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Makroökonomische Trends in den 90er Jahren

Das Wirtschaftserbe der Apartheidregierungen ist in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Erstens existieren hier Einkommens- und Wohlfahrtsunterschiede, die zu den größten der Welt gehören: der Gini-Koeffizient als Maßstab für die (Un)Gleichheit der Einkommensverteilung liegt mit 0,66 sehr hoch, und zweitens hat die ineffiziente Ressourcenallokation nachteilige Wirkungen auf die Wachstumsrate. Dies macht sich u.a. an den makroökonomischen Trends, den Entwicklungen in den Sektoren, im Staatshaushalt, der Inflation und in der Beschäftigung bemerkbar.

Die makroökonomischen Daten der Post-Apartheid reflektieren dieses Erbe: Die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sind seit 1992/93 zwar wieder gestiegen, sie befinden sich aber auf einem zu niedrigen Niveau, um die Beschäftigungskrise und damit auch die Ungleichheit und die Armut beseitigen zu können. Die Wachstumsraten des realen BIP waren nur moderat, sie lagen bei ein bis zwei Prozent zu Beginn der 90er Jahre, stiegen dann leicht auf 3% (1996) und fielen 1997 auf ca. 1,5%. Die Zahlen für 1998 liegen eher noch niedriger, so daß das von der Regierung formulierte Ziel von ca. 6% bei weitem verfehlt wird. Das sehr schwache Wachstum ist als besonders kritisch anzusehen, weil das Bevölkerungswachstum Südafrikas bei ca. 2% liegen dürfte, so daß es während der letzten Jahre zu einem sinkenden Pro-Kopf-Einkommen gekommen ist.

Die Hauptwachstumsquelle des BIP war bis Mitte 1997 die verarbeitende Industrie, die allerdings seit dem 3. Quartal 1997 eher negative Wachstumsraten verzeichnet. Dies hat seine Gründe im Auslaufen des Exportförderprogramms sowie in der Finanzkrise in Ostasien und der anschließenden Wechselkursentwicklung.

Als bedeutende Indikatoren für wirtschaftliches Wachstum fungieren Spar- und Investitionsquoten. Die Investitionsquote hat sich, nachdem sie 1993 einen historischen Tiefpunkt mit 15% erreicht hatte und damit auf die Hälfte des Niveaus von 1983 gefallen war, langsam erholt. Sie liegt heute bei etwa 17,5%. Problematisch ist nicht nur die nach internationalen Standards sehr niedrige Quote, sondern auch der Beitrag, den in den letzten zwei Jahren die öffentlichen Unternehmen leisteten. Hier sind seit 1995 durchschnittliche Wachstumsraten bei den Anlageinvestitionen von über 5% zu verzeichnen, während sie im Privatsektor sehr niedrig sind. Da der Privatsektor aber ca. drei Viertel aller Anlageinvestitionen bestreitet, müßten vor allem hier Verbesserungen eintreten. Wenigstens 1997 ist das der Fall gewesen, nachdem zwei neue Steuergesetze die Entwicklung des verarbeitenden Gewerbes positiv beeinflußten. Dabei handelte es sich um bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Neuinvestitionen und Steuerfreiheit für Unternehmen, die neu investieren und Beiträge zur Standortsicherung und Beschäftigung leisten. Ein kleiner Innovationsschub ergibt sich aus dem Tatbestand, daß die Anlageinvestitionen stärker wachsen als das BSP.

Die niedrigen Investitions- und Sparquoten sind auch vor dem Hintergrund einer eher schwachen Nachfrageentwicklung zu sehen. Aufgrund sinkender Beschäftigung und erhöhter Steuerbelastungen für die Lohnempfänger ist die Kaufkraftentwicklung (privater Konsum) trotz Lohnsteigerungen von nominal ca. 11% in den Jahren 1996 und 1997 zurückgegangen. Auffällig ist vor allem der Rückgang beim Kauf von dauerhaften Konsumgütern.

Südafrika hat in den letzten Jahren erfolgreich die hohe Inflation bekämpft. Dank einer konsequenten Finanzpolitik der Regierung fiel die Inflationsrate von ca. 20% (1991) auf unter 10%. Auch das Haushaltsdefizit wurde erheblich reduziert. Eine konservative Geldmengen- und Zinspolitik der South African Reserve Bank, die sogar die durch Abwertungen entstandenen Inflationsschübe (hervorgerufen durch die asiatische Finanzkrise) mehr oder weniger abwehren konnte, trug ebenfalls dazu bei, die endemische Inflationsgefahr zu beseitigen. Der Ansteckungseffekt der Asienkrise konnte so begrenzt werden. Langfristig wird Südafrika das Inflationsniveau der wichtigsten Handelspartner erreichen müssen, um die Austauschbeziehungen auf sichere monetäre Grundlagen zu stellen. Es befindet sich auf dem Weg dahin.

