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Deutschland, die Nachbarländer und die Vertriebenen:
Geschichte und Geschichtspolitik seit 1949

 

Philipp Ther
Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)

Vertriebenenpolitik in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR 1945 bis 1953

Die spätere DDR war nach dem Zweiten Weltkrieg der Staat Europas, der am meisten von Flucht und Vertreibung betroffen war. 1948, als die massenhaften Bevölkerungsverschiebungen in Ostmitteleuropa weitgehend abgeschlossen waren, stellten Flüchtlinge in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Die Anwesenheit von 4,3 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen veränderte die Gesellschaft grundlegend und hatte einen starken Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik der SBZ/DDR.

Schon 1945 war die Verwaltungsorgane der damaligen Sowjetischen Besatzungszone gezwungen, auf den gewaltigen Zustrom an Bevölkerung zu reagieren und Konzepte für deren langfristige Integration zu entwickeln. Als Mittel dazu sollten vor allem eine aktive Sozialpolitik, die Umverteilung von Wohnraum und die Bodenreform dienen. Höhepunkt der Maßnahmen war das "Umsiedlergesetz" von 1950. Im Gegensatz zur Bundesrepublik wurden die Vertriebenen jedoch nicht als eine gesonderte Gruppe anerkannt. Dies spiegelt sich im Umsiedlerbegriff, der 1945 entwickelt wurde und den Namen der für die Aufnahme und Integration zuständigen "Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler" (ZVU) prägte. Der Terminus Umsiedler" sollte den Betroffenen und den Einheimischen verdeutlichen, dass die Flucht und die Aufnahme der Flüchtlinge endgültig sei und gleichzeitig das Potsdamer Abkommen stützen, wonach es sich nicht um eine leidvolle und völkerrechtswidrige Vertreibung, sondern um eine legale und geplante Umsiedlung handelte. Seit dem Beginn der 50er Jahre wurde die Vertriebenenproblematik zunehmend tabuisiert, nicht zuletzt aus außenpolitischen Rücksichten heraus, darunter die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze im Görlitzer Vertrag.

Die Politik gegenüber den Flüchtlingen nach 1945 lässt sich in drei Bereiche unterteilen, einen caritativen, einen redistributiven und einen sozialrevolutionären. Mit der caritativen Politik versuchte die Regierung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die größte Not zu lindern. Die redistributive Maßnahmen strebten an, Eigentum von Einheimischen umzuverteilen - konkret betraf das vor allem Wohnraum. Hier gingen die Maßnahmen zugunsten von Flüchtlingen wesentlich weiter als in den westlichen Besatzungszonen. In der sozialrevolutionären Politik waren Integrationsmaßnahmen unmittelbar mit der Umwälzung der bestehenden Sozial- und Wirtschaftsordnung verbunden, vor allem der Bodenreform.

Die Sowjetische Militäradministration, die Länder und Kommunen in der SBZ waren durch die Flüchtlingsströme zunächst überfordert. Bis zum Sommer 1945 waren in der SBZ etwa 2,5 Millionen Flüchtlinge angekommen. Die Versuche vom Sommer 1945, den Strom an Migranten zu lenken und zu kanalisieren, waren oft unrealistisch und wurden ständig von den Tatsachen überholt. Viele Gebiete waren schon im Sommer 1945 völlig überfüllt, weil die SBZ als Durchgangs- und Aufnahmeland von Flüchtlingen fungierte. Mit der Gründung der ZVU schuf die SMAD vor der Einrichtung vergleichbarer Institutionen in Westdeutschland eine spezielle Verwaltung für die Flüchtlinge, die bis auf die Ebene der Länder und Kommunen gegliedert war. Anfang 1946 bekamen die Behörden die Erstaufnahme langsam in den Griff. Sie hatten bis dahin bereits zonenweit 358 Auffanglager gebaut, in denen 350,000 Menschen unterkommen konnten. In den Lagern wurden die Ankömmlinge, soweit es die Versorgungslage zuließ, ernährt, ärztlich behandelt und anschließend an ihre Aufnahmeorte weitergeleitet. Für die einzelnen Länder und Kreise gab es Aufnahmequoten, die sich nach dem verfügbaren Wohnraum richteten - also dem Ziel, den Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Am ehesten war dies noch in kleinen Ortschaften möglich, so daß knapp die Hälfte der Flüchtlinge in Dörfern mit weniger als 2.000 Einwohnern unterkam. Dies erklärt auch die starken Unterschiede des Anteils von Flüchtlingen an der Gesamtbevölkerung in den einzelnen Ländern der SBZ. Während im industriell geprägten Sachsen 17% der Bevölkerung Flüchtlinge waren - ein Wert, der dem Durchschnitt in Westdeutschland entsprach - lag ihr Anteil in Mecklenburg bei 43,3%.

