, an polnische Akten heranzukommen, als eines der wesentlichen Mankos empfunden[67] – das wird nach dem Vorliegen des letzten Bandes auch der deutschen Fassung beseitigt sein. Für die Tschechoslowakei ist mittlerweile eine derartige Dokumentation von einer Forschungsgruppe in Angriff genommen worden. Während amtliche Quellen eher Momentaufnahmen vermitteln, verlohnt daneben immer noch das Festhalten von persönlichen Erinnerungen über Jahrzehnte hinweg, wie sie in einer deutsch-polnisch-ukrainischen Sammlung zum "Nachkriegsalltag in Ostpreußen" entstanden ist.[68]

Schließlich wäre noch auf einen weiteren 'weißen Fleck' hinzuweisen, einen großen zumal, der seit 1990 ausgefüllt werden konnte: die Eingliederungsforschung für die SBZ/DDR. Sie hat schon in den späten Achtzigerjahren in der DDR begonnen und ist dann seit 1990 sehr rasch angepackt und mit hochinteressanten Ergebnissen nachgeholt worden.[69] Auch das Aussiedlerproblem (die seit den Fünfzigerjahren freiwillig in die Bundesrepublik aus den osteuropäischen Staaten Zugezogenen nannte man zunächst "Spätaussiedler") hat inzwischen ebenfalls wissenschaftliche Bearbeitungen erfahren.[70]

Also: alles in Ordnung? Noch lange nicht. Man kann zwar beispielsweise in Tschechien große Offenheit in Hinsicht auf Aufdeckung und Verurteilung von Exzessen während der Vertreibung, dennoch aber die Aussiedlung der Deutschen aus der Nachkriegs-Tschechoslowakei als grundsätzlich richtig und notwendig erachtet finden. Man kann in Polen – zum Glück selten – dem Verdacht begegnen, die neue Dokumentation sei doch eher eine Art von Nestbeschmutzung. Manche Teile der polnischen Öffentlichkeit tun sich weiterhin schwer mit diesem Thema. Seit vom deutschen Bund der Vertriebenen die Gründung eines "Zentrum gegen Vertreibungen" forciert wird, hat der Diskurs in Polen erheblich an Schärfe zugenommen.

Auch in Deutschland sind die alten Schützengräben auf beiden Seiten noch besetzt, selbst wenn die 'Truppe' schon weiter gezogen oder der 'Krieg' beendet ist. Und immer wieder geht es um das Festhalten an den alten Geschichten, an ihrem Wortlaut. Da werden weiter die überhöhten Zahlen der Vertreibungsopfer wie Knüppel durch die Leserbriefspalten angesehener Zeitungen geschwungen, obwohl sie schon längst korrigiert sind[71], und da müssen sich Politiker auch aus dem linken Teil des Parteienspektrums wie Antje Volmer, die in sensationeller Weise die humanitäre, ja anthropologische Dimension des Vertreibungsschicksals entdeckt und damit die Betroffenen eigentlich aus dem Ghetto befreit haben, von Vertriebenen mit Buhrufen überschütten lassen. Ist es, weil sie andere Vokabeln benutzen, die gewohnten Geschichten mit anderem Wortlaut erzählen? Man kann es kaum begreifen.[72] Die Anstrengungen, ein "Zentrum gegen Vertreibungen" einzurichten, stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erkenntnis des Generationswechsels und des langsamen Verschwindens der Erlebnisgeneration. Eine Institutionalisierung der kollektiven Erinnerung soll den Übergang vom kommunikativen Gedächtnis zum kulturellen Gedächtnis bewirken und befestigen.[73]

Der Ruf nach einer vergleichenden Einordnung von Umsiedlung und Vertreibung der Deutschen nach 1945, ihrer Eingliederungsgeschichte wie auch der Erinnerung an diese Ereignisse in den europäischen Gesamtzusammenhang ist laut geworden, und er sollte – insbesondere angesichts der Tendenzen zu einer nationalen Institutionalisierung des Gedenkens – nicht verstummen.[74] Schon der Vergleich allein aber scheint vielen eine Zumutung zu bedeuten. Als Philipp Ther seinen in dieser Hinsicht bahnbrechenden Vergleich von Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in Polen und in der SBZ/DDR veröffentlichte, reagierte der als durchaus aufgeklärt geltende Vertriebenenpolitiker Herbert Hupka mit einer Rezension, in der er schon das bloße Faktum des Vergleichs kritisierte: Das Schicksal der deutschen Vertriebenen sei unvergleichbar.[75]