Am 31.10.1998 meldete die Londoner Wirtschaftszeitung The Economist unter der Überschrift "Out of Work - out of Hope", daß die südafrikanische Arbeitslosigkeit katastrophale Höhen erklommen habe. Ein Ausweg aus der Massenarbeitslosigkeit sei nicht erkennbar. [Ein Auseinanderbrechen der Nation wird nicht nur von einigen ausländischen Beobachtern als Untergangsvision befürchtet. Auch in Südafrika mehren sich solche Stimmen. Für diese Sicht der Dinge werden vor allem folgende Aspekte angeführt: zunehmende Kriminalität, ungleiche Einkommensverteilung, Jugendarbeitslosigkeit, unzureichende Versorgung mit Wohnungen auch für die arme Bevölkerung, Zunahme von Immigration nach Südafrika und Aufkommen von Fremdenhaß. Dagegen existiert eine optimistische Variante mit eher positiven Einschätzungen zur Wirtschaftslage Südafrikas. Von einigen Autoren wird sogar die Auffassung vertreten, Südafrika sei der "Löwe auf dem Sprung". Das Land habe zwar strukturelle Probleme, aber die Wirtschaftsperspektiven seien sehr positiv. Es verfüge über Rohstoffe, habe eine vergleichsweise produktive Minenindustrie und verarbeitende Industrie, zudem sei das Land technologisch bereits in der Take-Off-Phase.]
Obwohl es an guten Ideen und Konzepten nicht mangele, könne von einem Umschwung nicht die Rede sein. Der informelle Sektor, in dem die meisten Südafrikaner Beschäftigung fänden, könne aufgrund einer inadäquaten Förderpolitik nicht die erforderliche Schwammfunktion einnehmen. Es sei eine Schwäche der ANC-Regierung, das Motto "Laßt tausend Blumen blühen" - also Dezentralisierung der wirtschaftspolitischen Förderprogramme - zu mißachten. Statt dessen setze die Regierung auf zentralisierte Entscheidungen.

Hauptziel der Regierungspolitik ist die Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit. Die großen Erwartungen haben sich jedoch kaum erfüllt und stellen Südafrika damit vor noch schwierigere Probleme als sie in westlichen Ländern üblich sind. Folgende Trends fallen besonders ins Auge: Seit 1992 verzeichnet Südafrika wieder positive Wachstumsraten des BIP, die Beschäftigung im formellen Sektor ist jedoch mit Ausnahme von 1994 rückläufig; Südafrika ist also durch "jobless growth" gekennzeichnet. Die offizielle Arbeitslosenrate hat sich seit 1995 von 17% auf heute ca. 23% erhöht. Bei der Berechnung der Arbeitslosenquote gibt es freilich große Unterschiede. Allein vom 1. Quartal 1997 bis zum 1. Quartal 1998 gingen ca. 187.000 Arbeitsplätze verloren, so daß Ende 1998 nur noch ca. 5,1 Mio. Arbeitsplätze vorhanden waren. Von 1990 (= 100) bis Ende 1997 hat sich der Beschäftigungsindex auf 92 reduziert. Der Beschäftigungsrückgang ist besonders drastisch im Bergbau (1997 = 67), aber er sank auch im verarbeitenden Gewerbe (auf 86). Auch die öffentlichen Unternehmen verzeichnen weniger Beschäftigte (1997 = 71), während der Staat Neueinstellungen vornahm (1997 = 113). Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei afrikanischen Frauen und Jugendlichen (jeweils ca. 40%).

Das Auseinanderdriften von positiven Wachstumsraten des BIP und Beschäftigungsentwicklung reflektiert das Dilemma der neuen Regierung besonders drastisch. Ohne dauerhaft hohe Wachstumsraten des BIP von ca. 6% und ohne hohes Exportwachstum wird sich die Arbeitsmarktlage nicht entspannen. Die von der Regierung eingeleiteten Maßnahmen greifen noch nicht, so daß es wohl zu einer weiter sinkenden Beschäftigung im formellen Sektor kommen wird. Der formelle Sektor ist jedoch nicht in der Lage, die auf den Arbeitsmarkt strömenden Jugendlichen aufzunehmen und die bereits Arbeitslosen zu integrieren. Nur einer von sieben jugendlichen Arbeitslosen kann derzeit einen Arbeitsplatz erwarten. Ein zentrales Problem ist dabei die unzureichende Ausbildung. Ein BIP-Wachstum von 6% ist kaum zu erwarten, es müssen also Alternativen zum formellen Arbeitsmarkt gefunden werden. Ob sich die geplanten Beschäftigungsprogramme (Public Works Program und Entwicklung der Infrastruktur) finanzieren lassen, läßt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Die beschlossene Austeritätspolitik macht es jedoch eher unwahrscheinlich, daß diese Programme wie geplant durchgeführt werden können (vorgesehen war, ca. 200.000 Menschen vorübergehend einzustellen).