Im Jahr 1946 rückte die Frage in den Vordergrund, was mit den so genannten "Umsiedlern" auf Dauer geschehen solle. Die erste Voraussetzung für die angestrebte Integration war die rechtliche Gleichstellung der Flüchtlinge mit den einheimischen Staatsbürgern, die einen Anspruch auf Lebensmittelkarten und Sozialfürsorge umfasste. Die erste spezifische Maßnahme zugunsten der Umsiedler war der SMAD-Befehl 304, wonach Unterstützungsbedürftige eine einmalige Zuwendung von 300.- Reichsmark pro Haushalt und 100.- Reichsmark pro Kind beantragen konnten. Gemessen an dem schmalen finanziellen Spielraum der Regierung war dies großzügig. In Westdeutschland gab es eine vergleichbare Pauschalzuwendung erst 1949 durch das Soforthilfegesetz. Allerdings happerte es an der Umsetzung in den Kommunen. Bezeichnend dafür ist ein Rundschreiben des Brandenburgischen Sozialministers an die Landkreise. Er fordert darin "besondere Einfühlung" mit den Umsiedlern. "Es ist nicht angängig, daß diesen ihr schweres Los zum Vorwurf gemacht wird und ihnen von den Stellen der Selbstverwaltung erklärt wird, daß sie für die Gemeinden, die ihnen Heimat sein sollen, eine Belastung bedeuten und daß ihnen mit dieser Begründung die Hilfe versagt wird." (BLHA, Ld. Br. Rep. 206, Nr. 3312, p. 16.). Da die SBZ sich Sondergesetze wie den SMAD-Befehl 304 finanziell nur begrenzt leisten konnte, schaltete sie seit 1946 gesellschaftliche Organisationen und die Kirchen in die Politik zugunsten von Flüchtlingen. Auf regionaler und lokaler Ebene wurden Sammlungen organisiert, die in den frühen Integrationskonzepten der ZVU eine zentrale Rolle spielten (BAB, DO 1-10, Nr. 1, p. 13.). Die Sammlungen kulminierten 1948 in den sogenannten Umsiedlerwochen, die mit großem Aufwand propagiert wurden, aber enttäuschende Ergebnisse brachten.

Ein dringendes Problem war auch die Unterbringung der Flüchtlinge, wobei in der SBZ 1947 generell mehr als eine Million Wohnungen fehlten. Die Behörden beschlagnahmten gestützt auf das "Gesetz des Allierten Kontrollrats Nr. 18" vom 18.3.1946 zunächst Wohnraum von Altnazis und gingen dabei wesentlich rigoroser vor als die westlichen Besatzungsmächte. 1947 begannen allgemeine Überprüfungen von Wohnungen, in die im Falle einer Unterbelegung häufig Flüchtlinge eingewiesen wurden. Im Gegensatz zu Westdeutschland konnten die Flüchtlingslager daher relativ rasch aufgelöst werden. Gemäß einer DDR-weiten Erhebung vom April 1950 bewohnten 93% der Umsiedler feste (massive) Häuser", 43.085 oder 6,4% lebten noch in Baracken und leicht gebauten Heimen, 4.039 oder 0,6% in Notwohnungen (BLHA, Ld. Br. Rep. 203, Nr. 1150, p. 75). Die politischen Grenzen der Umverteilung in der SBZ können jedoch anhand der Lastenausgleichsdebatte von 1947 aufgezeigt werden. Als in Sachsen ein entsprechendes Gesetz im Landtag eingebracht wurde, kam folgendes Gegenargument: "Die Landesregierung Sachsen steht auf dem Standpunkt, daß eine zwangsweise Erfassung [von Wohnraum, Möbeln, Hausrat etc.] nicht möglich ist. Wir können uns eine Verschärfung der Stimmung unter der Bevölkerung nicht leisten." (BAB, DO 1 - 10, Nr. 31, p. 202). Offenbar nährten die Maßnahmen zugunsten von Flüchtlingen Umsiedlern den Neid der einheimischen Bevölkerung, auf deren Einstellung die SED zumindest begrenzte Rücksicht nehmen musste.

