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TITELINFO / UEBERSICHT


Von der Abfallwirtschaft zum Stoffstrom-Management : Gutachten / erstattet von Joachim H. Spangenberg ; Roda Verheyen. - Bonn, 1996. - 80 S. . - (Ökologische Marktwirtschaft). - ISBN 3-86077-535-9. - Electronic Ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998. - Teil 3.
© Friedrich-Ebert-Stiftung

4. Abfallwirtschaft - Status quo und Auswege

4.1 Der Charakter des Mülls

ökonomisch

Jeder Produktionsprozeß beginnt mit einem intellektuellen Akt: dem des Erkennens der Verwertbarkeit von Natur (bzw. des betrachteten Naturausschnitts), gefolgt von ihrer Inwertsetzung, die sich nicht auf einen Wert eo ipso, sondern vielmehr auf die bei Erschließung und Ausbeutung anfallenden Kosten bezieht. Diese Kosten sind der Preis der Müllproduktion: Halden, Aushub, Bergematerial sind der Beginn fast jeder Produktionskette und haben - ein Charakteristikum der Müllproduktion - einen negativen Preis. Rohstoffgewinnung als Basis der industriellen Produktion stellt sich somit teilweise als ein Nullsummenspiel dar, bei dem der positive Preis der gewonnenen Produkte der Reflex auf den negativen Preis des produzierten Mülls ist, auch wenn der letztere in der Vergangenheit meist nicht bezahlt wurde.

Die resultierenden "offenen Rechnungen" werden wir jedoch in Zukunft begleichen müssen, wir werden für Klimaschäden und Sauren Regen, für Altlastensanierung und Grundwasserdekontaminierung etc. zweistellige Milliardenbeträge aufwenden müssen. Berücksichtigt man zudem die quantitative Dominanz der Müllproduktion gegenüber der Produktproduktion sowie die letztendliche Müllwerdungstendenz von Vor­, Zwischen­ und Endprodukten, so ist es durchaus gerechtfertigt, industriellen Produktionsprozeß als einen Vermüllungsprozeß zu charakterisieren.

entropisch

Die Müllwerdung der Materie stellt die sprunghafte Erreichung eines quasi-stationären ersten Entropiemaximums dar, das seinerseits einer langsamen, diffusiven Maximierungsdynamik unterliegt: Die Verpackung wird zum Abfall, der sich langsam zersetzt, seine Bestandteile in Luft, Wasser und Boden dissipiert. Vermüllung ist ein Grundprinzip menschlichen Handelns; was der Mensch in die Hand nimmt, verwandelt sich direkt oder indirekt in Müll. Da aber der Übergang von der Produktform zur Müllform eines Gegenstandes als Entropiemaximierung verstanden werden kann, handelt es sich um einen quasi naturgesetzlich ablaufenden Prozeß mit eigener Dynamik, der nur durch aktive Gegenmaßnahmen unter Energieeinsatz (der seinerseits wiederum Müll erzeugt) zeitweilig aufgehalten oder umgekehrt werden kann - eine Sisyphusarbeit. Betrachten wir den menschlichen Umgang mit der Materie, können wir zwei Hauptgruppen unterscheiden:

a) Ca. ein Zehntel der Materie wird zu geformten, strukturierten, d.h. niederentropischen Produkten umgewandelt, die am Ende ihrer Nutzungszeit ebenfalls zu Müll werden. Bezeichnet man als Lebenszeit eines Stoffs die Phase von der Entnahme aus seiner natürlichen Umgebung bis zu dem Zeitpunkt, an dem er völlig in den biogeochemischen Zyklus reintegriert ist, ohne Spuren seiner menschlichen Berührtheit zu hinterlassen, dann gilt für Produkte:

Nutzungszeit + Müllzeit = Lebenszeit.

b) Ca. neun Zehntel der vom Menschen bewegten Materie gehen dagegen den folgenden Weg

Natur > (Inwertsetzung) > Rohstoff > (Förderung) > Müll

(was an dieser Stelle auch die Produktionsabfälle von Vor­ und Zwischenprodukten einschließen soll). Erst diese Entropiemaximierung für die überwiegende Menge der genutzten Materie ermöglicht es, dem verbleibenden Rest eine niederentropische Nutzung zuzugestehen: Der Weg zum Produkt ist mit Müll gepflastert. Hier gilt:

Müllzeit = Lebenszeit.

Quantitativ sind also Müll das unerwünschte Haupt­, Produkte aber das erwünschte Nebenergebnis industrieller Produktionstätigkeit. Selbstverständlich hat der unterschiedliche Grad der Wünschbarkeit zu Optimierungsprozessen geführt, z.B. zu einem verringerten Energieeinsatz pro Produkteinheit (bei steigendem Flächenverbrauch, auch eine Form der Vermüllung). Die Steigerung der Ressourcenproduktivität, d.h. die Verringerung der Müllmenge pro Produkteinheit, ist jedoch bisher in industriellen Wachstumsökonomien stets durch die Zunahme der Gesamtproduktion weit überkompensiert worden, so daß die Müllmengen einem stetigen Wachstum unterlagen. Müll ist so das Zerrbild der Evolution der Produktion, ihr immer existierender aber lange verdrängter Januskopf.

ökologisch

Steigende Müllmengen machen in der modernen Industriegesellschaft steigende Entsorgungsanstrengungen notwendig; nicht die Quellen, wie noch Meadows und die Autoren von Global 2000 vermuteten, sondern die Senken einschließlich der Atmosphäre und ihrer begrenzten Aufnahmekapazität für klimarelevante Spurengase werden zum begrenzenden Faktor der Produktion.

So reflektiert der Müll nur das Prinzip unserer Produktionsweise - wenn ökologische Kriterien nicht bereits beim Produktdesign greifen, kann das Abfallmanagement höchstens zur Schadensbegrenzung dienen. Lineare Produktplanungen (s.u.) vom Rohstoff bis zum Endprodukt, die den Verbleib des Produkts nach seiner Nutzungsphase nicht berücksichtigten, führten dazu, daß die Mehrzahl unserer Produkte, aber auch die damit verbundenen Produktionsstrukturen, ökologischen Kriterien keinesfalls gerecht werden. Folge dieses Produktdesigns ist es dann, daß heute der Preis für Verpackungskunststoffe (Granulat) zu drei Vierteln aus Entsorgungskosten besteht, und nur noch zu einem Viertel aus Herstellungskosten - aber zu null Prozent aus eigentlichen Stoff-Kosten.

Die Analyse von Größenentwicklung und Zusammensetzung unserer Müllberge ist vielleicht der beste Indikator dafür, welche Fortschritte in einer Gesellschaft Konsum und Produktion auf dem Wege hin zur Nachhaltigkeit nicht erreicht haben.56

Wenn aber Art und Umfang des Müllaufkommens einen negativen Indikator für zukunftsfähige Entwicklung darstellen, stellt sich die Frage nach den Entkoppelungsmöglichkeiten von Wirtschafts­ und Abfallentwicklung und damit nach den Instrumenten, diese Entkoppelung in die Wege zu leiten. Ein Stoffstrom-Management der Zukunft zu entwerfen ist eine Aufgabe, das Dilemma zu beheben, in der die heutige Abfallwirtschaft steckt, eine andere. Von einem ökologisch verantwortungsvollen und konsequenten Stoffstrom-Management sind die heutigen Industriegesellschaften noch weit entfernt. Unter welchen Voraussetzungen die Abfallwirtschaft trotzdem einen Beitrag zu der in Kapitel 3 beschriebenen Entwicklung leisten kann, soll hier untersucht werden. Grundlage für die Analyse bilden Daten zum heutigen Abfallaufkommen und den derzeitigen Entsorgungswegen (4.1).

