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4. Tiefere Ursachen der Krise

4.1 'Klassisches' Akkumulationsregime und Finanzsystem

Es wurde bereits auf einige Besonderheiten des koreanischen Akkumulationsregimes hingewiesen. Der Staat machte der Wirtschaft, insbesondere den Chaebol, im Rahmen von Fünfjahresplänen präzise Vorgaben zur weiteren Entwicklung der Wirtschaft und steuerte die Unternehmen über das Bankensystem. Die Manager der Unternehmen wurden persönlich für ihr Handeln verantwortlich gemacht. [Der Staat übernahm gewisse Risiken der Unternehmen. Die Manager wurden für Mißerfolge nicht nur entlassen, sondern oft genug, einschließlich ihrer Angehörigen, öffentlich und z.T. auf infame Weise gedemütigt. Das entzieht dem häufig geäußerten moral hazard -Vorwurf (die Unternehmen und Banken übernehmen ex zessive Risiken, weil sie mit staatlicher Rettung rechnen) die Grundlage. Die Manager können eben nicht mit staatlicher Rettung rechnen; sie tragen selbst das Risiko des moral hazard . Das gilt in Korea für Manager von Unternehmen und Banken. (vgl. Chang 2000, S. 785).]
Was die Einbindung des Finanzsystems anbelangt zeichnete sich dieses System bis Anfang der 90er Jahre durch folgende Elemente aus: [S. dazu Chang/Yoo 2000, S. 106-9.]

  1. Obwohl man generell eine Aversion gegen öffentliche Defizite hegte, trugen die Fiskal-, vor allem jedoch die Geldpolitik deutlich expansive Züge. Das hielt man für wesentlich, um das Vertrauen der Wirtschaft in die weitere Entwicklung aufrechtzuerhalten. [Ex post traten nur in den wenigsten Jahren Defizite auf (s. Tabelle 1), da die hohen Wachs tumsraten immer ordentlich Geld in die öffent lichen Kassen spülten. ]

  2. Wachstum und Leistungsfähigkeit der Industrie und der Volkswirtschaft standen im Zentrum der staatlichen Politik. Dem Finanzsystem kam eine dienende Rolle zu. Die Zentralbank unterstand dem Finanzministerium. Die Finanziers/ Rentiers wurden im besten Fall als notwendiges Übel, sonst als im wesentlichen parasitär und als Hindernisse für die Entwicklung des Landes gesehen. So schreckte man in der Krise von 1972 nicht davor zurück, ihnen im Namen des Gemeinwohls beträchtliche 'Opfer' aufzuerlegen (s.u.).

  3. Die Finanzierung der Wirtschaft erfolgte über die Banken durch Bankkredite in Form sog. policy loans. Die Banken standen im Dienste des Staates. Eine Reihe von Spezialbanken gehörten dem Staat zu 100 Prozent. [Die wichtigsten darunter waren die Korea Development Bank , die Korea Exchange Bank , die Korea Housing Bank und die Bank for Small and Medium Size Firms .]
    Aber auch die privaten Banken standen unter seiner absoluten Kontrolle. [Die gesetzliche Grundlage lieferte ein "vor übergehendes" Gesetz von 1961, das Stimm rechte von Aktionären einschränkte, und ein Artikel im Bankengesetz von 1981, der die Zersplitterung von Eigentümerinteressen sicherte. ]
    Den Großkonzernen wurde nach der Krise von 1970-72 (s.u.) eine Hauptbank zugewiesen, die gegenüber der Regierung berichtspflichtig war und auf die korrekte Umsetzung ihrer Vorgaben zu achten hatte. Aber auch die kleineren und mittleren Unternehmen wurden nicht ganz vergessen. Die Geschäftsbanken mußten einen bestimmten Teil ihrer Kredite mit gewissen Zinsabschlägen an sie vergeben.

