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[Seite der Druckausg.: 11 (Fortsetzung)] 3. Die Dynamik der Finanz- und Realkrise Schon im August und September 1997 war es im Gefolge der Krise in Thailand zu Verkäufen koreanischer Aktien durch ausländische Anleger gekommen, die einen Kursverfall von mehr als 10 Prozent bewirkten. Nach der Kia-Entscheidung der koreanischen Regierung und wohl auch bedingt durch den fast zeitgleichen crash der Finanz- und Devisenmärkte in Hongkong setzten die ersten Panikverkäufe von koreanischen Wertpapieren ein. Die Aktienkurse und der Wechselkurs brachen dramatisch ein. Regierung und Zentralbank versuchten ohne Geschick und vergeblich gegenzu- [Seite der Druckausg.: 12] steuern.
[So wurden alle Devisentermingeschäfte verboten, die nicht mit dem Außenhandel zu tun hatten. Man appellierte, an die Medien die 'übertrieben Geschichten, die sie fabrizierten', zu korrigieren und bestand darauf, daß die Wirtschaft doch viel besser sei, als sie die ausländischen Journalisten und Investoren in ihren Ängsten wahrzunehmen beliebten. (Vgl. Park/ Rhee 1998, S. 15).]
Im November waren es dann vor allem die ausländischen Banken, die kurz- und mittelfristige Kredite zurückriefen, die Exportfinanzierung erheblich zurückschnitten und Kreditlinien kappten. Dadurch gerieten Banken und Unternehmen in ein akutes Liquiditätsproblem. Auch Devisen wurden knapp. Die Reserven der Zentralbank schmolzen dahin und sollten schließlich zum Kollaps der koreanischen Währung führen. Schon Mitte November 1997 wurden Staatsanleihen mit einem Zinsaufschlag von 3,4 Prozent gehandelt.
[Park/Rhee 1998, S. 16.]
Das stand-by arrangement mit dem IWF, das am 3. Dezember unterzeichnet wurde
[International Monetary Fund 1997.]
, konnte die Krisenspirale nicht aufhalten im Gegenteil sollte alles erst noch viel schlimmer kommen.
[Der IWF verzögerte die Zahlung der zugesagten 21 Mrd. Dollar. Offenbar wollten die USA damit zusätzliche Konzessionen von Korea erzwingen (die sie auch bekamen; Bullard et al. 1998, S. 525). Die erste Zahlung wurde zu Weihnachten geleistet. ]
[Seite der Druckausg.: 13] higkeit und die Konkurse von Unternehmen ließen auch die non-performing loans in den Büchern der Banken explodieren. Da sie zudem versuchen mußten, verschärfte Basler Kriterien zu erfüllen [Offenbar hatten die Commercial Banks mit der Einhaltung der Eigenkapitalnorm der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) seit ihrer Einführung 1992 keine Probleme, selbst Ende 1997. Selbst 5 Banken, die im Juni 1998 geschlossen wurden, erfüllten diese Norm. Allerdings führen Wang/Shin (1999, S. 12) das darauf zurück, insbesondere für die letzten Jahre, daß die koreanischen Standards zur Bewertung von Vermögenspositionen und Risiken nicht internationalen Standards entsprachen und eine Reihe von Verbindlichkeiten gar nicht einbezogen wurden. ] , sank ihre Bereitschaft, frische Kredite zu vergeben, schnell gegen Null. Die Liste läßt sich fortsetzen: Allein im Dezember eine Abwertung des Won um 46 Prozent, immer höher kletternde Zinsen, und Kurseinbrüche am Aktienmarkt; restriktive Fiskalpolitik, zweistellige Lohnkürzungen und Nachfrageausfälle; immer maroder werdende Unternehmen, die keine Importe mehr finanzieren konnten; Banken, deren Situation sich durch die Zahlungsschwierigkeiten der Unternehmen und deren Pleiten 17000 Unternehmen, darunter 8 Chaebol [Park/Rhee 1998, S. 16. Bullard et al. 1998, S. 537, geben an, daß seit Ausbruch der Krise täglich 200 Unternehmen bankrott gingen. Den Höhepunkt bildete der 5. Januar mit 340 Konkursen. ] sowie die Forderungen ausländischer Kreditgeber ständig