Der dritte wesentliche Bereich der Politik in der SBZ gegenüber den Flüchtlingen war die Bodenreform. Norman Naimark hat pointiert zusammengefaßt, daß die Eingliederung der Flüchtlinge und der Wille der KPD, die politische Kontrolle auf dem Lande zu erlangen, zur Bodenreform geführt hätten. Anfang September 1945 erließen die Landes- und Provinzialregierungen die Bodenreformgesetze, in denen die "Umsiedler" neben den Landarbeitern und Kleinbauern als Empfängergruppe ausdrücklich genannt wurden. Bis 1949 erhielten Flüchtlinge bis 1949 43,3% aller Neubauernstellen und 34,9% des verteilten Bodens, also deutlich mehr, als ihrem Anteil an der Bevölkerung von 24,2% entsprach. In absoluten Zahlen hieß dies, dass 91.155 Umsiedler im Rahmen der Bodenreform eine Hofstelle zugeteilt bekamen und die Familienmitglieder eingerechnet etwa jeder zehnte Vertriebene in der SBZ eine Existenz als Landwirt begründen konnte. Die integrative Wirkung der Bodenreform blieb dennoch begrenzt. Dies lag vor allem an strukturellen Problemen bei der Umstellung von Großgrundbesitz auf kleinbäuerliche Verhältnisse. Daran änderte auch der am 9. September 1947 erlassene SMAD-Befehl 209 bzw. das sogenannte Neubauernbauprogramm wenig, da es an Baumaterialien fehlte. 1949 wurden ergänzende Richtlinien zum Neubauernbauprogramm erlassen, Vertriebene bei der Dringlichkeitseinstufung von Bauvorhaben bevorzugt zu berücksichtigen (BLHA, Ld. Br. Rep. 206, Nr. 2845, p. 105). Insgesamt zahlte die SBZ/DDR für den SMAD-Befehl 209 einen hohen volkswirtschaftlichen und politischen Preis. Die Investitionen in die Neubauernwirtschaften erforderten eine nahezu vollständige Lenkung der Bauressourcen auf das Land. In den Städten kamen daher die Bauarbeiten zum Erliegen, obwohl dort aufgrund der Kriegsschäden, der Wohnungsnot und der steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften ebenso starker Handlungsbedarf bestand wie auf dem Land. Schwierig blieb auch die berufliche Integration. Ähnlich wie in Westdeutschland bekamen die meisten Vertriebenen zunächst nur untergeordnete Stellen, die ihrer Qualifikation selten entsprachen und konnten sich erst im Laufe der Jahre hocharbeiten. Die sozialen Unterschiede wurden vor allem im Zuge der Industrialisierungspolitik und der gestiegenen sozialen Mobilität aufgehoben