Anhand der Probleme, die durch Art und Umfang des Abfallaufkommens und durch die ungenügende Steuerung von Massenstoffströmen auftreten, wird zunächst das skizzenhafte Bild einer "idealen Abfallwirtschaft" (4.2) entworfen. Wo müßte sie ansetzen und welche Elemente müßte sie beinhalten, um mit dem "Wohlstandsmüll" der heutigen Zeit umzugehen? Die Rolle, die die Abfallwirtschaft vor dem Hintergrund der in Kapitel 3 aufgestellten Forderungen und Prämissen für ein Stoffstrom-Management spielen kann, also ihre Möglichkeiten und Grenzen, werden auf den unterschiedlichen Steuerungsebenen diskutiert.

In welchem Umfang die heutige Abfallwirtschaft und ihre Instrumente diesen Anforderungen entsprechen, wird anschließend untersucht: Eine Analyse der bestehenden Abfallwirtschaft, der rechtlichen sowie tatsächlichen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (4.3) zeigt im folgenden den Status quo und verdeutlicht die bestehenden Lücken im Regelungsansatz.

Das Kreislaufwirtschafts­ und Abfallgesetz (KrW­/AbfG) sollte nach dem Willen der Bundesregierung ein Instrument sein, diese Lücken zu füllen. Mit einer (naturgemäß nicht abschließenden) ex-ante-Betrachtung der Auswirkungen dieses neuen Gesetzes auf die Abfallwirtschaft wird ein Versuch gemacht, zu beurteilen, ob das KrW­/AbfG diese "Lückenfüller-Funktion" wirklich besitzt, bzw. ob es sie aufgrund der Begrenztheit des Regelungsansatzes überhaupt haben kann (4.4).

Abschließend wird ausgehend von den Analysen der ersten Schritte dieses Kapitels untersucht, inwiefern abfallwirtschaftliche Systeme geeignet und in der Lage sind, zu Elementen eines zukünftigen Stoffstrom-Managements weiterentwickelt zu werden. Einen Ausblick bietet dazu die Frage nach der Regulierbarkeit von Stoffströmen durch die Abfallwirtschaft insgesamt und die Überschneidung der Ziele von Abfallwirtschaft und Stoffstrom-Management (5).

4.2 Abfallaufkommen und ­entsorgung in Deutschland

Die Daten zum Abfallaufkommen in Deutschland in den verschiedenen Bereichen (Haus­, Industrie­, Sonderabfälle) sind unvollständig. Dies liegt zum einen an der mangelhaften Erhebungspraxis der Kommunen, zum anderen an methodischen Unsicherheiten in der Datenerhebung sowie der Uneinheitlichkeit der Abfallklassifizierung. Auf diese Probleme wird später im Zusammenhang mit der für ein Stoffstrom-Management wie auch für eine effiziente Abfallwirtschaft unerläßlichen zuverlässigen, aktuellen und vollständigen Datenbasis zurückzukommen sein. Zum anderen muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß die Ausweisung eines Stoffes/Materials als "Abfall" von der Definition des Begriffes selbst abhängt. So werden beispielsweise nicht genutzte Materialien im Bergbau (Stichwort: Abraumhalden) oder landwirtschaftliche Stoffumsätze nicht als Abfall klassifiziert - sie fallen schlicht nicht unter den per Gesetz definierten Abfallbegriff. Trotz der Tatsache, daß durch das neue Abfallrecht (Kreislaufwirtschafts­ und Abfallgesetz) ab Oktober 1996 schätzungsweise doppelt so viele Stoffe vom Abfallregime umfaßt werden57 wie unter dem derzeit herrschenden Recht (dazu detaillierter unter 4.3), werden bedeutende Stoffmengen weiterhin von vorneherein ausgeklammert (die Abraumhalden aus bergwerklicher Tätigkeit z.B. werden ausschließlich durch das Bergrecht reguliert). Auch Stoffe, die zur Energiegewinnung eingesetzt werden und die für ein Stoffstrom-Management aufgrund ihrer mengenmäßigen Bedeutung ausgesprochen relevant sind, werden über Abfallstatistiken nicht erfaßt.

Die folgenden Daten werden also bereits durch die selektive Auswahl infolge der spezifischen, rechtlich vorgegebenen Definition des Abfallbegriffs in ihrer Aussagekraft relativiert.

4.2.1 Abfallaufkommen

Die jüngsten allgemeinen Daten zum Abfallaufkommen stammen aus dem Jahr 1990 (s. Tabelle 1); im Fehlen neuerer Statistiken zeigt sich bereits ein erhebliches Problem bei der Analyse der Abfallvolumina und ­arten. Auch verschieben sich die Verhältnisse durch die Einführung des Grünen Punktes der DSD und die damit verbundene getrennte Erfassung einzelner Abfallfraktionen erheblich.

Somit ergibt sich für die Bundesrepublik ein Gesamtabfallaufkommen von 374 Mio t/a (1990). Insgesamt kann ein leichter Rückgang des Abfallaufkommens konstatiert werden, wobei aber in den neuen Bundesländern seit der Wiedervereinigung ein kräftiger Zuwachs zu verzeichnen war (durch das Sekundärrohstofferfassungssystem SeRo waren in der DDR hohe Rohstofferfassungsquoten erreicht worden. Diese jährlich bis zu 2 Mio t Altstoffe mußten nach dem Wegfall von SeRo der kommunalen Beseitigung übergeben werden58).

Aus der Abfallwirtschaftbilanz 1993, die kürzlich vorgestellt, aber noch nicht in vollständigem Umfang erhältlich ist (Stand März 1996)59 ist zu ersehen, daß das Abfallaufkommen insgesamt auf 337 Mio t, also um knapp 10% gesunken ist. Gleichzeitig stieg der Anteil der Verwertung auf 25% im Gegensatz zu 20% 1990.

Für die Differenzierung der Abfallströme, die für die Aufgabenwahrnehmung jeder Abfallwirtschaft zwingend notwendig ist, müssen auch deren Beseitigungs­ und Verwertungswege erfaßt werden. Diese sowie die Mengen der Abfälle, die in öffentlichen Anlagen entsorgt wurden, sind in Tabelle 2 und 3 zusammengefaßt.

Tabelle 1: Abfallaufkommen in der BRD im Jahr 1990

Abfallart

Menge in 1.000 t

Hausmüllaufkommen   26.600
(öffentlich eingesammelte Abfälle) West
Ost
20.600
6.000
Getrennt eingesammelte Abfallmengen   4.861
(Hierin nicht enthalten: die direkt bei der gewerblichen Wirtschaft, im Handel, bei Verwaltungen, bei gemeinnützigen Sammlungen etc. eingesammelten Mengen) West
Ost
4.368
493
Abfall­ und Reststoffaufkommen im produzierenden Gewerbe und in   262.215
Krankenhäusern

davon:

West
Ost
216.856
45.359
Hausmüllähnliche Gewerbeabfälle und ­reststoffe, sonstige   9.719
Siedlungsabfälle und ­reststoffe West
Ost
8.242
1.477
Abfälle und Reststoffe aus der Produktion, anderweitig nicht genannt   107.226
  West
Ost
77.448
29.778
davon: überwachungsbedürftige Abfall­ und Reststoffarten   15.945
  West
Ost
12.174
3.771
Klärschlämme, Fäkalien, Schlämme aus industrieller Abwasserreinigung   4.698
  West
Ost
2.259
2.439
Bauschutt, Straßenaufbruch, Bodenaushub   140.572
  West
Ost
128.907
11.665

Quelle: Statistisches Bundesamt, nach Umweltbundesamt: Daten zur Umwelt 92/93, Zusammenstellung Cyclos

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) geht in seinem Umweltgutachten 1994 von einigen Veränderungen gegenüber dem in den Tabellen dargestellten Stand von 1990 aus, z.B. durch zunehmende Kompostierung und durch die Veränderung der Konsumgewohnheiten in den Neuen Bundesländern.