Es wird also noch einiger Arbeit bedürfen, bis sich die Historisierung der Vertriebenen-Geschichte durchgesetzt haben wird. Dass aber das, was hier mit der Chiffre Geschichten bezeichnet wurde, also die in Form gefasste Erinnerung, das kulturelle Gedächtnis, existenziell wichtig war und noch immer ist, bleibt festzuhalten. Funktionen und Formen dieser Geschichten sollten – auch neben der vergleichenden, verwissenschaftlichten Geschichte – weiterhin ein würdiger Gegenstand der Forschung sein.[76]

 

 

[1] Vgl. Matthias Rüb, Am Morgen kamen sie mit einer Tafel Schokolade zurück? Was geschah mit den Frauen aus Dragoćin in Mittelkosovo? sowie ders., Die Geschichten von den Gräueln wird man nicht mehr los, FAZ vom 3.5. bzw. 27.4.1999 (Feuilleton) u. v. a. m.

[2] Zu den Anfängen des deutschen Pressewesens nach dem Ende der NS-Herrschaft: Kurt Koszyk, Pressepolitik für Deutsche 1945-1949, Berlin 1986; ders., Kontinuität oder Neubeginn. Massenkommunikation in Deutschland 1945-1949, Siegen 1981; Heinz-Dietrich Fischer, Parteien und Presse in Deutschland seit 1945, Bremen 1971, S. 31 ff.

[3] Unter anderem auf solchem Material (auch auf dem alliierter Kriegsberichterstatter) bauten die ersten größeren Fernsehserien zur Vertreibung auf. Vgl. Rudolf Mühlfenzl (Hrsg.), Geflohen und vertrieben. Augenzeugen berichten. Nach der Fernseh-Dokumentation "Flucht und Vertreibung" von Eva Berthold und J. v. Morr, Königstein/Ts. 1981, S. 126–139; K. Erik Franzen, Die Vertriebenen. Hitlers letzte Opfer, Berlin etc. 2001 [Begleitbuch zur Fernsehserie von MDR und NDR 2000]. Die Einführung des Verf. dazu lehnt sich z. T. an die erste Fassung des vorliegenden Beitrages an. – Zur danach folgenden ZDF-Serie: Guido Knopp, Die große Flucht. Das Schicksal der Vertriebenen, München 2001; Gegen das Vergessen. Die große Flucht. Umsiedlung, Vertreibung und Integration der deutschen Bevölkerung. DVD-ROM, o. O. o. J. – Die zeitgenössische Bilddokumentation dürfte damit wohl weit gehend ausgeschöpft sein.

[4] Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952, Frankfurt/Main 1999; Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Frechen 2001 (mehrbändige Sonderausgabe).

[5] Hans Lemberg, "Ethnische Säuberung". Ein Mittel zur Lösung von Nationalitätenproblemen?, in: APuZ B 46/1992, S. 27–38. Wiederabdruck in: Ferdinand Seibt u. a. (Hrsg.), Mit unbestechlichem Blick. Studien von Hans Lemberg zur Geschichte der böhmischen Länder und der Tschechoslowakei. Festgabe zu seinem 65. Geburtstag, München 1998, S. 377–396.

[6] Der großdeutsche Freiheitskampf. Reden Adolf Hitlers vom 1. September 1939 bis 10. März 1940, München 1942, S. 67-100, hier: S. 82 f.

[7] Lemberg, "Ethnische Säuberung".

[8] Ebd. Im Einzelnen zur Entstehung der Vertreibungspläne: Detlef Brandes, Der Weg zur Vertreibung 1938-1945. Pläne und Entscheidungen zum 'Transfer' der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen, München 2001.

[9] (MenschR) Menschenrechte. Ihr internationaler Schutz, 5. Aufl., München 2004; Peter J. Opitz, Menschenrechte und internationaler Menschenrechtsschutz im 20. Jahrhundert. Geschichte und Dokumente, München 2002.

[10] So auch der Versuch von Richard Swartz anlässlich der Konferenz vom 27. bis 30. Mai 1999, "Im Jahrhundert der Flüchtlinge. Umsiedlung und Vertreibung im Gedächtnis der europäischen Völker" (Center for Advanced Central European Studies Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder, Leitung: Karl Schlögel). – Zu dieser Konferenz wurde der hier vorliegende Beitrag entworfen.

[11] Zahlreiche Belege im Zusammenhang mit "Operation Swallow" im Winter 1946/47 in den Akten des britischen Foreign Office: Public Record Office London (PRO), FO 371/64221 (1947), C37/37/18, C924/37/18, C970/37/18, C1174/37/18, C1394/37/18 u. a.m.

