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2. Was löste die Panik von Gläubigern und Anlegern aus?

Keines der bisher untersuchten möglichen Krisenmomente reicht aus, die Krise vom Herbst 1997 zu erklären, weder einzeln noch in Kombination. [Aus dem Anlegerverhalten, der Entwicklung der Zinssätze, der Terminmärkte u.ä.m. konnte man zumindest bis Mitte 1997 keine Krise prognostizieren (Park/Rhee 1998).]
Die Unternehmen, die öffentlichen Haushalte, die privaten Finanzinstitutionen und die Auslandsschulden befanden sich 1997 in keiner merklich schlechteren Verfassung als 1996 und die meisten Indikatoren deuteten nach dem Konjunkturtief dieses Jahres auf eine Verbesserung hin. Entsprechend sahen Moody und S&P im Januar 1997 keinen Grund, das hohe rating Koreas herabzusetzen.

Was untergrub das Vertrauen der Gläubiger und Anleger und veranlaßte sie, im Herbst 1997 keine neuen Kreditzusagen zu machen, bzw. ihr Geld so plötzlich aus Korea abzuziehen?

Zu dieser Geschichte gehört an erster Stelle, zumindest chronologisch, der Bankrott der Hanbo Steel and Construction Company im Januar 1997, der erste Bankrott eines größeren Chaebol seit zehn Jahren. Im März kam dann noch der Konkurs von Sammi Steel und im April der von Jinro, beides kleinere Konzerne, hinzu. Hanbo brach unter Schulden in Höhe von 6 Mrd. Dollar zusammen. S&P senkte daraufhin das Rating der Korea First Bank, bei der Hanbo und Sammi wichtige Kunden waren. Hinterher wurde bekannt, daß sich hinter diesem Bankrott ein hochrangiger Korruptionsskandal verbarg, in dem der Sohn des damaligen Präsidenten Kim Young-sam eine zentrale Rolle spielte (er sollte deshalb später rechtskräftig verurteilt werden). [Als Ironie der Geschichte muß wohl gelten, daß dieser Sohn, Kim Hyon-chol, der innerhalb der National Security Planning Agency (der Nachfolgeorganisation des KCIA) einem 'priva ten' Stab vorstand, nach seiner Verhaftung Mitte 1996 seinem Vater nicht mehr als Berater zur Verfügung stehen konnte. Daher habe der Präsident u.a. Vorgänge und Entwicklungen der Wirtschaft kaum noch beachtet. (Cumings 1998, S. 65).]
Trotz der zweifelhaften industriellen und organisatorischen Leistungsstärke dieses zunächst nur kleinen Chaebol und vieler Probleme hatte Hanbo nicht nur eine Stahllizenz, die Hyundai wiederholt verweigert worden war, sondern auch umfangreiche, mit kickbacks, also Zahlungen an politische Förderer, versehene Kredite (10 Mrd. Dollar) erhalten.

Diese Art der Bevorzugung eines Konzerns gehörte, anders als dies gerne, vor allem in den Medien, behauptet wird, nicht zum Programm des bereits angesprochenen staatlichen Lenkungssystems der Wirtschaft, im Gegenteil sollte der Wettbewerb hier die Besten herausmendeln. [Die Konzerne durften sich allerdings auch schon früher an der "Finanzierung" von Politikern und Parteien beteiligen. Diese Mittel standen oft im Zusammenhang z.B. mit Infrastrukturprojekten auf kommunaler und regionaler Ebene. Die Industrialisierungsstrategie konnte durch solche Verquickungen praktisch nicht beeinflußt werden. (Chang 1998, S. 1557).]
Nun wurde diese Regel während der Regierungszeit von Kim Young-sam nicht nur im Falle von Hanbo, sondern auch von Samsung, einem der fünf großen Chaebol, gebrochen. Als nämlich Kia, ein mittlerer Konzern, im Juni 1997 erste Zeichen von Schwäche zeigte, scheute Kang Kyung-shik, der damalige Finanzminister, nicht davor zurück, die Möglichkeit des Konkurses von Kia öffentlich zu äußern. Wegen seiner engen Beziehungen zu Samsung war die eigentliche Botschaft dieser Äußerung klar: Kia sollte