verschlechterte; rasant wachsende Arbeitslosigkeit; der Absturz ganzer Bevölkerungsschichten und ungezählte Familien, die ihrem Leben auf den Gräbern ihrer Vorfahren aus Verzweiflung ein Ende setzten und die Panikstimmung in der Bevölkerung noch verstärkten (jedenfalls solange darüber in den Medien berichtet wurde). Zur Jahreswende herrschte schiere Verzweiflung und sie sollte auch in den folgenden Monaten nicht abklingen. Die in Tabelle 2 und 3 zusammengestellten Daten für das Jahr 1998 bedürfen kaum einer Kommentierung. Man muß sich nur vor Augen halten, was ein Rückgang der Binnennachfrage um 20 Prozent, ein Einbruch der Anlageinvestitionen der Unternehmen von 30 Prozent, eine Kapazitätsauslastung der Automobilindustrie von 44 und der Gesamtindustrie von 63 Prozent, ein Rückgang der Importe, die zu 90 Prozent aus Rohstoffen, industriellen Vorprodukten und Kapitalgütern bestanden [Nahrungsmittel und Konsumgüter für den einheimischen Verbrauch machten 1994-98 zwischen 8,2 und 10,3 Prozent der Importe aus (IMF 2000, S. 30).] , um 22 Prozent, für eine Wirtschaft bedeuten, in der ein 5prozentiges Wachstum als Rezession galt! Sogar der IWF hatte ein diesem Falle ein Einsehen. Zum einen dürfte die schon fast als einmütig zu bezeichnende Kritik akademischer Kreise [Diese Kritik wurde früh auch von mainstream Ökonomen artikuliert (z.B. Sachs 1997, Amsden/Euh 1997, Stiglitz 1997) und später ausgebaut (besonders umfassend und prägnant, Feldstein 1998). Der Tenor dieser Kritik ist, daß es sich, auf Korea gewendet, um eine Liquiditätskrise, nicht aber um eine Insolvenzkrise, handelte. Sie wurde durch eine Flucht von Anlegern und Gläubigern aus koreanischen Vermögenswerten und dem Won ausgelöst. Den Schuldnern blieb dann nur die Verringerung der Produktionskosten, der Verkauf von Vermö gensteilen (zu Schleuderpreisen) oder der Bankrott, wobei die Won-Abwertung das Moment der letzteren noch verstärkte. Ein Zusammenbruch der Vermögenswerte, Arbeitslosigkeit und Rezession/Depression waren das Ergebnis. Statt das Feuer zu löschen, schrie der IWF "Feuer! Feuer!" ins Publikum (Jeffrey Sachs). Als eigentliche Ursache der Krise wurde meist die vorherige voreilige und unkontrollierte Deregulierung der Finanzmärkte gesehen. Logischerweise hätte das IWF-Paket folgende Maßnahmen umfassen sollen: a. die schnelle und die Märkte überzeugende Lösung des Liquiditätsproblems der Banken mit öffentlichen, koreanischen und internationalen Mitteln; statt dessen wurde die Auszahlung der zugesagten Mittel verzögert und die Schließung mehrerer Banken gefordert – was die Panik nur vergrös serte; b. bis zur Schaffung ausreichender Regulierungs- und Supervisionsinstanzen die Einfüh rung von Kapitalverkehrskontrollen (Visser/ter Wengel 1999; auch von Paul Krugman mehr fach gefordert); statt dessen wurden die Finanz märkte noch weiter liberalisiert und es kam zu weiteren krisenverschärfenden Kapitalabflüs sen, c. zur Ver meidung der Krisenspirale die Stabilisierung der Nachfrage ; statt dessen wurde eine restriktive Geldpolitik verhängt, Kürzungen der Staatsausgaben und der Arbeitnehmereinkommen sowie höhere Steuern durch gesetzt und die Wirtschaft noch weiter für ausländische Konkurrenten geöffnet. Das IWF-Paket wurde zudem kritisiert, weil es die ausländischen Gläubiger zu Lasten des koreanischen Fiskus schützte. Feldsteins Kritik ging weiter (1998, S. 27): "A nation's desperate need for short-term financial help does not give the IMF the moral right to substitute its technical judgments for the outcomes of the nation's political process." Zudem stehe in der Satzung des IWF nichts von der Liberalisierung des Handels und der Investitionen, von Privatisierung, von Auslandsinvestitionen, von fiskalischer Austerität etc.] und, nicht zu vergessen, [Seite der Druckausg.: 14] eine Reihe vielbeachteter Artikel von Martin Wolf in der Financial Times