Anzumerken ist hier, daß das Hausmüllaufkommen insgesamt nur 38% des Gesamtaufkommens, das in öffentlichen Anlagen entsorgt wird, darstellt. Berücksichtigt man alle anfallenden Abfälle (auch außerhalb der öffentlichen Entsorgungsanlagen) ergibt sich ein Anteil des Hausmülls am Gesamtaufkommen von ca. 13%60.

Tabelle 2: Art der Entsorgung von Abfällen aus privaten Haushalten, Kleingewerbe, Dienstleistungen und produzierendem Gewerbe in Deutschland (gesamt) - 1990 (in 1.000 t)

Art der Entsorgung

Deponierung

Verbrennung

Aufbereitung
Kompostierung/
Sortierung/Wei-terverarbeitung
an öffentliche Anlagen
angelieferte Abfälle

130.300

8.800

4.900
in betriebseigenen Anlagen des produzierenden Gewerbes entsorgte Abfälle
39.100

4.000
 
Abgabe an weiterverarbeitende Betriebe oder Altstoffhandel    
64.300
Bauschutt­, Bodenaushubdeponien und sonstige Anlagen
134.928
   

Quelle: cyclos 95/Eigene Zusammenstellung

Tabelle 3: In öffentlichen Anlagen entsorgte Abfälle - 1990 (Deutschland - gesamt)

Abfallart

Menge in 1000 t

Bauschutt 70.000
Siedlungsabfälle* (Hausmüll, hausmüllähnlicher Gewerbeabfall, Sperrmüll, Straßenkehricht, Marktabfall). Nicht enthalten: getrennt gesammelte Wertstoffe
55.000
Schlacken, Krankenhausabfälle, Asche, Stäube 7.000
Klärschlämme, Fäkalien 6.000
Fette, Öle, chemisch verunreinigte Böden 3.000
Feste produktionsspezifische Abfälle, Industrieschlämme 3.000
Gesamt 144.000

Quelle: cyclos 95/Eigene Zusammenstellung

* hiervon wurden 24,5 Mill. t privat angeliefert, 30,5 Mill. t wurden über die öffentliche Müllabfuhr angeliefert (Statistisches Bundesamt 1992)

Die eher untergeordnete Bedeutung, die die häuslichen Abfälle für die abfallwirtschaftliche Planung insgesamt haben sollte, wird durch diese Daten deutlich. Für die Fraktion der häuslichen Abfälle machen Verpackungsabfälle einen Anteil von ca. 50% am Gesamtvolumen aus61, im Gewicht (und damit in der sowohl für Deponierung als auch Verbrennung entscheidenden Kategorie) sind es jedoch nur ca. 17,6%62. Dies entspricht 2,3% des gesamten deutschen Abfallaufkommens.

4.2.2 Entsorgungs­ und Verwertungswege

Die Abfallentsorgung und ­verwertung bildet einen der wichtigsten Zukunftsmärkte der deutschen Wirtschaft. Betrug der Umsatz dieser Branchen 1993 noch ca. 80 Mrd. DM, wird für das Jahr 2005 ein Umsatzvolumen von ca. 200 Mrd. DM erwartet.63 Die Höhe der zu erwartenden Umsätze hängt insbesondere davon ab, inwieweit die TA Siedlungsabfall in der heutigen Form beibehalten resp. umgesetzt wird und wie sich das Abfallaufkommen entwickelt.

Die Schätzungen für den Bedarf an Abfallbehandlungsanlagen (MVAn) reichen von keiner bis zu 160 Neuanlagen mit einem Durchsatz von je 100.000 t/a bis 200.000 t/a. Inzwischen werden die Prognosen jedoch vorsichtiger, da der deutliche Rückgang des Abfallaufkommens in Deutschland um 37 Mio. t 1990-199364 den Anlagenbedarf tendenziell deutlich verringert. Zwar trug der Bereich Hausmüll und hausmüllähnliche Gewerbeabfälle mit 7 Mio. t weniger als ein Fünftel zur Gesamtreduktion bei, für den Hausmüllbereich selbst ist der Rückgang von 50 auf 43 Mio. t, d.h. um 14% jedoch erheblich. Folgerichtig sieht die Bundesumweltministerin für die Zeit nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts­ und Abfallgesetzes Neubaubedarf für MVAs nur noch in den neuen Bundesländern, während im Westen lediglich der Ersatz­ und Modernisierungsbedarf zu befriedigen sei.65

Die "Goldgräberstimmung" in der Entsorgungswirtschaft hat positive wie negative Aspekte: Während die hohe Investitionsbereitschaft Modernisierungsschübe mit sich bringt, die auch für eine zielgerichtete Weiterentwicklung der Abfallwirtschaft (Verbesserung der Verwertungstechniken u.a.) genutzt werden könnten, besteht andererseits die Gefahr, daß Strukturen entstehen, die auf den Durchsatz hoher Abfallmengen angewiesen sind (die Branche verdient ihr Geld mit entstandenen, nicht mit vermiedenen Abfällen).

Mit steigendem Umsatzvolumen, das überwiegend auf Vorgaben des Gesetzgebers zurückzuführen ist (Verbesserung der Entsorgungsqualität und Einführung des Dualen Systems für Verpackungen), geht ein stetiger Konzentrationsprozeß in der Entsorgungsbranche einher. Mit steigender Tendenz sind von 1989 bis Ende 1994 fast 400 Entsorgungs­ und Recyclingbetriebe der mittelständischen Wirtschaft von Konzernen oder anderen großen Entsorgern übernommen worden (Tabelle 4).

Die durch die gegenwärtige Abfallpolitik beförderte Enstehung von verzerrten ökonomischen Strukturen aufgrund wirtschaftlicher Einzelinteressen67 könnte sich letzlich zu einem der wesentlichen Hemmnisse für die Umsetzung einer zukunftsfähigen Stoffstromwirtschaft auswachsen. Insbesondere die ökologisch oft kontraproduktive minderwertige Verwertung von Stoffen (z.B. die rohstoffliche Verwertung von Kunststoffen) bildet die Grundlage für einen ganzen Wirtschaftszweig68, der unter den Bedingungen einer zukunftsfähigen, dematerialisierten Wirtschaft nicht lebensfähig wäre. Solche Marktstrukturen können eine wünschenswerte und notwendige Entwicklung hin zu einer "low throughput"-Ökonomie deutlich behindern. Hinzuweisen ist hier z.B. auf die Stoffstromreduzierungen wie abfallwirtschaftliche Planungen behindernden Langzeitverträge von Entsorgungsträgern mit Betreibern von Abfallbeseitigungsanlagen - Müllvermeidung und damit ausbleibende Mülllieferungen können insbesondere für Kommunen erhebliche Vertragsstrafen nach sich ziehen69.

Als Folge dieser Konzentrationswelle ist nicht auszuschließen, daß wegen fehlender Konkurrenz technische Innovationen vorwiegend bei großtechnischen Verwertungs­ und Beseitigungsverfahren stattfinden werden, während differenzierte, dezentrale Konzeptionen mit der entsprechenden Logistik und bedarfsgerechter Technologie sich nicht etablieren können.

An der erwähnten Konzentrationswelle (Tabelle 4) wird zudem deutlich, daß es im Entsorgungsmarkt selbst Schieflagen gibt. Wo ökonomische Anreize bestehen, Abfälle gewinnbringend zu verwerten, hat sich auch ein weitgefächerter Markt zur Erfassung, Vermarktung und Verwertung gebildet. Wo aber diese Anreize fehlen, muß die Entsorgungssicherheit durch öffentliche oder staatlich gelenkte, z.T. privat organisierte Nachfragemonopole gewährleistet werden.70 So entstehen aus der Teilprivatisierung der ehedem öffentlichen Abfallbeseitigung statt erhoffter marktwirtschaftlicher Effizienzgewinne finanziell wie ökologisch ineffiziente zentrale Planungs­ und Zuteilungsstrukturen.

