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Von der Abfallwirtschaft zum Stoffstrom-Management : Gutachten / erstattet von Joachim H. Spangenberg ; Roda Verheyen. - Bonn, 1996. - 80 S. . - (Ökologische Marktwirtschaft). - ISBN 3-86077-535-9. - Electronic Ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998. © Friedrich-Ebert-Stiftung Vorwort Die Friedrich-Ebert-Stiftung fördert seit Jahren den gesellschaftspolitischen Dialog und praxisorientierte Vorschläge zum Aufbau einer ökologischen Marktwirtschaft. Hierzu gehören Gutachten, Analysen, Seminare, Workshops und Veranstaltungen u.a. unseres Gesprächskreises "Ökologische Marktwirtschaft". Angestrebt wird ein Wirtschaftsmodell, das im Rahmen marktwirtschaftlicher Ordnung die Integration der Ökologie in den Produktionsprozeß - und nicht nur die Beseitigung ökologisch unerwünschter Effekte der Produktion - ins Zentrum stellt. Marktwirtschaftliche Ordnung heißt dabei nur so wenig staatliche Intervention wie nötig und so viele Selbststeuerungsmechanismen der Marktteilnehmer wie eben möglich. Ökologie und Ökonomie sind kein Gegensatz, sondern ergänzen und bedingen sich. Wenn dieser Grundtatbestand nicht in Politik und Wirtschaft, in Planung und Praxis anerkannt wird, ist in den Industrieländern eine sozialverträgliche Wohlstandssicherung nicht zu garantieren. Eine sich selbst tragende nachhaltige Entwicklung in den Entwicklungsländern ist gleichfalls illusorisch, wenn Ökologie und Ökonomie nicht als Einheit verstanden werden. Mithin ist ökologische Umorientierung der Wirtschaft gefordert. Gerade das Industrieland Bundesrepublik Deutschland mit seiner weltweiten Verflechtung muß sich an dieser Debatte beteiligen, um die ökonomischen und ökologischen Herausforderungen der Gegenwart erfolgreich beantworten zu können. Die aktuelle Krise mit ihren Veränderungen in Produktionsprozessen, technologischer Entwicklung, in Märkten und Konsumgewohnheiten, kurz, der gesamte Prozeß der Restrukturierung der Wirtschaft und die Neubestimmung der Zukunftsperspektiven zwingen ebenfalls dazu, die ökologische Dimension zu einem Basiselement eines veränderten Wirtschaftsmodells zu machen. Um diese Herausforderung aufzugreifen, benötigen wir praxisorientierte Handlungsperspektiven, konkrete Analysen und den Dialog aller Beteiligten. Politik, Verbände, Wirtschaft, Verwaltung, Medien und die Öffentlichkeit im allgemeinen sind aufgefordert, ihre Interessen, ihren Sachverstand und ihre Verantwortung in die Formulierung und Umsetzung des anstehenden Reformprozesses einzubringen. So mag es z.B. einen diffusen gesellschaftlichen Konsens geben über die Notwendigkeit einer Wirtschaftsweise mit möglichst geringem Ressourcen und Energieeinsatz und geringen Emissionen. Die konkrete Ausgestaltung ökologisch verantwortlicher und ökonomisch sinnvoller Produktion oder die Umsetzung der "Produktverantwortung von der Wiege bis zur Bahre" muß jedoch die Konsequenzen für Produktionsorganisation, Produktplanung, Handel, Konsumenten usw. angemessen berücksichtigen. Die Frage, wie schnell, wie umfassend, mit welchen Instrumenten, mit welcher kurz und mittelfristigen Zielsetzung und mit welchem finanziellen Aufwand und Ertrag dieses Problem anzugehen ist, bedarf der Anstrengungen aller an diesem Prozeß beteiligten Akteure. Die Einführung des Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetzes ist für die Friedrich-Ebert-Stiftung der Anlaß, die bisherigen Erfahrungen der Abfallbeseitigung zu überprüfen und ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Instrumente zur Lösung der Abfallproblematik in den Mittelpunkt der umweltpolitischen Diskussion zu rücken. Dabei geht es auch um die Frage der Vor und Nachteile ordnungsrechtlicher Instrumente im Vergleich zu marktwirtschaftlichen Steuerungsinstrumenten, also um eine grundsätzliche Weichenstellung bei der Neuorientierung der Umweltpolitik. Entscheidend ist jedoch, daß das vorliegende Gutachten die bekannte