  4. Es existierten strikte Kapitalverkehrskontrollen. Im Rahmen des Foreign Exchange Concentration System mußten der Zentralbank alle Deviseneinnahmen übergeben werden; auch für alle Ausgaben galten strikte Verwendungsvorschriften. Der Grund dafür lag nicht nur in der chronischen Devisenknappheit

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    (von 1962 bis 1997 trug die Leistungsbilanz nur in 6 Jahren kein negatives Vorzeichen), sondern auch in der dadurch möglichen Steuerung und Kontrolle von Investitionsentscheidungen der Unternehmen. [Sogar die Todesstrafe konnte für Kapitalflucht verhängt werden. ]
    Selbstverständlich wurde auch die Kreditaufnahme im Ausland strikt kontrolliert.

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4.2 Die Krisen von 1970-72 und 1980-82

Die Phase des hohen Wachstums der koreanischen Wirtschaft begann in den 60er Jahren. Die erste Krise sollte nicht lange auf sich warten lassen. Ein gewaltiger Investitionsboom ließ die Wirtschaft zum Ende jener Dekade regelrecht in einen Siedezustand geraten: So erreichte das Leistungsbilanzdefizit (Importe von Ausrüstungsgütern und Vorprodukten) 26 Prozent des BIP (in Worten: sechsundzwanzig); Unternehmen waren bereit, am freien Markt (curb market) mehr als 40 Prozent Zinsen zu zahlen! Der IWF intervenierte, das Maßnahmepaket funktionierte, die Rentabilität der Unternehmen kollabierte und die non-performing loans der Banken explodierten. 1972 stand das Land am Rande einer Schuldendepression. Daraufhin verhängte die Regierung zur Rettung der schuldengeplagten Unternehmen ein Moratorium: Die Zahlungen für alle am freien Markt aufgenommenen Kredite wurden für drei Jahre ausgesetzt und sollten danach in Kredite mit fünfjähriger Laufzeit, die mit einem Drittel der Zinsen am curb market zu vergüten waren, umgewandelt werden. Die Gläubiger/Rentiers wurden auf brutale Weise an ihre gegenüber der realen Wirtschaft dienende Rolle erinnert. Zugleich wurden auch die Verbindlichkeiten der Unternehmen gegenüber den Banken umgeschuldet und die staatliche Supervision und Kontrolle von Banken und Unternehmen verbessert.

Danach setzte die Wirtschaft zu einem neuen Höhenflug an. Der Staat verkündete 1973 sein neues, überaus ambitioniertes Industrialisierungsprogramm, das das Gesicht des Landes grundlegend verändern sollte, und setzte dafür die ganze Palette des ihm zur Verfügung stehenden Instrumentariums ein. Die erste Ölkrise sollte den einsetzenden Investitionsboom kaum beeinflussen können, sondern dessen Finanzierung über die Rezirkulation der Petro-Dollar sogar noch erleichtern. Beim zweiten Ölschock von 1979 sollte das anders sein: Das riesige Investitionsprogramm war mehr oder weniger abgeschlossen und brauchte jetzt Märkte, um seine Früchte zu zeigen. Und diese brachen weg, als Paul Volcker, der Chef der US-Zentralbank, im Oktober 1979 die US-Zinsen freigab und damit eine Weltwirtschaftsrezession auslöste, die bis Anfang 1983 andauern sollte. Die Konsequenzen waren ebenso brutal wie unvermeidbar: viermal so teuere Ölimporte, wegbrechende Exportmärkte, viel geringere Kapazitätsauslastungen als geplant, Tilgungsnöte und dazu noch dreimal so hohe Zinsen. Im Januar 1980 gab es wieder ein IWF-Stabilisierungsprogramm und wieder wurde alles nur schlimmer. Im Juni des gleichen Jahres nahm die Regierung die Zügel selbst in die Hand und reflationierte und restrukturierte die Wirtschaft. Der entscheidende Unterschied zu Lateinamerika sei hier nicht verschwiegen: Die strikten Kontrollen des Finanzsektors wurden auch während der Krise beibehalten: entsprechend gab es praktisch keine Kapitalflucht aus Korea. [Jeffrey Sachs, nach Chang/Yoo 2000, 122.]