Zwei unterschiedliche Konzepte, wie die hohe Arbeitslosigkeit am besten beseitigt werden könne, stehen (auch) in Südafrika zur Debatte.

Das neoklassische Modell argumentiert, daß die Arbeitslosenzahlen erhöht werden durch die Festlegung von Mindestlöhnen und durch antiliberale Arbeitsmarktgesetze, die dem Prinzip "hire and fire" widersprechen. Daher dürfe der Arbeitsmarkt nicht reguliert oder gar nach einem einheitlichen Muster organisiert werden, um die Schere zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen. Das Modell wird von der South African Foundation (SAF), einem Lobbyverband des big business, vertreten. SAF ist der Auffassung, daß niedrige Löhne neue Jobs schaffen würden. Deshalb sollten Lehrlinge, nicht ausgebildete oder neu eingestellte Arbeiter nach dem sog. tier-two-workers-System anders bezahlt werden als jene, die ausgebildet sind, bereits längere Zeit Erfahrungen gesammelt haben und durch die Industrial Councils vertreten werden.

Natürlich stoßen diese Vorschläge auf große Ablehnung der Gewerkschaften und auch der International Labour Organisation (ILO). Sie propagieren „voice-regulation", d.h. Verhandlungen zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und Regierungen, um einen nationalen Kompromiß über Löhne, Arbeitszeit und Arbeitssicherheit zu schließen. Das schwedische bzw. deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft stehen dabei Pate. Bislang obliegt die Durchführung dieser Politik den etwa 70 Industrial Councils. Sie repräsentieren aber nur einen Teil der Firmen und der Beschäftigten. Die ILO und die Gewerkschaften schlagen deshalb jetzt vor, eine „voice-regulation" für alle Beschäftigten einzuführen, da der südafrikanische Arbeitsmarkt hinreichend flexibel sei, Mindestlöhne festzusetzen, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen zu definieren, einheitliche Regeln für Urlaubszeiten, Überstunden etc. zu schaffen.

Die entscheidende Frage ist, wie die Einkommensschere zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen sowie den informell Beschäftigten beseitigt werden kann. Notwendig ist eine Arbeitsmarktpolitik, die die Expansion der Sektoren mit hoher Wertschöpfung und mit höheren Löhnen, deren Firmen teilweise auf dem Weltmarkt konkurrieren, und die Expansion der arbeitsintensiven Sektoren gleichzeitig ermöglicht. Nur indem die notwendige Ausbildung für den formellen Sektor simultan verbessert wird, um die Arbeits- und die Kapitalproduktivität zu heben, und indem die Kompetenz von Nichtbeschäftigten erhöht wird, während zugleich Niedriglohn-Arbeitsplätze im Kleingewerbesektor geschaffen werden, lassen sich die Arbeitslosenzahlen senken. Zur Debatte steht ein langer Katalog möglicher Maßnahmen: u.a. die Förderung von Existenzgründungsprogrammen für Frauen und im ländlichen Bereich, die Förderung industrieller Cluster, kommunale Beschäftigungsprogramme, Lehrlingsprogramme, die Einbindung von Nichtregierungsorganisationen, Ausbau von Industrieparks, Förderung von Linkages zwischen formellem und informellem Sektor, Staatsaufträge an den Kleingewerbesektor, zugleich aber auch verstärkte Ausbildungsanstrengungen, Förderung von Forschung und Entwicklung etc.

Der neue Employment Strategy Framework vom Juni 1998 spiegelt diese Diskussion wider. Der Rahmenplan, der auf einem Beschäftigungsgipfel im Oktober 1998 diskutiert wurde, scheint sich teilweise an den Problemen des gespaltenen Arbeitsmarktes zu orientieren, ist aber umstritten und sieht folgende Maßnahmen vor:

  • Reservierung von Arbeitsplätzen, wenn damit Investitionen, Wachstum und Handel unterstützt werden;

  • Förderung von Innovationen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu erhöhen;

  • Einrichtung eines Fonds zur Entwicklung des Tourismus durch Privatinvestoren und den Staat;

  • "Learnership wages", damit Jugendliche leichter beschäftigt werden können;

  • Einführung von Probezeiten für Beschäftigte;

  • Umwandlung der lokalen Büros des Department of Labour in Servicezentren für Arbeitsmarktinformationen und Karriereberatung;

  • Maßnahmen, die Arbeitslose beschäftigungsfähig machen sollen;

  • Aufbau des Umsobomvu Trust Fund, der Ausbildungsprogramme für junge Arbeitsuchende finanzieren soll.

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