Zieltrias "zunächst vermeiden, dann verwerten, und wenn es nicht mehr anders geht, dann entsorgen" wirklich ernst nimmt. Das heißt, daß die Abfallpolitik als Teil der Umweltpolitik nicht am Ende der Produktionskette steht - sie also, wie eingangs erwähnt, nicht die ökologisch unerwünschten Folgen der Produktion "entsorgen" soll -, sondern daß sie im Sinne einer ökologischen Marktwirtschaft von Beginn an als integrierter Bestandteil der Produktion begriffen werden muß. Das stellt völlig neue Anforderungen an die Wirtschaft, den Verbraucher, die Entsorgungsindustrie, den Gesetzgeber und die Verwaltung. Der ein wenig sperrige Begriff des "Stoffstrom-Managements" zielt weit über traditionelle Abfallpolitik und eine nachträgliche Entsorgung hinaus auf die vorsorgende Verringerung von Schadenspotentialen. Die Reduzierung von "Stoffströmen" und damit letztlich auch von Abfällen stellt sich immer klarer als das zentrale Problem heraus. Unser Gutachten will dazu beitragen, diesen grundsätzlichen Sachverhalt deutlicher in die umweltpolitische Diskussion einzubringen. Aus den damit verbundenen allgemeinen konzeptionellen Überlegungen ergibt sich eine Fülle praktischer Vorschläge für Politik und Wirtschaft, die wir hiermit der Öffentlichkeit vorlegen. Ich danke den Autoren dafür, daß sie ein zunächst scheinbar banales Thema wie "Müll" oder "Abfall" nicht nur in seinen überaus brisanten umwelt und wirtschaftspolitischen Zusammenhang eingeordnet haben. Sie zeigen darüber hinaus den konkreten Handlungsbedarf auf diesem Feld. Ich wünsche mir, daß dies Gutachten dabei hilft, die notwendigen praktischen Konsequenzen zu ziehen. Dr. Jürgen Burckhardt DanksagungFür dieses Gutachten wurden Informationen, Vorarbeiten und insbesondere Daten über die Abfallwirtschaft aus einer gemeinsamen Studie von Wuppertal Institut und cyclos GmbH, Osnabrück, benutzt: Spangenberg et al., Von der Abfallwirtschaft zum Stoffstrom-Management, Wuppertal und Osnabrück 1996. Mitarbeiterinnen der cyclos GmbH waren Sabine Bartnik, Agnes Bünemann und Gunda Rachut. Aus dem Wuppertal Institut wurden Arbeiten von Dr. S. Bringezu, Dr. Ch. Liedtke, Prof. Dr. F. Schmidt-Bleek und U. Tischner verwendet. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts danken die Autoren Dr. F. Hinterberger, H. Lehmann und Dr. J. Welfens. Außerdem danken wir H. Koschützke und den übrigen Mitarbeitern/innen der Friedrich-Ebert-Stiftung für die konstruktiv-kritische Begleitung. Daten, die nach März 1996 veröffentlicht wurden, konnten keinen Eingang in die Analyse mehr finden. Sämtliche verbliebenen Schwächen liegen selbstverständlich in der ausschließlichen Verantwortung der Autoren. 1. Anlass, Auftrag und Durchführung Mit dem neuen Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetz (KrW/AbfG), das Anfang Oktober 1996 in Kraft treten wird, unternimmt der Gesetzgeber einen weiteren Versuch - nach Einführung der Verpackungsverordnung (1991) und ihrer Umsetzung durch die Duales System Deutschland GmbH (DSD) -, das Abfallaufkommen zu reduzieren: Die Unternehmen sollen in die Pflicht genommen werden, ihre Produkte so zu gestalten, daß bei Herstellung und Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermieden wird und die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung der Abfälle, die nach der Produktnutzung durch den Konsumenten entstehen, sichergestellt ist (Produktverantwortung).1 Das Gesetz will damit auf breiter Ebene Anreize für die Verringerung des Abfallaufkommens geben, insbesondere durch die Wiederverwertung der beim Wirtschaften und Konsumieren entstehenden Abfallprodukte im Wirtschaftskreislauf. Es bedient sich dazu ausschließlich ordnungspolitischer Instrumente, die in einer insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen kaum zu überblickenden Vielzahl von Verordnungen, Ausführungsvorschriften etc. ihren Ausdruck finden. Kritiker dieses Konzepts führen neben den zu erwartenden Normierungs, Vollzugs, Überwachungs