[12] So z. B. der Migrationsexperte Eugene Michel Kulischer, Population Transfer, in: South Atlantic Quarterly (Durham, N.C.), 45 1946, Nr. 4, October 1946, S. 403-414. Seine Argumentation lautete: Massenumsiedlungen könnten in ihrem negativen Charakter nicht rational vernebelt werden. "No artificial ethnic segregation can be durable", kein Staat lasse sich ethnisch rein, d. h. homogen erhalten.

[13] Albrecht Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus. Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945–1990, München 1991.

[14] Klaus J. Bade spricht von einer "bis zum Versteckspiel mit der eigenen Identität reichende(n), demonstrative(n) Anpassungsbereitschaft der ersten Generation" der Flüchtlingskinder, zit. nach Lehmann, Im Fremden, S. 26.

[15] Alfred Karasek-Langer, Volkstum im Umbruch, in: Eugen Lemberg/Friedrich Edding (Hrsg.), Die Vertriebenen in Westdeutschland, 3 Bde., Kiel 1959, Bd. 1, S. 606-694, hier S. 615 f.

[16] Lehmann, Im Fremden, S. 187 ff.

[17] Tagung "Trasferimenti forzati di popolazioni nei due dopoguerra: Europa centro-orientale, regione balcanico-egea, regione istro-dalmata" im September 1997 in Triest, Istituto regionale per la cultura istiana di Trieste (IRCI). Vgl. dazu den Tagungsband Marina Cattaruzza/Marco Dogo/Raoul Pupo (Hrsg.), Esodi. Trasferimenti forzati di popolazione nel Novecento europeo, Napoli etc. 2000.

[18] So die Kategorisierung von Louis Ferdinand Helbig, Der ungeheuere Verlust. Flucht und Vertreibung in der deutschsprachigen Belletristik der Nachkriegszeit, Wiesbaden 1988. Zur Vertreibungsliteratur – auch in anderen Sprachen – vgl. auch Elke Mehnert (Hrsg.), Landschaften der Erinnerung. Flucht und Vertreibung aus deutscher, polnischer und tschechischer Sicht, Frankfurt/Main etc. 2001.

[19] Leonore Leonhart, Das unsichtbare Fluchtgepäck. Kulturarbeit ostdeutscher Menschen in der Bundesrepublik, Köln etc. 1972.

[20] Elisabeth Pfeil, Der Flüchtling. Gestalt einer Zeitenwende, Hamburg 1948; dies., Fünf Jahre später. Die Eingliederung der Heimatvertriebenen in Bayern bis 1950, Frankfurt/Main 1951; vgl. auch in der Frankfurter Konferenz (s. o., Anm. 10) die Referate von Zbigniew Gluza (Die Arbeit von "Karta") und Rachel Salamander (Überlebende Juden aus Osteuropa in bayrischen DP-Lagern. Erinnerungen).

[21] Albrecht Lehmann, Im Fremden; ders., Flüchtlingserinnerungen im Erzählen zwischen den Generationen, in: Bios 2, 1989, S. 189–206; Rainer Schulze u. a. (Hrsg.), Zwischen Heimat und Zuhause. Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene in (West-)Deutschland 1945–2000, Osnabrück 2001; dort u. a. der Beitrag von Thorsten Koch/Sabine Moller, Flucht und Vertreibung im Familiengedächtnis, S. 216–228. Vgl. auch zum Erinnerungsverlust bei Generationswechsel: Harald Welzer/Sabine Moller/Karoline Hankel, "Opa war kein Nazi". Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt/Main 2002, S. 44–80.

[22] Vgl. dazu die Beiträge von Hermann Bausinger, Ulrich Tolksdorf und Utz Jeggle in: Rainer Schulze/Doris von der Brelie-Lewien/Helga Grebing (Hrsg.), Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Bilanzierung der Forschung und Perspektiven für die künftige Forschungsarbeit, Hildesheim 1987, S. 180–206. Einen frühen Eindruck von der Dichte des volkskundlichen Problemfeldes vermittelt in einer zeitgebundenen Sprache: Karasek-Langer.

[23] Utz Jeggle hat das in den paradoxen Satz gefasst: "Kurz gesagt, normalerweise wäre man verrückt geworden." In: Schulze/von der Brelie-Lewien/Grebing, S. 204.

[24] Pfeil, Der Flüchtling; Eugen Lemberg, Die Ausweisung als Schicksal und Aufgabe. Gräfelfing, München 1949. Nachdruck in: Wilfried Schlau, Die Ostdeutschen. Eine dokumentarische Bilanz 1945–1995, München 1996, S. 23–58.

