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Zur Ökonomie der Gewalt

Seit Mitte der 80er Jahre stieg die Gewalt in Kolumbien, verbunden mit Drogenhandel, Stärkung der Guerilla und Steigerung der allgemeinen Kriminalität, erheblich an. Seit 1996 hat Kolumbien mit 80 bis 100 Morden pro 100.000 Einwohnern die höchste Mordrate der Welt.

Der Drogenhandel begann in den 70er Jahren in Kolumbien mit Marihuana und konzentrierte sich in den 80er Jahren - nachdem der Marihuanabedarf in den USA durch Eigenanbau gesättigt wurde - auf Kokain. Seit den 90er Jahren kam Amapola–Mohn, also Heroin-Export, hinzu. Während zu Beginn der 80er Jahre die Cocablätter vor allem aus Peru und Bolivien bezogen wurden und Kolumbien die Veredelung in Kokain und den Export besorgte, stieg man Mitte bis Ende der 80er Jahre auch auf eigenen Coca-Anbau um. Das Volumen des Kokainexports wird auf ca. 600 Tonnen, also 60% der Weltproduktion, geschätzt, 2/3 davon gehen in die USA, weniger als 1/3 nach Europa. Das Exportvolumen bzw. der Rückfluß von Drogeneinnahmen nach Kolumbien stieg von ca. 1 Milliarde US $ Mitte der 80er Jahre auf durchschnittlich 2,5 bis 3 Milliarden in den 90ern, beträgt also etwa 25% der legalen registrierten Exporte.

Etwa 250 000 Kolumbianer - so Daten von 1996 - sind direkt in der Produktion und im Vertrieb des Drogenanbaus beschäftigt, etwa eine Million Menschen leben indirekt vom Drogenanbau. Etwa 6 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche, damit etwa 10% der gesamten Anbauflächen, wurden mit Drogengeldern erworben, Kunst-, Antiquitäten-, Immobilien- und viele andere Märkte florierten mit Drogengeldern. Das „leichte" Geld sickerte in die Geldkreisläufe und führte in großen Teilen der kolumbianischen Gesellschaft zu einer Art „passiver Komplizenschaft". Erst der Machtanspruch und Terror des Medellin-Kartells, die systematische Bedrohung und Ermordung von Richtern, Polizisten und Politikern, u.a. einem ehemaligen Justiminister und dem aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten der Liberalen Partei, Luis Carlos Galan, erzwangen eine Änderung der Haltung der kolumbianischen Behörden. Heute sitzen alle großen Bosse der Kartelle von Medellín, Cali, der „Costa Atlantica", des Valle del Norte usw. hinter Gittern oder sind tot. Das Geschäft geht unspektakulärer weiter, die Rücktransfers der Einnahmen der Drogenexporte scheinen sich jedoch wegen der höheren Risiken verringert zu haben. Ihr Anteil am BIP wurde 1996 auf ca. 3% (1992: 6%) geschätzt.

Unter dem eher theoretisch koordinierenden Dach Coordinadora Nacional Guerrillera agieren drei Guerillagruppen in Kolumbien. Zwar existierten sie schon vor Beginn des kolumbianischen Drogenhandels, ihre derzeitige finanzielle (600 Mio. bis 1 Mrd. US $ Guerilla-Haushalt pro Jahr) und militärische Stituation wären aber ohne „Besteuerung" (Schutzgelder) des und Verbindungen mit dem Narcotráfico undenkbar. Auch die Paramilitärs stünden ohne die Drogenkartelle nicht so in Blüte. Drogenhandel ist nicht die einzige Ursache der (politischen) Gewalt. Aber er ist ihr Katalysator, Motor und größter Nutznießer.

Schätzungen der direkten und indirekten Kosten der Gewalt (Verlust des Lebens, Beschädigungen, Sicherheits- und Versicherungskosten) schwanken zwischen 5% und 15% des BIP. Zwischen 1970 und 1993 soll Gewalt jährlich 2% BIP-Wachstum verhindert haben. Die Interamerikanische Entwicklungsbank schätzt, daß die Gewalt Kolumbien 25% seines potentiellen BIP gekostet hat. Öl- und Landwirtschaftssektor wurden durch die Gewalt am meisten betroffen. Für den Ölsektor werden die Beschädigungen durch Anschläge auf Pipelines und andere Einrichtungen auf 150 bis 200 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt. Die staatliche Ölgesellschaft ECOPETROL erhöhte ihre Sicherheitsausgaben von 3,8 Mio. auf 7 Mio. US $. Im Landwirtschaftssektor haben Gewalt und die Kosten von privaten Versicherungen zum Fallen der Landpreise und zur Aufgabe vieler privater Bauernhöfe geführt. Die Spritz-Programme zur Ausrottung der Coca-Produktion haben große Teile der normalen Landwirtschaftsproduktion in Mitleidenschaft gezogen.

In Kolumbien ist Gewalt die Haupttodesursache. 26% aller Toten in Kolumbien sind nicht auf natürlichem Weg gestorben. Bei der Risikogruppe männliche Bevölkerung zwischen 15 und 44 Jahren sind es sogar 60%, die durch Gewalt getötet wurden (der Durchschnitt gewaltsam Getöteter liegt in Lateinamerika mit 3% weit unter den Zahlen Kolumbiens). Eine Studie vom Jahre 1996 schätzt, daß der Verlust an Humankapital durch Gewalt etwa 1% bis 1,5% des BIP zwischen 1991 und 1996 entsprach. Kolumbiens Militärbudget stieg von 1,5% des BIP im Jahre 85 auf etwa 3% im Jahre 1997 und liegt damit 1% über den durchschnittlichen Verteidigungsausgaben in Lateinamerika. Allerdings stiegen die staatlichen Ausgaben für Erziehung und Gesundheit im gleichen Zeitraum von 4% auf 6,5% und die Sozialausgaben insgesamt auf ca. 18% des BIP.

Gewalt reduziert Wirtschaftswachstum auch dadurch, daß es die Effektivität von Regierungshandeln mindert und den Privatsektor ermuntert, in weniger produktiven Aktivitäten, private Sicherheitsdienste etc., zu investieren. Verringerte Kapazitäten der Regierung und des öffentlichen Sektors, beispielsweise im Justizsektor, sind in sich selbst Incentives für Kriminalität. Die hohe Straflosigkeitsrate in Kolumbien - je nach Quelle 95% - 99,5% - ist hier nur ein Beispiel.

Gewalt bewirkt auch eine Verschlechterung der Einkommens- und Vermögensverteilung. So haben Drogenhändler durch ihre Geldwäsche-Käufe von Land die Konzentration des Besitzes von Agrarland in den letzten Jahren erheblich verstärkt. Gewalt trifft häufig die ärmeren Teile der Gesellschaft: Die etwa 1,3 Mio. Vertriebenen (Desplazados) haben das Heer der Arbeitslosen und der unter der Armutsgrenze Lebenden weiter vergrößert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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