und Umsetzungsschwierigkeiten oder gar defiziten als Haupteinwand die, gemessen am Ergebnis, unverhältnismäßige Kostenbelastung der Industrie, des Handels und des Endverbrauchers an, die durch die Verteuerung der Abfallentsorgung erwachsen könnte - kein unberechtigter Einwand angesichts der Tatsache, daß bereits die Einführung der DSD als Pilotprojekt des Kreislaufwirtschaftsgesetzes auf der Grundlage der Verpackungsverordnung zu erheblichen Kostenbelastungen führte. So zeigte eine Analyse der Auswirkungen des "Grünen Punktes" auf den Geldwert 1992 bei den damals noch vergleichsweise niedrigen DSD-Gebühren eine Steigerung der Lebenshaltungskosten und damit eine Inflationswirkung von ca. 0,2%, so daß heute mit bis zu einem halben Prozent gerechnet werden kann. Zudem brachte die DSD das vermeintliche Paradoxon hervor, daß trotz abnehmender Müllberge die Abfallgebühren stetig stiegen. Diese Steigerungen sind zwar im Einzelfall begründbar, der zahlenden Bevölkerung aber nur noch schwer zu vermitteln. Angesichts der leeren Kassen in den Kommunen entsteht immer häufiger der Eindruck, daß es wieder der "kleine Mann" sein soll, der die Finanzlücken füllen muß. Auch mit seinen weiteren Nebenwirkungen geriet die DSD als unternehmerische Exekutive der Verpackungsverordnung ins Kreuzfeuer der Kritik: Wettbewerbsverzerrung durch Monopolisierung, Konkurse mittelständischer Entsorger und Verwerter, Müllexporte in die Dritte Welt, mangelnde Kostentransparenz, fehlende Kontrollmöglichkeit durch die Öffentlichkeit, um nur einige der prominenten Kritikpunkte zu nennen. Selbst die ökologische Vorteilhaftigkeit zumindest der Kunststoff-Verwertung wird zum Teil heftig bestritten. Zur womöglich fundamentalsten Kritik an der gegenwärtigen Praxis der Abfallwirtschaft zählt - und dies markiert den Ausgangspunkt des vorliegenden Gutachtens -, daß weder die Wirtschaftsweise noch die Konsumgewohnheiten durch die ordnungspolitische Steuerungspraxis in Frage gestellt werden. Anders formuliert: Es ist zu befürchten, daß das Kreislaufwirtschaftsgesetz nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch suboptimal ist - es führt die Abfallmengen lediglich einer Wiederverwendung zu, setzt aber keine Anreize für eine effizientere Ressourcennutzung und damit für eine systematische Abfallvermeidung auf allen Ebenen des Wirtschaftens. In das Zentrum der Betrachtung rückt daher ein Ansatz, der die genannten Ineffizienzen der gegenwärtigen Abfallwirtschaft aufzuheben verspricht: das sogenannte Stoffstrom-Management. Es ist einerseits ökologisch ausgerichtet, indem es primär den Umfang der Ressourcennutzung (Wasser, Energie, Rohstoffe) und damit - im Sinne des Vorsorgeprinzips - die Umweltbelastungspotentiale zu reduzieren sucht. Gleichzeitig bedient es sich zur Steigerung der Nutzungseffizienz (oder der Ressourcenproduktivität) bevorzugt marktwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente (Umweltabgaben, Zertifikate und Lizenzen), die eine ökonomische Überlegenheit gegenüber dem ordnungsrechtlichen Ansatz zumindest theoretisch erwarten lassen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung nimmt die Einführung des Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetzes und die in der Öffentlichkeit wiederholt geäußerte Kritik am Dualen System zum Anlaß, ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Instrumente zur Lösung der Abfallproblematik in den Mittelpunkt der umweltpolitischen Diskussion zu rücken und als programmatische Bestandteile einer ökologischen Marktwirtschaft begreifbar zu machen. Ein zentraler Gegenstand dieses Gutachtens ist daher die Frage, welche Vor und Nachteile ordnungsrechtliche Instrumente im Vergleich zu marktwirtschaftlichen Steuerungsinstrumenten für eine Neuorientierung der Umweltpolitik hin zu einem Stoffstrom-Management aufweisen. Dabei werden das Abfallgesetz mit seinen Verordungen, und hier insbesondere die Verpackungsverordnung und die darauf