[25] Pfeil, Der Flüchtling. – Vgl. auch erste Bestandsaufnahmen wie Eugen Lemberg/Lothar Krecker (Hrsg.), Die Entstehung eines neuen Volkes aus Binnendeutschen und Ostvertriebenen. Untersuchungen zum Strukturwandel von Land und Leuten unter dem Einfluß des Vertriebenen-Zustroms, Marburg 1950.

[26] Manfred Wille (Hrsg.), 50 Jahre Flucht und Vertreibung. Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Aufnahme und Integration der Vertriebenen in die Gesellschaften der Westzonen/Bundesrepublik und der SBZ/DDR, Magdeburg 1997.

[27] Die beiden Richtungen vorausahnend: Eugen Lemberg, Ausweisung. – Zum "Recht auf Heimat" relativ früh: Das Recht auf die Heimat. Fachtagung – Vorträge und Aussprachen, hrsg. im Auftrag des Albertus Magnus Kollegs u. a., 4 Bde., München 1958–1960. Vgl. ferner Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat, 3. Aufl., Bonn 1989; Dieter Blumenwitz (Hrsg.), Recht auf die Heimat im zusammenwachsenden Europa. Ein Grundrecht für nationale Minderheiten und Volksgruppen, Frankfurt/Main 1995.

[28] Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa. In Verbindung mit Werner Conze [ab Bd. 3], Adolf Diestelkamp [bis Bd. 2], Rudolf Laun, Peter Rassow und Hans Rothfels, bearb. von Theodor Schieder, 5 Bde., 3 Beihefte, Bonn 1953–1962, Nachdruck München 1984.

[29] Matthias Beer, Das Großforschungsprojekt "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte, in: VfZ 46, 1998, S. 345–389.

[30] Beer, Großforschungsprojekt; Theodor Schieder, Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten als wissenschaftliches Problem, in: VfZ 8, 1960, S. 1–16.

[31] Siehe dazu Beer, Großforschungsprojekt. Der seinerzeit stecken gebliebene sechste (Abschluss-)Band der "Dokumentation" soll demnächst im Abstand eines halben Jahrhunderts von Matthias Beer herausgegeben werden.

[32] Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen (Hrsg.), Vertreibung und Vertreibungsverbrechen 1945-1948. Bericht des Bundesarchivs vom 28. Mai 1974. Archivalien und ausgewählte Erlebnisberichte, Bonn 1989.

[33] Lemberg/Edding.

[34] Volker Ackermann, Integration. Begriff, Leitbilder, Probleme, in: Klaus J. Bade (Hrsg.), Heimat im Westen. Vertriebene – Flüchtlinge – Aussiedler, Münster 1990, S. 14–36.

[35] Präambel des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze v. 21.12.1991, Bundesgesetzblatt 1991, Teil II, S. 1329 f.: "wypędzenie albo wysiedlenie" Vertreibung oder Aussiedlung; Präambel des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit v. 27.02.1992, Bundesgesetzblatt 1992 Teil II, S. 463 ff.: "vyhnání".

[36] So der Kompromiss in der deutsch-tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung: Deutscher Bundestag. 13. Wahlperiode. Drucksache 13/6787 v. 22.01.1997. Die tschechische Entsprechung für "Vertreibung und Zwangsaussiedlung" ist in Artikel III tschechisch nicht "vyhnání", sondern das ungebräuchlichere "vyhánění a nucené vysídlení".

[37] Eine erbitterte Ablehnung des Begriffs "Vertreibung": Miloslav Potočný, K otázce "vyhnání" tzv. sudetských Němců z Československa po skončení války Spojených národů s Německem [Zur Frage der "Vertreibung" der so genannten Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei nach der Beendigung des Krieges der Vereinten Nationen mit Deutschland], in: Václav Kural u. a. (Hrsg.), Studie o sudetoněmecké otázce [Studien zur sudetendeutschen Frage], Prag 1996, S. 180–188.

[38] Reinhard Roche, "Transfer" statt "Vertreibung"? Semantisch-pragmatische Überlegungen zur Lösung einer aktuellen, komplexen Sprachsituation, in: Muttersprache 87, 1977, S. 314–320; Mathias Beer, Flüchtlinge – Ausgewiesene – Neubürger – Heimatvertriebene. Flüchtlingspolitik und Flüchtlingsintegration in Deutschland nach 1945, begriffsgeschichtlich betrachtet, in: ders. (Hrsg.), Migration und Integration. Aufnahme und Eingliederung im historischen Wandel, Stuttgart 1997, S. 145–167; Tomáš Staněk, Abschiebung oder Vertreibung?, in: Walter Koschmal u. a. (Hrsg.), Deutsche und Tschechen. Geschichte, Kultur, Politik, München 2001, S. 528–535; Stanisław Jankowiak, Terminologia w stosunkach polsko-niemieckich [Die Terminologie in den deutsch-polnischen Beziehungen], in: Sprawy narodowościowe 6, 1997, S. 285–294.