Tabelle 4: Direkter/indirekter Erwerb von Anteilen/Unternehmen und Neugründungen der größten Entsorger

Unternehmen Umsatz in
Mio DM*
ohne Jahresang.**

91/92

93

94

Gesamt

Metallgesellschaft AG 4.000 4   2   6
RWE AG/Trienekens 1.800 38 74 37 36 185
Otto-Gruppe 1.700     2 1 3
Sulo/Altvater, Herford*** 1.400          
VEW/Edelhoff 1.100 24   27 18 69
Rethmann AG 1.000 3   8 6 17
Alba, Berlin 1.000       1 1
Ruhrkohle AG 900 10 5 8 2 25
Schönmackers, Kempen*** 350          
VEBA AG 350 26 16 11 9 62
Waste Management****   1 2 9 6 18
Gesamt 13.600 106 97 104 79 386

Quellen: Eigene Recherche nach Informationen von: Geschäftsberichten, Bundeskartellamt,
Hoppenstedt, Bundestagsdrucksache 12/8409 vom 01.09.94 und Auskunfteien

Erläuterungen

* Nur Entsorgungsdienstleistungen (Quelle: Handelsblatt 20.09.93, Nr. 181, zitiert nach Bundestagsdrucksache 12/8409)

** hierbei ist von einem Erwerb in 1991 oder den Folgejahren auszugehen, da die verwendeten Quellen sich auf die Jahre ab 1991 beziehen.

*** Hierzu lagen keine Informationen über Übernahmen/Neugründungen vor.

**** Hierzu lagen keine Umsatzdaten vor. Waste Management wurde in die Tabelle aufgenommen, da es sich hierbei um den größten amerikanischen Entsorgungskonzern handelt, der zudem erklärt hat, seine Aktivitäten auf dem bundesdeutschen Markt ausweiten zu wollen.

Die Rangfolge und Auswahl ist der Bundestagsdrucksache 12/8409 entnommen.

Die Neugründungen lassen sich nicht genau konkretisieren. Sie machen etwa 20% der genannten Zahlen aus.

Die indirekten Beteiligungen sind nicht vollständig aufgeführt, daher gab es tatsächlich wesentlich mehr Beteiligungen. Ausgelassen wurden Beteiligungen an Unternehmen der Entsorgungsbranche über "entsorgungsfremde" Unternehmen (z. B. EVUs, Holdinggesellschaften). Ebenfalls nicht berücksichtigt wurde, daß zwischen den genannten Unternehmen Querverbindungen bestehen, so ist z. B. die VEBA AG an der Ruhrkohle AG beteiligt. Die RWE hält 30% an der VEW über eine Beteiligungsgesellschaft.

Tatsächlich sind es weit mehr Zusammenschlüsse gewesen. Im Jahr 1989 gab es 30 Zusammenschlüsse im Entsorgungsbereich. Das Bundeskartellamt gibt für 91/92 140 und für 93/94 260 Zusammenschlüsse für den gesamten Entsorgungsbereich an.66 Der Präsident des Bundeskartellamtes bemängelt vor allem die Tatsache, daß an den Zusammenschlüssen vorwiegend Energieversorgungsunternehmen beteiligt waren.

4.2.3 Zusammenfassung

Aus den vorstehenden Daten wird deutlich, daß

über verschiedene, mengenmäßig relevante Materialströme überhaupt keine Datenerhebung vorgenommen wird (Abraum, Sümpfungswässer, andere mit der Rohstoffgewinnung einhergehende Stoffströme).

der Abfall des produzierenden Gewerbes mit 262 Mio t (1990) den Löwenanteil am Aufkommen ausmacht und daher abfallwirtschaftliche Planung allein aufgrund der Größe dieser Abfallfraktion vorrangig dort ansetzen muß,

im Gesamtabfallaufkommen wie für den Hausmüll ein leicht sinkender Trend zu verzeichnen ist, obwohl bei allen Fraktionen nur ein geringer Anteil des Gesamtaufkommens der Wiederverwertung­ oder Aufbereitung zugeführt wird,

der Hausmüll mit seinen 26,6 Mio t (1990) nur einen sehr geringen Teil am Gesamtabfallvolumen darstellt (ca. 4,8%),

es aufgrund der Abfallwirtschaftsprognosen für die Zeit nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts­ und Abfallgesetzes Neubaubedarf für MVAs nur noch in den neuen Bundesländern gibt, während im Westen lediglich der Ersatz­ und Modernisierungsbedarf zu befriedigen ist71,

es im Entsorgungs­ und Verwertungsmarkt erhebliche Konzentrationsbewegungen gibt, die zu einer Verzerrung der Wettbewerbssituation führen können,

es zur Abschätzung von Entsorgungs­ und Verwertungsbedarfen notwendig ist, die Datenlage im Abfallbereich entscheidend zu verbessern72.

Die Verpackungsverordnung erweist sich damit als ein trojanischer Esel, auf den zwar viele ob seiner sichtbaren Last einschlagen, seine wichtigere Fracht, die Einführung der dualen Abfallwirtschaft, wird dagegen selten thematisiert.

4.3 Die ideale Abfallwirtschaft: Ziele und Grenzen des abfallwirtschaftlichen Stoffstrom-Managements

Das Ziel des Stoffstrom-Managements ist es, die in den Industriegesellschaften umgesetzten Stoffströme mengenmäßig zu reduzieren (ca. um einen Faktor 10 binnen 30 bis 50 Jahren) und sie zu entgiften, um so eine ressourcenschonende, die begrenzte Senkenkapazität der Natur berücksichtigende und damit nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschaftsweise zu ermöglichen.

In Kapitel 3 wurden ökonomische und rechtliche Instrumente aufgezeigt, die den Kern eines solchen Systems ausmachen. Welche Rolle die Abfallwirtschaft als ein Element des Stoffstrom-Managements spielen kann bzw. auf welche systematischen Grenzen sie stößt, soll hier untersucht werden.

4.3.1 Abfallwirtschaft beschäftigt sich mit Abfall, nicht mit Stoffströmen

Definiert man die Rolle der Abfallwirtschaft im Rahmen des Stoffstrom-Managements und vor dem Hintergrund einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise, so wird zunächst eines deutlich: Abfallwirtschaft beschäftigt sich mit und steuert daher primär Abfall. Definiert man sodann Abfall als nicht mehr (oder erst nach aufwendigem Recycling) zu gebrauchenden Output der Gesellschaft73, so steuert die Abfallwirtschaft vorrangig die Stoffströme auf der letzten Ebene im Produktions­ und Konsumtionszyklus.

Im Kapitel 3 wurde aufgezeigt, daß das Ziel einer nachhaltigen Wirtschaftsweise sein muß, die Stoffdurchsätze der Industriegesellschaften signifikant (d.h. langfristig um ca. 90%) zu reduzieren sowie sie im Rahmen der durch den Dematerialisierungsprozeß ausgelösten Strukturwandelprozesse auch zu entgiften. Eine Verringerung von Stoffströmen wird, wie ebenfalls in Kapitel 3 deutlich geworden ist, nicht im Bereich der Entsorgung, sondern primär in den vorgeschalteten wirtschaftlichen Prozessen, bei Rohstoffförderung, Grundstofferzeugung, Produktion, Distribution, Konsum und Redistribution erreicht.

Abfallwirtschaft sollte die Aufgabe haben, die Abfallströme zu steuern und gegebenenfalls zu reduzieren, um Beseitigungskapazitäten zu entlasten74. Dies kann grundsätzlich auf zwei Wegen geschehen: abfallwirtschaftsintern durch die Umleitung und Rückführung (Recycling) von Stoffströmen, und/oder durch die restriktive bis prohibitive Gestaltung der Entsorgung mit dem Ziel, indirekt Vermeidungsdruck in den vorgelagerten Bereichen auszuüben.