zurückgehende DSD GmbH, als maßgebliche Beispiele genutzt. Das Gutachten beginnt mit dem, was als ökonomisch und ökologisch sinnvollere Lösung der Abfallproblematik hier zur Diskussion gestellt werden soll: mit dem Stoffstrom-Management (Kapitel 3), vorgestellt in seiner technischen Konzeption einschließlich praxisbezogener Vorschläge, wie ihm durch marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente zur Geltung verholfen werden könnte. Dieses Kapitel setzt damit einen Maßstab für die darauffolgende Überprüfung, inwieweit die gegenwärtige Abfallwirtschaft in ihrer politischen Konzeption den gesetzten ökologischen und ökonomischen Ansprüchen gerecht wird (Kapitel 4). Weiter wird untersucht, welche Veränderungen nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetzes zu erwarten sind und ob respektive inwiefern durch dieses eine zukunftsfähige Lösung der Abfallprobleme induziert werden kann. Die hier angestellten Prognosen stützen sich auf die Erfahrungen mit ordnungsrechtlichen wie marktwirtschaftlichen Lösungsversuchen im Rahmen der DSD. Gleichzeitig werden Maßnahmen vorgeschlagen, wie das bestehende System zur Reduzierung des Verpackungsmülls nach neuer Rechtslage optimiert und ergänzt werden kann, um zu einem an Umweltverträglichkeitskriterien ausgerichteten Stoffstrom-Management beizutragen. 2. Zusammenfassende Thesen 2.1 Stoffstrom-Management der ZukunftDie Strategien und Ziele des Stoffstrom-Managements weisen über die etablierte Abfall wie Umweltpolitik hinaus. Während sich die bisherige Umweltpolitik überwiegend der Schadensbegrenzung und Rehabilitation widmet, zielt das Stoffstrom-Management auf die vorsorgende Verringerung von Schadenspotentialen. Die Reduzierung von Stoffströmen, und damit letztlich auch Abfällen, ist eine neuartige Querschnittsaufgabe und bedarf deshalb auch neuer Instrumente. Voraussetzung für ein erfolgreiches Stoffstrom-Mangement in einer Marktwirtschaft ist, daß die Rahmenbedingungen (und hier insbesondere die Preise) die Marktkräfte im Sinne einer zukunftsfähigen Entwicklung leiten. Für eine gezielte Beeinflussung der Stoffströme sind sowohl ökonomische als auch ordnungsrechtliche Instrumente geeignet. Ökonomische Instrumente sind zur Groblenkung und zur Minimierung der Stoffströme sinnvoll, während ordnungsrechtliche Instrumente insbesondere zur Gefahrenabwehr taugen. Freiwillige Vereinbarungen als Instrument der Umwelt und Stoffstrompolitik sind dann und nur dann sinnvoll, wenn sie in ein Gesamtkonzept mit vorgegebenen Umweltqualitätszielen eingebunden werden und überdies Überwachung (Monitoring) und Sanktionen im Mißerfolgsfalle existieren. Abfallwirtschaft ist damit kein geeigneter strategischer Ansatzpunkt zur Durchsetzung eines auf reduzierten Stoffdurchsätzen basierenden zukunftsfähigen Wirtschaftens, sie ist jedoch als nachgelagerter Bestandteil der Umweltpolitik unverzichtbar. Ein Stoffstrom-Management mit dem Ziel einer konsequenten Verminderung des Ressourceneinsatzes kann dagegen nicht mit den Mitteln der herkömmlichen Abfallwirtschaft und gesetzgebung geleistet werden. Die vorhandenen Ansätze eines Stoffstrom-Managements basieren überwiegend auf dem Abfallrecht2. Dies ist unzureichend, da so nur mittelbare und beschränkte Einwirkungen auf die Produktion und die Nutzung von Gütern möglich sind. 2.2 Abfallwirtschaft und recht der GegenwartDie abfallwirtschaftlichen Regelungen sind aufgrund ihrer Vielzahl und Differenziertheit unübersichtlich und teilweise kontraproduktiv. Das neue Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetz wird Vollzugsunsicherheiten und defizite in diesem Bereich eher verstärken als beheben. Insbesondere das Verhältnis von privater zu kommunaler Entsorgungsverantwortung ist unklar und wird voraussichtlich zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Das Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetz ist nicht auf ein umfassendes Stoffstrom-Management ausgerichtet. Es bietet