[39] Empfehlungen für Schulbücher der Geschichte und Geographie in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen, Braunschweig 1977; Wolfgang Jacobmeyer (Hrsg.), Die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen in der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland. Eine Dokumentation, Braunschweig 1979. Gegenschriften in: Materialien zu deutsch-polnischen Schulbuch-Empfehlungen. Eine Dokumentation kritischer Stellungnahmen, Bonn 1980.

[40] Oskar Eugen Günther, Deutsche aus Polen heimatverwiesen. Besinnung im europäischen Spannungsfeld, Marburg 1952. Der Autor, evangelischer Geistlicher, verwendet allerdings in den hier abgedruckten Ansprachen und Aufzeichnungen meist den Terminus "Flüchtling" für die Gesamtheit der Betroffenen (z. B.: Thesen für eine wissenschaftliche Behandlung des Flüchtlingsfrage in Deutschland, ebd., S. 82–84). – Ähnlich vermischter Gebrauch von "Flüchtlinge" und – seltener – "Vertriebene" in: Stella Seeberg (Hrsg.), Aufgaben an den Heimatvertriebenen. Vorträge und Aussprachen bei der Arbeitstagung der Forschungsstelle der Evangelischen Akademie Hermannsburg vom 17. bis 21. November 1950, Hermannsburg 1951.

[41] Werner Nellner, Grundlagen und Hauptergebnisse der Statistik, in: Lemberg/Edding, Bd. 1, S. 62–65. Hier auch zur Notwendigkeit, für die Statistik klare Begriffe zu schaffen.

[42] Samuel Salzborn, Grenzenlose Heimat. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände, Berlin 2000, S. 40 f.

[43]Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 19. Mai 1953. BGBl I, 1953, S. 201; mittlerweile mehrfach neue Fassungen.

[44] Zum 4. März 1919 u. a.: Karl Braun, Der 4. März 1919. Zur Herausbildung sudetendeutscher Identität, in: Bohemia 37, 1996, S. 353–380.

[45] Jan Assmann, Erinnern, um dazuzugehören. Kulturelles Gedächtnis, Zugehörigkeitsstruktur und normative Vergangenheit, in: Kristin Platt/Mihran Dabag (Hrsg.), Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, Opladen 1995, S. 51–75.

[46] Vgl. auch Wolfgang Kessler, Ost- und südostdeutsche Heimatbücher und Ortsmonographien nach 1945. Eine Bibliographie zur historischen Landeskunde der Vertreibungsgebiete, München 1979. Dazu: Jutta Faehndrich, Erinnerungskultur und Umgang mit Vertreibung in Heimatbüchern deutschsprachiger Vertriebener, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 52, 2003, S. 191–229.

[47] Helbig, Der ungeheure Verlust, passim; Jürgen Thorwald (d. i. Heinz Bongartz), Die große Flucht I. Es begann an der Weichsel, II. Das Ende an der Elbe, München 1979 (erste Ausgabe in 2 Bde.: 1949–1951).

[48] Dokumente der Menschlichkeit aus der Zeit der Massenaustreibungen, hrsg. vom Göttinger Arbeitskreis. 2. verm. Aufl., Würzburg 1960 (zuerst 1950). Dazu Lehmann, Im Fremden, S. 194–199.

[49] Beispiele aus den Neunzigerjahren: die Weigerung eines schwäbischen Studenten in einer Lehrveranstaltung, in seinem Referat "Warschau" zu sagen, das wäre revanchistisch; oder den Rat eines deutschen Verständigungsexperten in einer Rundfunksendung im Juni 1999, nicht das Wort "Schlesien" zu verwenden. Statt dessen radebrecht man lieber Wars-tzawa, Slatzk (für Śląsk/Schlesien), Froklaff (für Wrocław/Breslau) usw.

[50] Karl Schlögel, Nach der Rechthaberei. Umsiedlung und Vertreibung als europäisches Problem, in: Dieter Bingen/Włodzimierz Borodziej/Stefan Troebst (Hrsg.), Vertreibungen europäisch erinnern? Historische Erfahrungen – Vergangenheitspolitik – Zukunftskonzeptionen, Wiesbaden 2003, S. 11–38; ders., Die Mitte liegt ostwärts. Die Deutschen, der verlorene Osten und Mitteleuropa, Berlin 1986.