Diese Zielsetzung erfaßt zwar mittelbar auch andere Steuerungsebenen und damit den Material-Input in die Produktionskette, die Beeinflussung der gesamten volkswirtschaftlichen Stoffströme durch die Abfallwirtschaft hat aber auch bei diesem Ansatz systemimmanente Grenzen. Sie sind zum einen dadurch bedingt, daß das abfallwirtschaftliche Regime, selbst wenn es auf der Einführung einer Kreislaufwirtschaft (wie im Kreislaufwirtschafts­ und Abfallgesetz definiert) beruht, erhebliche umweltrelevante Stoffumsätze nicht erfaßt, wie z.B. überwiegend die Stoffströme, die bei der Erzeugung von Energie oder der Rohstoffgewinnung in Bewegung gesetzt werden ("ökologische Rucksäcke" der Produktion). Zum anderen ist systemisch unvermeidlich, daß Regelungen, die am gesellschaftlichen Output ansetzen, weniger effektiv wirken als Mechanismen, die direkt den Input (Materialeinsatz) als Ansatzpunkt für Steuerungsmaßnahmen75 wählen: Abfallwirtschaft kann sich nur rechtlicher oder finanzieller Umwege bedienen, um in die vorgelagerten Bereiche hineinzuwirken.76 Diese Aussagen werden durch die Analyse der bestehenden Abfallwirtschaft in Kapitel 4.3 und 4.4 bestätigt. Daß "Umwege" zu Ineffizienzen führen und daß Kostenüberwälzungen auf vorgelagerte Bereiche einen Vermeidungsdruck auslösen (z.B. Falschdeklaration, illegale Exporte etc.), sind Selbstverständlichkeiten. Die vielfältigen Regelungen, mit denen im abfallrechtlichen Bereich in den letzten zehn Jahren das "Pferd von hinten aufgezäumt" wurde, anstatt direkt wirkende und damit effizientere Instrumente einzusetzen, sind so alle von begrenzter Reichweite und Wirksamkeit geblieben.

Das Ziel der Mengenreduktion verkörpert im Abfallrecht der Vermeidungsgrundsatz, demzufolge die Abfallströme insgesamt reduziert und damit die knappen Deponiekapazitäten entlastet werden sollen77. In der Praxis blieb dieser Grundsatz, so hoch ihn das Gesetz auch ansiedelt, meist ohne spürbare Wirkungen. Insbesondere seine rechtliche Ausgestaltung ist sehr schwierig, da im Rahmen des Abfallrechts keine wirksamen (direkten) Anforderungen an Produktion und Produktgestaltung gestellt werden können - also an den Input, der den Output (Abfall) schließlich bedingt. Rücknahme­ und Verwertungspflichten sollen statt dessen eine Lenkungswirkung in Richtung auf eine grundsätzliche Abfallvermeidung entfalten - allerdings führen sie nur insofern zu einer Veränderung der Produktions­ und Konsumtionsmuster, als es gelingt, resultierende Kosten in den vorgelagerten Bereichen wirksam werden zu lassen, und auch dann nur so weit, als die Änderung der Kostenstrukturen eine Größenordnung erreicht, die Produkt­ und Produktionsumstellungen rechtfertigt. Diese zu initiieren wäre die zentrale Aufgabe von weiterreichenden Instrumenten78 im Rahmen des Stoffstrom-Managements.

Für die Reduktion der Stoffströme insgesamt bedarf es also umfassenderer Instrumente, die am Stoff­ und Materialinput auf den unterschiedlichen Ebenen im Lebenszyklus eines Produktes ansetzen. In diesem Sinne ist es unerläßlich, daß abfallwirtschaftliche Instrumente mit Rahmenbedingungen verbunden werden, die mit weiterreichenden Maßnahmen darauf zielen, Stoffeinsätze und Stoffdurchläufe zu verringern.

4.3.2 Die Rolle der Abfallwirtschaft

Derzeit produziert die bundesdeutsche Gesellschaft jährlich ca. 400 Mio t Abfälle. Davon wird ein Viertel verwertet, der Rest landet auf Deponien und in Müllverbrennungsanlagen.

Abfall wird, wenngleich in Menge und Qualität verändert, unvermeidlich auch unter anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen anfallen; selbst die natürlichen Ökosysteme produzieren zu einem gewissen Grad Stoffe, die nach dem menschlichen Verständnis als Abfall zu definieren wären. Die Behauptung, Kreislaufführung und/oder Reduktion von Stoffdurchsätzen würde die Menschheit von jeglichen Abfällen befreien, wäre unredlich

Alle Produkte und die von ihnen bereitgestellten Dienstleistungen beruhen auf der chemisch-physikalischen Umwandlung von materiellen Rohstoffen, die naturgesetzlich niemals verlustfrei, d.h. ohne den Anfall von Abfällen, ablaufen können (s. Kap. 4.1).

Die Menge der insgesamt pro Kopf produzierten Abfälle bestimmt sich somit danach, wie viele Produkte oder Dienstleistungen wir pro Kopf in Anspruch nehmen, und danach, wie hoch die Ressourceneffizienz der Bereitstellung dieser Güter und Dienstleistungen ist, gemessen in t Materialeinsatz je Dienstleistungseinheit.

Hieraus ergeben sich unmittelbar zwei Strategien zur Verringerung des Gesamtmaterialverbrauchs:

die Verringerung der Materialinputs pro Dienstleistungseinheit, die "Effizienzstrategie", und

die Rückführung der Menge in Anspruch genommener stoffstromrelevanter Dienstleistungen, die "Suffizienzstrategie".

Während die zweite Strategie klar außerhalb der Zuständigkeit der Abfallwirtschaft liegt, kann diese sicher einen Teilbeitrag zur Effizienzstrategie leisten. Andere Beiträge müssen aus einem verbesserten Produktdesign (z.B. mehr Dienstleistungen je Produkt durch verbesserte Reparaturfreundlichkeit und Langlebigkeit) und aus einer verbesserten Organisation der Produktnutzung kommen (z.B. höhere Produkt-Auslastungsgrade durch Mietsysteme).

Neben der Stoffstromreduktion stehen zwei weitere Aufgaben der Abfallwirtschaft: die Entgiftung der Stoffströme (ebenfalls ein sektorspezifischer Teilbeitrag zum Stoffstrom-Management) und die sichere Entsorgung verbleibender Abfälle als spezifische Aufgabe der Abfallwirtschaft.

4.3.3 Abfallströme vermindern

Die Vermeidung von Abfallströmen ist Teil des Stoffstrom-Managements und zielt auf die Entlastung von Flächen und die Verringerung der negativen Einflüsse auf alle Umweltmedien (Wasser, Luft, Boden)79. Vermeidung von Abfällen ist grundsätzlich auf zwei Ebenen möglich:

durch Weiter­ und Wiederverwendung von Materialien und Produktteilen (Kreislaufführung)

durch Rückgewinnung von Rohstoffen/Werkstoffen aus Abfällen (Kaskaden-Nutzung, Recycling)

All diese Vermeidungsstrategien führen gleichzeitig zu weniger Ressourceneinsatz, wenn nicht

Kreislaufführung oder Recycling einen höheren Materialeinsatz erfordern als die Neuproduktion und/oder

die Vermeidungseffekte durch verstärkten Konsum überkompensiert werden.

Maßnahmen zur Kreislaufführung von Stoffen können direkte Lenkungswirkung im Sinne der Abfallvermeidung entfalten.