keinen direkten Anreiz zur Dematerialisierung und stellt deshalb für den Weg zu einer langfristig zukunftsfähigen Lösung keine geeigneten "ökologischen Leitplanken" zur Verfügung. Das Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetz eröffnet im Vergleich zum Abfallgesetz von 1986 keine neuen Möglichkeiten, um die Produktverantwortung der Hersteller abfallwirtschaftlich umzusetzen. Werden nicht produktbezogene Verordnungen zur Konkretisierung des Programmsatzes "Produktverantwortung" erlassen, ändert sich unter dem KrW/AbfG kaum etwas gegenüber der bisherigen Rechtslage. Soll die neuartige Produktverantwortung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes mit Leben erfüllt werden, so müssen rechtliche wie ökonomische Kontroll und Sanktions-Mechanismen etabliert werden, einschließlich solcher, die innerhalb des Systems selbst regulierend wirken und keine staatlichen Eingriffe erforderlich machen. 2.3 Die Duale AbfallwirtschaftDas Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetz stellt den Eintritt in die duale Abfallwirtschaft dar. Private Entsorger und Verwerter werden nach dem Beispiel der Verpackungsverordnung Entsorgungssysteme bilden und sich die Teile des Marktes erschließen, die rentabel erscheinen. Für die kommunalen Entsorgungsträger bedeutet dies nicht nur erhebliche Planungsunsicherheiten, sondern für sie werden nur noch einzelne, u.U. schwer verwertbare Fraktionen übrigbleiben. Es ist zu befürchten, daß der Transport von Abfällen zu den preiswertesten Entsorgungsstätten quer durch die Bundesrepublik zunehmen wird. Durch Rücknahmepflichten kann nur dann eine wirksame Produktverantwortung eingeführt werden, wenn sowohl die Rücknahme als auch die Rückführung in den Wirtschaftskreislauf im selben Marktsegment erfolgen. Pauschale Rücknahmepflichten führen zu einer Erfüllung durch kollektive Systeme (wie z.B. das Duale System für Verpackungen), die in der Regel von branchenfremden Unternehmen (z.B. Entsorgungsbranche statt Verpackungshersteller oder Abfüller) getragen werden. Eine wirksame Produktverantwortung und damit alle Rückwirkungen auf die Produktion werden so weitgehend ausgeschlossen, wie das Beispiel DSD gezeigt hat. Sammlung, Sortierung und zum Teil auch die Verwertung von Verpackungsmaterialien werden zur Zeit über den Grünen Punkt finanziert und über monopolistische Wirtschaftssubjekte organisiert. Im Ergebnis werden verschiedene Stoffströme durch die Einnahmen aus anderen quersubventioniert. Dies ist ökonomisch ineffizient und widerspricht allen marktwirtschaftlichen Prinzipien. Hier zeigt sich, daß privatwirtschaftliche Lösungen keinesfalls zwangsläufig marktwirtschaftliche Lösungen sein müssen. 2.4 Forderungen an die PolitikDas KrW/AbfG ist ein leerer Rahmen, der seine Wirkung ohne konkretisierende Verordnungen nicht entfalten kann. Deshalb muß der Erlaß der Verordnungen schnell vorangetrieben werden. Dies gilt nicht nur für die unmittelbar vollzugsrelevanten Verordnungen, auch alle anderen Verordnungsermächtigungen müssen ausgenutzt werden. Erst dann zeigt sich, welche Steuerungskapazitäten das neue Gesetz wirklich hat. Herzstück des KrW/AbfG ist nach Aussagen der Regierung die Produktverantwortung. Bislang sind diesbezüglich keine ernsthaften Konkretisierungsversuche gemacht worden (Verordnungsermächtigungen in §§ 22, 23 KrW/ AbfG). Die Erfahrungen mit der Verpackungsverordnung zeigen, daß allein Rücknahme und Verwertungspflichten zu Wirkungsbrüchen führen. Hier ist gesetzgeberische Aktivität und Kreativität gefordert. Soll die Entsorgung einzelner Abfallströme privatisiert werden (wie durch die Verpackungsverordnung über die DSD GmbH), so ist es notwendig, die Kosten der Entsorgung dem einzelnen Produkt klar zuzuordnen. Der Verbraucher muß erkennen können, wenn er z.B. ein schwer verwertbares Produkt kauft und welchen Anteil an den Entsorgungskosten er damit trägt. Hier ist ebenfalls der Verordnungsgeber gefragt. Die neue Rechtslage