[51] Eine neuere Geschichte der Vertriebenen-Verbände: Pertti Ahonen, After the Expulsion. West Germany and Eastern Europe 1945-1990, Oxford 2003; materialreich: Samuel Salzborn, Heimatrecht und Volkstumskampf. Außenpolitische Konzepte der Vertriebenenverbände und ihre praktische Umsetzung, Hannover 2001.

[52] Die segensreiche Wirkung des § 96 BVFG (Bewahrung und Weiterentwicklung des Kulturguts der Vertreibungsgebiete und der wissenschaftlichen Forschung dazu) war und ist unschätzbar; vgl. Wolfgang Kessler (Bearb.), Ostdeutsches Kulturgut in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch der Sammlungen, Vereinigungen und Einrichtungen mit ihren Beständen, München etc. 1989 (739 S.!).

[53] Eugen Lemberg, Die Vertriebenen – Mittler oder Störenfriede?, in: Peter Nasarski (Hrsg.), Nachbarn im Osten. Wandlungen und Erkenntnisse in zwei Nahkriegsjahrzehnten, Leer 1965, S. 122–132. Ähnliche Titelformulierung: Heinrich von zur Mühlen (Hrsg.), Bausteine oder Dynamit? Leistung und Förderung der Vertriebenen und Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 1974.

[54] Vgl. Heinz Ischreyt, Bemerkungen über die "Weiterentwicklung der ostdeutschen Kultur", in: Deutsche Studien 14, 1976, S. 197–203; ders., Sammeln – Darstellen – Interpretieren. Zur Weiterentwicklung der Kulturleistung der Vertriebenen, in: Deutsche Studien 17, 1979, S. 253–260; Hans Lemberg, Zur Entwicklung der Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland über "deutsches Kulturerbe im Osten", in: Hans Jürgen Karp (Hrsg.), Deutsche Geschichte und Kultur im heutigen Polen. Fragen der Gegenstandsbestimmung und Methodologie, Marburg 1997, S. 73–82. Vgl. auch die Rolle Gotthold Rhodes in den deutsch-polnischen Schulbuchgesprächen der Siebzigerjahre.

[55] Vgl. Wolfgang Kessler, Aspekte deutscher Landesgeschichte, Lüneburg 1989; Hartmut Boockmann, Deutsche Geschichte ist mehr als rhein-donauländische Heimatkunde. Die ostdeutsche Geschichte wird in der Bundesrepublik zu wenig erforscht, FAZ vom 22.5.1989. Vgl. zu diesem Thema auch: Die Deutschen in der Geschichte des nördlichen Ostmitteleuropa. Bestandsaufnahmen, in: Nordost-Archiv, N.F. 1, 1992, H. 1.

[56] Ein recht umfassendes Panorama der deutschsprachigen Belletristik über Flucht und Vertreibung bis 1988: Helbig, Der ungeheure Verlust.

[57] Schulze/von der Brelie-Lewien/Grebing.

[58] Eine "frühe Schwalbe": Wolfgang Benz (Hrsg.), Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen, Frankfurt/Main 1996 (zuerst 1985).

[59] Z. B.: Marion Frantzioch, Die Vertriebenen. Hemmnisse, Antriebskräfte und Wege ihrer Integration in die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987; Peter Hüttenberger u. a., Flüchtlinge und Vertriebene in Nordrhein-Westfalen. Forschungen und Quellen, Düsseldorf 1986 ff.; Rolf Messerschmidt, Aufnahme und Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in Hessen 1945-1950. Zur Geschichte der hessischen Flüchtlingsverwaltung, Wiesbaden 1994; ders., "Wenn wir nur nicht lästig fallen …": Aufnahme und Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen (1945–1955) [Dokumentensammlung], Frankfurt/Main 1991; Thomas Grosser u. a. (Hrsg.), Flüchtlinge und Heimatvertriebene in Württemberg-Baden nach dem Zweiten Weltkrieg. Dokumente und Materialien zu ihrer Aufnahme und Eingliederung, Mannheim 1998 ff.; Christiane Grosser, Flüchtlingsfrage – das Zeitproblem. Amerikanische Besatzungspolitik, deutsche Verwaltung und die Flüchtlinge in Württemberg-Baden 1945–1949, Mannheim 1993; Bade, Heimat im Westen; Sonderheft "Flucht und Vertreibung der Ostdeutschen und ihre Integration": Deutsche Studien 23, 1995, H. 126/127. Neuere Arbeiten zur Flüchtlingsfrage und zur Eingliederung in der SBZ/DDR vgl. unten, Anm. 69.

