FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Deutsche Arbeiterkonferenz. Zwischen 1954 und 1971 veranstaltetet der FDGB insgesamt 32 D.A., jeweils während der Frühjahrs- und Herbstmessen in Leipzig.
Es waren Großveranstaltungen, zu denen Arbeitnehmer und insbesondere Gewerkschafter aus der Bundesrepublik eingeladen wurden, um in Diskussionen mit Funktionären aus der DDR die Möglichkeiten einer innerdeutschen „Aktionseinheit“ zwischen FDGB und DGB zu sondieren und für die Anerkennung der DDR zu werben. Seit 1956 trat als Veranstalter ein vom FDGB gebildeter „Ständiger Ausschuss der Deutschen Arbeiterkonferenzen“ in Erscheinung.
Der Neue Kurs verpflichtete die SED in ihrer Westarbeit, mit der SPD in der Bundesrepublik die „Aktionseinheit“ zu suchen. Auf dem IV. Parteitag der SED im Frühjahr 1954 schlug SED-Chef Walter Ulbricht „allen westdeutschen Arbeitern einen offenen Meinungsaustausch über alle Fragen vor, die die Interessen der deutschen Arbeiterklasse und die Lebensfragen der deutschen Nation betreffen.“ In den Reihen der SPD und des DGB sollten sich Delegationen zusammenfinden, die in die DDR kommen, um sich selbst ein Bild über den „Staat der Arbeiter und Bauern“ zu bilden. Die wachsende Zahl von Delegationen aus Westdeutschland und die „Vielzahl gesamtdeutscher Konferenzen der Arbeiter“ verschiedener Branchen sollen den Wunsch geäußert haben, „den Begegnungen einen ständigen und organisierten Charakter in Form von offiziellen Konferenzen zu geben“. Dem seien SED und der FDGB gefolgt.
Die I. D.A. fand anlässlich der Herbstmesse 1954 in Leipzig statt. Ulbricht nutzte diese Zusammenkunft, die er als Fortsetzung der 1948 unterbrochenen Interzonenkonferenzen der Gewerkschaften sah, um zu betonen, dass diese Konferenzen eine neue Form des Kampfes um die „Aktionseinheit“ der Deutschen Arbeiterklasse darstellten. Auf der II. D.A. im März 1955 erklärte Ulbricht die „Aktionseinheit“ der Arbeiterklasse zur Voraussetzung der Wiedervereinigung Deutschlands. Die III. D.A. im September 1955 fand kurz vor der Proklamation der völkerrechtlichen Souveränität der DDR statt. Erneut nahm Ulbricht teil, um die Sicherung des Friedens in Europa als Hauptaufgabe der gesamten deutschen Arbeiterklasse zu verkünden. Die Konferenz erklärte die Verteidigung der DDR zur Sache aller deutschen Gewerkschafter. Die IV. D.A. befasste sich mit dem Verbot der KPD und stimmte der Bildung eines Ständigen Ausschusses der D.A. zu. Die V. D.A. im März 1957, an der auch Ulbricht wieder teilnahm, befürwortete den zuvor von der SED entwickelten Plan einer Konföderation beider deutscher Staaten. Auf der VI. D.A. im September 1957 warb der FDGB-Vorsitzende Herbert Warnke für eine „brüderliche Zusammenarbeit“ zwischen FDGB und DGB. Die Konferenz stimmte einem Antrag zur Einberufung einer Arbeiter-Jugendkonferenz zu und der Ständige Ausschuss der D.A. wurde beauftragt, ein Organisationskomitee zu bilden. Die VII. D.A. im März 1958 begrüßte den Vorschlag der DDR, über den Beitritt beider deutscher Staaten zu einer atomwaffenfreien Zone eine Volksbefragung in ganz Deutschland durchzuführen und unterstützte den Appell von 44 namhaften Wissenschaftlern an den DGB, Demonstrationen gegen die geplante atomare Aufrüstung der Bundesrepublik zu organisieren. Zwei Tage später konstituierte sich in der Bundesrepublik, ohne