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Der nächste Höhenflug ließ kaum länger auf sich warten. Schon 1982 faßte die Wirtschaft wieder Tritt; nach 1985 lagen die Wachstumsraten sogar über 11 Prozent. Der eindrucksvolle Unterschied der wirtschaftlichen Entwicklung Koreas zwischen den Jahren 1980-85 und 1986-91 ist in Tabelle 1 leicht auszumachen. In Lateinamerika hatte die Krise hingegen eine 'verlorene Dekade' eingeleitet, von der sich dieser Kontinent auch in der 90er Jahren nicht recht erholen konnte.

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4.3 Finanz- und Realwirtschaft in den 90er Jahren

Schon während der ersten Hälfte der 80er Jahre hatte die Regierung – man denke nur an die Leistungbilanzdefizite von 3,8 Prozent des BIP (Tabelle 1) – einheimische Banken ermutigt, im Ausland Schulden aufzunehmen und dazu einige Vorschriften gelockert. [Wang/Shin 1999, S. 4. Diese Liberalisierungsmaßnahmen bedeuteten allerdings keine Lockerung des "festen Griffs", mit dem die Regierung die Finanzinstitutionen kontrollierte (Chang/Yoo 2000, S. 112). ]
Mit den sehr hohen Handels- und Leistungsbilanzüberschüssen der folgenden Jahre, die im engen Zusammenhang mit der Reflationierung der US-Wirtschaft unter Präsident Reagan standen, änderte sich die Situation grundlegend. Um eine, die Wettbewerbsfähigkeit koreanischer Unternehmen schädigende Won-Aufwertung zu vermeiden, kehrte die Regierung zu strikten Kapitalverkehrskontrollen zurück. Als problematisch erwies sich dabei die Ausweitung der Geldmenge bzw. die Sterilisierung dieser Zuflüsse durch Wertpapierverkäufe. Diese Problematik dürfte es der Regierung (nachdem drei Jahre lang sehr große Leistungsbilanzüberschüsse entstanden waren) erleichtert haben, den mit der IWF-Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen einer Liberalisierung von Leistungsbilanztransaktionen 1989 nachzukommen. [Gemäß Artikel VIII, Abschnitte 2-4 der Articles of Agreement mit dem IWF (Wang/ Shin 1999, S. 4). Diese Artikel verpflichten die Mitglieder u.a. auf die Vermeidung von Beschränkungen laufender Zahlungen und diskriminierender Formen des Devisentauschs.]
Die Verpflichtungen blieben natürlich bestehen, als sich die Leistungsbilanzüberschüsse wieder in ihr Gegenteil verkehrten. Das Foreign Exchange Concentration System wurde dann durch die Anfang der 90er Jahre einsetzenden Kapitalzuflüsse weiter ausgehöhlt und hörte 1995 praktisch auf zu existieren. [Chang/Yoo 2000, S. 113.]

Reaganomics – expansive Fiskalpolitik bei restriktiver Geldpolitik – führte dazu, daß die interne Ersparnis der USA nicht ausreichte, um Privatinvestitionen und Staatsverschuldung zu finanzieren. Die USA wurden zum größten Kapitalimporteur der Welt und verschuldeten sich von Jahr zu Jahr mehr beim Ausland. Das Gegenstück zu diesen Kapitalbilanzüberschüssen der USA waren ihre Leistungsbilanzdefizite – die auf diesem Wege der Weltwirtschaft einen Nachfrageboom bescherten [Dies ist die sog. Doppeldefizitproblematik (s. Kamppeter 1988 und 1990, S. 145ff). ] , den auch koreanische Unternehmen zu nutzen verstanden.