[60] Ztracené dějiny aneb Ziemie odzyskane? / Verlorene Geschichte oder Wiedergewonnenes Land? Sympozium konané 13.–14. března 1991 k otázce vztahu Čechu, Slováků a Poláků k Němcům [Symposium, veranstaltet vom 13.–14. März 1991 zur Frage der Beziehungen der Tschechen, Slowaken und Polen zu den Deutschen], Prag 1992. – Eine ähnliche Tagung in Posen 1993: Hubert Orłowski/Andrzej Sakson (Hrsg.), Utracona ojczyzna. Przymusowe wysiedlenia deportacje i przesiedlenia jako wspólne doświadczenie [Verlorene Heimat. Zwangsaussiedlung, Deportationen und Umsiedlungen als gemeinsames Erleben], Poznań 1996.

[61] Włodzimierz Borodziej/Artur Hajnicz (Hrsg.), Kompleks wypẹdzenia. [Der Komplex der Vertreibung], Kraków 1998.

[62] Włodzimierz Borodziej, Historiografia polska o "wypędzeniu" Niemców [Die polnische Historiografie über die "Vertreibung" der Deutschen], in: Polska 1944/1945-1989. Studia i materiały, Bd. 2, Warszawa 1996, S. 249-269; Jan Křen, Neue tschechische Studien zum Jahr 1945, in: Eduard Mühle (Hrsg.), Mentalitäten – Nationen – Spannungsfelder. Studien zu Mittel- und Osteuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Beiträge eines Kolloquiums zum 65. Geburtstag von Hans Lemberg, Marburg 2001, S. 183–190. Vgl. auch den parallelen Beitrag von Włodzimierz Borodziej im gleichen Band, S. 173–182; Tomáš Staněk, Odsun Němců z Československa 1945–1947 [Der Abschub der Deutschen aus der Tschechoslowakei 1945–1947], Prag 1991; ders., Verfolgung 1945. Die Stellung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien (außerhalb der Lager und Gefängnisse), Wien etc. 2002; demnächst erscheint in München eine deutsche Übersetzung des darauf bezogenen Bandes; ders., Tábory v Českých zemích 1945–1948 [Lager in den böhmischen Ländern 1945–1948], Senova u Ostravy 1996.

[63] Detlef Brandes/Edita Ivaničková/Jiří Pešek (Hrsg.), Erzwungene Trennung. Vertreibungen und Aussiedlungen in und aus der Tschechoslowakei 1938–1947 im Vergleich mit Polen, Ungarn und Jugoslawien, Essen 1999; Detlef Brandes/Václav Kural (Hrsg.), Der Weg in die Katastrophe. Deutsch-tschechoslowakische Beziehungen 1938–1947, Essen 1994; Jörg K. Hoensch/Hans Lemberg (Hrsg.), Begegnung und Konflikt. Schlaglichter auf das Verhältnis von Tschechen, Slowaken und Deutschen 1815–1989, Essen 2001 sowie in anderen Bänden der deutsch-tschechischen Historikerkommission.

[64] S. o., Anm. 61.

[65] Piotr Madajczyk,Niemcy polscy 1944–1989 [Die polnischen Deutschen 1944–1989], Warszawa 2001; Bernadetta Nitschke, Vertreibung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen 1945–1949. München 2003.

[66] Polnische Fassung: Włodzimierz Borodziej/Hans Lemberg (Hrsg.), "Nasza Ojczyzna stała siędla nas obcym państwem…" Niemcy w Polsce 1945–1950. Wybór dokumentów, 4 Bde., Warschau 2000–2001. Deutsche Parallelausgabe: Włodzimierz Borodziej/Hans Lemberg (Hrsg.), "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden …". Deutsche östlich von Oder und Neiße. Dokumente aus polnischen Archiven, Bd. 1, Marburg 2000, Bd. 2, Marburg 2004, Bde. 3 u. 4. voraussichtlich ebenfalls 2004.

[67] Schieder, Die Vertreibung der Deutschen.

[68] Hans-Jürgen Karp/Robert Traba (Hrsg.), Nachkriegsalltag in Ostpreußen. Erinnerungen von Deutschen, Polen und Ukrainern, Münster 2004; polnische Parallelausgabe u.d.T.: Codzienność zapamiętna. Warmia i Mazury we wspomnieniach [Erinnerte Alltäglichkeit. Ermland und Masuren in Erinnerungen], Allenstein 2004.