entfaltet sonst keine spürbare Wirkung in Richtung Abfallvermeidung und Kreislaufführung von Stoffen. §§ 4-6 KrW/AbfG legen Grundpflichten zur Verwertung von Abfällen fest: Auch diese sind dringend konkretisierungsbedürftig (§ 7 regelt die Verordnungsermächtigung). Eine generelle Bevorzugung der werkstofflichen vor der rohstofflichen Verwertung ist ökologisch notwendig, sog. rohstoffliche und thermische Verwertung sind als gleichrangige Formen der Abfallentsorgung zu behandeln und einer Abwägung im Einzelfall zu unterwerfen. Wie sich aus der Entwicklung der Abfallmengenströme ergibt, ist der Bau neuer Müllverbrennungsanlagen nicht notwendig. Zudem ist die Verbrennung keine Form der Verwertung - sie dient im wesentlichen der Inertisierung von abzulagernden Abfällen. Die kommunalen Gebührenstrukturen bieten bislang keinen Anreiz zur Abfallvermeidung. Bürgerinnen und Bürger müssen zukünftig für das Einsparen von Abfällen belohnt werden. Diesbezügliche Auswirkungen des KrW/AbfG auf die Entsorgungswirtschaft müssen analysiert und ggf. umgesteuert werden. Das Duale System und damit die Durchführung der Verpackungsverordnung können nicht ausschließlich der Privatwirtschaft überlassen werden; um illegale Abfallexporte und ökologisch/ökonomische Fehleinschätzungen zu verhindern, muß eine stärkere Kontrolle gewährleistet werden. Eine Kostenreduktion durch verstärkten Wettbewerb und Bevorzugung der jeweils günstigsten Verwertungsoption ist möglich. Die Novellierung der Verpackungsverordnung geht darauf nicht in geeignetem Maße ein. Auch auf kommunaler Ebene besteht Handlungsbedarf: ökonomische Instrumente wie kommunale Verpackungssteuern (Satzungen nach dem Kasseler Beispiel) können als Abfallvermeidungsinstrumente aktiv eingesetzt werden. Zudem sollte - wo immer möglich - Kompostierung als eine Form der unmittelbaren Verwertung gefördert werden. Die Datenlage im Bereich Abfallwirtschaft ist unzureichend und dringend verbesserungsbedürftig. Dazu müssen die Erhebungen zwischen EU, Bund und Ländern ausreichend koordiniert und Datenbanken eingerichtet werden. Ohne eine ausreichende Datenbasis ist die Etablierung eines effektiven Stoffstrom-Managements nicht möglich. Die Abfallwirtschaft darf den in der Vergangenheit vorrangigen Aspekt der "Entgiftung" (Reduktion der spezifischen Schadpotentiale) vor dem Mengenproblem nicht aus den Augen verlieren. Gezielte Politiken zur Sonderabfallreduktion und beseitigung bleiben notwendig. Weitere gesetzgeberische Aktivitäten dürfen sich nicht nur auf marginale Ströme (wie z.B. Verpackungen) beziehen, sondern müssen auch die dominanten Abfall-Fraktionen einbeziehen: z.B. Bauschutt und Bodenaushub, Bergbau und Gewerbeabfälle aller Art, Schlacken etc. Dazu sind insbesondere auch Initiativen auf europäischer Ebene zu ergreifen. Im Rahmen der Arbeiten am einheitlichen Umweltgesetzbuch bedarf auch das Abfallrecht der Vereinheitlichung und Vereinfachung, wenn nicht die Betroffenen vor der letztlich nicht implementierbaren Rechtsvielfalt zur Kapitulation gezwungen werden sollen. Die Vielzahl von über 800 umweltrelevanten Gesetzen, 2.770 Rechtsverordnungen und 4.700 Verwaltungsvorschriften überfordert insbesondere kleine und mittlere Unternehmen. Dieses Problem kann auch durch die Konkretisierung bestehender Gesetze nicht behoben werden. Um Abfall und Stoffströme wirksam zu verringern, ist die Abfallwirtschaft nur ein begrenzt taugliches Mittel: Um den ökologischen Bekenntnissen Taten folgen zu lassen, muß der Gesetzgeber neue Wege gehen und Maßnahmen der Stoffstromsteuerung außerhalb der Abfallwirtschaft ergreifen. Dazu zählen z.B. Kennzeichnungspflichten, die Definition von Nutzungsobergrenzen entweder durch ordnungsrechtliche Maßnahmen oder durch handelbare Extraktionszertifikate, der Ab und Umbau stoffstromrelevanter Subventionen sowie eine energie und stoffstrombasierte ökologische Steuerreform. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1998 |