Zum Konzept der Kreislaufwirtschaft ist allerdings anzumerken, daß bei weitem nicht alle Materialien, die in den Produktionsprozeß einfließen, kreislauffähig sind. Der Begriff der Kreislaufführung setzt voraus, daß die eingesetzten Stoffe auf derselben Ebene wieder in die Produktion einfließen können. Dies ist jedoch für jede Form der dissipativen Nutzung unmöglich: Dünger, Pestizide, Energieträger, Streusalz, Haushalts-Lösemittel und Bewässerungswasser sind nicht rückholbar, und die Re-Konzentration von in Abfällen "verdünnt" vorliegenden Wertstoffen ist oft ökologisch wie ökonomisch aufwendiger als ihre Neuproduktion. Insbesondere für die Ströme des technischen Energiestoffwechsels (also die in der Produktion eingesetzte Energie) gilt, daß sie im wesentlichen Durchflußströme sind. Stoffströme, die zur Energieumwandlung bewegt werden, können zu diesem Zweck nicht rezykliert werden (plastisch: Es gibt kein Kohle-Recycling aus Verbrennungsprozessen). Hier kommt allenfalls eine Nutzung einzelner Reststoffe in Betracht, wie z.B. der Einsatz von Verbrennungsschlacke für Bauzwecke.) Da die sogenannten Durchflußströme über die Hälfte der gesamten anthropogen mobilisierten Stoffströme ausmachen, ist die Nichtanwendbarkeit des Konzepts der Kreislaufwirtschaft auf diese ein a priori bestehender gravierender und nicht ausräumbarer Mangel80 des Konzepts.

Grundsätzlich ist das Konstrukt der Produktverantwortung ein sinnvoller Ausgangspunkt für eine vermeidungsorientierte Abfallwirtschaft. Hersteller werden dadurch verpflichtet, sich mit dem Produkt während seiner gesamten Lebensphase auseinanderzusetzen: Die Verantwortung endet nicht an den Werkstoren, sondern erst, wenn alle Bestandteile des Produkts, soweit möglich, wieder in den Produktionsprozeß zurückgeführt oder aber sicher beseitigt sind. Um Produktverantwortung im Dienst einer dematerialisierten Wirtschaftsweise durchzusetzen und Abfallvermeidungsstrategien effizient anzuwenden, müssen folgende Prämissen erfüllt werden:

Abfall, der nicht entsteht, ist der unproblematischste und umweltfreundlichste. Deshalb müssen Verfahren zur produktionsintegrierten Vermeidung von Reststoffen vor allen Verwertungsverfahren priorisiert werden. Innovationsanreize können durch die Aufstellung von "targets and timetables" für bestimmte Branchen gegeben werden: Ab einem gewissen Zeitpunkt wird das Anfallen von mehr als x t Abfällen von staatlicher Seite ordnungsrechtlich oder finanziell sanktioniert.

Verwertung muß in erster Hinsicht auf die direkte Wiederverwertung von Produkten und Teilen von Produkten abzielen. Dies ist die umweltfreundlichste, weil mit geringstem zusätzlichen Ressourceneinsatz mögliche Verwertungsmethode. Abfallwirtschaftliche Planung muß also solche Verwertungsmethoden fördern. Wiederum kann hier mit Instrumenten wie "targets and timetables" gearbeitet werden: Für bestimmte Produktlinien wird ein bestimmter Prozentsatz an ausbaubaren und austauschbaren Teilen ordnungsrechtlich oder durch freiwillige Vereinbarungen festgesetzt. Die freiwillige Verpflichtung wird dann begleitet von Dienstleistungs-Angeboten im eigenen Branchensegment (Reparatur).

Für die Direktvermarktung von Sekundärrohstoffen und "Second Hand"-Produkten müssen durch abfallwirtschaftliche Maßnahmen geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden. Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch Gewerbebetriebe und Industrie sollten sich durch großangelegte "Börsen" über den Sekundärrohstoffmarkt informieren können. Dies fördert den Absatz von Produkten und Materialien, die nicht erst einer aufwendigen Verwertung zugeführt werden müssen.

Ist eine direkte Wiederverwertung nicht möglich, so sind werkstoffliche Verwertungsverfahren zu bevorzugen. Für einen sinnvollen Materialkreislauf ist die Rohstoffqualität ausschlaggebend. Dies setzt eine Trennung von Abfallfraktionen voraus, da vermischte Abfälle meist schlecht oder nicht verwertbar sind81. Hersteller sind daher zur Kennzeichnung ihrer Produkte zu verpflichten, damit der private oder gewerbliche Endverbraucher die verschiedenen Einsatzstoffe, wo möglich, getrennt erfassen kann. Rückwirkungseffekte ergeben sich auf die Vielzahl der verwendeten Stoffe, denn Verbundstoffe sind in eine werkstoffliche Verwertung kaum einzubinden. Sind Hersteller zu bestimmten Quoten werkstofflicher Verwertung rechtlich verpflichtet, werden sie sich bemühen, eine solche durch eine geeignete Produktgestaltung und Prozeßführung technisch möglich zu machen.

Die ökonomische Sinnhaftigkeit von Verwertung hängt entscheidend von den Absatzmärkten für die "Sekundärrohstoffe" ab. Deshalb ist die Einbindung der Abfallwirtschaft in den regulären Wirtschaftslauf zu ermöglichen. Dies bedeutet insbesondere eine Preisgestaltung für Primärrohstoffe, die den Einsatz von Sekundärmaterialien finanziell attraktiv macht, sowie die Verhinderung von Verzerrungen auf dem Entsorgungs­ und Verwertungsmarkt durch wettbewerbsfeindliche Strukturen (Monopole).

Für den gesamten Verwertungsprozeß gilt, daß weitere Kriterien wie z.B. Transportintensität, Energieeinsatz, Bedarf an Zusatzstoffen etc. ebenfalls beachtet werden müssen, da mit ihnen ebenfalls erhebliche Stoffströme verbunden sind. In diesem Sinne ist eine verursachernahe Verwertung oft sogenannten Verbandslösungen vorzuziehen. Auch muß "Produktverantwortung" als solche direkt Einfluß auf das Verhalten der Hersteller behalten; daher ist vorrangig eine marktsegmentnahe und branchenspezifische Verwertungsorganisation anzustreben. Die Hersteller sollten sich nur dann Dritter zur Erfüllung ihrer Verwertungs­ oder Beseitigungspflichten bedienen können, wenn eine direkte Wiederverwertung oder verbrauchernahe Verwertung nicht möglich ist.

Problematisch für die vermeidungsorientierte Abfallwirtschaft sind Strukturen auf Entsorgungsmärken, die "mengenabhängig" sind, so daß Vermeidungspotentiale aus vertraglichen oder betriebswirtschaftlichen Gründen zum Erhalt der Entsorgungsstrukturen nicht wahrgenommen werden. Hier sind insbesondere Langzeitverträge zwischen Entsorgungspflichtigen und Betreibern von Beseitigungsanlagen (MVA oder Deponien) zu unterbinden, die den Entsorgungspflichtigen eine bestimmte mengenmäßig abgesicherte Andienungspflicht auferlegen. Abfallwirtschaftliche Planung muß auf sinkende Abfallmengen ausgerichtet sein und darf keine Überkapazitäten im Beseitigungsbereich erzeugen.

Die Marktmechanismen sollten verstärkt zur Durchsetzung der Vermeidungsziele genutzt werden. Bei der Internalisierung von Verwertungs­ oder Vermeidungskosten müssen diese für die Öffentlichkeit transparent gemacht werden, um so das Nachfrageverhalten der Bevölkerung zu beeinflussen. Es muß deutlich werden, welchen Anteil die Verwertung resp. die Entsorgung zum Verkaufspreis beiträgt. Eine Kennzeichnungspflicht (differenzierte Preisschilder o.ä.) kann ein relativ einfaches und doch wirksames Mittel sein, um die Konsumentinnen und Konsumenten zum abfallvermeidenden Einkaufen zu bewegen.

Sollen Verwertungspflichten Auswirkungen auf das Produktionsverhalten der Hersteller haben, müssen sie branchen­ oder produktspezifisch konkretisiert werden. In diesem Rahmen eröffnet die Pflicht der Hersteller, Rechenschaft über Produktionsalternativen, die Verlängerung der Garantiezeit und Lebensdauer eines Produkts und dessen Verwertungseignung und damit Kreislaufwirtschaftstauglichkeit abzulegen, die Möglichkeit, Produktverantwortung tatsächlich im Sinne einer Stoffstromreduktion operationalisierbar zu machen.