["At the least, there is an overwhelming case for permanent prudential regulation of foreign borrowing, particularly short-term borrowing, by commercial banks. .... Unregulated flows of short-term international capital are a licence to rack up losses at the expense of taxpayers" (Wolf 1998). Allerdings war in einem Leitartikel der FT am 28.7.1997 noch zu lesen: "The government needs aggressively to liberalise Korea's financial sector"; denn ein Kapitalzufluß würde der (seit Anfang des Jahres etwa 4,5prozentigen) Abwertung des Won entgegenwirken. ]
, am IWF-Paket und seiner Umsetzung ihre Spuren hinterlassen haben. Zum anderen waren die ja nicht nur rezessiven, sondern depressiven Tendenzen der koreanischen Wirtschaft schon bald erkennbar. Desweiteren hatte die neue Regierung unter Kim Dae-jung die Schuld an der ganzen Misere seinem Vorgänger Kim Young-sam und den Großkonzernen gegeben, die unverantwortlich große Risiken auf sich genommen hätten. Mit dieser ganz nach innen gerichteten Kritik, die elegant über die tragische Rolle der internationalen Banken, der Rating Agenturen, des IWF etc. hinwegsah, übernahm er deren Analyse der Probleme Koreas und entlastete sie zugleich.
[S. dazu Mayer, 2000, S. 5.]
Die Zugeständnisse des IWF wurden im Januar 1998 zunächst eher unter der Hand gemacht: Das Inflationsziel und das Wachstum der Geldmenge wurde nach oben korrigiert, die Forderung nach einem Haushaltsüberschuß fallen gelassen und der credit crunch anerkannt.
[Chang, 1998, S. 1559.]
Im Mai 1998 wurde die Regierung dann gar vom IWF gedrängt, die Zinsen zu senken und die Staatsausgaben kräftig zu erhö- [Seite der Druckausg.: 15] hen.
[Die fundamentals für das erste Quartal 1998 (gegenüber dem Vorjahr) dürften die Vorstellungskraft des IWF, der wenige Monate vorher mit der koreanischen Regierung um 3 oder 5 Prozent Wachstum gestritten hatte, gesprengt haben: Das BIP war um 3,8 Prozent, der Konsum um 10 und die Anlageinvestitionen um 41 Prozent gefallen (Burton 1998; vgl. auch Mayer 1998-9, S. 2)]
Zusammenfassend kann man, wenn auch nur im Nachhinein, schon Gründe für die Panik finden, die die Finanzmärkte erfaßten und in der Folge die Wirtschaft an den Rand des Ruins trieb. Der Zusammenbruch von Hanbo und anderer kleinerer Chaebol [Seite der Druckausg.: 16] war nur ein Vorspiel [Einige Autoren (angesichts der "Empfind samkeiten", die Banken und Anleger gegenüber den Belangen der Beschäftigten entwickelt haben, vielleicht sogar zu recht) sehen auch in den massenhaften Streiks Ende 1996/Anfang 1997 einen Vorläufer der Krise. Die Arbeiter protestierten gegen ein Arbeitsgesetz, das ihnen die längst selbstverständlich gewordene Arbeits platzsicherheit nehmen sollte, und in einer buchstäblichen Nacht- und Nebelaktion und unter Ausschluß oppositioneller Abgeordneter verabschiedet worden war. ] zu den Problemen von Kia und dem recht inkompetenten Umgang der Regierung damit, und dies just in der Zeit, in der die Krise in Südostasien ihren Lauf nahm. Das Vertrauen in eine Regierung, zumal sie zuvörderst mit dem Wahlkampf beschäftigt war, war dahin. Die Wirtschaftspresse und die Rating Agenturen, aber auch der IWF, verstärkten die Krisenängste. Selbst Japan galt zeitweise als mögliches nächstes Opfer dieser Dynamik. Zudem gab es durchaus Transmissionsriemen für die Krise, da der Handel mit Südostasien blühte und koreanische Unternehmen und Banken dort stark engagiert waren.