[69] Manfred Wille (Hrsg.), 50 Jahre Flucht und Vertreibung; ders., Sie hatten alles verloren. Flüchtlinge und Vertriebene in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Wiesbaden 1993; Philipp Ther, Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956. Göttingen 1998; Irina Schwab, Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen 1945–1952. Die Rolle der Kreis- und Stadtverwaltungen bei Aufnahme und Integration. Frankfurt/Main 2002; Torsten Mehlhase, Flüchtlinge und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg in Sachsen-Anhalt. Ihre Aufnahme und Bestrebungen zur Eingliederung in die Gesellschaft, Münster 1999; Wolfram Rothe, Vertrieben und angekommen. Flüchtlinge und Umsiedler in Neubrandenburg. Dokumente und Berichte aus den Jahren 1945 bis 1948, Neubrandenburg 1996; Alexander von Plato/Wolfgang Meinicke, Alte Heimat – neue Zeit. Flüchtlinge, Umgesiedelte, Vertriebene in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR, Berlin 1991; Christoph Kleßmann (Hrsg.), Vertreibung, Neuanfang, Integration. Erfahrungen in Brandenburg, Potsdam 2001.

[70] Wladimir Süss, Kommentierte Bibliographie zum Thema "Integration der Aussiedler/innen in die Bundesrepublik Deutschland" (1985–1993), in: Info-Dienst Deutsche Aussiedler 55, 1994, S. 8–50; Otfried Kotzian, Die Aussiedler und ihre Kinder. Eine Forschungsdokumentation, Dillingen 1990; Jürgen Puskeppeleit (Hrsg.), Migration und Bildungswesen. Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland – deutsche Minderheit in Osteuropa, Neuaufl. Münster 1992.

[71] Stellungnahme der Deutsch-Tschechischen Historikerkommission zu den Vertreibungsverlusten. Pressemitteilung vom 17.12.1996.

[72] "Alte Geschichten" wollten und wollen natürlich auch viele auf der anderen Seite hören, nämlich dass die Vertriebenen samt und sonders Kalte Krieger und verständigungsfeindlich seien. Vgl. beispielsweise den Aufsatz von Krzysztof Ruchniwewicz, Groźni Wypędzeni, in: Karta 33, 2003, S. 89–92, über die Darstellung von H. Hupka und H. Czaja in der polnischen kommunistischen Presse.

[73] Vgl. K. Erik Franzen, In der neuen Mitte der Erinnerung. Anmerkungen zur Funktion eines Opferdiskurses, in: ZfG 51, 2003, H. 1, S. 49–53; siehe auch die anderen Beiträge dieses der Diskussion über das "Zentrum" gewidmeten Themenheftes, das von Jürgen Danyel und Philipp Ther herausgegeben wurde.

[74] Zur Diskussion vgl. Bingen/Borodziej/Troebst; Michael G. Esch/Guilhem Zumbaum-Tomasi, Tagungsbericht "Gedächtnis – Erfahrung – Historiographie. Aspekte der Diskussion um den 'Komplex Vertreibung' in europäischer Perspektive", Centre Marc Bloch Berlin, Februar 2004, in: H-Soz-u-Kult, 19.5.2004, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=430, u. v. a. m.

[75] Rezension des Buches von Ther, Deutsche und polnische Vertriebene, durch Herbert Hupka in: Kulturpolitische Korrespondenz, Nr. 1067 vom 5.2.1999, S. 9–11.

[76] Zum Schluss sei noch auf eine große bibliographie raisonnée zum Themenbereich hingewiesen: Gertrud Krallert-Sattler, Kommentierte Bibliographie zum Flüchtlings- und Vertriebenenproblem in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, München 1989. In gewissem Sinne eine Fortsetzung davon: Gertrud Krallert-Sattler, Kommentierte Auswahlbibliographie zur neuzeitlichen Geschichte des Ost- und Südostdeutschtums bis zum Zusammenbruch 1944/45 und zum Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem in West- und Mitteldeutschland (Literatur 1987–1995), in: Wilfried Schlau, Die Ostdeutschen. Eine dokumentarische Bilanz 1945–1995, München 1996, S. 183–279, insb. ab S. 226. Eine Fortsetzung wäre wünschenswert. – Dass seither wiederum viel Neues erschienen ist, ergeben z. T. die keineswegs auf Vollständigkeit abzielenden Hinweise in den Fußnoten zum Text des vorliegenden Beitrags. – Vgl. dazu demnächst einen weiteren Tagungsband der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission: Christoph Cornelißen/Roman Holec/Jiří Pešek (Hrsg.), Diktatur – Krieg – Vertreibung. Erinnerungskulturen in Tschechien, der Slowakei und Deutschland seit 1945, (voraussichtlich Essen 2004).

 

 

Dieser Text erschien zuerst im Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 509-523 (Signatur: X 1095). Wir bedanken uns beim Autor und beim Institut für Sozialgeschichte Braunschweig-Berlin für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

 

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