Vermeidungsorientierte Abfallwirtschaft muß ökonomische Signale in die richtige Richtung setzen. Im Abfallregime bieten sich dazu vermeidungsorientierte Gebührenstrukturen an, die das Interesse an der breitangelegten Abfallvermeidung bei Haushalten und Gewerbe fördern.

Dabei sind die folgenden Grundsätze für eine vermeidungsorientierte Gebührengestaltung anzuwenden:

im privaten (Haushalts­) Bereich:

Die Abfallgebühren müssen dem Verursacherprinzip folgen. Wenn also Müllvermeidungserfolge erzielt werden, so muß sich das als positives Signal auf die Gebühren auswirken82. Dazu müssen die Fixkosten der Abfallbeseitigung auf die mengenabhängigen Gebühren umgelegt werden, so daß ein Vermeidungsanreiz entsteht. Diesbezüglich müssen geeignete rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Die Gebühren sollten so gestaltet sein, daß der Transport­ und Entsorgungsaufwand auf ein Minimum reduziert wird. Insbesondere sollten durch die Kostengestaltung Anreize zur Vermeidung transportaufwendiger Logistik und Sammelrhythmen gegeben werden, z.B. durch preisliche Bevorzugung einer Regelabfuhr im mehrwöchigen Rhythmus (begrenzt durch hygienische Erwägungen) gegenüber einer Bedarfsabfuhr, die kürzere Rhythmen bedingt. Dies ist auch verursachergerecht, da die letztgenannte Abfuhrform einen höheren Personal­ und Materialaufwand und damit höhere Kosten verursacht.

im Gewerbe­ und Industriebereich:

Soweit im gewerblichen Bereich die öffentliche Entsorgung überhaupt in Anspruch genommen wird (die Entscheidung über Aufgabenwahrnehmung durch öffentliche Entsorgungsträger in diesem Bereich muß von den regionalen Gegebenheiten abhängig gemacht werden, entspricht aber grundsätzlich nicht dem Prinzip der Produktverantwortung) müßte:

die Gebühr für die Beseitigung von Abfällen (Deponie/Verbrennung) mindestens so hoch bemessen sein, daß die Verwertung der Abfälle, sofern technisch möglich, ökonomische Vorteile bietet und somit Anreize zur Abfallvermeidung, d.h. zur investiven Erhöhung der Ressourcenproduktivität gesetzt werden,

die Entsorgung von Mischabfällen teurer sein als die Anlieferung von Monofraktionen, da vermischte Abfälle in der Regel nicht mit vertretbarem Aufwand verwertbar sind.

Pfand-Systeme für bestimmte Stoffe und Produkte können als marktwirtschaftliches Instrument wesentlich zur Vermeidung von Abfällen beitragen und sollten, auch nach Ansicht der OECD, verstärkt eingesetzt werden.83 Die Nutzung von Produkten und Stoffen wird dadurch intensiviert, und die Verantwortung der Hersteller ist leicht und direkt durchzusetzen. Die aus Kostengründen meist kleinräumig organisierte Rücknahme behindert die Bildung von großflächigen Systemen, die zur Zunahme von Transporten und zu Konzentrationen führen. Pfand-Systeme können auf die Produktgestaltung einwirken, indem sie die Vereinheitlichung von Einsatzstoffen und ­produkten (genormte Behältnisse und Produktformen) branchenintern wirtschaftlich machen. So wird gleichzeitig die werkstoffliche und rohstoffliche Verwertbarkeit der Produkte erhöht.

Abfallwirtschaftskonzepte für Gewerbe, Industrie und öffentliche Einrichtungen sind Grundvoraussetzung für eine effektive Abfallvermeidungsstrategie. So können Mengenströme besser vorausgeplant und Ansatzstellen für Verhaltensänderungen und Substitutionsmöglichkeiten identifiziert werden. Als Instrument der Abfallwirtschaft sind sie unerläßlich.

Eine genaue Bilanzierung der Abfallmengen, ­arten und ­quellen bildet die Grundlage für die Steuerung von Stoffströmen insgesamt. Sie ermöglicht auch eine genaue Identifikation von Abfallströmen und ist Basis für gezieltes Steuern auf einzelnen Produktionsebenen84. Die Erfassung und Bilanzierung ist durch geeignete Kontrollmechanismen sicherzustellen. Besonders geeignet sind Nachweisverfahren (Pflichten der Abfallbesitzer) und Einsichtsrechte für die zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit, wobei darauf zu achten ist, daß möglichst einfache Verfahren und klare Zuständigkeiten geschaffen werden, um die Vollziehbarkeit zu gewährleisten. Die so von den Ländern zusammengestellten, nach Abfallarten und ­herkunft aufgeschlüsselten Daten müssen auf Bundesebene gebündelt und regelmäßig als Abfallstrom-Statistiken veröffentlicht werden, die einen wesentlichen Bestandteil eines nationalen Stoffstrom-Inventars bilden können.

Weitere Maßnahmen zur Abfallvermeidung sollten vorrangig auf kommunaler Ebene getroffen werden. Daß organische Stoffe (Haushaltsabfälle u.a.), die vollständig kompostierbar wären, derzeit zum größten Teil in Verbrennungsanlagen "beseitigt" werden, ist ein Beispiel dafür, wie Ressourcen (in Form der Abfallstoffe) verschwendet werden. Kommunale Kompostierungskonzepte können bewußtseinbildend direkt bei den Haushalten und Gewerbebetrieben ansetzen und so dazu beitragen, daß Abfälle nicht mehr als "Übel", sondern als Ressource angesehen werden.

4.3.4 Abfallentgiftungswirtschaft

Eine zweite Aufgabe der Abfallwirtschaft ist es, das Abfallaufkommen qualitativ unbedenklich zu machen. Zunächst bringt die Beseitigung von ökologisch bedenklichen Abfallfrachten ein erhebliches Risiko für alle Umweltmedien mit sich. Die Kosten für eine Beseitigung auf dem höchsten Stand der Technik, sei es durch Verbrennung oder Deponierung, sind dabei immens. Dazu sind die entstehenden Kosten gesamtgesellschaftlich unerwünscht - es werden Kapazitäten und im Deponierungsfall insbesondere Flächen verbraucht, die anderweitig besser einsetzbar wären. Auch betriebswirtschaftlich muß die Vermeidung von zusätzlichen Kosten für Abfallbeseitigung vorrangiges Ziel sein. Im Sinne des Vorsorgeprinzips müssen deshalb Instrumente eingesetzt werden, die die "Vergiftung" von Abfallströmen verhindern.

Soll Abfallwirtschaft die Nutzung von Abfällen als Ressourcen fördern, so müssen diese der Gesellschaft ohne Risikopotential zur Verfügung stehen. Die Verwertung von Abfällen muß möglich sein, ohne daß beim Verwertungsvorgang Schadstoffe akkumuliert werden und damit zu einer Umweltgefährdung führen.

Maßnahmen zur Entgiftung der Abfallströme müssen zu Effekten in vorgelagerten Bereichen führen - die Reduzierung des Sonderabfallaufkommens nach Umlage der Entsorgungskosten sei hier als prominentes Beispiel genannt. Umweltfreundliche Produktionsverfahren und Produkte führen i.d.R. zu weniger problematischen Abfällen als stark chemisierte Verfahren und Produkte auf höchsten Verarbeitungsstufen. Allerdings muß wiederum auf die begrenzten Steuerungspotentiale abfallwirtschaftlicher Instrumente hingewiesen werden. Änderungen der Produktions­ und Konsumtionsmuster werden in erster Linie durch direkte Steuerungselemente des Stoffstrom-Managements erreicht werden (Haftungsregelungen, Produktverbote etc.)