Zur Politökonomik der amerikanischen Handelsbilanzdefizite gehört es, obwohl die Ursachen eindeutig hausgemacht waren, dafür immer den anderen die Schuld zu geben. Deshalb übten sie auf die Überschußländer, vor allem Japan, enormen politischen Druck aus, diese Handelsbilanzüberschüsse durch Aufwertung, Erleichterungen für amerikanische Unternehmen etc. zu verringern. Auch Korea blieb dieser Druck ob seiner großen Handelsbilanzüber-

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schüsse in der zweiten Hälfte der 80er Jahre nicht erspart. Washingtons breit angelegte Offensive gegen koreanische Handelsbeschränkungen fiel sogar noch härter aus als die gegen Japan. [Bullard et al. 1998, S. 521. Die Autoren vermuten, daß diese Härte auf "South Korea's lack of retaliatory capacity" zurückzuführen sei. Die damals häufig geäußerten Ängste vor einem zweiten Japan haben sicherlich auch eine Rolle gespielt. Zudem war die Logik des Kalten Krieges der der friedlichen Koexistenz gewichen. Vor diesem Hintergrund konnte es sich der US-Hegemon erlauben, egoistischer zu werden, d.h. die Interessen seiner Wirtschaft, in den 80er und 90er Jahren insbesondere der Wall Street, ungeschminkter zu vertreten. ]
Eine Won-Aufwertung, Marktöffnungen, die erwähnte Liberalisierung der Leistungsbilanz [Tatsächlich ging auch der Handelsüberschuß mit den USA drastisch zurück. Zwischen 1991 und 1997 war im bilateralen Handel in fast allen Jahren ein z.T. beträchtliches Defizit zu verzeichnen.] und eine Reihe von Erleichterungen für ausländische Investoren waren das nicht unerwartete Ergebnis.

Der amerikanische Druck sollte damit jedoch nicht aufhören. [Stiglitz 2000, S. 11, hinterfragt diesen Druck kritisch: "To what extent did the IMF and the Treasury Department push policies that actually contributed to the increased global economic volatility? ... Most importantly, did America – and the IMF – push policies because we, or they, believed the policies would help East Asia or because we believed they would benefit financial interests in the United States and the advanced industrial world? And, if we believed our policies were helping East Asia, where was the evidence? As a participant in these debates, I got to see the evidence. There was none."]
Im Mittelpunkt des amerikanischen Interesses stand nun die Liberalisierung der Finanzmärkte [Die Idee bzw. Ideologie vom Freihandel und seinem Nutzen wurde ohne großes Federlesen auf die Finanzmärkte übertragen, oder vielmehr, wie Bhagwati schreibt (1998, S. 11), von deren Nutznießern und Lobbyisten usurpiert ("hijacked"). Zu ihren vehementesten Befürworten gehörten die Mitglieder des, von ihm in Anlehnung an den military-industrial complex so genannten " Wall Street-Treasury Complex ", dem er auch den IWF und die Weltbank zurechnet. Dabei habe noch niemand, und zwar weder theoretisch noch empirisch, die angeblich riesigen Wohlstandsgewinne, die freie Kapitalmärkte mit sich bringen, nachweisen können. Zudem seien viele Länder auch ohne diese Freiheiten zu Wohlstand gekommen.] und die Öffnung des koreanischen Marktes für Finanzdienstleister, sprich Wall-Street-Firmen. ["During his trip to Seoul last January, President George Bush ... wrang a personal commitment from South Korea’s President Roo Tae Woo to open up the country’s financial markets. Foreign bankers and stockholders have been lobbying for years to bite off a bigger piece of the action. ..... As a warning the Bush Administration has lifted its opposition to legislation in the US congress that would, in effect, demand 'reciprocal national treatment' of US banks and brokerages overseas. This would put pressure on foreign governments to treat US institutions in the same way that foreign banks’ US subsidiaries are dealt with. (Far Eastern Economic Review, July 2, 1992, S. 34f.). Auf US-Seite drängte vor allem das Schatzamt auf eine Liberalisierung. Im Council of Economic Advisers gab es dagegen Widerstand. (Stiglitz 2000, S. 10.)]
Nach den bilateralen Verhandlungen im März 1992 wurde ein Abkommen unterzeichnet, das einige unmittelbar umzusetzende Liberalisierungsmaßnahmen vorsah, und auf dessen Grundlage 1993 das radikale Liberalisierungsprogramm der Regierung Kim Young-sam entstand und umgesetzt wurde. [S. dazu Chang/Yoo 2000, S. 114; FEER, July 2, 1992, S. 34f.; Wang/Shin 1999, S. 5f.]
Es sah u.a. die vollkommene Freigabe aller Zinssätze (außer für Regierungsanleihen und die der Zentralbank), die Abschaffung der policy loans [Schätzungsweise 60% aller Bankkredite waren 1979 policy loans . 1997 fiel ihr Anteil auf 3% zurück. (Bali ño/Ubide 1999, S. 15).],