Insgesamt blieben die Maßnahmen zugunsten der Flüchtlinge, die in der SBZ erlassen wurden, weit unter den Erwartungen der Regierung und der potentiellen Empfänger. Seit 1948 lässt sich die Tendenz beobachten, die Umsiedlerproblematik für gelöst zu erklären oder zu tabuisieren. Im Laufe dieses Jahres beschloss das ZK der SED, die ZVU, die Landesumsiedlerbehörden und die kommunalen Umsiedlerausschüsse zu schließen. Zur Begründung wurde angeführt: "Die weitere Existenz einer besonderen zentralen Umsiedlerverwaltung und besonderer Umsiedlerämter in den Ländern und Kreisen würde in seiner Konsequenz dazu führen, den Verschmelzungsprozeß durch die Herausstellung besonderer Umsiedlerinteressen zu behindern." (Vgl. BLHA, Ld. Br. Rep. 332, Nr. 574, p. 20; vgl. dazu auch BAB, DO 1-10, Nr. 4, p. 130). Die Behörden unterdrückten auch die Gründung von unabhängigen Interessenverbänden. Grundlage dafür war zunächst ähnlich wie in den Westzonen das Koalitionsverbot. Doch während dieses in der Bundesrepublik aufgehoben wurde, begann in der DDR die polizeiliche Verfolgung von Vertriebenen, die sich zu ihrer Identität bekannten. Im Zusammenhang mit der damals umstrittenen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze untersagte das Innenministerium der DDR auch im Kulturleben sämtliche Bezüge zur alten Heimat und deren Gebrauch in der Öffentlichkeit. Ende 1950 zerschlugen die Behörden die letzten Geheimtreffen von Vertriebenen, danach verliert sich ihre Spur auch in den Polizeiakten (BAB, DO 1-11, HVDVP, Nr. 886, pp. 12-21, 134 und 159).

Zur gleichen Zeit, als das Regime gegen die Sammlungsbestrebungen von Vertriebenen mit zunehmender Härte durchgriff, wurde das "Gesetz über die weitere Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler" verabschiedet. Es bündelte in einem letzten Anlauf alle vorangegangen Bereiche der Vertriebenenpolitik. Die bei weitem wichtigste Einzelmaßnahme war ein zinsloser Kredit in Höhe von 1.000.- Mark pro Familie für den Kauf von Konsumgütern. Einpersonenhaushalte hatten Anspruch auf 600.- Mark. Des weiteren sah das Gesetz verbilligte Kredite für den Bau von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, eine Senkung des Ablieferungssolls für "Umsiedlerneubauern" um bis zu 50%, Kredite für vertriebene Handwerker und ehemals vertriebene Neubauern vor. Es ist daher mit dem drei Jahre später erlassenen Lastenausgleich in der Bundesrepublik vergleichbar, räumte den Vertriebenen aber dezidiert keine besondere Last am verlorenen Krieg ein. Im Gegenteil, diese sahen sich einer zunehmenden Stigmatisierung ausgesetzt, die fünfte Kolonne Hitler gewesen zu sein.

Das Umsiedlergesetz erzeugte wie schon vorherige Maßnahmen enorme Erwartungen, die es nicht erfüllen konnte. Der gewaltigen Nachfrage, die durch die Kredite ausgelöst wurde, stand kein ausreichendes Warenangebot gegenüber. Ende 1950 schränkte die DDR-Regierung die Maßnahmen bereits ein, und ab 1953 wurden keinerlei Mittel mehr vergeben. Während die SBZ/DDR bis dahin bei Versorgungsleistungen noch mit dem Westdeutschland mithalten und gemessen am Bruttosozialprodukt übertraf, waren die Vertriebenen danach in der Bundesrepublik auch materiell wesentlich besser gestellt. Dies trug zu ihrer überproportionalen Abwanderung aus der DDR in die Bundesrepublik bis zum Mauerbau bei.

Ausgewählte Bibliographie:

Arnd Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur, Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945-1963, Köln 2002.

Dierk Hoffmann und Michael Schwartz (Hg.), Geglückte Integration? Spezifika und Vergleichbarkeiten der Vertriebeneneingliederung in der SBZ/DDR, München 1999.

Norman M. Naimark, Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, Berlin 1997.

Michael Schwartz, Vertriebene und "Umsiedlerpolitik". Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945-1961, München 2004.

Philipp Ther, Deutsche und Polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956, Göttingen 1998.

Manfred Wille, Johannes Hoffmann, Wolfgang Meinicke (Hg.), Sie hatten alles verloren. Flüchtlinge und Vertriebene in der sowjetischen Besatzungszone, Wiesbaden 1993.

Quellenverzeichnis:

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam (BLHA)
Bundesarchiv, Außenstelle Berlin-Lichterfelde (BAB)

 

 

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(Text in polnischer Sprache/ Tekst w języku polskim)