Auf der instrumentellen Ebene sollen hier einige Möglichkeiten der Abfallwirtschaft aufgeführt werden. Diese Aufzählung ist nicht erschöpfend und auch die Synergieeffekte, die die kumulative Anwendung einzelner Maßnahmen erwarten läßt85, können in diesem Rahmen nicht untersucht werden. Grundsätzlich müssen die Instrumente auf ihre Durchführbarkeit überprüft werden. Eine ideale Abfallwirtschaft darf sich nicht durch "Überregelung" auszeichnen (dazu die Analyse der bestehenden Abfallwirtschaft in Kapitel 4.3 und 4.4.), sondern muß vor allem im ordnungsrechtlichen Bereich (Ge­ und Verbote) auf die Vollziehbarkeit der Regelungen achten.

Anforderungen an Beseitigung und Verwertung

Im Bereich der Verwertung gilt, daß auch unter Schadstoffaspekten Verfahren zu priorisieren sind, die auf werkstofflicher Basis möglichst ganze Produktteile wieder in die Produktion integrieren können. Eine Anreicherung von Schadstoffen wird so am besten verhindert. Die kaskadenförmige Nutzung von Stoffen muß möglichst differenziert erfolgen, bevor technisch und energetisch aufwendige stoffliche Verwertungsverfahren eingesetzt werden. Weiterhin müssen Verwertungsverfahren daraufhin überprüft werden, ob sie Schadstoffe irreversibel binden bzw. Konzentrationsprozesse befördern. In diesem Sinne kann Abfallwirtschaft auch innovationsfördernd wirken: Verbunden mit anderen Maßnahmen, etwa der Besteuerung von Rohstoffen können sich neue, effektive Verwertungsverfahren etablieren, die den Stellenwert von Abfällen als Ressourcen bekräftigen.

Produktverbote

Grundsätzlich sind Produktverbote kein Mittel der Abfallwirtschaft als solcher, sondern sind in Form von Stoffverboten Bestandteil des Gefahrstoffrechts. Allerding können sie vom abfallwirtschaftlichen Standpunkt begründet sein, wenn erwiesen ist, daß Produkte oder Produktlinien aufgrund ihrer Giftigkeit oder Zusammensetzung nicht verwertungstauglich sind und die Standards der Beseitigung nicht erfüllen können. Beispielsweise könnte der Einsatz von polychlorierten Biphenylen sanktioniert werden. Produktverbote stoßen im gemeinschaftsrechtlichen Kontext auf Probleme, können aber aus Umweltschutzgründen gerechtfertigt sein. Europäische Initiativen sind hier notwendig. Mit Produktverboten muß eine Förderung von Substitutionsverfahren einhergehen.

Erfassung und Bilanzierung

Die genaue Erfassung und Bilanzierung ermöglichen eine Identifikation von Problemabfällen und sind Basis für gezieltes Steuern auf den einzelnen Produktionsebenen. Einbezogen werden sollten auch Nachweisverfahren über Einsatzstoffe, die bereits heute nach Chemikalienrecht vorzunehmen sind. Die Toxizität der Abfälle kann aufgrund der Einsatzstoffe festgestellt werden. Branchenspezifische Konzepte mit Wiederverwertungsmöglichkeiten für Stoffe, die regelmäßig als Abfälle entsorgt (also auf einer Sondermülldeponie abgelagert) werden müßten, werden erst durch eine genauere Datenlage möglich. Die Bilanzierung der Abfallströme sollte nicht nur nach Art und Menge, sondern auch nach Verursachern/ Akteuren aufgesplittet werden86. Auf diese Art können besonders ins Gewicht fallende Produktionen identifiziert werden.

4.3.5 Sichere Abfallbeseitigung

Nicht verwertbare Abfälle müssen auch in einer idealen Abfallwirtschaft behandelt und einer Ablagerung zugeführt werden. Dazu ist sicherzustellen, daß die Abfälle vor der Ablagerung in einer Weise behandelt werden, die ihre Inertisierung sicherstellt und Nachfolgeschäden verhindert. Folgerichtig ist die Verbrennung von Abfällen nicht als Verwertung anzusehen, sondern als Inertisierung, verbunden mit der Konzentration von Schadstoffen, der die Ablagerung notwendig nachfolgt (Deponierung).

Die Beseitigung von Abfällen ist auf dem höchsten Stand der Technik durchzuführen. Dabei ist klarzustellen, daß Beseitigung nicht allein bedeutet, daß die Abfälle "entsorgt werden", so wie es die derzeitige Abfallpolitik suggeriert. Vielmehr bedeutet Beseitigung im Sinne einer ökologischen Abfallpolitik die vorläufige Lagerung von Stoffen, die der Gesellschaft weiter als potentielle Ressourcen zur Verfügung stehen sollten, was sie im Falle der Verbrennung nicht mehr täten. Diese Anforderungen sind durch Technische Standards zu präzisieren und mit ordnungsrechtlichen Mitteln durchzusetzen. Erforderlich sind regelmäßige Anpassungen der Technischen Regelwerke, so daß Standards durch behördliche Kontrollen und ggf. Verbote bzw. Anordnungen ständig überprüft werden können87. Die Haftung der Deponie-Betreiber für die durch deponierte Abfälle hervorgerufenen Umweltschäden muß auf die Kosten für die Abfallbesitzer und ­verursacher umgelegt werden. Die Haftung muß zeitlich unbegrenzt sein88.

Die Anforderungen an die Beseitigung sind rechtlich als Rahmensetzungen festzuschreiben. Durch die Einhaltung hoher Standards besonders bei der Beseitigung, in die immerhin fast 80% der Abfallströme geleitet werden, können Kostensignale zu Vermeidungsanreizen führen. Insbesondere für qualitativ problematische Fraktionen müssen die Standards vorsorgeorientiert sein. Die Beseitigungskosten und insbesondere linear ansteigende Kosten durch immer höhere Standards können mittelbar zur Entgiftung von Abfallströmen durch Verringerungeffekte beitragen.

4.3.6 Zusammenfassung

Viele der oben angesprochenen Ansätze zur Reduzierung und Entgiftung von Stoffströmen können bei rechtstechnisch fehlerhafter Ausgestaltung mit Grundrechten oder gemeinschaftsrechtlichen Regelungen in Konflikt geraten. Es kommt daher auf die genaue Abstimmung der eingesetzten Instrumente untereinander und auf die Ausnutzung innovativer, doppelt wirksamer Möglichkeiten an. Bezieht man die Grenzen der Operationalisierung abfallwirtschaftlicher Instrumente mit ein, so wird deutlich, daß Abfallwirtschaft zwar Vermeidungs­ und Entgiftungsstrategien beinhalten kann, diese aber für den strukturellen Wandel der Gesellschaft hin zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise nicht ausreichen. Um den Material-Input in die Industriegesellschaften auf ein vertretbares Maß zu reduzieren, müssen andere Maßnahmen und vor allem politische Entscheidungen hinzutreten.

Es erscheint vor dem Hintergrund der bestehenden Abfallwirtschaft (dazu im folgenden Abschnitt) und ihrer unklaren Prioritäten und Zielsetzungen notwendig, Kriterien vorzugeben, anhand derer eine Bewertung vorgenommen werden kann. Dem diente die vorgelegte, im Detail noch präzisierungsbedürftige Skizze einer idealen Abfallwirtschaft.

In Kapitel 3 wurde dargestellt, daß die Instrumente eines effizienten Stoffstrom-Managements vielschichtig sind - ebenso verhält es sich mit abfallwirtschaftlichen Regulierungsoptionen. Hier wie dort gilt, daß der Staat zwar steuern, aber nicht rudern soll. Ordnungsrechtliche Instrumente können nur begrenzte Wirkung entfalten, auch auf die Kraft ökonomischer Signale allein kann der abfallwirtschaftliche Planer nicht vertrauen: ein integrativer Ansatz ist notwendig.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1998

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