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größere Handlungsautonomie der Banken, höhere Obergrenzen für den Aktienerwerb von Ausländern (25 Prozent eines Unternehmens), die Gleichstellung ausländischer Finanzdienstleister mit einheimischen Firmen, die Freigabe des Devisenhandels und eine teilweise Liberalisierung von Transaktionen in der Kapitalbilanz vor.

Auch die Weltbank und der IWF wurden gleich zu Anfang in diese Liberalisierung der Finanzmärkte einbezogen. Ein 100 Millionen Dollarkredit der Weltbank sollte "dem Programm Legitimität und dem Finanzministerium für den Fall, daß die Wirtschaft wegen dieser Maßnahmen außer Kontrolle geraten sollte, politische Rückendeckung geben." [Welcher Zynismus spricht aus diesen Worten! Wen würde es wundern, wenn sie von Mitarbeitern des amerikanischen Schatzamtes, des IWF oder der Weltbank geäußert worden wären. In diesem Falle stammen sie aus dem Munde koreanischer Beamter, die diese Reformen begrüßten. Nichtsdestotrotz machte Stiglitz (2000, S. 3f.) als Chefökonom der Weltbank während der Asienkrise von 1997 mit dem IWF, und mit seinen Direktoren eine ähnliche Erfahrung: "I feared, austerity measures would not revive the economies of East Asia – it would plunge them into recession or even depression. .... everybody at the IMF assured me that they would be flexible: if their policies turned out to be overly contractionary, forcing East Asian economies into deeper recession than necessary, then they would reverse them. This sent shudders down my spine. One of the first lessons economists teach their graduate students is the importance of lags. It takes twelve to 18 months before a change in monetary policy ... shows its full effects. ... To play catch-up was the height of folly. And that was precisely what the IMF officials were proposing to do."]
Die Entscheidung Kim Young-sams, bei der OECD einen Antrag auf Mitgliedschaft Koreas zu stellen, hatte ebenfalls zu diesen Reformmaßnahmen beigetragen. In den Verhandlungen mit der OECD verpflichtete sich Korea zu weiteren Öffnungen der Wirtschaft. [Nicht, daß man die Gefahren der Liberali sierung nicht gekannt hätte: "Officials in Seoul repeatedly warn about a massive inflow of 'hot money' causing Koreas' inflation-prone econo my to overheat quickly or leave the country exposed to the whims of the international financial markets, such as in Mexico earlier this year." (Montagnon/Burton 1995). Die OECD-Fachleute hielten solche Sorgen freilich für übertrieben. Ihre Empfehlungen klingen aus heutiger Perspektive (aber auch aus der damaligen, siehe Mexiko) wie Hohn: "The inflationary effects of increased capital inflows could be easily corrected if the government eased con trols on capital outflows, while reducing budget spending." (ebd.) . Sinnigerweise beklagen die Autoren, daß ausländische Banken geradeso wie die koreanischen einen Teil ihrer Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen vergeben müssen.]

Durch diese in der ersten Hälfte der 90er Jahre in rascher Folge ergriffenen Maßnahmen wurde das traditionelle Finanzsystem Koreas bis zur Unkenntlichkeit verändert. Dennoch galten immer noch eine Reihe quantitativer Beschränkungen, insbesondere für Kapitalimporte. So blieb der Anleihemarkt bis 1994 für Ausländer ganz verschlossen und unterlag bis 1997 einer Reihe von Beschränkungen. Ganz liberalisiert wurde die Finanzierung des Außenhandels, die Aufnahme kurzfristiger Kredite durch einheimische Banken im Ausland, die Direktinvestitionen von koreanischen Unternehmen im Ausland sowie ihre Verschuldung und die Ausgabe von Unternehmensanleihen im Ausland. Damit sind, wenn man die Portofolioanlagen von Ausländern in Korea noch hinzunimmt, die Märkte benannt, die bei der Beschleunigung der Krise im Herbst 1997 eine entscheidende Rolle spielen sollten.