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von Samsung übernommen werden. Da Samsung sich erst vor kurzem in die Automobilproduktion vorgewagt hatte und dabei auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen war, lag es nahe, daß dieser Konzern durch die Übernahme von Kia und dessen leistungsfähiger Produktionsstrukturen die nötige Erfahrung und ersehnte Leistungsstärke erwerben sollte. Als die Regierung merkte, daß dieses Vorhaben in der Öffentlichkeit auf wenig Gegenliebe stieß, änderte sie ihre Politik gegenüber Kia mehrfach. Dadurch verschlechterte sie die Situation dieses Unternehmens. Aber nicht nur das, durch ihre Parteilichkeit und ihr unstetes und unklares Verhalten trug die Regierung entscheidend dazu bei, daß das Vertrauen von ausländischen Banken und Finanziers in die koreanische Wirtschaft und in die Handlungsfähigkeit der Regierung untergraben wurde – und das in einer Zeit, in der in Thailand die Finanzkrise ausgebrochen war und in Südostasien von Land zu Land weiterschwappte.

Ein weiterer Grund war sicherlich, daß die Krise der südostasiatischen Länder bei Anlegern, Banken und Ratingagenturen zu einer Neubewertung der Risiken in Korea führte. Verluste in Südostasien dürften die Anleger dazu bewegt haben, zur Verbesserung ihrer Portofolios Kapital aus Korea abzuziehen. [Japanische Banken und Finanzhäuser hatten sich nicht anders als ihre koreanischen Namensvettern in großem Umfange in Südostasien Wirtschaften engagiert und erlitten ebenfalls beträchtliche Verluste. Da sie wegen der seit Jahren schwelenden Banken- und Finanzkrise in Japan unter zusätzlichem Druck standen, ihre Bilanzen zu verbessern, dürften in der Folge auch ihr Engagement in Korea zurückgefahren haben. Auch die Anfang Mai 1997 angekündig te, wenn dann auch nicht umgesetzte Erhöhung der japanischen Zinsen dürfte in die gleiche Richtung gewirkt haben. ]

Bei den Ratingagenturen, deren Verhalten vor, während und nach der Krise als prozyklisch gelten kann [Noch im Mai 1997 hatte S&P das sove reign rating Koreas höhergestuft und dadurch zu weiteren Kapitalzuflüssen beigetragen (Wang/Shin 1999, S. 9). ] , kamen Befürchtungen auf, daß der koreanische Staat nicht umhin kommen würde, Schulden von Unternehmen und Banken zu übernehmen. Das ließ sie bei der Bewertung von staatlich garantierten Schulden vorsichtiger werden, und zwar schon drei Wochen bevor Kia Mitte Juli 1997 Notkredite verlangte. Trotzdem verzichteten sie darauf, die sovereign debt herabzustufen. [Zur Entwicklung der koreanischen Finanz märkte im Jahr 1997, s. Park/Rhee, S. 12ff.]
Im August schätzten sie die Kosten des bailouts der Banken auf 20 Prozent des koreanischen BIPs [Die Sanierung der Banken ist dem Staat teuer zu stehen gekommen, aber nicht so teuer wie von S&P geschätzt: Non-performing loans wurden während und nach der Krise in massivem Umfang von der KAMCO (Korea Asset Management Corporation) und der KDIC (Ko rea Deposit Insurance Corporation) übernom men. Da sich die sich die Quoten nach der Krise noch erhöht haben (Tabelle 1 und Fußnote 29) können die von KAMCO und KDIC übernom menen Schulden zudem als grobes, aber eher konservatives Maß der erst nach der Krise faul gewordenen Kredite gelten. Bis Ende 1999 hatte die KAMCO Kredite mit einem face value von 20,3 Bill. Won übernom men, die KDIC zumindest weitere 16 Bill. Won. Hinzu kommen noch andere Maßnahmen, vor allem der Rekapitalisierung, im Umfange von 21,3 Bill. (Baliño/Ubide 1999, S. 88; IMF 2000a, S. 71 ). Das sind zu einem Wechselkurs von 1300 Won/$ ca. 44,5 Mrd. Dollar bzw. 12,0% des koreanischen BIPs von 1999 (vgl. auch Mayer 2000, S. 12). Die KAMCO konnte diese Kredite für etwa die Hälfte ihres Nominal wertes verkaufen. Geht man davon aus, daß der Realwert der von der KDIC übernommenen Schulden ebenso hoch ist und die Rekapitalisierungsmittel verlorene Zuschüsse sind, hat diese Entschuldung der Banken dem Steuerzahler etwa 7,3 Prozent des BIP gekostet. Das liegt deutlich über den Kosten des S&L Debakels in den USA (4%), aber unter den Kosten anderer Bankenkrisen der 80er und 90er Jahre (zwi schen 9 und 35 Prozent; IMF 1998: S. 78). Allerdings ist der Sanierungsprozeß der Banken noch nicht abgeschlossen.] und setzten daraufhin das rating