direkten Zusammenhang mit der D.A., der Arbeitsausschuss Kampf dem Atomtod, was als Beginn der westdeutschen Friedensbewegung gesehen werden kann. Von besonderer Bedeutung war die IX. D.A. im März 1959, die unmittelbar nach der Auslösung der II. Berlin-Krise durch die Sowjetunion abgehalten wurde. Vor den nach Angaben der SED rund 1 100 Besuchern aus Westdeutschland trat der sowj. Partei- und Staatschef Nikita S. Chruschtschow (*17.4.1994-†11.9.1971) auf, um über den gemeinsamen Kampf der deutschen Arbeiter und ihrer Gewerkschaften gegen Militarismus und für einen Friedensvertrag zu sprechen. Die D.A. fordert FDGB und DGB auf, den sowj. Entwurf für einen Friedensvertrag mit Deutschland zu prüfen und in eine offenen Meinungsstreit darüber einzutreten. Der Auftritt des ÖTV-Kreisvorsitzenden von Kassel auf der Konferenz führt nach dessen Rückkehr in die Bundesrepublik zu disziplinar. Maßnahmen in seiner Gewerkschaft. An der XII. D.A. im September 1960, die diesmal durch die Beteiligung von ausländ. Delegationen, u.a. aus Polen, Frankreich, Italien und Japan, eine internationale Ausrichtung hatte, sollen nach Angaben der Veranstalter über 5 000 Gewerkschafter und Sozialdemokraten teilgenommen haben. Führende SED-Funktionäre waren diesmal, wie auch auf der XIII. D.A. im März 1961 nicht präsent. Themen waren hier der Protest gegen die Notstandsgesetze in der Bundesrepublik und die Aufforderung an den DGB, sich aktiv an den Ostermärschen zu beteiligen. Die XIV. D.A. stand im Schatten einer vom FDGB organisierten internationalen Gewerkschaftskonferenz aus 47 Ländern, die die kurz zuvor am 13. August 1961 mit dem Mauerbau durchgeführte „Sicherung der Staatsgrenze“ der DDR in einer Resolution als richtig bezeichnete. Die XV. D.A. im März 1962 wiederholte diese Botschaft an die westdeutsche Arbeiterklasse. Das für die Westarbeit der SED zuständige Mitglied des Politbüros Albert Norden (*4.12.1904-†30.5.1982) erklärte, dass sich die „Sicherungsmaßnahmen“ am 13. August 1961 „ausschließlich gegen Faschisten und Militaristen und gegen Frontstadtprovokateure in West-Berlin richten“. An der XVI. D.A. im September 1962 nahmen Gewerkschaftsvertreter aus Frankreich, Italien und den Bruderverbänden des FDGB aus der CSSR, Polen und der Sowjetunion teil. Die Konferenz plädierte für eine „friedliche Lösung der West-Berlin-Frage“, und Ulbricht fordert die Gewerkschaften in Westdeutschland auf, sie sollten ihre eigene Politik ausarbeiten. Auch die folgenden D.A. waren in ihrer Zielsetzung von der jeweils gültigen deutschlandpolit. Linie der SED-Politik bestimmt. Die Veränderung des polit. Klimas zwischen beiden deutschen Staaten erlaubte es 1965, auch zwei Veranstaltungen der D.A. in Mannheim und Offenbach abzuhalten. Auf der XXX. D.A. im März 1970 stand die völkerrechtliche Anerkennung der DDR im Mittelpunkt. An ihr nahmen sowohl eine Delegation der legalen DKP als auch der illegalen KPD teil. Ein Jahr später, im März 1971, fand die XXXII. und letzte D.A. statt. Die Eröffnungsreferate hielten ein Mitglied des DKP-Parteivorstandes sowie ein Mitglied des FDGB-BuV. Die D.A. als propagandist. gesamtdeutsche Plattform für SED und FDGB wurden in dem Moment überflüssig, als die sozialliberale Bundesregierung direkte Verhandlungen mit der DDR auf der Basis und zur Regelung des Status quo der Teilung aufnahm.
M.W.