Die Spielräume, die durch einige der zuletzt genannten Liberalisierungsmaßnahmen geschaffen wurden, wußten u.a. die sog.

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merchant banks, zu nutzen. Sie wurden von den Chaebol gerade zu diesem Zweck und großenteils seit 1994 gegründet. [Davor gab es nur 6 merchant banks. 1994 wurden von der Regierung Kim Young-sam neun, 1995 weitere 15 genehmigt. (Chang 1998, S. 1558).]
Die merchant banks sind rechtlich gesehen gar keine Banken und unterlagen deshalb praktisch keiner Kontrolle durch die Zentralbank oder das Finanzministerium. Diesen fiel dann auch gar nicht auf, daß die merchant banks erhebliche Fristigkeitsprobleme hatten, die sich in der Krise dann auch entsprechend auswirken sollten.

Desweiteren hatte sich seit Mitte der 80er Jahre auch das Verhältnis zwischen Staat und Chaebol verändert. Nicht nur, daß diese Mischkonzerne immer größer wurden und sich allein wegen ihrer Größe von der Regierung nicht mehr so gern Vorschriften machen lassen wollten. [Die Korea Federation of Industries , der Verband der Chaebol , scheute im Frühjahr 1997 nicht davor zurück, in einem Bericht die Abschaffung aller Ministerien (außer Verteidigungs- und Außenministerium) sowie die Entlassung von 90 Prozent des Regierungspersonals zu fordern. (Chang/Park 1999, S. 42).]
Viel wichtiger war, daß sie durch den Boom und die guten Betriebsergebnisse jener Jahre (eben auch ein Ergebnis von Reaganomics) größere finanzielle Unabhängigkeit vom Staat gewannen. [Da muten die sonst gehörten Argumente von einer Überschuldung der Chaebol (s.o.) schon etwas schal an.]
Weitere Freiheitsgrade gewannen sie durch den Erwerb von kontrollierenden Mehrheiten in einer Reihe kleinerer Regionalbanken, vor allem aber durch die Liberalisierung der Kapitalmärkte, die ihnen u.a. über die merchant banks Zugang zu ausländischen Finanzmärkten verschaffte. Durch den Enthusiasmus, den europäische, japanische und amerikanische Banken in den 90er Jahren für Ostasien entwickelten, wurde ihre Kreditwürdigkeit dann auch noch so gut, daß sie sich vollends ohne staatliche Garantien auf den internationalen Finanzmärkten verschulden konnten.

Dann war es nur noch logisch, daß sich der Staat aus seiner Rolle der strategischen Planung und Investitionslenkung verabschiedete. Kurz nach dem Regierungsantritt von Kim Young-sam wurde 1993 das seit 1962 existierende Planungs- und Steuerungssystem aufgelöst und das Economic Planning Board mit dem Finanzministerium zusammengelegt. Das seitdem existierende Ministry of Finance and the Economy (MOFE) symbolisiert den Niedergang der Wirtschaftsplanung in Korea. Von der Industriepolitik ist kaum mehr als die Unterstützung von Forschung und Entwicklung in einigen high-tech Bereichen übriggeblieben. [Chang 1998, S. 1558. Peter Mayer (per sönliche Mitteilung) teilt diese Auffassung nicht. Möglicherweise sei der Interventionsgrad sogar gestiegen (so der ehemalige Außenminister Hong). ]