[50,0% der koreanischen Exporte gingen 1997 nach Asien, davon 10,9% nach Japan. Der Rückgang war besonders stark im Falle Singapurs (-32,5%), Malaysias ( - 19,1%), Thai lands (-29%) und Indonesiens ( - 16%) (jeweils vom 4. Quartal 1996 zum 4. Quartal 1997; BOK). Im weiteren Verlauf sollten die Exporte nach Hongkong, China und Japan, weitere, z.T. drastische Ein bußen erleiden. Insgesamt gingen die Exporte in die Region 1997-98 um 12 Mrd. Dollar bzw. 17,3% zurück (IMF 2000, S. 25). Vor der Krise wiesen die Exporte fast aus nahmslos zweistellige Wachstumsraten aus. ]
Er hatte aber auch eine psychologische und diese dominiert immer dann, wenn die Märkte einmal von Panik erfaßt sind. In solchen Situationen ist es für die Teilnehmer am Finanzmarktgeschehen vollkommen rational, sich krisenverschärfend zu verhalten. Es zahlt sich nicht aus, auf das langfristige Potential eines Landes oder eines Unternehmens zu wetten. Man muß mit der Herde laufen. Nur wer der Herde voranstürmt, kann sein Schäfchen mit relativer Sicherheit ins Trockene bringen. Gerade deshalb stürmt die Herde in Panik hinterher.
["Die Finanzherde flüchtete im Juli voll Panik aus den asiatischen Märkten und trampelte in ihrem unkontrollierten Gedränge ganze Volkswirtschaften nieder." (International Herald Tribune, nach Machetzki 1998, S. 10.).]
Anders als bei manch anderen Finanzkrisen der letzten Jahre gab es ex ante keine schwerwiegenden Probleme, die auf eine Krise hindeuteten, schon gar keine so schwere, wie sie das Land dann erfaßte. [Seite der Druckausg.: 17] Unternehmenspleiten und ungeschicktes Agieren von Regierungen hat es auch schon anderswo gegeben; das Wegbrechen von Exportmärkten und Verluste bei Auslandsinvestitionen und -anlagen auch ohne daß sich daraus gleich eine solche Katastrophe entwickelt hätte. Solche Vorfälle werden erst dann zu Auslösern von Krisen, wenn die Wahrnehmungen der Akteure von Ängsten und Krisenerwartungen geprägt werden und diese sich darin gegenseitig bestärken. Die Panik erreichte einen ihrer Höhepunkte als Ed Yardeni, Chefökonom der Deutsche Morgan Grenfell, über CNN im Dezember 1997 in die Welt posaunte: "the truth of the matter is that Korea Inc. is already bankrupt. All that's left is to file the papers. This is a zombie economy." [Nach Cumings 1998, S. 56. Diese Äußerung wurde anschließend auch über die Printmedien verbreitet. ] Nun, auch in den Jahren davor hatten sich ausländische Banken und Anleger in Südostasien und Korea von übertriebenen Erwartungen leiten lassen, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen.
[1996 etwa flossen 74 Mrd. $ below-investment-grade bonds in die emerging markets , und zwar zu extrem niedrigen Zinsen und langen Laufzeiten. Der Economist (19.April 1997, S. 79-81) warnte nachdrücklich davor und sprach von " swarms of aggressive investment bankers ".]
Damit scheinen die Ursachen der Finanz- und Realkrise Koreas geklärt. Man kann sie auf den Nenner der Chaostheorie bringen: Kleine Ursache, große Wirkung. Aber auch die schwache Kausalität kennt Rahmenbedingungen. Welche Rahmenbedingungen mußten erfüllt sein, damit die Krise die Wirtschaft Koreas erfassen konnte? Die Volksrepublik China wurde von der Krise kaum erfaßt und galt im Gegenteil als Stabilitätsanker für die ganze Region. Warum? Warum hatten die Ölkrisen und die anschließende Weltwirtschaftsrezession in Mexiko 1982 eine Finanzkrise ausgelöst, nicht aber in Korea? Ging dieser Kelch damals an Korea vorbei, weil das staatlich gelenkte Wirtschaftsregime noch intakt war? Konnte die Krise vom Herbst 1997 Korea so schwer treffen, weil das "Modell Korea" nicht mehr intakt war? Hatte die vielgescholtene 'Globalisierung' dieses Akkumulationsregime soweit verändern können, daß es sich nicht mehr verteidigen konnte? Oder war es das Land selbst, das sich mit der Auflösung der Diktatur verändert hatte, und mit ihm die lenkende Rolle des Staates? © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000 |