Gewerkschaftspresse in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
In diesem Projekt wurden die wichtigsten Gewerkschaftszeitschriften / Gewerkschaftszeitungen aus den Bereichen Bau, Holzverarbeitung, Metall, Druck, Dienstleistung, Nahrungsmittel, Leder, Tabak, Verkehr, Landarbeit digitalisiert und frei zugänglich ins Netz gestellt. Der Zeitraum erstreckt sich von den Anfängen der deutschen Gewerkschaftsbewegung bis zum Jahr 1933. Berücksichtigt werden die großen Ströme der deutschen Gewerkschaftsbewegung, die sich nach 1945 im demokratischen Teil Deutschlands in einer Einheitsgewerkschaft vereinigten: liberale, christliche und „freie“ Gewerkschaften (sozialdemokratisch / sozialistisch).
Gewerkschaften entstanden in Deutschland erstmals in der Revolution 1848/49. Nach langer Verbotsphase etablierten sich Gewerkschaften 1865 mit der ersten zentral und national gegründeten Tabakarbeitergewerkschaft neu. Neben Gewerkschaftsorganisationen, die der Sozialdemokratie nahe standen, bildeten sich auch liberale Gewerkschaften (Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine), die die Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung durch genossenschaftliche Lösungen anstrebten. Das Sozialistengesetz verhinderte eine Konsolidierung der Gewerkschaftsentwicklung. 1894 schlossen sich nach dem Fall des Sozialistengesetzes die mitgliederstärksten „freien“ Gewerkschaften zu einem Dachverband zusammen. Als Reaktion auf die weltanschauliche Ausrichtung der „freien“ Gewerkschaften wurden in den neunziger Jahren christliche Gewerkschaften gegründet. In der Weimarer Republik schlossen sich 20 christliche Einzelgewerkschaften lose zum „Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften“ zusammen, während sich 52 Arbeitergewerkschaften unter dem Dach des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB)“ vereinten. Die Bildung von „Dachorganisationen“ darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das soziale, gesellschaftliche und politische „Leben“ sich in den Einzelgewerkschaften manifestierte.
Mit über 8 Millionen Mitgliedern im ADGB und über 1,1 Millionen Mitgliedern im „Gesamtverband“ erreichten die Gewerkschaften in Deutschland vor der Inflation ihren höchsten Organisationsgrad. Während die liberalen Gewerkschaften bei ca. 225.000 Mitgliedern stagnierten. Auch die Halbierung der Mitgliederzahl vor der national-sozialistischen Machtergreifung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den deutschen Gewerkschaften um die größten Massenorganisationen handelte. Das demokratische „Leben“ spiegelte sich in ihren Zeitungen und Zeitschriften. Neben den hier skizzierten Arbeitergewerkschaften bildeten Beamte und Angestellten aller Gewerkschaftsrichtungen eigene Organisationen mit eigenen Dachverbänden, so dass die Gewerkschaftsbewegung 1933 sozusagen „neunfach fragmentiert“ ihrem Ende entgegensah. Alle Organisationen gaben eigene Presseprodukte heraus. Große Gewerkschaften publizierten für Jugendliche, Frauen und diverse Sparten in eigenen Zeit-schriften. Dazu kommen Publikationen regionaler Organisationen. Ziel des Projekts ist es, die „wichtigsten“ und „wirkungsmächtigsten“ Zeitschriften zu digitalisieren und ins Netz zu stellen.
Die Gewerkschaftspresse unterlag als zentrales Organ eines Verbandes einem Wandel, der durch die Organisationsentwicklung, die Veränderung der Kommunikationsstruktur und nicht zuletzt durch die politischen Rahmenbedingungen bestimmt wurde. Unter den repressiven Bedingungen des Kaiserreiches war für Gewerkschaften ein in kurzen Abständen erscheinendes Publikationsorgan unverzichtbar, um Mitglieder zu gewinnen und auf Arbeitslöhne und Arbeitsbedingungen Einfluss zu gewinnen. Die Gewerkschaftspresse diente – neben Verbandstagen, Versammlungen, Konferenzen und Gesprächen, Flugblättern und Broschüren – in erster Linie als Mittel der Information und Dokumentation, des Austauschs konkurrierender Positionen über zentrale Fragen der Organisationsstruktur, der Politik und der Ziele der Gewerkschaften, der Meinungs- und Willensbildung, aber auch der Mitteilung gewerkschaftspolitisch relevanter lokaler Ereignisse über Streiks, Lohnvereinbarungen etc. Für Millionen von Mitgliedern war das wichtigste Informationsmedium das Verbandsorgan, das sie mit ihren Mitgliedsbeiträgen unterstützten und finanzierten. Erst mit Ende der Verbreitung des Rundfunks gegen Ende der Weimarer Republik büßte die Gewerkschaftspresse ihre hervorgehobene Informationsfunktion ein.
Es soll hier nicht im Detail auf die Entwicklung der Gewerkschaftszeitschriften / Gewerkschaftszeitungen, den jeweiligen Aufbau des 4, 8, 12-seitigen Blattes eingegangen werden, um die thematische Vielfalt aufzuzeigen. Für das breite Spektrum der Sozial- und Arbeitsschutzpolitik, für die lokale und biographische Forschung, für die gewerkschaftspolitischen Grundsatzdebatten und tagespolitischen Kontroversen bleibt die Gewerkschaftspresse eine herausragende Quelle. Ein Moment ist besonders hervorzuheben: Die zeitgeschichtliche Integrationsforschung hat seit einigen Jahren auch die Gewerkschaftsforschung erfasst. Zum einen sind die historischen Arbeiten zur Gewerkschaftspolitik nicht nur zahlreicher geworden, durch stärkere Berücksichtigung sozialhistorischer Fragestellungen liegt die Gewerkschaftsforschung wieder im „Forschungsmainstream“.
Aus diesem Grund haben das Historische Forschungszentrum der FES und die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) ein „Kooperationsbündnis“ geschlossen, um das Forschungsfeld Arbeitsbeziehungen und Gewerkschaften im Europa des 19., 20., und 21. Jahrhunderts in der Geschichts- und Politikwissenschaft zu koordinieren. Das Kooperationsprojekt wurde im August 2008 unter anderem mit dem Ziel eingerichtet (und finanziell unterstützt), die historische und politikwissenschaftliche Forschung zu gewerkschaftlichen Themen an universitären und außeruniversitären Forschungs- und Bildungseinrichtungen anzuregen und Projekte bzw. Publikationen aus dem Bereich Gewerkschafts-forschung zu unterstützen. Seitens der FES wurde die Gewerkschaftsforscherin Frau Dr. Ursula Bitzegeio eingestellt. In der HBS wird das Referat von Frau Dr. Michaele Kuhnhenne betreut und dort von einem wissenschaftlichen Beirat unterstützt. Das Kooperationsprojekt ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Die HBS unterstützt das Projekt durch ein eigenes Stipendienprogramm. Über die Bildung von Fachkollegs wird nachgedacht.
Diese Quelle für alle Forschungsansätze - unabhängig von Ort und Zeit - nutzbar zu machen, ist das zentrale Ziel des Projektes. Die Bibliothek der FES sieht sich mit diesem Projekt in einer „guten internationalen Gemeinschaft“. Das große französische Digitalisierungsprojekt Gallica hat mit der systematischen Digitalisierung französischer Gewerkschaftsquellen begonnen und wird auch im nächsten Projektabschnitt der Digitalisierung von Gewerkschaftsquellen einen großen Stellenwert einräumen.