Noch im gleichen Jahr (1993) wurde Samsung erlaubt, eine eigene Automobilproduktion aufzubauen, obwohl es in dieser Branche bereits zu viele Produzenten und Überkapazitäten gab. [Ein früher Fall staatlicher Weigerung trat 1989 auf. Damals versuchte die Regierung, sich trotz drohender massiver Überkapazitäten in der petrochemischen Industrie in Zurückhaltung zu üben, mußte schließlich aber doch eingreifen (und verhängte obligatorische Exportquoten). ]
Aus Mangel an staatlicher Koordinierung kam es auch in mehreren anderen wichtigen Branchen (Chipproduktion, Petrochemie und Schiffbau) zu Überkapazitäten und in der Folge zu fallenden Exportpreisen, geringer Kapazitätsauslastungen und geringer Rentabilität der Investitionen (so erklärt sich

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großenteils das schwierige Jahr 1996). Ohne den Referenzrahmen der Fünfjahrespläne gab es auch keine 'rationalen' Kriterien mehr für eine Intervention des Staates. Entsprechend wurde es einfacher, offen oder versteckt zugunsten bestimmter Interessen zu intervenieren. Auch hierfür bietet Samsung, dessen Automobilwerk in der Heimatstadt des Präsidenten gebaut wurde, offensichtlich gutes Anschauungsmaterial. Das distanzierte, von den (von der Regierung jedenfalls so perzipierten) Erfordernissen der Modernisierung des Landes geprägte, "generalistische" Verhältnis des Staates zur Wirtschaft wurde durch "partikularistische" Beziehungen ersetzt, in die natürlich auch Korruption Eingang fand. Das gravierendste Beispiel dafür lieferte sicherlich der Hanbo-Skandal. [Erst unter Kim Young-sam entstand ein "full-blown 'crony capitalism'" (Chang 1998, S. 1559). ]

Ein weiterer wichtiger Punkt, der zur Analyse der veränderten Rahmenbedingungen gehört, ist die unzureichende Regulierung und Kontrolle der liberalisierten Finanzmärkte. [S. dazu Wang/Shin 1999.]
Als zentrales Problem sollte sich herausstellen, daß man die Liberalisierung in erster Linie als Beseitigung von financial repression verstand und, wie bei den merchant banks, unkontrollierten Wildwuchs zuließ. Der Druck der USA und des IWF führte zur Liberalisierung dieser Märkte, bevor man sich der Schwächen des Bankensystems – nämlich der schlechten Qualität der Aktiva und der unzureichenden Regulierung und Kontrolle der sich von der staatlichen Bevormundung emanzipierenden Finanzinstitutionen – angenommen hatte. Die Liberalisierung von Transaktionen in der Kapitalbilanz machte diese Schwächen offensichtlich und mußte sie zudem vergrößern. Insofern wurde durch die verfrühte Liberalisierung der Finanzmärkte eine wichtige Voraussetzung für die später eintretende Krise geschaffen. [S. dazu Demetriades et al. 1999. Aufgrund vieler ungelöster Probleme bei der Regulation und Kontrolle von internationalen Kapitalbewegungen kommen die Autoren zu dem Ergebnis (S. 792): "financial liberalizatoin will probably remain an experiment in faith for a long time." ]
Daß verfrühte Liberalisierung ohne entsprechende Reregulierung die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen erhöht, ist für eine ganze Reihe von Ländern mehrfach gezeigt worden. [Brownbridge et al. 1999, S. 254.]
Selbst im ostasiatischen Vergleich nahm Korea in bezug auf die Regulierung des Bankwesens, die Durchsetzung der Vorschriften und die Überwachung der Banken einen bemerkenswert schlechten Platz ein. [Nach Brownbridge et al. 1999, S. 257. Regulierung und Durchsetzung wurden jeweils mit weak bewertet, die Überwachung mit fair . Nur Thailand stand noch schlechter da; Indonesien genauso schlecht. Singapur erreichte mit zweimal very good und einmal strong die höchste Wertung.]