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nicht nur einiger privater Banken, sondern auch einer staatlichen Bank herab. Dennoch sah auch Moody noch keinen Anlaß zur Panik, sondern vertraute dem "bewährten und klugen wirtschaftlichen Management" der Regierung.

Das sollte sich ändern als das Finanzministerium am 25. August eine staatliche Garantie für alle Auslandsschulden koreanischer Finanzinstitutionen verkündete. [Allein in Südostasien dürften sich diese Schulden auf zumindest 2 Mrd. Dollar belaufen haben. Sie dienten vor der Krise dazu, umfangreiche Investitionen vor allem koreanischer Unternehmen zu finanzieren. Daneben spielten Anlagen in Aktien- und insbesondere Anleihemärkte eine Rolle (s. Chang 1998, S. 1557).]
Diese Ankündigung hatte eine verheerende Signalwirkung, da sie ausländische Anleger und Banken so verstanden, daß sich koreanische Unternehmen und Banken in großen Schwierigkeiten befänden. [Wie Demetriades/Fattouh 1999, S. 790, betonen. ]

Eine wichtige Rolle dürfte auch die Wirtschaftspresse gespielt haben – besonders der Economist, die Financial Times, der Far Eastern Economic Review und das Asian Wall Street Journal, die ja zur bevorzugten Lektüre von Bankern und Fondsmanagern gehören. [Zu ihrer in weiten Teilen unkritischen, herdenhaften und prozyklischen Berichterstattung vor und nach der Krise s. Bello, 1999, S. 30f. Aus prophets of boom wurden über Nacht prophets of doom . Ähnliches gilt für die Analysten und teilweise auch für die Akademia.]
Sie hatten sich, schon bevor die Krise Anfang Juli in Thailand gezündet wurde, des öfteren mit Krisenszenarien auseinandergesetzt und sahen nun auch in Korea eine Banken- und Finanzkrise nach japanischem Vorbild auf die Märkte zukommen. Solche Ängste fanden sie bestätigt, als die koreanische Regierung nach mehrmonatigem Hin und Her am 22. Oktober verkündete, die Schulden von Kia übernehmen zu wollen. Auch S&P kritisierte diese Übernahme auf das Schärfste [Mit der Begründung, dies habe negative Auswirkungen auf das langfristige Wirtschafts wachstum – als ob sich zu diesem Zeitpunkt nicht längst abgezeichnet hätte, daß dieses Wachstum durch ein Liquiditätsproblem ge fähr det sein könnte (s.u.).] und korrigierte ihre ratings. Die Anleihen koreanischer Unternehmen und Banken fielen schon jetzt auf das Niveau von junk bonds. Auch das bedeutete nichts anderes als eine erhebliche und prozyklische Verschärfung des Liquiditätsproblems. [Das prozyklische Verhalten der Rating agenturen wird von Reisen/von Maltzan 1999 kritisiert. Sie sollten sie das Überschießen der Märkte dämpfen – und könnten das auch.]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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