Schwerer zu gewichten ist ein letzter Grund: Korea besitzt, was das ganze Projekt der Modernisierung anbelangt, keine starke eigene geistesgeschichtliche Tradition. Die Vorbilder – Japan, aber eigentlich einige westeuropäische Länder und die USA – kommen von außen. Dies bedeutet, daß das Land gegenüber ideologischen Großwetterlagen – wie die seit nunmehr 20 Jahren dominierende (oder je nach Geschmack, wütende) neoliberale Sicht der Dinge – zu eher noch weniger Widerstand in der Lage ist, als wir das aus unseren Breiten kennen. Hinzu kommt, daß die Elite dieses Landes, das die höchste PhD-Dichte der Welt haben soll, die höheren akademischen Weihen ganz überwiegend in den USA erhalten hat. All dies dürfte dazu

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beigetragen haben, daß die nunmehr zehnjährigen Liberalisierungsbemühungen der Regierung, ja selbst der von den USA ausgeübte Druck, bei vielen Mitgliedern dieser Elite durchaus als fortschrittlich und notwendig gegolten haben dürften. Da all diese Veränderungen irgendwie auch immer im Zusammenhang mit dem Demokratisierungsprozeß standen, war es sicherlich (und nicht nur in Korea) nicht immer einfach, die Freiheit des Kapitals von den bürgerlichen Freiheiten zu trennen.

Zusammenfassend kann man sagen, daß das koreanische Investitions- und Akkumulationsregime die Krisen von 1970-72 und 1980-82, die ebenfalls Finanzkrisen waren, im Vergleich zu anderen Ländern einigermaßen unbeschadet überstanden hatte. Dieses Regime war im Krisenjahr 1997 allerdings schon lange nicht mehr intakt. Die Kontrolle über das Finanzsystem war weitgehend verloren gegangen, eigentlich aber aufgegeben worden. Letzteres gilt auch für die sektorale Investitionsplanung.

Die Desintegration des alten Regimes begann Ende der 80er Jahre. Dafür gab es einige Gründe, die sich aus der inneren Dynamik dieses Regimes ergaben, aber auch einige handfeste äußere Gründe. Man wird kaum behaupten können, daß das alte Akkumulationsregime zwangsläufig zerfallen mußte. Trotz der ihm inhärenten Dynamik und des enormen äußeren Drucks war das Regime eher auseinandergenommen worden, als daß es zerfallen wäre. Dies hatte sehr viel mit diskretionären Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen der Regierung Kim Young-sam zu tun und mit den Verhältnissen, die sie einreißen ließ. Das gleiche gilt für das Finanzsystem, das voreilig liberalisiert wurde und kaum noch der
Supervision und Kontrolle der Regierung unterlag.

Dadurch, daß man alle wesentlichen Instrumente der Kontrolle aus der Hand gegeben hatte, hatte man die Bedingungen der Möglichkeit von Finanzkrisen, einschließlich des durch Euphorie und Panik getriebenen Überschießens der Märkte, geschaffen. Das Land war nun auf Gedeih und Verderb den Entscheidungen von einheimischen Unternehmen und Banken und ausländischen Banken und Anlegern ausgeliefert. Schließlich wurde das ganze Land Opfer eines eskalierenden bank run. Die Zentralbank konnte ihn nicht abfangen, und der IWF konnte oder wollte die Rolle des lender of last resort nicht übernehmen, zumindest nicht sofort. Wofür das Land vorher gelobt und umworben worden war, bekam es jetzt bitter heimgezahlt.

Wie würde der neue Präsident Kim Dae-jung – die Krise eskalierte just in der Übergangszeit von der alten auf die neue Regierung – mit der Krise des Landes umgehen? Würde sie, wie bei den beiden früheren Krisen, die durch die IWF-Maßnahmen ebenfalls verschärft worden waren, das Heft wieder selbst in die Hand nehmen? Würde sie gar versuchen, das Rad der Geschichte ein Stück zurückzudrehen? Oder würde sie die Auflagen des IWF getreulich umsetzen und damit die marktliberalen Reformen Kim Young-sams fortsetzen? Würde sie dabei umsichtiger vorgehen und Fehler, wie sie dessen Regierung gemacht hatte, vermeiden können?


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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